Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Sensenmann im Anflug

US-amerikanische Kampfdrohne »Reaper« soll deutschen Bedarf vorerst decken *

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) plant laut Medienberichten die Beschaffung von Kampfdrohnen. Dies gehe aus einem Sachstandsbericht des Verteidigungsministeriums hervor. Darin werden Drohneneinsätze demnach sowohl im Rahmen bewaffneter Konflikte als auch in Ausnahmefällen außerhalb nicht ausgeschlossen, zum Beispiel zur Unterstützung eines Evakuierungseinsatzes. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums erklärte, von der Leyen werde sich wie angekündigt erst in dieser Woche zu dem Thema äußern. Er wies allerdings auch darauf hin, eine Positionierung der Ministerin in der Frage von Drohnen sei noch nicht erfolgt. An diesem Montag findet zum Thema Drohnen eine Anhörung im Verteidigungsausschuss des Bundestags statt. Möglich ist zudem eine Aktuelle Stunde.

Die Grünen lehnen Kampfdrohnen ab, halten aber Spionagedrohnen »für Aufklärungszwecke« für sinnvoll. LINKE-Verteidigungspolitikerin Christine Buchholz warnte: »Mit dem geplanten Einsatz von Kampfdrohnen manövriert Ursula von der Leyen die Bundeswehr in asymmetrische Kriege hinein.« Wenn der von Medien zitierte Bericht des Ministeriums stimme, dass Drohnen auch außerhalb bewaffneter Konflikte eingesetzt werden sollen, drohe die Bundesregierung den Weg des US-Drohnenkriegs einzuschlagen.

Bei der Berliner Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) hatten deutsche, französische und italienische Rüstungsunternehmer im Mai gemeinsam für eine Drohne mit der Bezeichnung MALE2020 geworben. Diese soll allerdings frühestens im Jahr 2020 zur Verfügung stehen. Die Bundeswehr will ihren unmittelbaren Bedarf nun mit einem ausländischen Modell decken. Favorit hierfür ist offenbar die US-Kampfdrohne »Reaper« (»Sensenmann«).

* Aus: neues deutschland, Montag, 30. Juni 2014


Wer stirbt noch gern fürs Vaterland?

Alles zu spät in der Drohnen-Debatte? Die Automatisierung von Kriegen hat längst begonnen – damit ist ein ethisches und völkerrechtliches Dilemma entstanden

Von René Heilig **


Was technisch und technologisch machbar ist, wird eingesetzt. Nirgends bestätigt sich dieser Grundsatz verheerender als im Krieg. Beispiel: Atomwaffen. Wie läuft das aktuell bei den Killerautomaten?

Die Debatte wird zwar noch etwas lustlos geführt, doch eigentlich ist der Einsatz von bewaffneten Drohnen längst entschieden. Auch in Deutschland, auch von den Deutschen. 70 Prozent der Bevölkerung sprechen sich laut einer aktuellen Umfrage für den Einsatz von Kampfdrohnen aus. Noch vor kurzem war das Verhältnis zwischen Befürwortern und Kritikern der neuen Waffen umgekehrt. Auch in den USA und in Israel findet sich eine Mehrheit für den Einsatz der unbemannten Killer.

Die Gründe sind nicht so kompliziert. In den westlichen Gesellschaften ist man aus verschiedenen nachvollziehbaren Gründen weniger denn je bereit, für die eigene Sicherheit – oder das, was man als eigene Sicherheit suggeriert bekommt – persönliche Opfer zu bringen. Sterben fürs Vaterland? Nein, danke! An der Position ist nichts kritikwürdig. Doch was folgt daraus – so man nicht gerade Anti-Kriegsgedanken folgt? Wenn nicht »normale« Menschen in Uniform in Gefahr gebracht werden sollen, beauftragt man für das Kämpfen Söldner. Oder Maschinen. Bei der Kampfführung der USA ergänzen sich die beiden Momente, Staaten wie die Bundesrepublik lehnen das Söldnertum ab.

Die Position von Politikern und militärischen Befehlshabern ist eindeutig. Sie setzen auf Roboter. Man minimiert gerade in den aktuell typischen asymmetrischen und nichterklärten Kriegen Risiken, schont also Leben und die Gesundheit von eigenen Soldaten, die man per politischen Beschluss in den Krieg geschickt hat. Zudem sind Maschinen in ihrer Wirkung auf den Gegner oft überlegen. Soldaten haben physische Grenzen, Drohnen dagegen sehr hohe Stehzeiten. Sie sind zu einer Art Dauerüberwachung großer Gebiete in der Lage und können innerhalb kürzester Zeit verschiedene Waffensysteme einsetzen. Dabei sitzen die Piloten in klimatisierten Containern fernab des blutigen Geschehens. Billiger als traditionelle Kampfmethoden ist diese Art des Tötens ohnehin.

