Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Streiter für veränderte Spielregeln

Alternative Nobelpreise 2013 gehen an Persönlichkeiten, die sich gegen Gewalt und Hunger einsetzen

Von David Graaff, Bogotá *

Ein Arzt, ein Politikwissenschaftler, ein Rechtsanwalt und ein Insektenforscher sind die Träger des diesjährigen Right Livelihood Awards, bekannt als »Alternativer Nobelpreis«.

»Wir zeichnen mit dem Alternativen Nobelpreis Menschen aus, die die Spielregeln verändern. Gerade weil sie das tun, sind sie oft sehr unbequem und arbeiten deshalb unter lebensgefährlichen Bedingungen«, sagt Juliane Kronen von der Stiftung Right Livelihood Award im Gespräch mit dem »nd«. Einer von ihnen ist der Arzt Denis Mukwege, der neben dem schweizer Insektenforscher Hans Herren, dem palästinensischen Anwalt Raji Sourani und dem US-amerikanischen Chemiewaffenexperten Paul Walker in diesem Jahr die Auszeichnung erhält.

Es war im Oktober 2010, Mukwege kam gerade von der Arbeit in dem von ihm geleiteten Panzi-Krankenhaus im Osten der Demokratischen Republik Kongo nach Hause zurück, als mehrere zivil gekleidete Männer auf ihn schossen. Ein Leibwächter starb, Mukwege konnte sich gerade noch retten. Sein Vergehen: Er behandelt nicht nur Opfer sexueller Gewalt, er spricht die Ursachen dafür auch offen an. 40 000 Mädchen und Frauen haben Mukwege und sein Team im Panzi-Krankenhaus in den letzten 14 Jahren behandelt. Der 58-Jährige hat in dieser Zeit immer wieder seine Stimme erhoben und den Mut gehabt, die Verantwortlichen dieser Verbrechen zu benennen. Seit Jahren wird die sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen im rohstoffreichen Osten der DR Kongo als Kriegswaffe benutzt, um den Feind zu schwächen – von Soldaten und Rebellen. »Was uns besonders beeindruckt ist, dass Denis Mukwege nicht nur operiert, sondern versucht, die Menschen ganzheitlich zu heilen. Dazu gehören bei Opfern sexueller Gewalt beispielsweise auch Psychotherapie und rechtliche Beratung. Darüber hinaus ist er ein sehr glaubwürdiger und zugleich furchtloser Mensch mit einer beeindruckenden Persönlichkeit«, sagt Juliane Kronen, die Mukwege selbst in Ostkongo besucht hat.

Gefährlich lebt der US-amerikanische Chemiewaffenexperte Paul Walker zwar nicht, doch auch er hat sich nicht nur Freunde gemacht. Seit Jahrzehnten setzt sich Walker dafür ein, Chemiewaffen auf der ganzen Welt sicherzustellen und zu vernichten. Mehr als 55 000 Tonnen chemischer Waffen aus sechs deklarierten nationalen Arsenalen wurden dank seines Engagements eliminiert. Dabei hat Walker sich den Ruf erworben, über großes Geschick zu verfügen, unterschiedlichste Interessengruppen an den Verhandlungstisch zu bewegen und so peu à peu eine Umsetzung der Chemiewaffenkonvention zu erreichen. In den USA wird der Mitarbeiter der Umweltorganisation Internationales Grünes Kreuz deshalb oft als Linker geächtet. Dabei ist Walker eher ein lösungsorientierter Pragmatiker. Über die sich andeutende Lösung im Syrien-Konflikt sagt Walker dann auch, es sei bedauerlich, dass es der Androhung einer militärischen Intervention bedurfte, um Syrien dazu zu bewegen, die Chemiewaffenkonvention zu unterzeichnen. »Aber wenn es um den Abbau chemischer Waffen geht, passiert es besser spät als nie.«

»Wie Hans Rudolf Herren 20 Millionen Menschen rettete«, heißt ein Buch über die Arbeit des Schweizer Insektenforschers. Der Feind der Menschen war in diesem Fall die Schmierlaus, die in den 80er Jahren in Afrika das wichtige Grundnahrungsmittel Maniok bedrohte. Herren und sein Team fanden die Lösung in Südamerika: Die Schlupfwespe, der natürliche Feind der Schmierlaus, wendete die Hungersnot ab. Bis heute trägt Herren mit seiner wissenschaftlicher Expertise und praktischen Arbeit zu einer gesunden, sicheren und nachhaltigen globalen Nahrungsversorgung bei. Mit seiner Stiftung »Biovision« hilft er Landwirten in Afrika dabei, Hunger, Armut und Krankheit durch ökologischen Landbau zu bekämpfen.

Außerdem erhält der Anwalt Raji Sourani in diesem Jahr die renommierte Auszeichnung. Sourani ist Gründer des Palästinensischen Zentrums für Menschenrechte und untersucht Menschenrechtsverletzungen im Gaza-Streifen. Aufgrund seiner Kritik an den Mächtigen ist der 59-Jährige mehrfach von israelischen oder palästinensischen Behörden verhaftet worden. Er ist der erste Palästinenser, der den Alternativen Nobelpreis erhält.

