Söldnerarmee mit Blick nach Osten
Konrad-Adenauer-Stiftung zu Bundeswehrreform und Perspektiven des deutschen Militärs
Von Roland Zschächner *
Bei manchen Veranstaltungen kommen ehrlich gemeinte Erkenntnisse erst zu fortgeschrittener Stunde bei trockenen Brezeln und rotem Wein zum Vorschein. »Die Bundeswehr braucht frisches Blut aus der Mitte der Gesellschaft«, bemerkte ein ehemaliger Militärarzt und Offizier der Reserve zur aktuellen Situation der Truppe beim Blick in sein Glas. Der Abend neigte sich dem Ende, das Thema war »Die Neuausrichtung der Bundeswehr – Eine erste (Zwischen-)Bilanz«. Eingeladen hatten in der vergangenen Woche die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und die Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik. Diskutanten waren Detlef Buch, Offizier der Luftwaffe, Militärsoziologe und Vorstandsmitglied des Bundeswehrverbandes, sowie Patrick Keller, Koordinator für Außen- und Sicherheitspolitik bei der KAS. Das Publikum bestand größtenteils aus Reservisten.
Zwei Themen dominierten den Abend. Zum einen, welche Auswirkungen die aktuelle Reform der Streitkräfte auf die Bundeswehr hat, zum anderen die aktuelle Situation in der Ukraine und welche neuen »Herausforderungen« sich auch in Verbindung mit den »NATO-Partnern« ergeben.
Der aktive Offizier Buch wußte zu berichten, daß die Situation in den Streitkräften verheerend sei. Die Personalkosten stiegen, und gleichzeitig sinke die Zufriedenheit. Die Denke eines Managers war in Buchs Worten tief verankert. Die Kasernen sind nunmehr »Niederlassungen«, es geht ihm um »Lebensarbeitszeitkonten« und die »Ressource Personal«. Bei der liege aber die Motivation am Boden. Lediglich 57 Prozent gingen gern zur »Arbeit«, und nur 54 Prozent seien mit ihrem »Arbeitgeber« zufrieden. Daher wechselten viele Soldaten lieber in den öffentlichen Dienst, zum Beispiel als Feuerwehrleute. Seine Forderung: mehr Milliarden für den Verteidigungshaushalt.
Auch ist es wohl schwierig, neues Kanonenfutter zu rekrutieren. Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung finde das Töten im Staatsauftrag nach wie vor nicht besonders gut. Sie lehnte es auch ab, daß Deutschland weltweit militärisch aktiv ist. Der Soziologe in Uniform erklärt sich die Verweigerungshaltung aus einem angeblich wachsenden Widerspruch zwischen der Pflicht des Militärs zu »Kameradschaft und Vaterlandsliebe« und den individualisierten Werten des Rests der Gesellschaft. Die öffentliche Stimmung müsse geändert werden, forderte Buch. Kein Verständnis hat der Militär für die Jury des Aachener Friedenspreises. Die habe 2013 die beiden ersten »Schulen ohne Bundeswehr« ausgezeichnet. Das erschwere die Arbeit der »Jugendoffiziere«. Deren Aufgabe sei, die Notwendigkeit militärischer Gewalt bei der Durchsetzung deutscher Interessen an Schüler zu vermitteln. Durch solche Entscheidungen sei es kein Wunder, daß die Bundeswehr nicht mehr ausreichend qualifizierte Bewerber findet.
Nach dem betrüblichen Blick in die Bundeswehr widmete sich der KAS-Koordinator Keller den künftigen Aufgaben der Armee. »Deutschland ist ein besonders starker Staat«, so Keller. In der weltpolitischen Lage, in der in China und Rußland »neues Machtbewußtsein aufflackert«, dürfe Deutschland nicht abseits stehen. Und da die USA zur Zeit schwächeln, sei »Deutschland in die Rolle gedrängt«, die »liberale Weltordnung zu schützen«. Das sei wichtig, da es schließlich um »den Zugang zu Ressourcen« gehe.
All die globalen Entwicklungen dürften nicht an der NATO vorbei laufen. Daher müsse sich das Bündnis bei seinem anstehenden Gipfel in Wales »über die europäischen Grenzen hinaus orientieren«. Das zeige auch die aktuelle Entwicklung in der Ukraine. »Neue Narrative« müßten her, forderte Keller. »Die Eskalationsdominanz lag hier bei Putin«, ist sich Keller sicher. Und so wird auch die jüngste Geschichte umgeschrieben. Aggressor ist immer Moskau. »Ein Business as usual bei den Beziehungen mit Rußland« sei daher nicht möglich.
Nun gehe es darum, den baltischen Staaten, die auch NATO-Partnern sind, zur Seite zu stehen. Sie hätten historisch Furcht und ein »existentielles Bedrohungsgefühl vor russischem Revisionismus«. Das Problem dabei: »Die NATO hat für das Baltikum keine funktionierenden Verteidigungspläne«, weiß Keller. Das müsse sich ändern, und zwar so schnell wie möglich. Außerdem dürfe sich die NATO »nicht scheuen, dazu Übungen an der Grenze zu Rußland durchzuführen«. Das sahen auch einige Zuschauer so. Ein ehemaliger Offizier fragte in die Runde: »Welche Bedrohung wollen wir aus Rußland noch ertragen?« Kellers Antwort darauf läßt nichts Gutes ahnen: »Wir beobachten, was in Rußland passiert, besonders militärisch.« Das Adenauer-Zitat an der Wand des Saales paßte ausgezeichnet dazu: »… aber Preußen sind wir doch«.
* Aus: junge Welt, Montag, 2. Juni 2014
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