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"Ein Vehikel, um demokratische Prozesse auszuschalten."

Gespräch mit Andreas Fisahn. Über die Klage der Linksfraktion gegen den Lissaboner Vertrag, den fortschreitenden Demokratieabbau in der Europäischen Union sowie die Forderung nach Wirtschafts- und Sozialräten als Antwort auf die Finanzkrise

Andreas Fisahn (geb. 1960) ist seit Frühjahr 2004 Professor für Öffentlichliches Recht, insbesondere Rechtstheorie, Umwelt- und Technikrecht an der Universität Bielefeld. Fisahn vertritt als Klagebevollmächtigter eine Verfassungsbeschwerde und eine Organklage gegen den EU-Vertrag von Lissabon, die von der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke beim Bundesverfassungsgericht eingereicht worden sind.



Von Thomas Wagner *

Sie sind seit 2004 ordentlicher Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bielefeld. Wie kommt ein linker Rechtsgelehrter, der um Marx und Engels keinen Bogen macht, heute noch in ein akademisches Amt?

Die deutsche Rechtsdiskussion ist sicherlich weiter abgeschottet als die anderer europäischer Staaten. Die Holländer und die Engländer sind da lockerer und finden es sogar richtig, wenn es Gegenpositionen gibt. Das Bild einer völligen Abschottung ist aber auch für Deutschland falsch. Zumindest gibt es Felder, zum Beispiel das Umweltrecht, in denen man mitdiskutieren kann, ohne an die strukturellen Grenzen zu stoßen und als nicht dazugehörig auszuscheiden. Das ist mir gelungen. Ich bin auch ganz optimistisch, daß sich jüngere Wissenschaftler wieder ein bißchen in Richtung einer linken Staats- und Rechtstheorie bewegen. Die neuen Bücher von Sonja Buckel z.B. zu einer materialistischen Rechtstheorie und John Kannankulam über das Staatsverständnis von Marx sind dafür gute Beispiele.

In Ihrer staatstheoretischen Studie »Herrschaft im Wandel« spielt die Idee der Herrschaftsfreiheit eine wichtige Rolle. Das klingt paradox.

Ich verbinde den Begriff der Herrschaftsfreiheit mit dem der Demokratie. Die demokratische Idee ist geboren aus dem Gedanken der individuellen und kollektiven Selbstbestimmung der assoziierten Bürger, der Citoyens. Die Selbstbestimmung dieser Staatsbürger orientiert sich an der regulativen Idee, Herrschaft aufzuheben. In der klassischen Staatsrechtslehre wird Demokratie jedoch anders gesehen: nicht als Tendenz zur Aufhebung von Herrschaft, sondern als Legitimation von Herrschaft. Nach dieser Lehre braucht es immer Herrschaft, und es geht nur noch darum, sie zu legitimieren. Man hat lediglich den Legitimationsmodus gewechselt, nämlich das Gottesgnadentum durch die Wahl durch das Volk ersetzt. Der zynische Spruch »Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus und kommt nicht mehr zurück« karikiert diesen ernst gemeinten und vorherrschenden Ansatz ganz treffend.

Was halten Sie in diesem Zusammenhang von Forderungen nach mehr plebiszitären Elementen in der Demokratie? Steht dahinter der Wunsch nach stärkerer Bürgerpartizipation oder das konservative Bestreben, durch die Direktwahl politischer Führungspersonen das autokratische Regieren gegen die Interessen der Mehrheit breiter zu legitimieren?

Letzteres gilt für die Umstellung auf die Direktwahl der Bürgermeister in der BRD. Wir hatten nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst unterschiedliche Kommunalverfassungen. Die nordrheinwestfälische sah beispielsweise eine Doppelspitze vor, keine Direktwahl des Bürgermeisters, sondern eine Wahl durch die Ratsmitglieder. Die süddeutschen Verfassungen legten dagegen schon immer die Direktwahl des Bürgermeisters fest. Der parlamentarische Beratungsprozeß kann dort in manchen Fragen übergangen werden, indem sich der Bürgermeister auf seine direkte Legitimation beruft. Der demokratische Diskurs wird dann ausgehebelt zugunsten einer autokratischen Entscheidung. Es war daher ein großer demokratiepolitischer Fehler, daß, mit Ausnahme von Bremerhaven, das diese Entwicklung einfach verpennt hat, in allen Bundesländern flächendeckend die Direktwahl des Bürgermeisters eingeführt wurde.