So gesehen ist die Debatte, ob Drohnen bewaffnet eingesetzt werden sollen, zwar sicher eine von moralischen Motiven geprägte. Zugleich ist sie aber von den Gegebenheiten längst überholt. Doch – auch das zeigen die Umfragen – die Befürworter des Kampfmittels Drohne wollen, dass die Maschinen von Menschenhand gelenkt werden. Selbstständig operierende Roboter – dabei geht es längst auch um landgestützte und maritime Systeme – werden abgelehnt. Dabei ist deren Entwicklung schon weit fortgeschritten und in der Logik des automatisierten Krieges nur konsequent.

Der Gedanke, dass eine Maschine die Entscheidung über Tod oder Leben fällt, ist den meisten Menschen suspekt. Da schwingen, so haben jüngst bei einer Diskussion in der Evangelischen Akademie in Loccum Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen deutlich gemacht, durchaus realistische Überlegungen mit. Die wichtigste: Eine Maschine kann Leben nicht verstehen, folglich auch nicht wertschätzen.

Ob da wirklich so ein großer Unterschied zu der traditionell kämpfenden Truppe besteht? Auch die Ansicht, Kampfdrohnen – egal ob noch gesteuert oder autonom – seien feige und unfair, ist absurd. Was immer man über den »ehrlichen Kampf Mann gegen Mann« über die Jahrhunderte hinweg gelogen hat – seit Anbeginn bewaffneter Auseinandersetzungen ist Hinterlist eine Grundtugend, die Überlegenheit sichert.

Bei Kriegseinsätzen wie in Afghanistan werden Soldaten immer mehr von eintönigen, moralisch-dreckigen und gefährlichen Aufgaben entlastet. Das geschieht durch intelligente Hilfsmittel. Wann werden die zu selbstständigen Kriegsmaschinen? Was, wenn sich hochgerüstete Gegner gegenüberstehen? Man stelle sich vor, die NATO hätte jetzt nicht herkömmliche Kampf- und Aufklärungsjets an ihre Ostgrenze geschickt, sondern Kampfautomaten. Man stelle sich vor, Russland hätte ebenso reagiert und seine programmierte Luftflotte in Stellung gebracht. Wie reagieren beide Systeme aufeinander? Sind die Programme von Gegnern, die doch auf Überlegenheit setzen, überhaupt kompatibel? Und vorsichtig? Keiner kann das im Frieden ausprobieren. Die militärischen Systeme sind geheim und gegeneinander abgeschottet.

Automaten machen keine Fehler – die Mär hält sich wider besseres Wissen. Um es nicht zu einem von Automaten herbeigeführten Zusammenprall militärischer Mächte kommen zu lassen, müsse »der« Mensch stets letzter Entscheider sein, sagen Friedensforscher. Wissend, dass es Regime geben wird, die auf Entscheider aus Fleisch und Blut sowie mit Hirn verzichten werden, um einen Zeitvorteil beim Angriff zu haben. Motto: Wessen Automaten zuerst schießen, der stirbt als Zweiter.

Zudem weiß jeder um die zweifelhafte Entscheidungsunfähigkeit von Verantwortlichen. Man denke da nur an Hochtechnologiebereiche wie Atomkraftwerke oder das Verkehrswesen.

Das mit den autonomen Kampfsystemen mag abstrus anmuten. So als sei es aus einem durchgeknallten Actionfilm entsprungen. Doch diese Überlegungen resultieren aus der begonnenen Entwicklung und dem massenhaften, umkontrollierten Einsatz von Drohnen.

Das Kriegsvölkerrecht geht von einer direkten Auseinandersetzung zwischen Soldaten nationalstaatlich organisierter Armeen aus. Diese Annahme wird sowohl durch den Einsatz ferngesteuerter oder selbststeuernder Systeme als auch durch ihren Gebrauch in asymmetrischen, nicht-internationalen bewaffneten Konflikten in Frage gestellt.

Folglich sind neue international und auch völkerrechtlich verbindliche Regelungen notwendig. Als Modell könnten der Atomwaffensperrvertrag oder das Verbot von chemischen und biologischen Waffen dienen. Damit wären auch die Nichtweitergabe sowie die Kontrollmöglichkeiten, die Vertrauen schaffen sollen, geregelt.

