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Liberalisierungswelle mit transatlantischer Wucht

Thomas Händel und Helmut Scholz über das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA *

Seit Sommer 2013 laufen die Verhandlungen zur Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) zwischen der EU und den USA. In dieser Woche fand die dritte Runde statt. Ziel ist die umfassende Liberalisierung des internationalen Handels und ein entscheidender Schritt zur weltweit größten Freihandelszone mit rund 800 Millionen Einwohnern.

TTIP ist die Antwort der Wirtschaft auf neue starke Wettbewerber, die alte Vormachtstellungen gefährden und die Legitimität heutiger neoliberaler Wirtschafts- und Handelspolitik in Frage stellen. Nichts ist explizit aus den Verhandlungen ausgeschlossen, auch nicht Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge wie soziale Dienste, Bildung, Gesundheit und Abfallentsorgung, Energie, Verkehr und die Wasserversorgung. Die kommunale Handlungsfreiheit werde zwar nicht ausdrücklich negiert, aber derartige international bindende Verträge brechen kommunale, regionale oder auch nationale Regelungen.

So kommt auch eine neue Runde der Ausschreibung etwa der öffentlichen Wasserversorgung zu »marktgerechten Regeln« wieder auf die Tagesordnung. Die Herausnahme der Wasserversorgung aus der europäischen Konzessionsrichtlinie war wohl nur ein Etappensieg. Gleichzeitig wird das Ergebnis des ersten erfolgreichen Europäischen Bürgerbegehrens »Right2water« in Frage gestellt. Künftig könnte unser Wasser also auch von Coca-Cola kommen.

Gefahren nahen aber nicht nur bei der öffentlichen Daseinsvorsorge und im Handel mit gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln. Es drohen auch eine massive Schwächung der Arbeitnehmerrechte und eine Entwertung der wichtigsten Standards der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Die USA haben im Unterschied zur EU nämlich nur zwei der ILO-Kernarbeitsnormen unterzeichnet. Nicht übernommen sind die Konventionen zur Gewerkschaftsfreiheit, zur Kollektivvertragsfreiheit, zur Zwangsarbeit, zu gleicher Entlohnung, zum Mindestalter für Beschäftigung und zur Nichtdiskriminierung am Arbeitsplatz.

Derzeit werden in immer mehr Bundesstaaten der USA sogenannte »Right-to-work« Gesetze betrieben, die letztlich auf die faktische Zerstörung der Gewerkschaften zielen. Innerhalb eines solchen transatlantischen Abkommens würde sich dieser Trend genial mit europäischen Unternehmensinteressen paaren, die immer stärker auf geringere Lohnkosten zu Lasten der sozialen Gerechtigkeit drängen. Schließlich sind in 18 von 28 Mitgliedsstaaten der EU bereits jetzt massive Einschränkungen individueller und kollektiver Arbeitsrechte zu verzeichnen.

Darüber hinaus soll im TTIP-Abkommen auch ein »Streitbeilegungsverfahren« vereinbart werden, das bereits neun EU-Länder mit den USA in ihren bilateralen Investitionsabkommen verankert haben. Ein Schiedsgericht ermöglicht hier privaten Investoren, ihre Interessen gegen Staaten durchzusetzen. Andere Staaten wären künftig gezwungen, sich im Handel mit den USA und der EU nach deren Regeln zu richten. Das steuert auf ein System zu, das die Herrschaft der mächtigsten Kapitalgruppen über den Großteil der Welt zementiert und juristisch absichert – eine Wirtschafts-NATO mit unheimlicher Machtfülle und grenzenlosen Befugnissen.

Dass diese kommt, scheint beschlossene Sache: Die Verhandlungen über TTIP sollen bis Ende 2014 abgeschlossen sein. Mit einer Ratifizierung der Ergebnisse durch das EU-Parlament und den Rat werden die Regeln danach für alle EU-Mitgliedsstaaten verbindlich. Eine öffentliche Debatte über die Ergebnisse ist nicht vorgesehen, den Verhandlungen wurde der Stempel »geheim« verpasst. Angesichts der Dimension dieses transatlantischen Wirtschaftsraumes fordern wir jedoch eine breite öffentliche Debatte und eine umfassende Beteiligung des Europäischen Parlaments. Zumindest die EU-Volksvertretung hat diesen Auftrag verstanden und drängt in Richtung Kommission und Verhandlungen auf die Einbeziehung der gesellschaftlichen Akteure.

* Thomas Händel und Helmut Scholz (beide LINKE) sind Abgeordnete im Europäischen Parlament.

Aus: neues deutschland, Freitag, 20. Dezember 2013



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