Beim Sachplebiszit haben wir dagegen ein anderes Bild. Da gibt es die Möglichkeit, nicht nur im Parlament zu diskutieren, sondern eine größere Öffentlichkeit für bestimmte Sachfragen herzustellen, die Menschen zu politisieren und Abstimmungen herbeizuführen. Deren Ergebnis muß allerdings nicht immer fortschrittlich sein.

Wie bewerten Sie Vorschläge, künftig auch die Ministerpräsidenten der Länder oder den Bundespräsidenten direkt wählen zu lassen?

Für die Ministerpräsidenten gilt das gleiche wie für die Bürgermeister – aber in verschärfter Form. Der Ministerpräsident kann gegen das Parlament regieren. Das Parlament wird abgewertet und als bloße Quatschbude betrachtet. Das ist nicht demokratisch, sondern autokratisch. Beim Bundespräsidenten ist es so: Solange er kaum Kompetenzen hat, ist es nicht so relevant, ob er direkt gewählt wird oder nicht. Wenn er aber mehr Kompetenzen bekommt, hat man das gleiche Problem wie in der Weimarer Reichsverfassung. Damals ist der direkt gewählte und mit erheblichen Befugnisse ausgestattete Reichspräsident gegen die Parteien und die Regierung ausgespielt worden. Er konnte das Parlament auflösen und mit Notverordnungen regieren. Bestrebungen, die Kompetenzen des Bundespräsidenten zu stärken, führen in diese Richtung und sind deshalb grundverkehrt.

In die falsche Richtung führt Ihrer Ansicht nach auch die Entwicklung der Europäischen Union.

Es gibt den Versuch, die Politik zu oligarchisieren, das heißt, die unteren Schichten so weit als möglich von der demokratischen Partizipation auszuschließen. Das ist an sich nichts Neues. Schon Immanuel Kant hatte befürchtet, daß die Leibeigenen irgendwann einmal wählen dürften. Versuche, das allgemeine Wahlrecht einzuschränken, haben eine lange Geschichte. Dazu gehört auch die jüngst wieder laut gewordene Forderung nach Einführung des Mehrheitswahlrechts in Deutschland. In der EU laufen heute verschiedene Stränge der Entdemokratisierung zusammen.

Die Europäische Union ist ein Vehikel, um demokratische Prozesse auszuschalten. Denn die Entscheidungskompetenzen liegt bei der Exekutivgewalt und die parlamentarische Vertretung wird sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene weitgehend entmachtet. Das nationale Parlament muß sich an die Vorgaben der EU halten. So hat der Deutsche Bundestag die Vorratsdatenspeicherung bei den Telekommunikationsdaten in den neunziger Jahren noch abgelehnt, doch das Gesetz ist hinten herum über die EU wieder hereingekommen und auf diese Weise schließlich doch verabschiedet worden. Während die nationalen Parlamente entmachtet werden, ist das EU-Parlament noch kein gleichwertiger Ersatz, weil es auch in den wichtigen Bereichen Außen-, Wirtschafts- und Währungspolitik nur wenig Entscheidungsrechte hat. Es gibt eine Verlagerung der Entscheidungskompetenzen vom Parlament auf den kleineren Kreis der Exekutive, wodurch diese noch mehr als im parlamentarischen System ohnehin von der Bevölkerung abgeschottet wird. Somit werden Konflikte kalt gestellt und der gesellschaftliche Status quo bewahrt.

Formen der Entdemokratisierung lassen sich auch in Ländern und Kommunen verfolgen, wo sie oft ökonomisiert auftreten. So wird z.B. die Selbstverwaltung der Hochschule durch die Einführung der sogenannten Hochschulräte entmachtet. Nach den Vorgaben des nordrhein-westfälischen Gesetzes handelt es sich bei deren Mitgliedern um Leute, die vor allem in der Wirtschaft Kompetenzen erworben haben und als Transmissionsriemen in die Wirtschaft wirken sollen.

