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Hilfe für traumatisierte Soldaten - Warum sich die Bundeswehr so schwer tut

Ein Beitrag von Julia Weigelt in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
Immer mehr Soldaten kommen traumatisiert aus Auslandseinsätzen zurück. Oft fehlt es noch an Hilfen und Unterstützung durch die Bundeswehr. Die Ausbildung von sogenannten Lotsen sollte das eigentlich ändern. Doch die Bundeswehr tut sich schwer mit dem Lotsen-Konzept. Julia Weigelt weiß, warum:


Manuskript Julia Weigelt

Bernd Müller ist traumatisiert. Der Bundeswehrsoldat ist bei Auslandseinsätzen in Afghanistan mehrfach beschossen worden, auch Sprengstoffanschläge hat der Infanterist miterlebt. Seinen richtigen Namen will er nicht im Radio hören – der Soldat befürchtet, dass Vorgesetzte ihm das übelnehmen würden. Denn Müller kritisiert die Streitkräfte: Er fühlt sich alleingelassen mit seiner Krankheit, dem posttraumatischen Belastungssyndrom, kurz PTBS. Dabei gibt es in der Bundeswehr seit Ende 2011 Soldaten, die psychisch verletzten Kameraden beistehen könnten: Die sogenannten Lotsen sollen Betroffene davor bewahren, in Auseinandersetzungen mit Ämtern und Kassen zu verzweifeln – oder gar gewalttätig zu werden. Doch dass es solche Lotsen gibt, davon wusste Bernd Müller bisher nichts. Er musste sich einen Rechtsanwalt nehmen. Dabei könnten gerade Lotsen für die Betroffenen eine große Hilfe sein. Gesetze, Verordnungen, Bewilligungsanträge – der Hamburger Anwalt Arnd Steinmeyer weiß, welche Hürden die deutsche Bürokratie bereithält.

O-Ton Steinmeyer
„Das fällt schon schwer, als gesunder Mensch da durchzusteigen. Und wenn ich dann noch in irgendeiner Form psychisch belastet bin, ist das fast unmöglich. In allen Bereichen: Sowohl, was die Hilfsangebote angeht, das ist ein wahnsinnig breites Spektrum, als auch der ganze rechtliche und administrative Teil.“

Dabei sei gerade dieser administrative Teil wichtig, damit die Krankheit psychisch verwundeter Soldaten von der Bundeswehr als Dienst- oder Einsatzbeschädigung anerkannt werde. Sonst kommen zu der Krankheit schnell Geldsorgen, weiß Arnd Steinmeyer.

O-Ton Steinmeyer
„Da muss ich eben wissen: Welche Anträge muss ich stellen, wo muss ich die stellen, wann muss ich die stellen, und das ist eigentlich undurchschaubar für jemanden, der da nicht vorgeprägt ist.“

Der Anwalt bearbeitet für den Bund Deutscher Veteranen und den Bundeswehrverband Fälle wie den von Bernd Müller, in denen einsatzgeschädigte Soldaten nicht mehr weiter wissen. Da müsste Steinmeyer eigentlich häufiger mit den Helfern in Uniform in Kontakt kommen – doch das Gegenteil ist der Fall.

O-Ton Steinmeyer
„Mit Bundeswehr-Lotsen hab ich bisher noch keine Erfahrungen gehabt. Da ist auch noch kein Betroffener hier aufgetaucht, der in irgendeiner Form über einen Lotsen betreut wurde.“

Stabsfeldwebel Knut Kistner kennt die Fälle, in denen seelisch verwundete Veteranen im Paragraphendschungel die Geduld verlieren. Etwa ein Kamerad, den Kistner schon vor dessen Erkrankung kannte:

O-Ton Kistner
„Der ist in einem Gespräch beim Arbeitsamt ausgetickt und hat beinahe das Büro dort zerlegt, hat massive Drohungen ausgesprochen gegen den Sachbearbeiter und ist auf Grund dessen in die Geschlossene eingeliefert worden, weil die Polizei natürlich erst mal auch nicht wusste, wie sie mit ihm umgehen sollte.“

Ein traumatisierter Soldat, der von allen missverstanden in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie landet - Stabsfeldwebel Kistner war schockiert. Für ihn war es der Anlass, zusammen mit Juristen und dem Bundeswehrverband die Ausbildung zum Lotsen am Zentrum Innere Führung der Bundeswehr in Koblenz zu konzipieren. Im November 2011 wurde der Lehrgang erstmals angeboten. Bislang sind dort 120 Lotsen ausgebildet worden. Auch dieses Jahr sind vier Lehrgänge mit je 20 Teilnehmern geplant. Nach Angaben der Bundeswehr sind fast alle Plätze vergeben.

Nicht jeder der Lotsen arbeitet jedoch hauptamtlich - es gibt auch nebenamtliche Lotsen, die körperlich und mental versehrten Kameraden helfen, gleichzeitig aber noch den Hauptjob in ihrer Dienststelle übernehmen müssen. Wie viele der 120 Lotsen nebenamtlich arbeiten, ist nach Angaben des Zentrums Innere Führung nicht festzustellen. Einer der Teilzeitlotsen ist Stabsfeldwebel Knut Kistner. Er hilft zurzeit vier Soldaten gleichzeitig und kann nicht bei jedem Behördengespräch dabei sein – was er jedoch für nötig hält. Er hat einfach nicht genug Zeit. Dabei ist Zeit das Wichtigste, sagt Knut Kistner.

