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Erzwungene Kooperation mit der Bundeswehr?

Wie Entwicklungshilfeminister Niebel versucht, in Afghanistan das Konzept der vernetzten Sicherheit durchzusetzen. Ein Beitrag von Ute Hempelmann aus der NDR-Reihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderation):
Viel vorgenommen hatte sich bei Amtsantritt auch Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel. In Afghanistan wollte der FDP-Politiker dafür sorgen, dass sich Bundeswehr und Entwicklungshelfer nicht mehr mit Misstrauen begegnen. Sie sollten vielmehr eng zusammenarbeiten, so wie es im Konzept der vernetzten Sicherheit vorgesehen ist. Hat es hier Fortschritte gegeben? Ute Hempelmann hat sich vor Ort umgesehen:


Manuskript Ute Hempelmann

Für die Gruppe von Zivilisten sollte der Besuch des Wiederaufbauteams Faizabad eine Stippvisite sein. Doch der Aufenthalt im Militärcamp verlängert sich unfreiwillig. Per SMS werden Entwicklungshelfer, Journalisten und Mitarbeiter des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit angewiesen, das Feldlager nicht zu verlassen. Rita Stockhowe vom staatlichen Deutschen Entwicklungsdienst DED:

O-Ton Stockhowe
„Im Moment wissen wir noch nicht, wie der Plan weiter geht, weil wir erst mal ‚no movement‘ haben und ein möglicher Anschlag auf den Flughafen geplant ist. Und da wir jetzt im Camp sind in der Nähe des Flughafens, bleiben wir wo wir sind und warten dann ab, bis wir wieder ‚moven‘ dürfen.“

Seit 2008 sorgt ein sogenanntes Risikomanagement dafür, dass Mitarbeiter staatlicher Entwicklungsorganisationen über Anschlagsdrohungen, Entführungen und andere Sicherheitsrisiken informiert sind. Wer beispielsweise bei der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit GTZ oder dem Deutschen Entwicklungsdienst arbeitet, ist eingebunden in das Frühwarnsystem. Das hat auch Nachteile: Es engt die Bewegungsfreiheit der Mitarbeiter bei kritischer Sicherheitslage ein - derzeit täglich. Keine Ausflüge oder Marktbesuche auf eigene Faust, kein spontaner Kontakt mit der afghanischen Bevölkerung. Stattdessen gepanzerte Fahrzeuge, festgelegte Routen. Ehemalige Soldaten oder Polizisten koordinieren Fahrten und Wege im Auftrag der staatlichen Entwicklungsorganisationen:

O-Ton Riskmanager
„Sowohl die Routen werden relativ kurzfristig festgelegt, als auch Absprachen mit Ansprechpartnern vor Ort finden immer so spät wie möglich statt, damit eben keine Informationen weiter gegeben werden können.“

Das Ziel: größtmöglicher Schutz. Doch die Meinungen über die Vorsichtsmaßnahmen sind geteilt. Was einer zum Wohl der eigenen Sicherheit begrüßt, ist für den anderen nur hinderlich. Vor allem die ältere Generation der Mitarbeiter staatlicher Entwicklungsorganisationen rebelliert im Stillen. Sie beklagen die Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit. Nicht nur am Einsatzort, sondern spätestens seit ihr neuer oberster Dienstherr im Amt ist, auch daheim. Entwicklungsminister Dirk Niebel hat die staatlichen Entwicklungsorganisationen auf den Prüfstand gestellt. Ineffizient, im Stillen vielleicht auch „zu mächtig“, lautete das Ergebnis. Nun soll nach dem Willen des ehemaligen Fallschirmjägers aus vier Organisationen noch in diesem Jahr eine werden. Der FDP-Politiker im ZDF:

O-Ton Niebel
„Parteiübergreifend ist man der festen Überzeugung, dass die Vielfalt der deutschen staatlichen Entwicklungsorganisationen unsere Partner verwirren und die Wirksamkeit unserer Leistungen minimieren. Heute können Sie, wenn Sie Pech haben, in die Situation kommen, dass ein Projekt mit vier deutschen Partnern abgewickelt werden muss. Das ist für Länder, die schwierige Verwaltungsstrukturen oder gar keine haben, eine absolute Zumutung. Und darüber hinaus wollen wir doppelt und dreifach Strukturen abbauen und die politische Steuerungsfähigkeit für das Ministerium zurückgewinnen.“

Damit liegt Niebel ganz auf Regierungslinie. Schließlich hat sich die schwarz-gelbe Koalition das Konzept der vernetzten Sicherheit auf die Fahnen geschrieben. Und das erfordert im Auslandseinsatz eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten - von staatlichen, kirchlichen und privaten Entwicklungshelfern bis hin zu Soldaten. Eine vergleichsweise ungewohnte Erfahrung, die zu Widerständen führt – bei Zivilisten und Militärs.

