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Für ein anderes Europa

Die janusköpfige Union: Kritik des EU-Vertrages von Lissabon

Von Arnold Schölzel *

In der Vorbemerkung zu »Lissabon am Ende? Kritik der EU-Verträge« packt Gregor Schirmer den Stier bei den Hörnern: »Linke Kritik an der Union hat mit rechtsextremen und nationalistischen Positionen zur EU nichts gemein.« Denn zu Sozialunion, Militarisierung und Aufrüstung, mehr Demokratie, Verhältnis der Kompetenzen von Europäischer Union und Mitgliedstaaten hätten Linke und Nationalisten entgegengesetzte Positionen.

Für den Autor ist die EU unvermeidlich, er streitet aber für andere, für demokratische Regeln in ihr. Seine Analyse des Lissabon-Vertrags macht klar, warum. Er lichtet als versierter Völkerrechtler das Gestrüpp der Titel, Artikel, Absätze, Protokolle und Erklärungen der beiden EU-Verträge, die durch Lissabon verändert wurden. Die durchgängige Kritik des politischen Menschen Schirmer ist in der Wortwahl moderat, in der Sache vernichtend. Beispiel: »Die Europäische Union ist janusköpfig wie alle kapitalistischen Unternehmungen. Sie gewährleistet Frieden zwischen ihren Völkern und friedliche Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und zugleich beteiligt sie sich an völkerrechtswidrigen Kriegen gegen und in Drittstaaten, Aufrüstung und an der Ausbeutung der Dritten Welt.« Zwischen proklamiertem liberalem Anspruch und imperialistischer Realität, so ließe sich sagen, klafft die übliche Lücke.

Das allein zu konstatieren wäre trivial. Der Wert dieser Untersuchung liegt darin, in den Formulierungen der Verträge selbst diese Doppelgesichtigkeit aufzuspüren und exakt zu belegen. Denn das Prinzip der EU-Kontrakte ist: die Volkssouveränität, Menschen-, Grund- und Beteiligungsrechte zu proklamieren, sie aber durch versteckte Sonderbestimmungen und Zusatzerklärungen (manchmal einzelner Staaten wie zur Todesstrafe) zurückzunehmen. Alle zehn Kapitel des Buches handeln so von einem Skandal: Vom Zustandekommen des Lissabon-Vertrages nach dem Nein zur »EU-Verfassung« in Frankreich und den Niederlanden bis zur dreisten Übernahme neoliberaler Wahnvorstellungen und der Aufrüstungspflicht aus dem abgelehnten Verfassungsvertrag.

Die Exporteure »westlicher Werte« haben sich mit Lissabon ein Gerüst gezimmert, das mit Demokratie selbst formal wenig zu tun hat. Sehr viel aber mit oligarchischer Herrschaft. Letztere ist aber nicht Gegenstand dieser Arbeit, die ein ausgezeichnetes Argumenta­tionsmaterial zur Durchleuchtung eines Demokratie-Popanz enthält.

Gregor Schirmer: Lissabon am Ende - Kritik der EU-Verträge. Kai Homilius Verlag, Berlin 2008, 120 Seiten, 7,50 Euro (ISBN: 3897064022)

* Aus: junge Welt, 5. Januar 2009


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