O-Ton Kistner
„Die braucht man auf jeden Fall. Weil: Zeit ist in vielen Bereichen eine ganz wichtige Sache. Es geht um Fristen, die eingehalten werden müssen, es geht in vielen Bereichen um Existenzen – es hängen ja Familien dran.“

Der Lotse muss Vertrauen aufbauen zu den Betroffenen, die wegen ihrer Krankheit besonders misstrauisch sind. Er steht auch den Angehörigen zur Verfügung und kommt mit in die Schule – etwa, wenn die Kinder das aggressive Verhalten eines PTBS-Patienten nachahmen und der Direktor zum Elterngespräch lädt. Nicht selten müssen Lotsen gar die Familie ersetzen, berichtet Kistner. Denn egal ob Ehefrau, Vereinskameraden oder vormals beste Freunde – die meisten ertragen das aggressive und verstörende Verhalten traumatisierter Soldaten nur für eine bestimmte Zeit, bevor sie sich distanzieren – ein Teufelskreis.

Auch Oberstleutnant Stephan Scherer macht ein großes Fragezeichen hinter nebenamtliche Lotsen. Der Stabsoffizier bildet am Zentrum Innere Führung zusammen mit Knut Kistner Lotsen aus.

O-Ton Scherer
„Ich bin auch der Überzeugung, nicht jeder Fall ist mit einem Teilzeitlotsen abzudecken, gleichwohl wir auch sicherlich Fälle haben und Bereiche haben, wo man sagt: Das ist durchaus leistbar.“

Die Arbeit als Lotse – für Oberstleutnant Scherer ist es eine wichtige und anspruchsvolle Tätigkeit.

O-Ton Scherer
„Und in so fern ist auch die Aufgabe, die dort ansteht, extrem fordernd. Denn es gibt nicht den Fall, es gibt auch nicht den Fall und das Erkrankungsbild PTBS, es gibt nicht den körperlich Versehrten, da macht sich eine ganz ganz große, breite Facette auf, die es abzudecken gilt.“

Komplexe Fälle, dramatische Erlebnisse – die Lotsen werden in Koblenz im Zentrum Innere Führung gerade mal zwei Wochen für ihre Tätigkeit ausgebildet. In dieser Zeit sollen die Teilnehmer juristische Grundlagen, Stressmanagement, Gesprächsführung und die Struktur der vielfältigen Hilfsorganisationen lernen. Im Bundeswehr-Krankenhaus in Koblenz erleben sie die Atmosphäre einer Psychiatrie und lernen Ansprechpartner kennenlernen.

Dann müssen sie ihr Wissen anwenden – und aufpassen, nicht selbst psychisch verletzt zu werden. Denn Betroffene geben z.B. oft bildreiche Berichte von verstümmelten Gliedmaßen ab, oder Angehörige berichten über dramatische Situationen aus dem Familienleben, erzählt der Hamburger Anwalt Arnd Steinmeyer.

O-Ton Steinmeyer
„Wenn mich dann die Frau eines Betroffenen anruft und sagt, ich musste meinen Mann aus dem Supermarkt abholen, der ist da zusammengebrochen und hat auf dem Boden gesessen und geheult und ich musste ihn evakuieren, sozusagen, aus dem Supermarkt, dann lässt einen das auch nicht völlig kalt. Insbesondere dann nicht, wenn man sieht, wie die Bundeswehrverwaltung teilweise mit den Leuten umgeht, da staut sich so ein gewisser Bereich an Wut an, und das muss man eben vernünftig kanalisieren können.“

Lotsen, die Kameraden beim zermürbenden Kampf gegen den eigenen Arbeitgeber um Versorgungsleistungen unterstützen und in Zeiten einer verkleinerten Armee dafür unter Umständen ihren Dienst vernachlässigen müssen – nicht jeder der zuständigen Kommandeure dürfte davon begeistert sein. Der Lotse Knut Kistner kann zwar eine generelle Offenheit bei den Vorgesetzten feststellen, den engagierten Soldaten die nötigen Freiräume zuzustehen – dennoch sei es nicht immer ganz einfach, sich durchzusetzen. Helfen könnte dabei unter Umständen eine einheitliche Regelung, was die Ausbildung und Arbeit von Lotsen angeht. Denn diese handhaben Marine, Heer, Luftwaffe, Streitkräftebasis und Sanitätsdienst derzeit noch unterschiedlich. Jede Teilstreitkraft hat eigene Vorstellungen. Oberstleutnant Stephan Scherer:

O-Ton Scherer
„Insofern muss man auch darüber nachdenken, dass man eine überregionale, weit fassende Regelung hat, und dass man eben sagt: Mensch, wir müssen auch über die Teilstreitkräfte hinaus eine Regelung finden, wie wir alle gleich behandeln, wie wir allen gleiche Hilfe und Unterstützung zukommen lassen.“

Das würde auch helfen, das Projekt Lotse in der Bundeswehr bekannter zu machen, damit Betroffene wie der Infanterist Bernd Müller gezielt nach Unterstützung aus der Truppe fragen können. Ein Konzept wird gegenwärtig im Verteidigungsministerium erarbeitet und soll bis Mitte des Jahres fertig sein. Es wird auch höchste Zeit: Denn Oberstleutnant Scherer schließt sich der Einschätzung von Experten an, dass die Anzahl traumatisierter Soldaten nach dem Abzug der Kampftruppen aus Afghanistan Ende des Jahres weiter steigen wird.

* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 8. Februar 2014; www.ndr.de/info


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