Der Preis wurde im Jahre 1980 erstmals vom Deutsch-Schweden Jakob von Uexküll gestiftet. Zuvor hatte die Nobel-Stiftung die Einführung eines Preises für Umweltschutz und menschliche Entwicklung abgelehnt.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 27. September 2013


"Alternative Nobelpreisträger" 2013 sichern die Grundlagen menschlichen Lebens

Pressemitteilung, Stockholm den 26. September 2013

Die diesjährigen Right Livelihood Awards, oft „Alternative Nobelpreise“ genannt, gehen an vier Preisträger. Die Preisträger teilen sich das Preisgeld in Höhe von zwei Millionen Schwedischen Kronen (ca. 230.000 EUR), womit jeder Laureat 500.000 SEK (ca. 57.000 EUR) erhält.

Die Jury ehrt PAUL WALKER (USA) „für seinen unermüdlichen Einsatz, um die Welt von chemischen Waffen zu befreien“.

RAJI SOURANI (Palästina) erhält den Preis „für sein beharrliches Engagement für Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit unter extrem schwierigen Bedingungen“.
Es ist das erste Mal, dass ein Right Livelihood Award an einen Palästinenser geht.

Die Jury zeichnet DENIS MUKWEGE (Demokratische Republik Kongo) aus „für seine langjährige Arbeit, Frauen, die sexuelle Kriegsgewalt überlebt haben, zu heilen, und für seinen Mut, die Ursachen und Verantwortlichen zu benennen“.

Die Jury ehrt HANS R. HERREN/STIFTUNG BIOVISION (Schweiz) „weil er mit wissenschaftlicher Expertise und bahnbrechender praktischer Arbeit einer gesunden, sicheren und nachhaltigen globalen Nahrungsversorgung den Weg bahnt“.
Hans R. Herren ist der erste Preisträger aus der Schweiz.


Die Begründungen der Jury **

Paul Walker (USA)

“for working tirelessly to rid the world of chemical weapons.”
Dr. Paul Walker is one of the most effective advocates for the abolition of chemical weapons. His leadership has helped to safely and verifiably eliminate more than 55,000 metric tons of chemical weapons from six declared national arsenals. He has been key to leveraging over one billion dollars annually in effective programmes for arms control, disarmament, threat reduction and non-proliferation. Paul Walker has engaged government leaders, NGOs, think tanks and citizens’ groups around the world to work towards full implementation of the Chemical Weapons Convention and for a world free from the dangers of chemical weapons.

Raji Sourani (Palestine)

“for his unwavering dedication to upholding the rule of law under exceptionally difficult circumstances”.
Raji Sourani has, without fear or favour, defended and promoted human rights for all in Palestine and the Arab World for 35 years. As the most prominent human rights lawyer based in the Gaza Strip, Sourani established the Palestinian Centre for Human Rights to document and investigate human rights violations committed in the Occupied Territories, and has defended countless victims before Israeli courts. Never hesitant to speak truth to power, Sourani has been imprisoned on six separate occasions by both Israel and the Palestinian Authority. As President of the Arab Organisation for Human Rights, he organised the first fact-finding mission to Libya after the fall of Colonel Qadaffi, and has recently trained Syrian lawyers, judges and activists on monitoring and reporting human rights violations.

Denis Mukwege (Democratic Republic of Congo)

“for his courageous work healing women survivors of war-time sexual violence and speaking up about its root causes”.
Dr. Denis Mukwege is a gynaecologist working in the war-torn region of Kivu in the Democratic Republic of Congo (DRC). As the chief surgeon of Panzi hospital, he and his colleagues have treated about 40,000 rape victims, developing great expertise in the treatment of serious gynaecological injuries. Despite attacks on his life, Denis Mukwege speaks up tirelessly to raise awareness about the realities of the Congolese war and its grave, lasting consequences for girls and women.

Hans Herren / Biovision Foundation (Switzerland)

“for his expertise and pioneering work in promoting a safe, secure and sustainable global food supply”.
The Swiss agronomist/entomologist Dr Hans R. Herren is one of the world’s leading experts on biological pest control and sustainable agriculture. When a new pest threatened the cassava root in Africa, he designed and implemented a successful biological control programme that has been credited with saving millions of lives. Later, Herren was the co-chair of the International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development (IAASTD), endorsed by 59 countries. Today, Herren is helping farmers in Africa to combat hunger, poverty and disease through ecologically sound agriculture with his Swiss-based Biovision Foundation. With his theoretical and practical work, Herren has proven that an agriculture anchored in agro-ecological principles can nourish a world with a growing population and changing needs.

** Quelle: Website des "Right Livelihood Award"; http://rightlivelihood.org


Zurück zur Seite "Friedenspreise"

Zur Palästina-Seite

Zurück zur Homepage