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Töten mit der Fernbedienung

Bewaffnete Drohnen sind die Vorzugswaffen der "Schattenkrieger"

Von Wolfgang Kötter *

Auf der diesjährigen Luft- und Raumfahrtmesse ILA in Berlin-Brandenburg werden unbemannte Flugkörper (Unmanned Aerial Systems - UAS), Drohnen genannt, erstmals auf einer eigenen Ausstellungsfläche vorgestellt und es gibt vielfältige Diskussionsveranstaltungen zu diesem hochaktuellen Thema. Das ist kein Zufall, denn bewaffnete Drohnen sind weltweit auf rasantem Vormarsch in die Rüstungsarsenale.

Die perfekte Waffe für den Hightech-Krieg – aber mit zivilen Opfern

Sie sind unauffällig, zielgenau und für den Schützen ungefährlich. Der nämlich sitzt Tausende Kilometer entfernt mit dem Joystick in der Hand vor seinem Monitor. Eine Drohne kann sowohl automatisiert über ein Computerprogramm fliegen als auch vom Boden über Funksignale bzw. über Satellitenfunk gesteuert werden. Je nach Einsatz und Ausstattung können Drohnen Aufklärungskameras befördern aber auch Raketen für einen militärischen Angriff oder zum gezielten Töten. Ihre Ausmaße variieren zwischen wenigen Zentimetern einer Mikrodrohne und der Größe eines Verkehrsflugzeuges. Drohnen können stundenlang auf engstem Raum über dem Zielgebiet kreisen, haben eine Reichweite von Zigtausenden Kilometern und sind schwer zu entdecken.

In den USA gehören sie schon seit längerem zu den bevorzugten Waffen im „Kampf gegen den Terrorismus“. Von Bodenstationen aus wie beispielsweise vom Luftwaffenstützpunkt Creech in Nevada werden bewaffnete Drohnen in Afghanistan, Pakistan, im Jemen und in Somalia gesteuert. Die Befürworter argumentieren, dass es durch die Zielgenauigkeit der Drohnen weniger Opfer bei unbeteiligten Dritten gäbe. Außerdem würden nur begrenzte Schäden angerichtet und zwar zu einem Bruchteil der Kosten, die ein Kampfjet verursachen würde. Zudem seien bei derartigen Einsätzen die eigenen Soldaten bestmöglich geschützt.

Doch die bisherigen Drohnenangriffe sprechen eine andere Sprache. Bei der Jagd auf vermeintliche Terroristen sterben immer wieder auch unbeteiligte Zivilisten. Bis August dieses Jahres kamen laut Angaben des Londoner „Bureau of Investigative Journalism“ in Pakistan bei über 340 Angriffen bis zu 3.320 Menschen ums Leben - 880 von ihnen waren Zivilisten, darunter über 170 Kinder. Im Jemen starben bei über 50 Einsätzen etwa 1.000 Menschen, mehr als 30 von ihnen waren Kinder und in Somalia forderten die bisher rund 10 Drohnenattacken etwa 170 Opfer, darunter 3 Kinder.

Drohnen für Deutschland?

Auch in Deutschland mehren sich die Stimmen für die Anschaffung und den militärischen Einsatz bewaffneter unbemannter Flugzeuge. Ab dem nächsten, spätestens dem übernächsten Jahr brauche die Bundeswehr eigene Drohnen, meint Verteidigungsminister Thomas de Maizière. Moralische Bedenken habe er nicht: "Ethisch ist eine Waffe stets als neutral zu betrachten", so der Minister. Generell gälten unbemannte Drohnen als "das Mittel der militärischen Luftfahrt der Zukunft", lässt er seinen Ministeriumssprecher erklären. Der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Karl Müllner, macht sich ebenfalls für den Erwerb von Kampfdrohnen stark. Der Kauf sei „militärisch sinnvoll", deshalb führe an einer Beschaffung kein Weg vorbei. „Aus rein militärischer Sicht müssen Drohnen bewaffnet sein“, meint der Drei-Sterne-General und empfiehlt die US-Drohne „Predator“, die bereits im Einsatz ist. Eine politische Entscheidung für den Kauf müsse spätestens bis zum Frühjahr fallen.

