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Kein Anschluss unter dieser Leitung

Nach dem Aus für South Stream versucht die EU, Russland doch noch zugunsten einer Wiederaufnahme des Pipelineprojekts umzustimmen. Bislang ohne Erfolg. Die Schäden wiegen auch für deutsche Unternehmen schwer

Von Jörg Kronauer *

Das »Njet« von Gasprom-Chef Alexej Miller war unumstößlich. Zum wiederholten Male hatte sich die EU in der vergangenen Woche fast verzweifelt bemüht, Russland zur Wiederaufnahme der Arbeiten an der Erdgaspipeline »South Stream« zu bewegen. Maroš Šefčovič, in der EU-Kommission für die Energieunion zuständig, hatte verlauten lassen, er werde bei seiner Moskau-Reise am 15. Januar höchstpersönlich einen neuen Vorschlag der bulgarischen Regierung unterbreiten, wie sich die Differenzen um das Projekt vielleicht doch noch beilegen ließen. Man sehe ja ein, dass man Russland nicht endlos mit dem Hinauszögern der Baugenehmigungen hinhalten könne. Doch Šefčovič hatte keinen Erfolg. Er fuhr in die russische Hauptstadt, er verhandelte mit Miller und dem stellvertretenden Premierminister Arkadi Dworkowitsch – und was bekam er zu hören? »South Stream ist tot«, beschied der Gasprom-Chef kühl. Aus Sicht der EU und vor allem ihrer Vormacht Deutschland war das eine herbe Niederlage, zumal es ernste Folgeschäden gab, Schäden, die nicht nur die Energieversorgung der EU, sondern die erstrebte Spitzenstellung deutscher Konzerne in der globalen Erdgasbranche betrafen.

South Stream ist eines der ganz großen Pipelinevorhaben der EU gewesen. Dabei war die Leitung, als Gasprom und die italienische Eni 2006 die ersten Absprachen über sie trafen, alles andere als unumstritten. Die EU war damals vor allem mit »Nabucco« befasst, einer Pipeline, die das Erdgas des Kaspischen Beckens nach Südosteuropa leiten sollte, und zwar durch den Südkaukasus und die Türkei und damit an Russland vorbei. Es ging ausdrücklich darum, den russischen Einfluss auf die EU-Energieversorgung zu verringern. Mit South Stream machte Moskau eine Art Gegenangebot: Die Röhre sollte ebenfalls nach Südosteuropa führen, allerdings mit Erdgas aus dem russischen Netz befüllt werden. Die Antworten aus der EU waren gespalten. Während Italien Interesse an South Stream zeigte, machte die Mehrheit in Brüssel sich zunächst für »Nabucco« stark – auch Deutschland. Der Essener RWE-Konzern stieg 2008 in das Pipelinekonsortium ein und engagierte 2009 sogar den einstigen Außenminister Joseph Fischer als Lobbyisten für das Projekt. »Nabucco« hatte, so schien es jedenfalls, die Nase vorn, und das hätte das Aus für South Stream bedeuten können, denn es war klar, dass trotz des steigenden Gasbedarfs in Europa kaum beide Rohrleitungen gleichzeitig profitabel betrieben werden konnten.

Zum beiderseitigen Nutzen

Letztlich kam es anders. »Nabucco« geriet in Schwierigkeiten: Es gelang nicht, genügend Erdgasquellen für das Projekt zu erschließen. Nur Aserbaidschan mit seinem riesigen Erdgasfeld Schah Denis, eines der größten der Welt, war für das Konsortium eine sichere Bank. Der Plan, aus Turkmenistan quer durch das Kaspische Meer eine Zulieferpipeline zu bauen, die in Aserbaidschan in »Nabucco« münden sollte, scheiterte – nicht zuletzt an absehbaren Widerständen aus Moskau und Teheran. Iran seinerseits kam ebenfalls als Zulieferer in Betracht, allerdings nur theoretisch. Praktisch stand die westliche Sanktionspolitik dem Anschluss des Landes an das europäische Pipelinenetz im Wege. Auch die dritte Option, nämlich Erdgas aus dem Nordirak einzuspeisen, hatte der Westen selbst mit dem Überfall auf den Staat sabotiert. Es erwies sich als unmöglich, in dem kriegszerstörten Land eine zuverlässige Erdgasbelieferung zu organisieren. Es wurde also nichts aus »Nabucco«. 2013 wurde das Projekt endgültig eingestellt, der Weg für South Stream war frei.

