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Lebensaufgabe: Chemiewaffen zerstören

Paul Walker fordert eine "Abrüstung ohne Privilegien" auch bei der Beseitigung atomarer Massenvernichtungswaffen *


Am Montag werden im Stockholmer Reichstagsgebäude die Alternativen Nobelpreise verliehen. Gleich vier Preisträger werden in diesem Jahr für ihr konkretes Engagement für die Gestaltung einer besseren Welt ausgezeichnet: Sie kommen aus Palästina, der Schweiz, den USA und der DR Kongo und setzen sich für Menschenrechte und eine nachhaltige Landwirtschaft, für die Vernichtung von Chemiewaffen und gegen sexuelle Gewalt ein.
Paul Walker (67) hat ein Lebensziel: die Vernichtung aller Chemiewaffen. Nach mehr als 20 Jahren ist der Direktor des Umweltprogramms der vom letzten sowjetischen Staatsoberhaupt Michail Gorbatschow gegründeten Organisation »Green Cross« auf einem guten Weg. Mit Paul Walker sprach in Genf Marc Engelhardt.



Am Montag bekommen Sie den Alternativen Nobelpreis überreicht. Was wird das Thema Ihrer Dankesrede sein?

Ich werde darüber sprechen, warum wir eine Welt ohne Chemiewaffen brauchen und wie wir dieses Ziel erreichen können. Meine Kollegen und ich arbeiten seit mehr als 20 Jahren daran. Und wir haben es geschafft, dass die Chemiewaffenkonvention heute das multilaterale Abkommen mit den meisten Unterzeichnern ist – nur die UNO hat mehr Mitglieder. Zudem sind bisher mehr als 55 000 Tonnen an Chemiewaffen zerstört worden.

Warum ist die Chemiewaffenkonvention so erfolgreich?

Nachdem Syrien die Konvention gezeichnet hat, gibt es jetzt nur noch sechs Staaten – Angola, Ägypten, Israel, Myanmar, Nordkorea und Südsudan –, die ihre Unterschrift leisten müssen. Dann haben wir, von Palästina und Taiwan abgesehen, eine universelle Abdeckung. Das eigentliche Geheimnis des Erfolgs liegt meines Erachtens aber darin, dass bei der Chemiewaffenkonvention alle Unterzeichnerstaaten gleiche Rechte haben. Das ist ganz anders als etwa beim Atomwaffensperrvertrag, wo die fünf offiziellen Atommächte Sonderrechte für sich in Anspruch nehmen dürfen.

Ist das ein Grund dafür, dass die Verhandlungen bei Atomwaffen noch nicht so weit fortgeschritten sind?

Ja, ich glaube, dass wir mehr Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung sehen würden, wenn man dem Beispiel der Chemiewaffenkonvention folgen würde. Es sollte keine Privilegien für einzelne Staaten geben. Dann kann man eine Welt ohne Atomwaffen schaffen.

Wie schwierig ist es, Chemiewaffen zu vernichten?

Wenn man Chemiewaffen vernichtet, möchte man auf keinen Fall Arbeiter oder Bewohner gefährden. Als wir in den 90er Jahren mit der Vernichtung der Chemiewaffen begonnen haben, gab es aber nur eine Methode: die Verbrennung bei extrem hohen Temperaturen. Dabei wurden aber womöglich Stoffe ausgestoßen, die kaum messbar waren. Man weiß also nicht genau, wie sicher dieses Verfahren war. Heute, 20 Jahre später, kennen wir verschiedene chemische Prozesse, die die Stoffe in den Chemiewaffen ohne Verbrennung neutralisieren können. Vermutlich sind das die Verfahren, die in Syrien angewendet werden, wo innerhalb des nächsten Jahres alle Chemiewaffenvorräte vernichtet werden sollen.

Sie kennen Deutschland gut.

Ja, ich bin 1963 für ein Jahr als Austauschschüler in Saarbrücken gewesen. Später habe ich meinen Militärdienst in der Nähe von Helmstedt (in Niedersachsen, an der Grenze zur DDR, d. Red.) abgeleistet. Dort hörte ich den sowjetischen Funkverkehr ab, das war auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Meine Erfahrung damals war: Bei den einfachen Soldaten, zu denen auch ich gehörte, gab es auf beiden Seiten der Grenze ganz ähnliche Ängste, etwa vor einem Krieg. Jeden Tag haben sowjetische MiGs unser Lager überflogen und Fotos gemacht; die wussten ja, dass wir da waren. Wenn wir die Flugzeuge kommen hörten, sind wir nach draußen geeilt und haben Transparente auf Russisch hochgehalten: »Frieden statt Krieg« und so etwas. Und die sowjetischen Piloten haben dann eine Ehrenrunde gedreht, als Anerkennung.

1994 haben Sie dann – als Berater des Verteidigungsausschusses im US-Repräsentantenhaus – als einer der ersten US-Amerikaner eine Lagerstätte für chemische Waffen in Russland besucht. Wie sehr hat dieser Besuch Sie geprägt?

Wir sind damals nach Tscheljabinsk im Ural geflogen und von dort zu einer sehr entlegenen Militäreinrichtung gefahren worden. Wir haben mit Gasmasken eine riesige Halle betreten – und ich war entsetzt. Da lagen mehr als zwei Millionen mit Nervengas gefüllte Gefechtsköpfe, gestapelt in so einer Art riesigem Weinregal. Alles war einsatzbereit. Da waren zum Beispiel mehr als 1000 mit Chemiewaffen bestückte Raketen, die auf kleinen Wagen montiert waren, binnen Minuten abschussbereit. Es gab keine genauen Listen über die Lagerbestände, und die Sicherheitsvorkehrungen waren lächerlich. Die Hallen waren mit normalen Vorhängeschlössern gesichert, mehr nicht. Wir waren damals sehr froh, dass die Russen genauso schnell wie wir diese Chemiewaffen vernichtet sehen wollten. Für mich persönlich war dieser Besuch der Anlass, die Zerstörung von Chemiewaffen zu meiner Lebensaufgabe zu machen. Ich rechne damit, dass es in gut zehn Jahren soweit ist.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 30. November 2013

Aus der Begründung der Jury:

Paul Walker (USA)
“for working tirelessly to rid the world of chemical weapons.”

Dr. Paul Walker is one of the most effective advocates for the abolition of chemical weapons. His leadership has helped to safely and verifiably eliminate more than 55,000 metric tons of chemical weapons from six declared national arsenals. He has been key to leveraging over one billion dollars annually in effective programmes for arms control, disarmament, threat reduction and non-proliferation. Paul Walker has engaged government leaders, NGOs, think tanks and citizens’ groups around the world to work towards full implementation of the Chemical Weapons Convention and for a world free from the dangers of chemical weapons.

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