Derzeit sind von deutscher Seite in Afghanistan für Aufklärungsflüge drei gemietete israelische Aufklärungsdrohnen vom Typ "Heron 1" im Einsatz. Hinzukommen werden strategische „Euro Hawk“-Aufklärer, die vom US-Rüstungskonzern Northrop Grumman hergestellt und im Aufklärungsgeschwader 51 bei Jagel in Schleswig-Holstein stationiert werden sollen. Heer und Marine verfügen bereits über diverse taktische Aufklärungssysteme. Die Bundesrepublik, Frankreich und Großbritannien arbeiten außerdem an der Entwicklung einer europäischen Drohne. Eine solche könnte nach 2020 einsatzfähig sein. Der deutsch-französisch dominierte Luft- und Raumfahrtkonzern EADS entwickelt verschiedene Systeme, die auch als Raketenträger eingesetzt werden können. Stefan Zoller, bis vor kurzem Vorstandsvorsitzender der EADS-Verteidigungssparte Cassidian, äußerte sich „sehr zuversichtlich, dass wir in absehbarer Zeit zu einer gesamteuropäischen Lösung einer eigenen Drohne kommen werden.“ Die Erwartungen für die Zukunft sind groß. Im Jahr 2001 verfügte das Pentagon über 50 waffentaugliche Drohnen, heute sind es über 10.000. Wie das „Wall Street Journal" berichtet, will Verteidigungsminister Panetta den Drohnen-Bestand in den nächsten Jahren weiter um rund ein Drittel ausbauen. Aktuelle Marktanalysen prognostizieren für das kommende Jahrzehnt eine Steigerung der Ausgaben für militärische Drohnen von derzeit 6,6 Mrd. auf 11,4 Mrd. US-Dollar.

Völkerrechtswidrig und kontraproduktiv

Völkerrechtlich aber sind die Drohneneinsätze umstritten. Zweifellos verletzen sie die territoriale Integrität anderer Staaten. Sie sind ebenso ein eklatanter Verstoß gegen das in der UNO-Charta festgeschriebene Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen. Die Befürworter berufen sich zwar auf das in Artikel 51 erlaubte Recht auf Selbstverteidigung, aber selbst dann wäre die Wahl der Waffen nicht unbeschränkt, sondern durch das sogenannte humanitäre Völkerrecht geregelt. Dieses stellt Verhaltensregeln für die Kriegsführung auf, um das Leid nicht direkt an den Kämpfen beteiligter Personen zu lindern. So verbietet die IV. Genfer Konvention zum Schutz von Zivilpersonen militärische Angriffe auf Zivilkrankenhäuser, Sanitätstransporte, Frauen und Kinder. Nach Artikel 35 des ersten Zusatzprotokolls, ist es verboten, Waffen, Geschosse und Material sowie Methoden der Kriegführung zu verwenden, die überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden verursachen. Verboten ist ebenfalls die Anwendung von Waffen, die nicht zwischen Militärangehörigen und Zivilisten unterscheiden. Die Juristin und Völkerrechtsexpertin Mary Ellen O'Connell bezeichnet die Drohnenangriffe denn auch als „klare Verletzung des Völkerrechts“.

Wegen der fehlenden Rechtsgrundlage könnten die für die Drohnenangriffe verantwortlichen CIA-Mitarbeiter in anderen Ländern verhaftet und wegen Mordes angeklagt werden. Ex-US-Präsident Jimmy Carter kritisiert den Drohnenkrieg der USA in einem Beitrag für die „New York Times“ mit dem Titel „Eine Bilanz außerordentlicher Grausamkeit“ scharf. Die Vereinigten Staaten hätten ihre Glaubwürdigkeit als weltweiter Verfechter der Menschenrechte eingebüßt, beklagt Carter. Jenes Land, das 1948 die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ vorangetrieben habe, verletze heute mindestens zehn der dreißig Artikel dieser Erklärung. Weiter habe Präsident Obama verfügt, dass sogar amerikanische Staatsbürger, die als Terroristen oder als deren Sympathisanten verdächtigt werden, gezielt getötet werden könnten. Die Eskalation des Drohnenkrieges, dem auch viele Frauen und Kinder zum Opfer gefallen seien, bringe die Zivilbevölkerung in den Ländern gegen die USA auf und verschaffe Terrororganisationen Zulauf.

Im Jemen beispielsweise sind die Nebenwirkungen des US-Drohnen-Krieges offensichtlich kontraproduktiv. Das Terrornetzwerk ist auf dem Vormarsch. „Wenn die amerikanischen Attacken zunehmen, dann nimmt die Wut der Jemeniten zu, insbesondere in den von Al-Kaida kontrollierten Teilen des Landes", zitiert die „Washington Post" Mohammed al-Ahmadi, Mitglied einer Menschenrechtsgruppe im Jemen. Er sagt: „Die Drohnen töten Kaida-Anführer, aber sie machen sie auch zu Helden." Der Zeitung zufolge ist die Zahl der Al-Kaida-Mitglieder im Jemen von 300 auf 700 gestiegen, seit Obama die ersten Drohnen-Attacken anwies. Jene Kämpfer, die einst in den jemenitischen Regierungstruppen ihren Hauptgegner sahen, kämpfen nun gegen die USA. „Wir sind im Krieg mit den Amerikanern und ihren Alliierten", erklärt ein Kaida-Kämpfer gegenüber dem TV-Sender Public Broadcasting Service.