Und in der Tat: Berlin und Brüssel schwenkten auf das Gasprom-Vorhaben ein. 2011 ließ sich die BASF-Tochtergesellschaft Wintershall in das Pipelinekonsortium aufnehmen. Im April 2012 wurde der Hamburger Sozialdemokrat Henning Voscherau zu dessen Aufsichtsratsvorsitzendem gewählt. Eine starke deutsche Position bei South Stream war also gesichert. Ein recht klares Bild von der künftigen EU-Erdgasversorgung zeichnete sich im Laufe der Zeit ab. Nord Stream, die sogenannte Ostseepipeline, wurde im November 2011 mit ihrem ersten und im Oktober 2012 auch mit ihrem zweiten Strang in Betrieb genommen. Beide zusammen können bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr aus Russland direkt in die EU leiten. Einen Transitstaat, der wie die Ukraine dazwischenfunken könnte, gibt es nicht. Zudem übernimmt Deutschland als Verteildrehscheibe für russisches Erdgas eine Schlüsselposition. South Stream sollte bei einem Durchleitungsvolumen von 63 Milliarden Kubikmeter Erdgas jährlich ebenfalls ohne Querung eines Transitstaats direkt in die EU führen und faktisch das südliche Gegenstück zu Nord Stream bilden. Das Resultat wäre eine exklusive energiepolitische Verzahnung Russlands und der EU gewesen – mit einem starken deutsch-russischen Zentrum.

Die Gesamtstrategie, die hinter den Planungen für die beiden Pipelines stand, reichte weit. Moskau zielte ökonomisch darauf ab, möglichst die gesamte Wertschöpfungskette von der Gasförderung in Sibirien über den Transport Richtung Westen bis hin zur Auslieferung an die Endkunden in Europa unter Kontrolle zu bekommen: Es ging Moskau darum, aus den Rohstoffen, Russlands derzeit bedeutendstem Gut, so viel wie irgend machbar herauszuholen. Auch politisch bemühte sich die russische Regierung, mit Hilfe von Gasprom ihren Einfluss größtmöglich auszudehnen. Insbesondere die Kooperation mit der Bundesrepublik, der Vormacht der EU, besaß für sie großes Gewicht. Für Deutschland bot die Zusammenarbeit ebenfalls ansehnliche Vorteile. Das Geschäft mit Gasprom erlaubte den deutschen Energiekonzernen E.on und Wintershall einen direkten Zugriff auf die russischen Lagerstätten. Bei diesen handelt es sich um die mit Abstand größten weltweit. Wer sie in nennenswertem Umfang ausbeuten darf, spielt in der obersten Liga der globalen Erdgasförderer mit. Zudem bot die enge Kooperation mit Russland die Chance, ein Standbein für die eigene Energieversorgung zu sichern. Dabei war klar, dass all dies weder Deutschland noch die EU daran hinderte, sich zusätzliche Erdgasquellen zu sichern, um Russland keinen allzu starken Einfluss einzuräumen.

Reibungslos verliefen die South-Stream-Planungen freilich nie. Das lag zum einen daran, dass es in einer ganzen Reihe von EU-Staaten – natürlich auch in Deutschland – transatlantische Kräfte gab, die eine allzu enge Kooperation zwischen der deutsch dominierten EU und Russland auf lange Sicht als Gefahr einstuften und sie deshalb torpedierten. Ihnen kam das sogenannte dritte Energiepaket der EU gerade recht, das 2009 verabschiedet worden war – zu einer Zeit, als Brüssel noch auf »Nabucco« setzte. Es schrieb für die Erdgasbranche eine Trennung zwischen Hersteller und Transporteur vor – eine Bestimmung, die sich klar gegen Gasprom richtete. Die EU beharrte hartnäckig darauf, was es ihr ermöglichte, unbeschadet der Kooperation einen gewissen Druck auf Moskau aufrechtzuhalten. Allerdings ging niemand davon aus, dass die Regelung ein unüberwindliches Hindernis für South Stream sei. Russland eröffnete im Dezember 2012 offiziell die Bauarbeiten für die Leitung, und auch in der EU wurden konkrete Schritte unternommen, bis zuletzt. Ende April 2014 unterzeichneten die österreichische OMV und Gasprom ein Memorandum of Understanding über den Bau eines Pipelineabschnitts. Noch im Oktober 2014 beobachteten Journalisten in Warna an der bulgarischen Schwarzmeerküste – dort sollte South Stream das europäische Festland erreichen – , dass einige Vorarbeiten für die Pipeline fortgesetzt wurden. Man ging offenkundig davon aus, dass sich eine Lösung für die Streitigkeiten schon irgendwie finden werde.

