Stillschweigende Aushöhlung des C-Waffen-Verbots?
Zur geplanten Ausstattung der Bundeswehr mit Tränengas
Von Dr. Jan van Aken*
„Die Hasen vom Amselfeld“ – so lautete die Schlagzeile eines SPIEGELBerichts
Anfang Mai, der die deutschen KFOR-Soldaten im Kosovo auf das
Äußerste kritisierte. Der beißende Artikel setzte ein politisches Räderwerk in
Gang, das jetzt in die Aufrüstung der Bundeswehr mit Tränengas mündet und
damit das internationale Chemiewaffen-Übereinkommen in Bedrängnis bringt.
Begonnen hatte alles Anfang des Jahres, als die Bundeswehr bei den März-
Unruhen im Kosovo hilflos den Plünderungen und Brandschatzungen der
Kosovo-Albaner zusehen musste. Die deutschen KFOR-Soldaten waren mit
einer Situation überfordert, in der sie gegen eine randalierende Menge keine
scharfe Munition einsetzen konnten oder wollten und dann schlichtweg
überrannt wurden. Nach der Häme im SPIEGEL entstand dringender
Handlungsbedarf bei der Bundesregierung, die prompt eine Ausrüstungslücke
bei der Bundeswehr diagnostizierte. Dieses Defizit möchte sie jetzt in einem
Akt symbolischer Politik beseitigen.
Doch die Ursachen für die Hilflosigkeit der Bundeswehr bei den Märzunruhen
im Kosovo sind sicherlich komplexer und lassen sich nicht nur auf die Frage
der Ausrüstung reduzieren. So stellt sich die Frage, ob die Trennungslinie
zwischen Polizei und Militär im Kosovo sinnvoll gezogen ist und inwieweit
Bundeswehrsoldaten überhaupt auf polizeiliche Aufgaben wie den Schutz von
Klöstern taktisch und strategisch vorbereitet sind. Strukturelle Defizite sind
jedoch weitaus schwieriger zu beheben als eine simple Ausrüstungslücke.
Wenn die Bundesregierung deutschen Soldaten künftig Tränengas mit auf den
Weg ins Ausland gibt, kann sie allerdings entschlossenes Handeln
demonstrieren.
Der von der Regierung ins Parlament eingebrachte Gesetzentwurf wird
voraussichtlich schon in der kommenden Woche im Eilverfahren den
Bundestag passieren. Die Ausrüstungs-Entscheidung berührt jedoch das
internationale Chemiewaffen-Übereinkommen CWÜ. Das verbietet ausdrücklich
in Artikel 1 den Einsatz von Tränengas im Kriege. Das mag auf den
ersten Blick widersinnig erscheinen, da Polizeieinheiten in der ganzen Welt
tagtäglich mit Tränengas und Pfefferspray gegen Demonstranten vorgehen.
Doch der Einsatz in Kriegssituationen ist mit dem hohen Risiko der Eskalation
behaftet. Historisch betrachtet begann bislang jeder Einsatz tödlicher
Chemiewaffen im Kriege mit Tränengas. Um einer solchen Eskalation in
Kampfsituationen vorzubeugen, haben die Väter und Mütter des
Chemiewaffen-Übereinkommens in weiser Voraussicht jeglichen Einsatz von
Tränengas und anderen chemischen Mitteln im Krieg untersagt.
Dem ist bislang auch das deutsche Ausführungsgesetz für das internationale
Abkommen gefolgt. Die Verwendung von Tränengas wurde hier ausdrücklich
auf den Einsatz im Innern beschränkt. Deutschland war damit international
Vorreiter einer restriktiven Auslegung des Chemiewaffen-Verbotes. Andere
europäische Staaten haben ihren Soldaten auch bei Auslandseinsätzen
Tränengas mit auf den Weg gegeben. So haben französische Einheiten jüngst
in der Elfenbeinküste mehrfach Tränengas gegen gewalttätige Demonstranten
vor ihren Kasernen eingesetzt. Durch die unterschiedliche Auslegung des
Chemiewaffen-Übereinkommens kam es in der Vergangenheit immer wieder
zu Konflikten, auch zwischen Bündnispartnern. Insbesondere die USA
versuchen seit Jahren, eine sehr weite Auslegung des Vertrages
durchzusetzen und haben bereits den Einsatz von Tränengas und anderen
chemischen Mitteln selbst in Kampfsituationen propagiert. Demgegenüber hat
Großbritannien bei gemeinsamen Operationen mit den USA immer auf engen
rechtlichen Grenzen für den Einsatz von Tränengas bestanden.