In den Kommunen gibt es das Konzept des »Business Improvement Districts« – . Unter dem Aushängeschild Partizipation steuert nicht mehr der Stadtrat die kommunale Entwicklung, sondern die Hausbesitzer und Geschäftsleute gestalten ihre Viertel selbst. Die Nichteigentümer bleiben draußen. Für die Hausbesitzer ist das zwar mehr Partizipation, aber die Politiker als Vertreter auch der unteren Schichten werden an den Rand gedrängt.

Sie vertreten die Verfassungsbeschwerde der Linksfraktion im Deutschen Bundestag gegen den Lissaboner Vertrag. Worum geht es dabei?

Es handelt sich um eine doppelte Konstruktion: Zum einen um eine Verfassungsbeschwerde, die von den Abgeordneten in ihrer Funktion als Bürger erhoben wird, die sich in ihren Grundrechten verletzt sehen, und zum anderen um eine Organklage, die nur von den Abgeordneten eingereicht werden kann, die sich in ihren Rechten als Abgeordnete verletzt sehen. Das Bundesverfassungsgericht hat damals zum Maastricht-Vertrag gesagt, zu diesen Rechten gehöre, daß im Parlament wirklich demokratische Entscheidungen getroffen werden können. Daß das Parlament nicht nur gewählt wird, sondern in ihm auch ein demokratischer Prozeß stattfindet. Das ist der zentrale Anknüpfungspunkt in der Argumentation gegen den Lissaboner Vertrag.

Wie sieht die Beschwerde im einzelnen aus?

Der zentrale Punkt ist das Problem des demokratischen Prozesses, der demokratischen Freiheit. Wir argumentieren: Demokratie setzt voraus, daß Minderheiten mit ihren politischen Konzeptionen die Möglichkeit haben, über den Prozeß des Meinungskampfes in der Öffentlichkeit zur Mehrheit zu werden. Und wenn sie Mehrheit werden, müssen sie die Chance haben, die Politik zu verändern, einen Richtungswechsel einleiten zu können. Hier setzt die Kritik am Lissaboner Vertrag, aber auch an den geltenden Verträgen der Europäischen Gemeinschaft ein. Während nämlich das Grundgesetz wirtschaftspolitisch neutral ist, das heißt, unterschiedliche wirtschaftspolitische Konzeptionen zuläßt, sieht das bei den europäischen Verträgen anders aus. Diese sind nach und nach auf eine neoliberale, angebotsorientierte Wirtschaftspolitik fixiert worden. Das sieht man daran, daß die Mitgliedsstaaten und die EU durch die Verträge auf eine »offene Marktwirtschaft« festgelegt werden. Der Begriff taucht mehrfach auf im Rahmen der Passagen, in denen es um Wirtschaftspolitik, Finanzpolitik und Industriepolitik geht.

Unsere Gegner wenden nun ein: »Da steht aber soziale Marktwirtschaft vorne drin in Artikel 3.« Die »offene Marktwirtschaft« und der »freie Wettbewerb« kommen aber nicht bloß als Floskel in den Verträgen vor, sondern werden so buchstabiert, daß die EU und ihre Mitgliedsstaaten auf eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik verpflichtet sind. So legt das Defizitkriterium die Vertragspartner einseitig auf Inflationsbekämpfung fest. Bei den wirtschaftspolitischen Zielen, auf die die von demokratischen Prozessen unabhängige Europäische Zentralbank (EZB) verpflichtet ist, steht nicht etwa die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, sondern die Preisstabilität, also eine geringe Inflationsrate, ganz vorn. Das ist eine wirtschaftspolitische Engführung. Historisch ist es hier schon zu Konflikten gekommen. Als die Regierung Helmut Schmidt versucht hat, eine angebotsorientierte keynesianische Politik durchzusetzen, hat ihr damals die Bundesbank einen Strich durch die Rechnung gemacht, indem sie einfach die Zinssätze hochgesetzt und damit die nachfrageorientierte Politik konterkariert hat.