Das bestätigen Äußerungen von Politikern und Experten. Zwar hatte der damalige EU-Energiekommissar Günther Oettinger im März 2014, als der Konflikt zwischen dem Westen und Russland um die Krim eskalierte, offiziell erklärt: »Unsere Gespräche über Pipelines wie South Stream beschleunige ich derzeit nicht. Sie werden sich verzögern.« Brüssel nutzte die Planungen also, um den Druck auf Moskau weiter zu erhöhen und drängte Bulgarien dazu, Russland einige wichtige Genehmigungen für den Pipelinebau vorläufig zu verweigern. Im Mai 2014 urteilte dennoch der frühere CDU-Außenpolitiker Friedbert Pflüger, der seit 2010 als Direktor des »European Centre for Energy and Resource Security« am renommierten King's College in London nicht mehr dem politischen Alltagskampfgeschrei verpflichtet ist, South Stream stehe letztlich keineswegs in Frage: »Die fortgesetzte europäisch-russische Energiepartnerschaft ist ›business as usual‹.« Wie sicher man sich in der EU fühlte, zeigen Äußerungen des Staatspräsidenten Bulgariens, Rossen Plewneljew, vom Oktober 2014 in der FAZ. Der beschimpfte Russland zunächst wörtlich als »nationalistischen, aggressiven Staat«. »Die EU ist ein innovatives Projekt, in dem ein großes Deutschland und ein nicht so großes Bulgarien gleichberechtigt nebeneinander stehen«, behauptete er, um dann auszuführen: »In der Welt von Präsident Putin geht es dagegen noch zu wie im 19. Jahrhundert, als es Großmächte gab und eine Peripherie, die sich unterzuordnen hatte.« Und South Stream? Die Leitung werde »am Ende gebaut«, war sich Plewneljew sicher. Zuvor aber müsse »Russland lernen«, dass es die Regeln Brüssels zu befolgen habe. Dass Moskau es vorziehen könnte, eigene Wege zu gehen, anstatt sich von der EU und ihren Mitgliedsstaaten nach Gutdünken schurigeln zu lassen, das schien im europäischen Bündnis niemand ernsthaft in Betracht zu ziehen.

Schwerwiegende Schäden

Entsprechend war es ein Schock für Berlin und Brüssel, als der russische Präsident Wladimir Putin am 1. Dezember 2014 die Reißleine zog und das South-Stream-Projekt für beendet erklärte – in Anerkennung der Tatsache, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit am Gängelband Brüssels auf Dauer kaum möglich wäre. Moskaus Ausstieg wirkte. Der für die Energieunion zuständige Šefčovič kündigte an, er werde sich nicht zufriedengeben und nach Lösungsmöglichkeiten suchen. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker verkündete am 4. Dezember 2014, die bisherigen Einwände der EU seien nicht so ernst gemeint gewesen: »South Stream kann gebaut werden!« Am 15. Dezember warb die Bundeskanzlerin persönlich um eine Weiterführung des Vorhabens: »Unbeschadet politischer Differenzen geht es, glaube ich, gerade im Verhältnis mit Russland darum, dass wir die Verlässlichkeit unserer Wirtschaftsbeziehungen weiter unter Beweis stellen.« Und obwohl am 29. Dezember Eni, Wintershall und die staatlich dominierte Gesellschaft Electricité de France ihre Anteile an South Stream offiziell an Gasprom übertrugen, um das Projekt abzuwickeln, ließ Brüssel nicht locker und schickte Šefčovič am 15. Januar erneut mit dem Auftrag nach Moskau, dort ein weiteres Mal um den Bau der Röhre zu bitten. Šefčovič hatte keinen Erfolg.