Dieser Konflikt hat vor zwei Jahren eine besondere Brisanz erhalten, nachdem
russische Spezialkräfte bei einer Geiselbefreiung in Moskau Betäubungsmittel
als Waffe eingesetzt hatten und damit weit über 100 Menschen töteten. Kurz
zuvor war bekannt geworden, dass auch das amerikanische Militär ein breites
Spektrum an so genannten nicht-tödlichen Chemiewaffen für Kriegseinsätze
entwickelt.
Seitdem wird auf internationalem Parkett darum gerungen, diese schleichende
Aushöhlung des allumfassenden Chemiewaffen-Verbotes zu verhindern. Zwar
setzen die Amerikaner auf die normative Kraft des Faktischen, entwickeln
ungebremst ihre neuen Chemiewaffen und versuchen, jegliche kritische
Diskussion über die nicht-letalen Chemikalien im Keim zu ersticken. Doch es
mehren sich international die kritischen Stimmen, die an den engen Grenzen
festhalten wollen – und zwar sowohl für die Art der verwendeten Chemikalien
als auch für die Einsatzszenarien. Tränengas für die Polizei im Innern eines
Landes wird als unproblematisch angesehen, aber andere Chemikalien oder
Einsätze im Rahmen von Kampfhandlungen sollen verboten bleiben.
In dieser fragilen diplomatischen Situation kommt die Entscheidung der
Bundesregierung, die Bundeswehr mit Tränengas auszurüsten, einer offenen
Schützenhilfe für die Länder gleich, die massiv an der Entwicklung neuer nichttödlicher
Chemiewaffen arbeiten. Im entsprechenden Gesetzentwurf der
Bundesregierung sind bislang weder die Art der erlaubten chemischen
Agenzien noch die Einsatzszenarien klar definiert und eng begrenzt. In der
jetzigen Fassung würde die vorgeschlagene ‚Änderung des
Ausführungsgesetzes zum Chemiewaffenübereinkommen’ der Bundeswehr
auch erlauben, selbst im Rahmen von Kampfhandlungen Tränengas oder gar
Betäubungsmittel als chemische Waffe einzusetzen.
Dabei hätte die Bundesregierung mit der jetzt geplanten Gesetzesänderung die
Chance gehabt, international eine positive Vorreiterrolle einzunehmen. Mit
einer engen Begrenzung auf Tränengas und einem klaren Ausschluss
neuartiger Betäubungsmittel in dem Gesetzentwurf hätte die Bundesregierung
ein deutliches Signal für eine enge Auslegung des ChemiewaffenÜbereinkommens
setzen können. Ebenso wäre es mit einer leichten Korrektur
des Gesetzentwurfes möglich, die künftigen Einsatzszenarien für Tränengas
eng zu definieren, beispielsweise durch eine Beschränkung auf den Einsatz
gegen Menschenmengen, die überwiegend aus Zivilisten bestehen.
Das Auswärtige Amt, das in dieser Angelegenheit federführend ist, hätte hier
zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen können: Die Bundeswehr mit
Tränengas ausrüsten, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, und
gleichzeitig die Bemühungen um eine umfassende Kontrolle chemischer
Waffen stärken. Es ist schwer verständlich, warum sich ausgerechnet die
Rüstungskontrolleure im Auswärtigen Amt dafür stark gemacht haben, diese
vage und international äußerst kontraproduktive Gesetzesänderung auf den
Weg zu bringen.
Selbst starker Gegenwind aus dem Bundestag konnte sie nicht umstimmen.
Rüstungskontrollexperten aus Koalition und Opposition haben die politische
Brisanz des Regierungsentwurfes erkannt und in Gesprächen vor der
Sommerpause klar gefasste Definitionen und enge Einsatzszenarien
eingefordert. Leider vergeblich. Die Folge: Voraussichtlich wird in der
kommenden Woche die Parteidisziplin über die Vernunft siegen und die
Bundeswehr einen Freibrief für den Einsatz chemischer Mittel bekommen.
Russland, USA und all die Länder, die künftig ihre Gegner mit
Betäubungsmitteln ausknocken oder mit anderen chemischen Keulen außer
Gefecht setzen wollen, werden diese Änderung der deutschen Politik mit
Wohlwollen sehen. Denn eine aktive Politik der deutschen Bundesregierung für
eine starke Chemiewaffen-Kontrolle werden sie nicht mehr befürchten müssen.
Dr. Jan van Aken leitet das Sunshine Project e.V.
* Der Beitrag wurde in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" am 4. September 2004 gesendet.
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