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Deutsche an die Fronten

Kriegsministerin Ursula von der Leyen will Soldaten in die Ostukraine und den Irak schicken. Neue Propagandarunde für Aufrüstung

Von Arnold Schölzel *

Am Sonntag fasste dpa die Ankündigung neuer deutscher Kriegseinsätze markig so zusammen: »Trotz Pannenserie zeigt die Oberbefehlshaberin der Bundeswehr ungebremsten Einsatzwillen. Über der Ostukraine könnten bald deutsche Aufklärungsdrohnen kreisen – und im nordirakischen Erbil könnte eine Ausbildungseinheit der Bundeswehr stationiert werden.«

Erste Vorbereitungen für die Entsendung von Drohnen – angeblich zur Überwachung der Waffenruhe in der Ostukraine – laufen demnach bereits, die Mission im Irak wird geprüft. Die endgültige Entscheidung steht in beiden Fällen noch aus, dürfte aber angesichts des Drucks vom tatsächlichen Oberkommandierenden in Washington eine Formalität sein.

Die Bundeswehr liefert bereits Waffen an die kurdischen Peschmerga-Streitkräfte und unterweist diese vor Ort sowie an der bayerischen Infanterieschule Hammelburg. In Erbil sind insgesamt 13 Bundeswehrsoldaten stationiert, darunter sechs Fallschirmjäger. Nun wird ein umfassendes Training von Kämpfern im Nordirak vorbereitet. Außerdem gibt es Überlegungen für den Aufbau eines Führungsstabes mit verstärkter deutscher Beteiligung im Irak oder in Jordanien.

In der Ostukraine soll die Bundeswehr im Auftrag der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) zum Einsatz kommen. Die deutsche Armee würde eine noch unbestimmte Zahl Drohnen vom Typ »Luna« zur Verfügung stellen. Zu deren Bedienung sehen laut Medienberichten interne Planungen vor, 150 Soldaten zu entsenden sowie weitere 50 bewaffnete Fallschirmjäger zu deren Schutz. Sollte es zu dem Einsatz kommen, befänden sich deutsche Armeeteile noch rund 400 Kilometer von Wolgograd entfernt. Die Stadt wurde im Zweiten Weltkrieg als Stalingrad zum Symbol des entscheidenden sowjetischen Sieges und der deutschen Niederlage. Die Linke lehnte beide Einsätze ab. Fraktionschef Gregor Gysi kritisierte im ZDF vor allem die Ukraine-Mission. »Wenn man nicht neutral ist, kann man eine Waffenruhe nicht kontrollieren«, erklärte er.

Am Wochenende wurden zugleich weitere Propagandaverlautbarungen zur angeblich kaum einsatzbereiten Bundeswehr und der notwendigen Aufrüstung verbreitet. Laut Spiegel empfiehlt z. B. der Prüfbericht der Unternehmensberatung KPMG, der voraussichtlich am heutigen Montag vorgelegt wird, »die Ausrüstungslücke« der Bundeswehr mit einem »unbemannten« Luftfahrzeug zu beheben. Das könne zur Wiederbelebung des gestoppten Drohnenprojekts »Euro Hawk« führen.

Ebenfalls am Wochenende ging die Diskussion über die am Donnerstag bekannt gewordenen deutschen Rüstungsexporte für sechs Regime im Nahen Osten weiter. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) äußerte im Tagesspiegel am Sonntag, er halte »überhaupt nichts davon, die Lieferung von Rüstungsgütern von einer Zustimmung des Bundestages abhängig zu machen«. Dagegen erklärte SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich dem Spiegel: »Selbst wenn es sich um alte Zusagen handelt, wirft der Export Fragen auf, die wir im Parlament diskutieren müssen«. Laut dem Nachrichtenmagazin hat Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) seinen Kursschwenk seit Wochen vorbereitet. Begründung: Die einigermaßen stabilen Staaten der Region müssten gestützt werden.

* Aus: junge Welt, Montag, 6. Oktober 2014


Krieg außen und innen

Neue Einsätze der Bundeswehr

Von Arnold Schölzel **


Wer Krieg exportiert, erhält ihn zurück. Die noch nicht getilgten Spuren des Zweiten Weltkrieges geben darüber Auskunft, aber auch die Rückwirkungen von über 500 Jahren blutiger Kolonialherrschaft. Die Attacken des 11. September 2001 hatten ihren Grund, nicht ihren Anlass, in den neokolonialen Feldzügen, die seit der offiziellen Beseitigung des Kolonialismus vor allem von den USA, Großbritannien und Frankreich permanent geführt werden. Das Neue seit dem Untergang der Sowjetunion sind nicht die »neuen«, die »asymmetrischen« Hinrichtungskriege des Westens, sondern es ist deren Vervielfältigung in allen Teilen der Welt unter der Flagge der Moral, der Menschenrechte und der Demokratie. Das imperialistische Programm einer globalen Apartheid, in Washington als »Neue Weltordnung« entworfen, sieht vor: keine Gnade mit den politisch unsicheren Habenichtsen aller Kontinente und nach jeder Strafexpedition die Neuaufteilung von Einflussphären.

Das deutsche Großkapital fürchtet nichts mehr als das Nicht-Dabeisein. Wider die eigenen Interessen in Sachen Russland trugen Wirtschaftsführer in den letzten Monaten den »Primat der Politik« wie eine Monstranz vor sich her. Im Klartext hieß das: Die in Berlin regierende Clique hat grünes Licht, die »deutschen« Interessen beim globalen Kriegswettlauf überall ins Spiel zu bringen. Der Ankündigung zum Jahreswechsel 2013/2014, die Bundesrepublik werde mehr militärische »Verantwortung« übernehmen, folgt die Realisierung in einem Tempo, das selbst NATO-Freunden die Sprache verschlägt. Aber, erläuterte ein Deutschlandfunk-Kommentator am Sonnabend: »Die Krisen in der Ukraine und im Irak treffen ins Zentrum deutscher Interessen.« Das ändert selbstverständlich alles, auf moralische Floskeln wie »humanitäre Intervention« kann verzichtet werden. In Osteuropa geht es um Schwächung und langfristig die Auflösung der Russischen Föderation. Am klassischen Programm des deutschen Imperialismus (und Faschismus) für Osteuropa hat sich – Interessen sind konstant – nichts geändert. In Westasien ist ein deutscher Beitrag für den Erhalt der elenden Hinterlassenschaft von Großbritannien, Frankreich und den USA gefordert. Zwar warnen selbst NATO-Militärs davor, statt politischer kriegerische Lösungen zu suchen. Aber die Würfel sind gefallen, in Washington, London, Paris und Berlin wird eine einmalige Chance vor dem Aufstieg Chinas, Indiens oder gar Russlands gewittert. Hinzu kommt: Imperialistische Kriege richten sich stets gegen das eigene Land. Sie fördern Spaltung und Unterdrückung der Opposition, die Mobilisierung von Hurrapatriotismus und die Durchsetzung jeder staatlichen Bestialität im Innern, wenn die Krisen und Kriege zurückkehren. Das werden sie.

** Aus: junge Welt, Montag, 6. Oktober 2014 (Kommentar)


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