Ein weiterer Punkt sind die europäischen Infrastrukturnetze: Eisenbahn, Strom und Telekommunikation. Der Lissaboner Vertrag verpflichtet darauf, für einen freien Zugang und Wettbewerb zu sorgen, das heißt, auf die Vermarktwirtschaftlichung jenes Bereichs der Daseinsvorsorge, der früher in Deutschland staatlich geregelt war. Falls man nun wieder zu einer staatlichen Organisation der Eisenbahn zurück wollte, weil man erkennt, daß diese effektiver und zuverlässiger gewesen ist als die halbprivatisierte Eisenbahn heute, steht dem der Vertrag entgegen. Das widerspricht aber dem Demokratieprinzip, wie es im Grundgesetz formuliert wird. Man muß darüber streiten und entscheiden können, ob die eine Politik richtig ist oder die andere. Wenn man die Entscheidung schon in der Verfassung festlegt, höhlt man den demokratischen Prozeß aus.

Wie ist es um den Schutz der Grundrechte in Europa bestellt?

Der Grundrechteschutz des Grundgesetzes wird zugunsten ökonomischer Interessen ausgehebelt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in den Urteilen von Viking und Laval die Dienstleistungsfreiheit, also die wirtschaftspolitische Grundfreiheit von Unternehmen, gegen die Grundrechte der Meinungsfreiheit und der Streikfreiheit abgewogen und zuungunsten der Gewerkschaften entschieden. Nun schreibt der EuGH in diesen beiden und in anderen Urteilen explizit, daß die Grundrechte auch in der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet würden – aber eben nicht uneingeschränkt. Sie müßten sich vielmehr in das euro­päische Gesamtrecht einfügen, und dazu gehören eben auch die wirtschaftlichen Grundfreiheiten.

Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit und die menschliche Würde müssen demnach mit den wirtschaftlichen Grundfreiheiten abgewogen werden. Spätestens bei der menschlichen Würde ist aber in Deutschland nach der geltenden juristischen Lehre Schluß. Ebenso wie das Demokratieprinzip fällt ihr Schutz nämlich unter die Ewigkeitsgarantie. Wir argumentieren deshalb, daß die menschliche Würde nicht zugunsten der wirtschaftlichen Freiheiten oder irgend einer anderen Regelung eingeschränkt werden darf. Weil der EuGH aber proklamiert, gegen den Würdegrundsatz des Grundgesetzes zu verstoßen, hätte man dem Vertrag nicht zustimmen dürfen.

Befürworter des Lissaboner Vertrages sagen, er sei immerhin eine Verbesserung gegenüber dem von Maastricht. Was halten Sie dem entgegen?

Im Bereich der Mitwirkungsrechte des EU-Parlaments gibt es Verbesserungen. Die Politikfelder, auf denen das Parla­ment Mitwirkungsrechte hat, sind ausgedehnt worden. Doch bleibt der Europarat, also die Versammlung der Regierungen der einzelnen Staaten, das zentrale Gesetzgebungsorgan. Die kleinen Fortschritte können es daher nicht rechtfertigen, diesem Vertrag zuzustimmen. Das Grundgesetz kann auch als Verfassungskompromiß oder mit Wolfgang Abendroth als Klassenkompromiß gelesen werden, der die Frage der Wirtschaftsordnung offenhält. Das Grundgesetz läßt eine andere Wirtschaftsordnung zu, etwa eine solidarische Ökonomie, und ebenso die Möglichkeit, innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, d.h. im Rahmen der Marktwirtschaft, unterschiedliche soziale Varianten zu verfolgen. Da der Klassenkompromiß nun einseitig verändert werden soll, gilt es, das Grundgesetz zu verteidigen. Auf seiner Basis muß über die Wirtschaftsordnung in demokratischen Auseinandersetzungen entschieden werden können.

Es gibt zu Ihrer Verfassungsbeschwerde eine Parallelaktion des CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler und Ihres konservativen Kollegen Dietrich Murswiek, der ebenfalls mit der Demokratie argumentiert.

