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Friedensbewegung begrüßt "No" der Iren

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag und weitere Reaktionen auf das Referendum in Irland - EU-Reformvertrag tot?

Zwei Jahre nach dem Scheitern der Europäischen Verfassung steht die EU erneut vor einem Scherbenhaufen. Der als Ersatz gedachte EU-Reformvertrag fiel beim Referendum in Irland durch: Nach dem am Freitag, den 13, Juni 2008 veröffentlichten Endergebnis stimmten 53,4 Prozent der Wähler dagegen. Bundesregierung und EU-Kommission sprachen sich dafür aus, den Ratifizierungsprozess in anderen Ländern dennoch fortzusetzen und die Reform zu retten. Widerstand dagegen regte sich in Prag. Damit droht Streit auf dem EU-Gipfel, der am Donnerstag in Brüssel beginnt.
"Wir erwarten, dass die anderen Mitgliedstaaten ihre innerstaatlichen Ratifizierungsverfahren weiterführen", teilte Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy veröffentlichten Erklärung mit. Deutschland und Frankreich haben den Vertrag bereits ratifiziert.
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sagte in Brüssel: "Ich glaube, der Vertrag ist lebendig, und wir müssen eine Lösung finden."" Auch er forderte eine Fortsetzung des Ratifizierungsprozesses in den acht EU-Ländern, die noch nicht abschließend über den Reformvertrag entschieden haben.
Die tschechische Regierung deutete allerdings Widerstand gegen diesen Aufruf an. "Wir nehmen das irische Nein nicht weniger Ernst als die früheren Absagen aus Frankreich und den Niederlanden", erklärte Ministerpräsident Mirek Topolanek in Prag. Franzosen und Niederländer hatten 2005 den Entwurf einer Europäischen Verfassung abgelehnt, der wenig später zu Grabe getragen wurde.
Im Folgenden dokumentieren wir erste Reaktionen auf den gescheiterten EU-Reformvertrag.



Friedensbewegung begrüßt "No" der Iren

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
  • Das Nein der Iren ernst nehmen
  • Den Weg in die Militärunion umkehren
  • Irland hat für ein Stück Demokratie in der EU gesorgt
Kassel, 13. Juni 2008 - Zu der absehbaren Ablehnung des EU-Reformvertrags bei dem Referendum in Irland stellt der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag fest:

Sollten sich die Trendmeldungen aus Irland bestätigen, dann hat sich heute die Mehrheit der Bevölkerung in einem landesweiten Referendum gegen den EU-Reformvertrag ausgesprochen.

Wären wir professionelle Politiker, würden wir sagen: "Dies ist ein guter Tag für Irland und ein guter Tag für Europa". Jenseits solcher Sprechblasen sollte aber substanziell auf die positiven Konsequenzen des irischen "No" hingewiesen werden.

Dazu gehört zum ersten, dass der Mogelvertrag von Lissabon, der ja nichts anderes ist als eine verkappte Neuauflage des schon einmal an Frankreich und Holland gescheiterten Verfassungsvertrags, dass dieser Reformvertrag wieder ad acta gelegt werden muss. Er ist nicht mehrheitsfähig in Europa. Die politische Klasse in Brüssel und den EU-Mitgliedstaaten wusste das und hatte deshalb darauf gedrungen, dass der Vertrag nirgends dem Volk zur Abstimmung vorgelegt wird. Einzig Irland musste - gegen den Willen der eigenen Regierung - das Referendum durchführen, weil das die dortige Verfassung vorschreibt. Irland hat also für ein Stück Demokratie in der EU gesorgt.

