Prager Parlament stimmt EU-Vertrag zu
Vorschlag einer Volksabstimmung abgelehnt
Von Jindra Kolar, Prag *
Nach langwierigen Diskussionen, Rechtseinwänden und Klagen vor dem Verfassungsgericht
stimmte das tschechische Abgeordnetenhaus am Mittwochmorgen dem Lissabonner EU-Vertrag zu.
Nun muss noch der Senat zustimmen, was frühestens im April erwartet wird.
Schon am Dienstagabend (17. Feb.) waren die Abgeordneten in Prag zu einer außerordentlichen Sitzung
zusammengekommen. Doch überaus erregte und kontroverse Diskussionen, wie sie bereits lange
vor der Debatte geführt worden waren, verhinderten eine Abstimmung. Spätabends wurde dieser Akt
auf den nächsten Tag verschoben.
Am Mittwoch (18. Feb.) brauchte es dann allerdings nur noch eine Stunde, bis Parlamentsvizepräsident
Lubomir Zaoralek das Abstimmungsergebnis verkünden konnte: Von den 200 Abgeordneten
stimmten 125 für und 61 gegen die Annahme des EU-Reformvertrags. Erforderlich waren 120 Ja-Stimmen.
Der Termin Mitte Februar war anberaumt worden, nachdem das Verfassungsgericht in Brno auf
seiner Dezembersitzung grünes Licht für das Vertragswerk gegeben hatte. Dennoch hatte es
innerhalb der regierenden Demokratischen Bürgerpartei (ODS) heftige Diskussionen gegeben:
Staatspräsident Vaclav Klaus, einst Mitbegründer der ODS, profilierte sich als prominentester
Gegner des Vertragswerks. Aus Protest gegen die Haltung der Mehrheit in seiner Partei trat er auf
dem Kongress Anfang Dezember sogar aus der ODS aus und kündigte die Gründung einer neuen
EU-skeptischen Partei an. Einige ODS-Abgeordnete folgten ihm. Doch Marek Benda, der die ODS in
der Verfassungskommission des Parlaments vertritt, war schon vor der jüngsten Sitzung
zuversichtlich: »Ich gehe trotz einiger Gegenstimmen davon aus, dass das Lissaboner Abkommen
bestätigt wird.«
Für die Annahme des Vertrages hatten sich sowohl die Abgeordneten der mitregierenden
christdemokratischen KDU-CSL als auch die Grünen ausgesprochen. Auch die Vertreter der
oppositionellen Sozialdemokraten (CSSD) unter Jiri Paroubek setzten sich für eine baldige
Zustimmung ein. Der Parteivorsitzende hatte bereits vor der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft
durch Tschechien zu Jahresbeginn bemängelt, dass sein Land der vorletzte EU-Mitgliedsstaat sei,
der das Vertragswerk noch nicht angenommen hat. Dies sei, so Paroubek, beschämend.
Die Abgeordneten der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens (KSCM) stimmten gegen
den »Lissabon«. »Wir sind nach wie vor für eine Volksabstimmung, bei der über die Annahme eines
so weit reichenden Vertragswerkes entschieden werden sollte«, erklärte ihr Fraktionsvorsitzender
Pavel Kovacik. Nach Meinung der Kommunisten schränken die Verträge die Selbstbestimmung der
einzelnen Staaten zu sehr ein – vor allem auf außenpolitischem und militärischem Gebiet. Noch in
der Vormittagssitzung am Mittwoch plädierte der kommunistische Abgeordnete Stanislav Grospic
dafür, die Abstimmung von der Tagesordnung zu nehmen. Er wiederholte den Vorschlag, am 24.
März ein Referendum zu den EU-Verträgen anzusetzen.
Den Abgeordneten der regierenden ODS wollte deren Vorsitzender, Regierungschef Mirek
Topolanek, freie Hand lassen. Er warnte jedoch vor einer Isolierung des Landes in der EU.
Topolanek selbst hatte sich angesichts der Dezemberdebatten in seiner Partei auserbeten, die
Abstimmung auf Februar zu vertagen.
Eine Gruppe von ODS-Parlamentariern erklärte dann auch öffentlich, dass sie dem Lissabonner
Abkommen nicht zustimmen werde. Alena Paralova kündigte an, die ODS zu verlassen, sollte der
Vertrag ratifiziert werden. Gegen »Lissabon« stimmten auch die sogenannten Parteirebellen
Vladimir Tlusty und Juraj Raninec. Jan Schwippel., der ebenfalls zu dieser Gruppe zählt, fehlte aus
»gesundheitlichen Gründen«.
Mit der Zustimmung des Abgeordnetenhauses hat das Vertragswerk in Tschechien eine wichtige
Hürde genommen. Nun muss noch der Senat sein Placet geben, das aber aufgrund der
Mehrheitsverhältnisse nach dem Sieg der Sozialdemokraten bei den jüngsten Senatswahlen als
sicher gilt. Erwartet wird die Abstimmung im April, eine Verschiebung ist jedoch nicht
ausgeschlossen.
Was dann noch fehlt, ist die Unterschrift von Präsident Vaclav Klaus, der sie erst leisten will, wenn
Irland dem Vertragswerk bei einer Wiederholung des 2008 gescheiterten Referendums doch noch
zustimmt.
* Aus: Neues Deutschland, 19. Februar 2009
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