Verhandlungen zum TTIP werden in Kooperation mit Wirtschaftslobbyisten und sehr geheim geführt
Ein kritisches Papier der Gewerkschaft ver.di zum Freihandelsabkommen EU-USA
Mit dem Freihandelsabkommen EU-USA (Transatlantic Trade and Investment Partnership – TTIP) soll einer der stärksten gemeinsamen Märkte entstehen. Kritiker fürchten allerdings, in der weltgrößten Freihandelszone könnte EU-Standards im Beschäftigungs-, Verbraucherschutz- oder Umweltbereich vollends aufgegeben werden. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat ein Positionspapier herausgegeben, das die Kritik aus der Gewerkschaftsperspektive bündelt und eigene Positionen/Forderungen entwickelt.
Im Folgenden dokumentieren wir den ersten Teil des Papiers, verzichten aber auf die Fußnoten. Zum ganzen Papier geht es hier: pdf-Datei
Das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen (TTIP)
Handelserleichterungen, die bisher schon in der WTO sowie in
anderen bilateralen Abkommen wie dem Nafta ausgehandelt wurden, sollen festgeschrieben und weiterentwickelt werden.
Vor allem aber soll das Gewicht des neu entstehenden Handelsblocks der Wirtschaft enorme Wettbewerbsvorteile auf den Weltmärkten bringen und damit auch ihre politische Macht stärken. 44 Prozent der Weltproduktion, knapp 60 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen,
42 Prozent der globalen industriellen Wertschöpfung finden in den USA und der EU statt, in denen aber nur gut 12 Prozent der Weltbevölkerung arbeiten und leben. Die Achsen der Weltwirtschaft sollen zu Gunsten dieses Blocks verschoben werden. Aufstrebende Länder
wie Brasilien, Russland, China und Indien werden sich den von diesem Block gesetzten Regeln anpassen müssen oder müssen mit erheblichen Nachteilen rechnen.
Die Verhandlungen
Die Verhandlungen zum TTIP wurden in Kooperation mit Wirtschaftslobbyisten und unter strengster Geheimhaltung vorbereitet. Die EU und die USA beauftragten dazu den 2007 von
dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush, Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem
EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso gegründeten transatlantischen Wirtschaftsrat
(Transatlantic Economic Council) mit der Organisation einer Arbeitsgruppe. Mitglieder der
daraufhin eingesetzten „Hochrangigen Arbeitsgruppe für Arbeitsplätze und Wachstum“
(High Level Working Group) waren u.a. die Bertelsmann Stiftung, Business Europe, der European
American Business Council und der Transatlantic Business Dialogue (TABD). NGOs oder
Gewerkschaften hatten auf die Vorbereitungen der Verhandlungen keinen Einfluss.
Nachdem im Mai 2013 das Europäische Parlament und der US-Kongress mit einigen Auflagen
die Verhandlungsmandate gebilligt hatten, begann am 8. Juli 2013 in Washington die erste
Verhandlungsrunde. Inzwischen läuft die Dritte. Verhandlungspartner sind der EU-Kommissar
für Handel und der US-Handelsminister. Gebildet wurden 32 Arbeitsgruppen zu den einzelnen
Fragekomplexen.
Hinter verschlossenen Türen wurde über Dienstleistungen, Investitionen, Energie, Rohstoffe
und Regulierungsmaßnahmen verhandelt. Nach der ersten Verhandlungsrunde wurden die
Vertreter der Wirtschaft, der Gesellschaft wie Gewerkschaften und NGOs, Umwelt- und Verbraucherschützer
als sogenannte Stakeholder angehört, ebenso ein Ausschuss des EU-Parlaments.
Beteiligt wurden sie aber nicht. Hinter den Kulissen hat jedoch vor allem die Wirtschaft
die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Laut Bericht der Süddeutschen Zeitung vom
11.12.2013 dürfen mehr als 600 Vertreter der Wirtschaftslobby ihre Positionen und Vorschläge
einbringen. Sie hätten auch Zugang zu wichtigen Dokumenten, die noch nicht einmal den
Regierungen der einzelnen EU-Länder vorlägen.
Gegenstand der Verhandlungen
Ziel des TTIP ist es, nicht nur tarifäre Handelsbarrieren, also Zölle und Quoten, sondern insbesondere
die nicht-tarifären Handelshemmnisse auf ein Minimum zu reduzieren. Letztere sind in erster Linie Vorschriften, die Unternehmen oder Investoren den Zugang zum jeweils anderen
Markt erschweren können. Dazu gehören Qualitätsstandards, Verpackungsvorschriften, Herkunftsangaben und technische oder rechtliche Anforderungen an importierte Produkte.
Auch die Förderung eigener Exporte zum Beispiel durch Steuervorteile gehört hierzu.