Die müssen natürlich an der gleichen Stelle anknüpfen wie wir. Gauweiler hat in der Maastricht-Frage die Organklage geführt. Auch er knüpft bei den demokratischen Rechten der Abgeordneten an. Beide argumentieren trotzdem anders als ich. Sie stellen den demokratischen Prozeß im Nationalstaat Bundesrepublik Deutschland in den Vordergrund und sagen: »Das deutsche Parlament darf nicht entmachtet werden. Da dürfen nicht so viele Kompetenzen nach Europa abgegeben werden.« Ich dagegen sage, daß Europa demokratischer organisiert sein muß, wenn man ihm wichtige Befugnisse gibt.

Argumentieren denn Teile der Linkspartei nicht ganz ähnlich wie Gauweiler, wenn sie den Nationalstaat stark machen und dafür plädieren, das Grundgesetz zu verteidigen?

Das will ich nicht ausschließen. Die Klageschrift, die ich geschrieben habe, schließt das jedoch aus. Und die wurde von der Mehrheit der Fraktion zumindest mitgetragen. Es mag sein, daß es Strömungen gibt, die anders diskutieren. Manchmal ist die Differenzierung nicht allen völlig klar. Manche mögen sich damit begnügen, daß die Richtung stimmt. Wie dann im einzelnen argumentiert wird, ist für sie zweitrangig. Für mich ist der Unterschied in den beiden Klageschriften jedenfalls sehr deutlich. Die Formel, daß es gilt, das Grundgesetz zu verteidigen, wäre freilich mit beiden Klageschriften zu vereinbaren.

Was für eine Art von Strategie ließe sich im Zeichen der weltweiten Finanzkrise gegen die Prozesse der Entdemokratisierung entwickeln?

Die gesellschaftliche Linke ist auf die gegenwärtige Finanzkrise, die einen entscheidenden Einschnitt in der Geschichte der Bundesrepublik und der ganzen Welt bedeuten könnte, nicht vorbereitet gewesen. Sie hat zu Recht gegen weitere neoliberale Verschiebungen gekämpft, ohne aber weitergehende strategische Konzepte zu entwickeln, die über die bestehende Wirtschaftsordnung hinausgehen. Die Krise der Banken und großer Teile der Industrie bietet die Chance zu sagen: »Wir wollen eine andere Logik in das System bringen, die stabile Verhältnisse gewährleistet. Kredite sollen künftig nicht nur nach Profitkriterien, sondern auch nach sozialen und ökologischen Gesichtspunkten vergeben werden.«

Das könnte auf Grundlage jener Anteile passieren, die man jetzt mittels Staatshilfe und Staatsgeldern erworben hat. Dafür gibt es verschiedene Modelle. Diese Anteile könnten etwa in Fonds überregionaler Wirtschafts- und Sozialräte zusammengefaßt werden, die es zum Beispiel auch in der Weimarer Republik hätte geben sollen, die aber vom Kapital nicht akzeptiert wurden. Heute könnte man solche Räte regional und überregional neu etablieren. Die Vorstände und Aufsichtsräte der Banken und Großkonzerne müßten sich bei ihren Entscheidungen mit diesen abstimmen. In diesen Räten sollten nicht nur Parteipolitiker und Vertreter der Gewerkschaften sitzen, sondern gesellschaftliche Gruppen wie ATTAC, Nichtregierungsorganisationen, auch die Kirchen. Von Verstaatlichungen halte ich unter den gegenwärtigen Bedingungen dagegen nicht so viel. Da werden dann Politiker in die Aufsichtsräte geschickt, die das nebenbei machen, von der Sache nicht viel verstehen und die Entscheidungen daher den Managern überlassen. Das Versagen der Landesbanken im Vorfeld der Finanzkrise hat das hinreichend gezeigt.

* Aus: junge Welt, 20. Dezember 2008

Buchpublikationen von Andreas Fisahn:
  • Herrschaft im Wandel: Überlegungen zu einer kritischen Theorie des Staates. Köln 2008
  • Zusammen mit Regina Viotto (Hrsg.): Europa am Scheideweg. Kritik des EU-Reformvertrags. Hamburg 2008



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