Die Schäden für Deutschland und die EU wiegen gleich in mehrfacher Hinsicht schwer. Da wären zunächst die unmittelbar betrieblichen Verluste, die zum Beispiel den deutschen Stahlproduzenten Salzgitter treffen. Die Salzgitter AG war gerade dabei, sich von einer heftigen Krise zu erholen, als sie Anfang 2014 erfreut verkünden konnte, die Firma Europipe, die sie gemeinsam mit der Dillinger Hütte betreibe, habe einen hochattraktiven Auftrag zur Lieferung von 450.000 Tonnen Stahlrohren für South Stream erhalten. Experten schätzten den Wert auf eine mittlere dreistellige Millionensumme. Salzgitter gab an, der Auftrag werde Europipe für ein ganzes Jahr die Auslastung der Produktionskapazitäten sichern. Ende 2014 platzte der Traum: Man müsse die Arbeit wegen des South-Stream-Stopps »bis auf weiteres« einstellen, teilte das Unternehmen mit. Die ersehnte Stabilisierung der Konzernbilanzen geriet plötzlich wieder in Gefahr.

Langfristig trifft das Ende des Projekts insbesondere Wintershall hart. Die Firma hat noch Mitte Dezember bestätigt, sie betrachte Russland mit seinen riesigen Erdgasvorräten als eine »Kernregion« für ihr Geschäft. Bislang ist das Unternehmen dort durchaus erfolgreich gewesen. An Nord Stream ist es mit 15,5 Prozent beteiligt. In einem Joint-Venture mit Gasprom fördert es Erdgas aus dem sibirischen Feld Juschno Russkoje (Anteil: 35 Prozent), am sibirischen Erdgasförderprojekt Achimgas ist es sogar mit 50 Prozent beteiligt. Weitere Vorhaben waren in Planung. So sollte Ende Dezember ein Deal unterzeichnet werden, der Wintershall weitere Anteile an attraktiven sibirischen Erdgasfeldern übertragen hätte. Im Gegenzug wollte die BASF-Tochterfirma ihr deutsches Erdgashandels- und -speichergeschäft an Gasprom überschreiben. Der russische Konzern wäre damit seinem strategischen Ziel nähergekommen, die gesamte Wertschöpfungskette bis hin zum Endkunden zu kontrollieren. Allerdings ist diese Strategie mit dem Ende des South-Stream-Projekts undurchführbar und damit hinfällig geworden. Gasprom hat den Deal noch im Dezember storniert. Für Wintershall ist das ein schwerer Schlag, denn neue Beteiligungen an sibirischen Erdgasfeldern bleiben nun aus. »Für den Konzern wird damit nichts aus dem Plan, in die erste Liga der weltweiten Gasproduzenten aufzusteigen«, kommentierte die Süddeutsche Zeitung.

Vage Alternativstrategien

Abgesehen davon, dass damit auch das Bestreben Berlins in Frage steht, den strategisch für die Energieversorgung wichtigen direkten Zugriff auf einen signifikanten Anteil der russischen Erdgasvorräte zu erhalten: Mit dem Ende von South Stream wanken zugleich die deutschen Alternativstrategien. Denn South Stream wird durch »Turkish Stream« ersetzt, eine Erdgaspipeline von der russischen Schwarzmeerküste in die Türkei; das Land wird dann die Weiterleitung in die EU übernehmen. Das bedeutet: Brüssel wird in Zukunft nicht nur mit Moskau über seine Erdgaskäufe, sondern auch mit Ankara über die Durchleitung verhandeln müssen. Die Türkei ist ohnehin schon Transitland bei sämtlichen Optionen für den Erdgasbezug jenseits russischer Quellen. So erfolgten die seit langem geplanten Lieferungen aus Aserbaidschan über türkisches Territorium. Dasselbe würde auf etwaige Importe aus dem Nordirak zutreffen. Und solange Iran kein Flüssiggas produziert, müssten auch Einfuhren von dort per Pipeline quer durch die Türkei geleitet werden. Nicht nur, dass die Beziehungen zwischen Brüssel und Ankara seit geraumer Zeit, gelinde gesagt, angespannt sind: Wird »Turkish Stream« realisiert, dann hätten BRD und EU mit engen Absprachen zwischen Russland und der Türkei zu rechnen. Moskau könne dann »die ›Energieaußenpolitik‹ der EU mit ihrem Hauptziel der Schaffung eines von Russland unabhängigen südlichen Gaskorridors erfolgreich unterlaufen«, bilanzierten im Dezember die an der Universität Bremen herausgegebenen Russland-Analysen. Die deutsch-europäische Rohstoffpolitik, die ja stets auch Alternativen zu russischen Ressourcen im Visier hatte, stünde in puncto Erdgasversorgung vor einem Scherbenhaufen.