Die Akteure eines solchen Verbotsverfahrens würden friedenspolitisches Neuland betreten. Denn zum ersten Mal in der Geschichte könnte mit den Kampfautomaten eine Waffenart verboten werden, bevor sie überhaupt eine massenhafte Verbreitung gefunden hat. Noch gibt es allerdings keine Anzeichen dafür. Das Gegenteil ist der Fall. Je selbstverständlicher und skrupelloser Drohnen vor allem von den USA eingesetzt werden, umso unabwendbarer scheint es auch für Deutschland zu sein, über solche Waffen zu verfügen.

** Aus: neues deutschland, Montag, 30. Juni 2014

Deutsche Drohnen

Seit vielen Jahren nutzt die Bundeswehr Drohnen vor allem für die Gefechtsfeldaufklärung. In Afghanistan setzt man den von Israel geleasten unbemannten Langstrecken-Aufklärer »Heron« ein. Er kann bis zu 45 Stunden in der Luft bleiben und Echtzeitbilder senden. Das ist eine neue Qualität der Bundeswehr-Kampfführung.

In Deutschland gibt es nach der Pleite bei der Beschaffung des strategischen Aufklärers »Euro Hawk« derzeit eine Diskussion darüber, ob man bewaffnete Drohnen beschaffen sollte. Das ist allerdings eine Scheindebatte. Denn das Bundesverteidigungsministerium macht hier schon längst Nägel mit Köpfen. Der US-Kongress in Washington hat einem möglichen Geschäft bereits sein Okay gegeben.

In einer Antwort des Ministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei-Abgeordneten Andrej Hunko und Jan van Aken heißt es, dass für die Beschaffung neuer Drohnen »konzeptionell eine Bewaffnungsfähigkeit gefordert« sei.

Dennoch verweist der Parlamentarische Staatssekretär Ralf Brauksiepe (CDU) auf die Beschlusslage der Großen Koalition. Demnach sind vor einer Entscheidung über den Kauf von bewaffneten Drohnen »alle damit im Zusammenhang stehenden völker- und verfassungsrechtlichen, sicherheitspolitischen und ethischen Fragen sorgfältig zu prüfen«. So steht es im schwarz-roten Koalitionsvertrag.

In Afghanistan hat die Bundeswehr bereits mehrfach US-Drohnenunterstützung angefordert. Es wurden Tote registriert, oft werden bei solchen unbemannten Attacken auch Unbeteiligte umgebracht. Nach Schätzungen von Nichtregierungsorganisationen liegt deren Anzahl bisher zwischen 2500 und 3600. Die Regierung der USA macht hierzu keine Angaben. Denn Drohneneinsätze unterliegen der Geheimhaltung. hei



Verdeckter Krieg

Aert van Riel über die deutschen Drohnenpläne ***

Im Verteidigungsministerium gibt es Pläne, für die eigene Armee waffenfähige Drohnen anzuschaffen. Diese Überlegung der Ministerin Ursula von der Leyen fällt in eine Zeit, in der über mehr deutsches Engagement in Krisengebieten diskutiert wird. Dass hiermit auch »Militäreinsätze als letztes Mittel« gemeint sind, haben neben Bundespräsident Joachim Gauck auch Politiker von Union, SPD und Grünen betont. Doch solche Einsätze sind in der Bevölkerung unbeliebt. Ein wichtiger Grund hierfür ist, dass die Öffentlichkeit empfindlich darauf reagiert, wenn aus den Einsatzgebieten Särge verschickt werden, in denen Bundeswehrsoldaten liegen. Kampfdrohnen bedeuten weniger Risiko für die eigenen Soldaten. Diese lenken das unbemannte Fluggerät aus sicherer Entfernung am Joystick. Umfragen zeigen, dass solche Einsätze von einer großen Mehrheit der Deutschen nicht grundsätzlich abgelehnt werden.

Vor der Beschaffung der Drohnen sollen laut Koalitionsvertrag völker- und verfassungsrechtliche, sicherheitspolitische und ethische Fragen geprüft werden. Diese Ankündigung soll suggerieren, dass alles mit rechten Dingen zugehen wird. In Wirklichkeit ist Deutschland aber bereits Teil des verdeckten Drohnenkriegs der USA, bei dem auch zahlreiche Zivilisten getötet werden. Eine wichtige Rolle spielt hierbei etwa der Militärstützpunkt Ramstein. Diese Beteiligung an völkerrechtswidrigen Einsätzen zeigt, dass deutsche Verteidigungspolitiker schon längst keinerlei Bedenken gegen bewaffnete Drohnen mehr haben.

*** Aus: neues deutschland, Montag, 30. Juni 2014 (Kommentar)


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