Wer teilt, hat von allem mehr
Das Effektivitätsstreben der NATO und die Bundeswehr als Parlamentsarmee
Von René Heilig *
Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Was aber, wenn dieser politische Grundsatz die Effektivität der NATO-Bündnistruppe mindert? Dann setzt man eine Alt-Herren-Kommission ein.
Auch wenn es jeglicher Vernunft widerspricht: Hegemonie durch Militär und Gewalt ist »in«. Es reichen nicht drei Hände, um aufzuzählen, wo die Bundeswehr gerade im Auslandseinsatz ist: Das beginnt beim Air Policing über den baltischen Staaten, reicht über KFOR in Kosovo, betrifft die Patriot-Raketen in der Türkei, deutsche Soldaten sind im Mittelmeer, in Libanon, Sudan und Südsudan, Mali, Kongo, Somalia und in der Westsahara. Der Afghanistaneinsatz wird gerade zu einem Mentorenprojekt umgebaut, nun kommen Ausbilder in Irak und Aufklärer in der Ukraine hinzu.
Nimmt man den laufenden Betrieb im Inland, bei der NATO und der EU hinzu, dann mag man – so man nicht nur Bundespräsident und Ideologe ist – ahnen, wie personalintensiv, materialverschleißend, teuer, kurzum, wie stressig so eine Wahrnehmung von »mehr Verantwortung in der Welt« objektiv ist. Und dann ist da ja noch das Parlament, das jeden bewaffneten Auslandseinsatz jenseits des NATO-Gebiets absegnen muss. Auch, wenn er in die Verlängerung geht. Noch jedenfalls ist das so.
Seit April prüft nämlich schon eine Kommission, ob es nicht nötig ist, etwas an der Art und Weise der Parlamentsbeteiligung zu ändern. Das Gremium des Bundestages steht unter dem Vorsitz des ehemaligen Verteidigungsministers Volker Rühe (CDU). Sein Stellvertreter ist SPD-Mann Walter Kolbow, der war mal Staatssekretär im Berliner Bendler-Block. Mit dabei sind neben Abgeordneten der Regierungsfraktionen auch zwei Ex-Bundeswehrgenerale der obersten Schicht sowie einige Sachverständige. Linkspartei und Grüne boykottieren das Gremium.
Bislang zählte man fünf Sitzungen und die SPD-Vertreter behaupten noch immer, es gehe um die Stärkung der Parlamentsaufsicht. Offenbar haben sie da etwas gründlich falsch verstanden. Denn in einem Strategiepapier von Unions-Fraktionsvize Andreas Schockenhoff und des Fraktionskollegen Oberst Roderich Kiesewetter wird ganz offen von einem Vorratsbeschluss für die Entsendung deutscher Soldaten in integrierte Verbände beispielsweise der NATO gesprochen. Einmal pro Jahr könnte man im Parlament sicherheitspolitische Richtlinien, die die Regierung aufstellt, bestätigen. Dann hätte diese das alleinige »Einsatzrecht«. So ließen sich rasch schnelle Eingreifverbände – in ernsten Fällen als Bestandteil von NATO- oder EU-Streitmächten – an jeden Punkt der Erde verlegen.
Ist der Bundestag nicht einverstanden, könne er ja einen Rückholbeschluss fassen. Das ist ein wenig arg plump, denn so ein Beschluss käme einem Misstrauensantrag gleich. Welcher Abgeordnete der Regierungsfraktionen würde dem zustimmen? Also bliebe der schwachen Opposition nur der Weg zu den obersten Richtern nach Karlsruhe.
Mit so einem möglichen »Hü und Hott« können Militärs nichts anfangen. Und es gäbe mehr als genügend Komplikationen mit den Verbündeten, denn die Verzahnung und Integration der nationalen Streitkräfte im multilateralen Bündnis ist groß und wächst weiter. Ohne Arbeitsteilung, ohne das Zusammenführen und Delegieren von Aufgaben und Fähigkeiten, ohne komplementäre Spezialisierung, ohne die Anlehnung kleinerer Nationen an größere nach »Cluster«-Art läuft schon jetzt nichts in der europäischen Abteilung der NATO.