Die Zölle zwischen Europa und den USA sind mit Durchschnittswerten von 5,2 Prozent in der
EU und 3,5 Prozent in den USA bereits sehr niedrig. Lediglich in einigen Branchen finden sich
noch hohe Spitzenzölle. So schützt die EU ihre Landwirtschaft mit Zöllen von bis zu 205 Prozent,
die USA erhebt dagegen hohe Zölle auf einige Industriegüter (Textilien 42 Prozent, Bekleidung
32 Prozent sowie Leder und Schuhwerk 56 Prozent).
Angesichts der insgesamt niedrigen Zollschranken schätzt man die Herabsetzung nichttarifärer
Handelshemmnisse als ungleich wirkungsstärker ein. Allerdings unterscheiden sich
diese nicht-tarifären Regulierungen zwischen den USA und der EU mitunter erheblich. Dies
bedeutet für Unternehmen, die auf beiden Märkten agieren, oft zusätzlichen Kosten durch
z.B. doppelte Kontroll- und Genehmigungsverfahren. Bereits der Wegfall dieser Kosten würde
zu sinkenden Preisen führen, so das Versprechen der Befürworter.
Im sogenannten „initial position paper“ der Kommission, die auf Seiten der EU die Verhandlungen
führt, ist als Ziel festgelegt, Vergleichbarkeit von Regelungen herzustellen und auf ihre
gegenseitige Anerkennung hinzuwirken, sowie langfristig Regelungen und Standards anzugleichen
und gemeinsame Richtlinien zu entwickeln. Dabei ist vorgesehen, dass Regulierungsinstitutionen
beider Seiten in Zukunft stärker kooperieren und bereits im Vorfeld neuer
Rechtssetzungen umfassende Konsultationsprozesse stattfinden, um eine zunehmende Einheitlichkeit
der Regelungen zu gewährleisten.
Ein weiterer wichtiger Punkt in den Verhandlungen ist die Liberalisierung des Dienstleistungssektors.
In Übereinstimmung mit dem Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen
(GATS) soll hier das höchste Maß bereits vereinbarter Liberalisierungen festgeschrieben
und verbliebene Barrieren abgebaut werden. Im Fokus steht dabei auch die Liberalisierung
des öffentlichen Beschaffungswesens. US-Amerikanische Firmen müssten demnach bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in einem EU-Land die gleichen Chancen haben wie einheimische
Unternehmen (und umgekehrt). Die Gleichberechtigung ausländischer Anbieter beim Zugang zu öffentlichen Aufträgen soll auf allen Ebenen der staatlichen Institutionen,
also auch auf regionaler und kommunaler Ebene verwirklicht werden.
In diesem Zusammenhang sollen vor allem die Investorenrechte gestärkt werden. Geplant ist
ein Streitschlichtungsmechanismus der es den Investoren erlaubt, gegen staatliche Vorschriften zu klagen, wenn diese diskriminierend wirken bzw. die geplante Rendite negativ beeinflussen.
Streitpunkte
Auf beiden Seiten des Atlantiks sind über die Jahre hinweg komplexe, völlig unterschiedliche
Regulierungssysteme gewachsen. Für Streit dürfte vor allem das ewige Sorgenkind des Freihandels
– die Landwirtschaft – sorgen. Die EU und die USA könnten hier mit Blick auf die
Standards und Regelungen kaum unterschiedlicher sein. Beispielsweise ist es in den USA normal,
das Fleisch hormonbehandelter Tiere zu essen. Die EU verbietet dagegen die Einfuhr.
Im Unterschied zu den USA müssen hierzulande Lebensmittel, die gentechnisch veränderte
Pflanzen enthalten, gekennzeichnet sein.
Auch in Punkto Finanzprodukte- und Dienstleistungen sind die regulatorischen Diskrepanzen
enorm. Allerdings sind die strengeren Regeln in diesem Fall auf Seiten der USA zu finden.
Die USA fordern zusammen mit großen Konzernen noch mehr Exklusivrechte an „geistigem
Eigentum“. Zivilgesellschaftliche Gruppen und andere Kritiker fürchten daher die Rückkehr
des abgelehnten Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA)3 zum Urheberrechtsschutz
unter dem Deckmantel des TTIP. 2012 wurde das ACTA-Abkommen von einer Welle der öffentlichen
Empörung gestoppt. Es hätte der Medienindustrie umfangreiche Monopolrechte
und die Kontrolle des Internets beschert.
Die Liste der Diskrepanzen und Streitpunkte ließe sich von Datenschutzrichtlinien bis hin zu
Richtlinien für Chemikalien beliebig fortsetzen. Einzig die audiovisuellen Medien sind auf
Drängen Frankreichs bis auf Weiteres aus den Verhandlungen ausgeklammert, um die kulturelle
und sprachliche Vielfalt Europas zu schützen.
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