Was tun? Berlin und Brüssel versuchen offenbar, dreigleisig zu fahren. Zum einen dauert die Suche nach neuen Erdgaslieferanten an. Einfuhren aus Iran oder Irak werden dabei ebenso in den Blick genommen wie der Import von Flüssiggas aus den USA. Zudem drückt Brüssel bei Lieferungen aus Aserbaidschan auf die Tube. Aserbaidschan? Nun, ein bisschen peinlich ist das selbst für die an solche Fälle gewohnte EU: Die Regierung in Baku hat in jüngster Zeit ihre Repression gegen Regimekritiker jeglicher Art drastisch verschärft; im Dezember hat sie auch noch die Außenstelle des US-finanzierten Senders Radio Free Europe in Baku durchsuchen und dichtmachen lassen. Kann man, wenn man andere Länder im Namen der Menschenrechte bei Bedarf mit Sanktionen und zuweilen sogar mit Krieg überzieht, mit einem solchen Staat umstandslos Geschäfte machen? Selbstverständlich, man muss es nur dem Publikum entsprechend verkaufen. »Die EU befindet sich in einer Zwickmühle«, warb die Süddeutsche Zeitung im Dezember bei ihrer liberalen Leserschaft vorsichtig um Verständnis und erläuterte geduldig, »warum Europa nicht an Aserbaidschan vorbeikommt«.

Jenseits solcher Problemchen stellt sich die Frage, ob Berlin und Brüssel sich auf Dauer die aktuellen Spannungen mit Ankara noch leisten können. Als kürzlich der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu zu Verhandlungen in Berlin weilte, da schimpfte Springers Bild anlässlich seiner Rede vor Angehörigen der türkischsprachigen Minderheit zwar noch wie gehabt über einen »irre(n) Auftritt des Türken-Premiers«. Neben den Propagandakanonen waren allerdings bereits leisere Töne zu hören. Bundeskanzlerin Angela Merkel lobte auffallend die Aufnahme syrischer Flüchtlinge in der Türkei, die »ein ganz wesentlicher humanitärer Beitrag« zur Linderung der Not im Nahen Osten sei, und kam zu dem Schluss, Ankara sei – Unterstützung für den »Islamischen Staat« (IS) hin, Repressalien gegen die Kurden her – »im Kampf gegen den Terrorismus ein Verbündeter«. Ab 2016 sollen nun jährlich deutsch-türkische Regierungskonsultationen abgehalten werden – abwechselnd auf Ebene der Regierungschefs und der Außenminister.

Und schließlich haben Berlin und Brüssel die Hoffnung nicht aufgegeben, doch noch irgendwie mit Moskau ins Geschäft zu kommen. Davon zeugt nicht nur, dass EU-Kommissar Maroš Šefčovič am 15. Januar nach Moskau reiste, sondern auch ein internes Papier aus der EU-Außenbürokratie, aus dem das Wall Street Journal am 13. Januar zitieren durfte – kurz bevor Šefčovič in Moskau eintraf. Darin werde vorgeschlagen, die Beziehungen zu Russland in einer ganzen Reihe von Aspekten zu »normalisieren«, berichtete die Zeitung. Vor allem könnten die Sanktionen eingestellt werden, wenn Moskau ein gewisses Entgegenkommen zeige. Nachdenken müsse man auch über eine Wiederaufnahme von Gesprächen über den bilateralen Handel mit Russland und – über Fragen der Energieversorgung. Spätestens im März würden Entscheidungen getroffen, hieß es. Man wird sehen, ob Moskau sich noch auf Zugeständnisse in puncto Erdgas einlässt.

* Aus: junge Welt, Freitag, 23. Januar 2015


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