Wissenschaftler, Christen und Politiker warnen vor Kampfdrohnen

Die großen deutschen Friedensforschungsinstitute kritisieren in ihrem Friedensgutachten 2012 die Ausweitung der Einsätze von bewaffneten Drohnen. Sie fordern die Bundesregierung auf, sich für die internationale Ächtung dieser Waffen einzusetzen wie es bereits mit Anti-Personenminen und Streumunition geschehen ist. „Diese Hightech-Waffen machen den Krieg unsichtbar und billiger", warnt Bruno Schoch von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Die ferngesteuerten Fluggeräte minimierten eigene Todesopfer und "senken so die Hemmschwelle zum Griff nach militärischer Gewalt". Diese Meinung teilt auch das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag in einem Bericht für den Verteidigungsausschuss über den Einsatz unbemannter Systeme. Durch die Option, Einsätze ohne Risiko für die Soldaten durchzuführen, könne „in einer Krise die Konfliktschwelle abgesenkt“ werden. Und das Risiko einer kriegerischen Auseinandersetzung könne durch unbemannte Systeme steigen, weil diese schwer kontrollierbar seien. Mit solchen Waffen verbänden sich zudem ethische, völkerrechtliche sowie rüstungskontrollpolitischen Erwägungen. Der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck hat das Verteidigungsministerium aufgefordert, den Einsatz bewaffneter Drohnen durch die Bundeswehr "sehr sorgfältig und hochkritisch" zu prüfen. In einem Gespräch mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte Overbeck, es bestehe die Gefahr, dass der Mensch durch den Einsatz dieser ferngesteuerten Aufklärungsflugzeuge zu einem Objekt gemacht werde. "Das geht nicht." Vor einem Einsatz durch die Bundeswehr müsse es in Deutschland zwingend eine breite friedensethische öffentliche Diskussion geben, forderte der Bischof. Die Grünen-Abgeordneten Omid Nouripour und Agnieszka Brugger fordern, darüber eine grundsätzliche Diskussion zu führen: „Die ethische Dimension einer solcher Beschaffung muss bei der Debatte im Vordergrund stehen." Der Hinweis von Bundesverteidigungsminister de Maizière "über die ethische Neutralität von Waffen" sei "schlicht falsch". Das habe die schreckliche Erfahrung der letzten Jahrzehnte auch mit konventionellen Systemen wie Streumunition oder Anti-Personenminen gezeigt, so die Grünen-Politiker. Die Linkspartei geht sogar noch weiter und verlangt ein weltweites Verbot von Kampfdrohnen. Auch Peter Strutynski, Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, sieht den Drohneneinsatz kritisch: "Diese Kriegstaktik sieht so erfolgsträchtig und einfach aus, da der Absender in weiter Ferne bleibt und es kaum eigene Opfer gibt. Zumal wird ähnlich wie bei Flugangriffen behauptet, dass die Angriffe derart präzise werden, dass sie zwischen Terrorist und Zivilist unterscheiden können. Das stimmt jedoch nicht, vor allem weil sich Angriffsziele oft in einer Menschenmenge befinden, weshalb Kollateralschäden zu- statt abgenommen haben. Es gibt keinen sauberen Krieg - auch keinen sauberen Drohnenkrieg", meint der Kasseler Friedensforscher und fordert eine Ächtung bewaffneter Drohnen.

Gewaltverbot in der UNO-Charta (Artikel 2,4)

"Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt."


Abkommen des humanitären Völkerrechts

  1. Genfer Konvention zum Schutz von verwundeten Soldaten und Sanitätern (1864);
  2. Haager Landkriegsordnung zur Behandlung von Kriegsgefangenen (1907);
  3. 1. Und 2. Genfer Konventionen über die Behandlung von verwundeten und kranken Angehörigen der Land- und Seestreitkräfte sowie medizinischem Personal (1949);
  4. Genfer Konventionen über die Behandlung der Kriegsgefangenen und zum Schutz von Zivilpersonen (1949);
  5. Zusatzprotokolle I und II über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte und von Bürgerkriegen (1977);
  6. Inhumane-Waffen-Konvention (1980).

Recht auf Selbstverteidigung in der UNO-Charta (Artikel 51)

Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts trifft, sind dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen; sie berühren in keiner Weise dessen auf dieser Charta beruhende Befugnis und Pflicht, jederzeit die Maßnahmen zu treffen, die er zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für erforderlich hält.



* Dieser Beitrag erschien - gekürzt - im "neuen deutschland" vom 11. September 2012.


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