Zum zweiten sind damit im Grundsatz all jene Elemente des Reformvertrags vom Tisch, die über den ursprünglichen Gehalt der Europäischen Union hinausgehen sollten. Wir zählen dazu neben der Festlegung der EU auf den allein seligmachenden Marktradikalismus vor allem die Transformation der EU in eine Militärunion. Der Lissaboner Vertrag enthielt u.a. folgende Gefahren:
  • die EU-Mitgliedstaaten sollten sich verpflichten, ihre militärischen Fähigkeiten "schrittweise zu verbessern" (Art. 28c);
  • es sollte eine "Europäischen Verteidigungsagentur" gegründet werden, die "Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Basis des Verteidigungssektors" ergreifen soll (Art. 28a, Ziff. 3)(die "Verteidigungsagentur" arbeitet bereits seit 2004 - also ohne vertragliche Grundlage);
  • es sollten "besonderer Verfahren (angewandt werden), um den schnellen Zugriff auf die Haushaltsmittel der Union zu gewährleisten", damit Militäreinsätze ("Missionen") durchgeführt werden können; hierfür sollte ein sog. "Anschubfonds" gebildet werden;
  • "Schnelle Eingreiftruppen" und sog. Battle groups (Schlachtgruppen) für Kampfeinsätze in aller Welt sollten gebildet werden (auch sie ggibt es bereits!);
  • der Tatbestand des "Terrorismus" sollte mit militärischen Mitteln (d.h. mit Krieg) beantwortet werden;
  • die Machtlosigkeit des Europäischen Parlaments in Sachen Außen- und Sicherheitspolitik sollte bestehen bleiben: Das EP wird in Angelegenheiten der Außen- und Sicherheitspolitik lediglich informiert und angehört; Entscheidungen trifft ausschließlich der Rat (also die "Exekutive" der EU);
  • der ganze Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik bliebe rechtsstaatlicher Kontrolle entzogen; nach Art. 240 ist der Gerichtshof der Europäischen Union hierfür "nicht zuständig".
Was immer die zahlreichen Motive der irischen Bevölkerung für ihr Votum gewesen sein mögen: Dem Land und seinen Menschen ist zu danken, dass die Demokratie und die Friedensorientierung in der Europäischen Union eine neue Chance erhalten. Das "No" der Iren war kein Nein zu Europa, sondern es war ein Nein zu dieser besonderen Form einer bevormundenden, autoritären, neoliberalen und sich militarisierenden Europäischen Union.

Der EU ist zu wünschen, dass sie aus der Abstimmung die richtigen Konsequenzen zieht: Der Weg in die Militärunion muss umgekehrt werden. Die EU muss sich ganz auf ihre zivilen und sozialen Traditionen und Tugenden besinnen. Dann braucht sie keine Furcht mehr vor Volksabstimmungen haben.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)


Herzliche Gratulation nach Irland zum NO zum Lissabonner Vertrag - NEIN muss von den EU-Eliten akzeptiert werden - klare Absage an Militarisierung der Europäischen Union

Pressemitteilung 2008/016, Tübingen, 13.06.2008

Zum NEIN zum Lissabonner Vertrag beim Referendum in Irland erklärt Tobias Pflüger (MdEP, DIE LINKE), Mitglied des Auswärtigen Ausschusses (AFET) und Koordinator der Linksfraktion (GUE/NGL) im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung (SEDE) des Europäischen Parlaments:

In Irland hat erfreulicherweise das NO zum Lissabonner Vertrag gewonnen. Dieses Nein begrüße ich außerordentlich!, 'Herzlichen Glückwunsch nach Irland! Glückwunsch an die abstimmende Bevölkerung und an die Kampagne CAEUC (Campaign Against the EU Constitution - Vote No to the Lisbon Treaty)!'

Bedauerlicherweise durfte nur in Irland die Bevölkerung über den Lissabonner Vertrag abstimmen, überall sonst wurden Referenden versagt.

Nun muss das NEIN zum Lissabonner Vertrag von den EU-Eliten akzeptiert werden. Da es sich beim Lissabonner Vertrag nur um eine leicht veränderte Variante des alten EU-Verfassungsvertrages handelte, der in Frankreich und den Niederlande abgelehnt worden war, ist es nun an der Zeit, dieses Vertragswerk aufzugeben. Dieser EU-Vertrag (Lissabonner Vertrag oder EU-Verfassungsvertrag) ist nun endgültig tot, dies müssen alle (EU-Rat, EU-Kommission, die diversen EU-Regierungen und die Mehrheit des Europäischen Parlamentes), die so getan haben, als ob er schon in Kraft sei, akzeptieren.