Denn was sich für staatliche Organisationen anordnen lässt, wird bei privaten Hilfsorganisationen, den „NGOs“ also, schon schwieriger. Unter Niebels sozialdemokratischer Amtsvorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hatten sie große Freiheiten. Die Nichtregierungsorganisationen konnten schalten und walten – Distanz zur Bundeswehr gehörte quasi zum guten Ton. Für Entwicklungshilfeminister Niebel ein unhaltbarer Zustand. Dies umso mehr, da der Erfolg der Afghanistan-Mission nach Experten-Meinung vor allem von Fortschritten beim zivilen Aufbau abhängig ist. Zu 80 Prozent, erklärte beispielsweise jüngst der ehemalige NATO-General Egon Ramms. Niebel fordert daher auch von den nichtstaatlichen Entwicklungsorganisationen, sich in Afghanistan mit der Bundeswehr abzustimmen und macht von dieser Kooperation die Bewilligung staatlicher Mittel in Millionenhöhe abhängig. Doch die NGOs sträubten sich bislang. VENRO, ein Dachverband von mehr als 120 deutschen Nichtregierungsorganisationen, befürchtet, den Status der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit zu verlieren, wenn Entwicklungsprojekte ausschließlich in den Provinzen angesiedelt werden, in denen die Bundeswehr präsent ist. Das gefährde den Ruf der Hilfsorganisationen bei deutschen Spendern und der afghanischen Bevölkerung, argumentiert der VENRO-Vorsitzende, Ulrich Post:

O-Ton Post
„Stellen Sie sich mal vor, Sie fahren hinterm Panzer in ein Dorf - um mal ein bisschen ein flapsiges Bild zu gebrauchen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Bevölkerung in einem solchen Dorf, wo man unter militärischem Schutz einfällt, hätte ich fast gesagt, das Engagement dieser Hilfsorganisationen noch ernst nehmen kann. Wir glauben nicht, dass wir auf den Schutz der Bundeswehr angewiesen sind. Wir möchten nicht unter militärischem Schutz arbeiten. Wir glauben, dass Sicherheit natürlich eine Voraussetzung dafür ist, dass man erfolgreich Entwicklungsarbeit machen kann. Aber Sicherheit kann ganz unterschiedlich hergestellt werden.“

Rückendeckung bekommen die NGOs dabei vom ehemaligen UN-Sonderbeauftragten für Afghanistan, Kai Eide. Der Diplomat befürchtet eine Instrumentalisierung der Entwicklungsorganisationen seitens der Streitkräfte. Zudem sieht Kai Eide den sogenannten Comprehensive Approach bzw. das Konzept der vernetzten Sicherheit sehr kritisch:

O-Ton Eide (overvoice)
„Wir wollen mit den Militärs arbeiten - so viel wie möglich. Aber das bedeutet nicht, Teil einer gemeinsamen Strategie zu sein. Erst einmal sind die Militärs nicht in der Lage aufzuklären. Sie wissen nicht, wer die Aufständischen sind und die können auf diese Weise in die Gemeinschaften eindringen. Dann gibt es niemanden, der die Lage im Griff hat. Die Polizei ist zu schwach und die afghanischen Institutionen sind noch schwächer. Darum wird es keine Entwicklung geben. Ich glaube, wir sind in einer Situation, in der unsere Aktivitäten in eine Strategie münden, die nicht funktioniert. Es ist eine Strategie, die viel zu militarisiert ist, und ich denke, wir werden oder sehen zum Teil jetzt schon, dass sie nicht funktioniert.“

Eides Kritikpunkte verdeutlichen große Defizite im Konzept der vernetzten Sicherheit. Es gibt sie nicht nur auf strategischer, sondern auch auf operativer Ebene, also vor Ort, bei allen Beteiligten. Denn ob die Lage in Afghanistan „sicher“ ist oder „unsicher“, darüber entscheidet das eigene Gefühl - und die jeweilige „Lagerzugehörigkeit“: Wer wie Soldaten eine Waffe trägt, hält mehr Distanz zur Bevölkerung, wird häufiger Opfer von Anschlägen, fühlt sich bedroht und fordert: Safety first. Wer keine Waffe hat wie die Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen, fühlt sich gerade wegen seiner Kontakte zur afghanischen Bevölkerung sicher - und meidet zuweilen die Kooperation mit der Bundeswehr, weil in deren Nähe die Gefahr, Opfer eines Anschlags zu werden, angeblich steigt. Den Zusammenhang haben Vertreter von Entwicklungsorganisationen gerade mit einer eigenen Statistik zu belegen versucht.

So leben Entwicklungshelfer und Militärs in unterschiedlichen Welten. Gesucht wird noch nach einem kleinsten gemeinsamen Nenner, nach einer gemeinsamen Definition von „Sicherheit“. Doch schon hier scheiden sich die Geister. In den Augen der Entwicklungshelfer entsteht Sicherheit in einer Krisenregion überwiegend dann, wenn mittel- bis langfristig die Lebensumstände der Bevölkerung verbessert werden. Nach Lesart des Militärs orientiert sich „Sicherheit“ aber nicht primär am Zustand der Bevölkerung, sondern daran, ob eine Krisenregion unter militärischer Kontrolle ist. Dass Entwicklungsminister Dirk Niebel offenbar ebenfalls diese Vorstellung ohne „wenn“ und „aber“ vertritt, wollen die NGOs nicht ohne weiteres hinnehmen. Falls die Truppen ab 2014 aus Afghanistan abgezogen würden, gingen die Entwicklungsprojekte schließlich weiter, heißt es. Ministerium und NGOs, Soldaten und Entwicklungshelfer werden also noch mehr miteinander reden müssen. Andernfalls wird das Konzept der vernetzten Sicherheit in Afghanistan nicht erfolgreich sein.

* Aus: NDR Info; STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN; 25. Oktober 2010; www.ndrinfo.de


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