Das sogenannte Pooling and Sharing (Vereinen und Teilen) wird derzeit NATO-weit als technokratische Wunderwaffe gegen eine angeblich drohende militärische Handlungsunfähigkeit gepriesen. Dass die Staaten vom Zusammenlegen militärischer Fähigkeiten ökonomisch profitieren, erscheint plausibel. Doch wie soll das ohne notwendige Einschränkung von Souveränität gelingen? Man findet Wege. Etwa in den Niederlanden, wo man den Weg von der Zusammenarbeit zur Integration geht. Die dortige Armee hat nicht nur alle Panzer abgeschafft, das Land hat auch seine Elitefallschirmjäger in die deutsche Division »Schnelle Kräfte« eingegliedert. Die baltischen Staaten verzichten auf eine kampffähige Luftwaffe und überlassen den Schutz ihres Luftraumes den Alliierten. Auch bei der Marine geht man diesen Weg. Kein Haushalt von Koalitionsstaaten hat übermäßig viel übrig für Rüstung und stehende Heere. Kein NATO-Staat braucht alles, um sich zu verteidigen. Ein Angriff von außen ist ohnehin so gut wie ausgeschlossen – falls es doch einen geben würde, greift die gegenseitige Beistandsverpflichtung der Alliierten.
Kernpunkt bleiben die globalen Einsätze. Spezialisierung, der modulare Aufbau von Streitkräften helfen der NATO, trotz weitgehend sinkender Militäretats effektiv mehr Mittel für mehr Einsätze und zur Ausrüstung von noch schlagkräftigeren Verbänden zu haben. Mit Überlegungen zur abgestimmten Arbeitsteilung, dem sogenannten Framework Nation Concept, ist Deutschland beim NATO-Gipfel in Wales aufgetreten. Von den Regierungen kleinerer Nationen gab es Beifall. Frankreich und Großbritannien sperren sich wie gehabt neuen Formen der Zusammenarbeit. Sie wollen sich gern unterstützen lassen – aber auf nichts Eigenes verzichten, nicht abhängig sein, sich auf keine Partner verlassen müssen. Das liegt weniger an ihren atomaren Sonderpositionen, sondern vor allem an ihren postkolonialen Ambitionen in Afrika und im Nahen Osten. Dafür Soldaten zu opfern, sind nur wenige Bündnispartner bereit.
Generell fehlt es an einer abgestimmten Außen- und Sicherheitspolitik der europäischen NATO-Staaten. Nach einer kurzen Pause haben die Vereinigten Staaten – siehe Ukraine – wieder stärker begonnen, die westliche Sicherheitspolitik zu dominieren.
Sparen muss auch Deutschland: Geld, Waffen, Soldaten. Doch das heißt nicht, dass man deshalb nicht unter jenen ist, die den Ton angeben. Vor allem mittels multinationaler Stäbe. Der des deutsch-niederländischen Korps ist so ein Beispiel. Auch das Nordost-Korps, das im Ernstfall deutsche, dänische und polnische Truppen zusammenfasst, wird in den kommenden Jahren zu einer Truppe schnellerer Bereitschaft ausgebaut. Bei der Marine gibt es zahlreiche gemeinsame Verbände. Im »Zentrum Luftoperationen«, das seinen Standort in Kalkar hat, aber auch rasch in alle Welt verlegbar ist, fließen operationelle Führungsaufgaben verschiedener nationaler Luftstreitkräften in Deutschland wie im Ausland zusammen. Und es werden Synergien aus der Kooperation mit ebenfalls dort stationierten NATO-Einrichtungen genutzt. Beispielsweise hat der dortige NATO-Luftverteidigungsgefechtsstand die Planung der Operationen über die baltischen Staaten in der Hand.
Gut funktioniert es – minus Frankreich und Großbritannien – auch im AWACS-Aufklärungsverbund. Bei dem sind 17 Nationen an Bord. Doch das ist noch nicht das, was wirklich Effektivität bringt, meinen Mitglieder der Rühe-Kommission. Warum, so fragt beispielsweise deren Chef selbst, gibt es in der NATO überhaupt noch nationale Luftverteidigungen? Die aus der Fragestellung ableitbaren Konzepte sind noch visionär, doch mit Hilfe kleiner Schritte komme man auch voran. Beispielsweise durch die Delegierung der Luftbetankung. Pooling and Sharing – manche denken auch schon an die Privatisierung einer solchen Funktion. Die entsprechende Firma würde auf keine nationale oder parlamentarische Befindlichkeit Rücksicht nehmen müssen. Ähnliches kann man sich beim Luft- oder Seetransport ebenfalls vorstellen.
Angesichts solcher objektiven, politisch, ökonomisch und militärisch begründeten Entwicklungen muss man in der Tat über die Parlamentsbeteiligung nachdenken. Doch keineswegs mit der Zielrichtung, die die Rühe-Kommission im Sinn hat. Die Delegierung von derartigen Aufgaben »nach Europa«, in dem Parlamentarier im militär-politischen Bereich keinerlei Kontroll- oder Einspruchsrecht haben, erfordert als Mindeststandard der Ist-Situation dringend ein Mehr an Transparenz auf nationaler Ebene.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag 18. September 2014
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