Ein herausragendes Thema bei der Debatte in Irland über den Lissabonner Vertrag war die Kritik an der mit dem Lissabonner Vertrag einhergehenden Militarisierung der Europäischen Union (Eigenständiger EU-Militärhaushalt, Ständige Strukturierte Zusammenarbeit, enge NATO/EU-Zusammenarbeit, Solidaritätsklausel, Aufrüstungsverpflichtung etc.). Auch hier müssen die EU-Eliten endlich eingestehen, dass die Kritik an der Militarisierung der EU - insbesondere in den noch neutralen EU-Staaten - wie Irland, aber auch weit darüber hinaus geteilt wird. Deshalb: Stopp des Ausbaus der EU zu einem Militärbündnis!

Das irische NEIN bringt eine völlige neue Situation in der Europäischen Union. Das Ergebnis des Referendums in Irland ist keine Katastrophe, wie jetzt beschworen wird, sondern eine Chance, es eröffnet die Möglichkeit für einen Diskussionsprozess unter breiter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in der EU über die Zukunft dieser Europäischen Union. Damit bekommt die Vision einer wirklich demokratischen, sozial gerechten und friedlichen Europäischen Union noch einmal eine Chance.


Pressemitteilung
13.06.2008 – Diether Dehm

Ein klarer Auftrag, völlig neu zu verhandeln

„Das Nein aus Irland ist ein klarer Auftrag an die Regierungen in der EU die Ratifizierung der EU-Verträge zu stoppen und den EU-Vertrag völlig neu zu verhandeln“, so Diether Dehm zum Ausgang des Referendums zum Lissaboner Vertrag in Irland. Der europapolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE weiter:

„Der Lissaboner Vertrag ist gescheitert. Alle Vorwürfe an die Bürgerinnen und Bürger von Irland zeigen das fehlende Demokratieverständnis der politisch Verantwortlichen für diesen Vertrag. Die Bürgerinnen und Bürger in Irland haben nein zu diesem Vertrag gesagt, da das Fehlen der Sozialstaatlichkeit, was solche schlimmen Fehlurteile des EuGH wie das Rüffert-Urteil gegen die Tariflöhne oder das Laval-Urteil gegen das Streikrecht nach sich zog, von ihnen abgelehnt wird.

Angriffe des EuGH auf das VW-Gesetz sind nur möglich, weil das EU-Primärrecht schwerwiegende Webfehler hat. Die Europäische Union braucht einen Vertrag, der - so wie unser Grundgesetz - vom einem Angriffskriegsverbot und der Sozialstaatlichkeit geprägt ist.

Dem irischen Volk drücken wir, sicherlich auch für die Mehrheit der deutschen Bevölkerung, unsere Hochachtung für ihre Entscheidung aus.“


Erklärung des Sekretariats der Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung

Danke, Irland!

Das ist kein schwarzer Freitag für Europa, es ist ein schwarzer Freitag für ein Politikmodell, das die Demokratie mit Füßen tritt.

Um diese Uhrzeit (16:34h) liegt in der großen Mehrheit der Wahlbezirke das Nein vorn. Der irische Justizminister und der Europaminister sprechen bereits von einer Niederlage. Laut Pressemeldungen haben vor allem ländliche Bezirke und solche mit hohem Arbeiteranteil mit Nein gestimmt.

Damit hat die irische Bevölkerung das ausgedrückt, was die Bevölkerungen in den meisten anderen Staaten auch gesagt hätten, hätten sie über den Lissabon-Vertrag abstimmen dürfen. Sie alle haben durch die Iren eine Stimme bekommen, welche die EU ihnen verweigern wollte.

Der Mangel an Demokratie war offenbar einer der Hauptgründe für die irische NEIN. Nach dem Nein aus Frankreich und den Niederlanden zum Verfassungsvertrag hätte die EU die Chance gehabt, in einen wirklichen Dialog mit der Bevölkerung zu treten und ihre Anliegen zu hören. Das aber war nicht gewollt. Im Gegenteil: Der Vertrag von Lissabon bleibt hinter der Verfassung vieler Mitgliedstaaten zurück und setzt diese de facto außer Kraft, ohne die für solche Verfassungsänderungen erforderlichen Mehrheiten. Für 90% aller Rechtsnormen sollte das weitaus undemokratischere EU-Recht als das höherrangige gelten. Was das praktisch bedeutet, konnten wir zuletzt am Beispiel der Entsenderichtlinie erfahren, die nationale Tariflöhne aushebelt.

Irland hat nicht NEIN zur EU gesagt, es hat NEIN zu einer undemokratischen, wirtschaftsliberalen und militarisierten EU gesagt.

Die Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung werben seit langem dafür, dass wir diesem Modell der EU ein anderes Modell entgegen setzen: das eines demokratischen, auf dem Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerungen seiner Mitgliedstaaten beruhenden, gegen über den Völkern des Südens offenen, friedlichen und sozialen Europa.

Mit dem NEIN der Iren ist alles wieder offen: Es ist an der Zeit, europaweit dafür einzutreten, dass in allen Mitgliedstaaten eine offene Debatte über das Europa, das wir wollen, geführt wird. Dokumente, die das Zusammenleben in Europa grundsätzlich regeln, müssen einem Referendum unterzogen werden! In diese Debatte werden wir die Chart a der Grundsätze für ein anderes Europa einbringen, die die Europäischen Märsche zusammen mit anderen Organisationen und Netzwerken im Rahmen des Europäischen Sozialforums erarbeitet haben.

für das Sekretariat der Märsche
Angela Klein
13.6.2008


Pressemitteilung
13. Juni 2008 Lothar Bisky

Das Volk ist der Souverän

Die Bürgerinnen und Bürger in Irland haben sich offenbar mehrheitlich für ein NEIN zum Vertrag von Lissabon entschieden. Zum sich abzeichnenden Ausgang des Referendums in Irland erklärt Lothar Bisky, Vorsitzender der Partei DIE LINKE und der Europäischen Linkspartei:

Eine Politik, die das soziale Europa immer mehr aufweicht und das Geld dafür lieber in Rüstung und Militäreinsätze außerhalb Europas investiert, ist nicht im Interesse der europäischen Bevölkerung.

Das NEIN von Dublin und die eigentliche Lehre aus dem fehlgeschlagenen EU-Reformprozess bestehen darin, dass europäische Integration nur dann erfolgreich sein kann, wenn ihre Inhalte den Bedürfnissen der Mehrheit der Menschen entsprechen. Eine Europäische Union gegen den Willen der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger wird es nicht geben. Die Regierenden sind gut beraten, auch in der EU vom Grundsatz der Volkssouveränität auszugehen. Alle Macht geht vom Volke aus – dieser Grundsatz wird durch nicht wenige Regierende der EU missachtet. Die irische Regierung hatte, im Gegensatz zur Großen Koalition in Deutschland, den Mut, die eigene Bevölkerung zu befragen.

Eine neuerliche Denkpause, die nur zum Ziel hat, auch das letzte noch verbliebene Referendum durch juristische Tricks zu beseitigen, können sie sich sparen. Statt dessen sollten sie überlegen, wie der von den Bürgerinnen und Bürgern geforderte Wechsel in der EU-Politik hin zu einem sozialen, zivilen und demokratischen Europa endlich vertraglich begründet werden kann.

Nicht diejenigen sind „anti-europäisch“, die einer falschen Grundausrichtung der EU-Politik Einhalt gebieten, sondern diejenigen, die dies wider besseren Wissens trotzdem tun.

DIE LINKE und die Partei der Europäischen Linken werden sich, durch das Votum in Irland bestärkt, weiter für den notwendigen Politikwechsel in der EU einsetzen.


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