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"Vorsicht bei der Wortwahl"

Wo sich "Partner" in der Europäischen Union dem Willen Deutschlands beugen, unternimmt Berlin Schritte zum Aufbau einer EU-Armee. Wegen möglicher Vorbehalte soll das jedoch noch nicht laut ausgesprochen werden

Von Peer Heinelt *

Am 29. und 30. Oktober fand in Berlin die alle zwei Jahre vom Bundesverteidigungsministerium veranstaltete »Bundeswehrtagung« statt. Hiesige Medien berichteten breit über das Treffen von mehr als 230 zivilen und militärischen »Führungskräften« der deutschen Armee - insbesondere über die von Ressortchefin Ursula von der Leyen (CDU) bei dieser Gelegenheit erneut propagierte »Attraktivitätsagenda«, mit der die Ministerin den Dienst in den zur global agierenden Söldnertruppe umgebauten Streitkräften ansprechender gestalten will. Rund 500 Millionen Euro sollen in den nächsten drei Jahren aufgewendet werden, um etwa Kasernen und Unterkünfte mit Kühlschränken, Flachbildfernsehern und Internetzugängen auszustatten oder die Kinderbetreuungseinrichtungen der Bundeswehr auszubauen. Das sorgte teils für Beifall, teils für Befremden. Die Kritiker betonten meist, das Geld sei für Waffen und anderes Kriegsgerät besser ausgegeben. Allenfalls am Rande erwähnt wurde die bei der »Bundeswehrtagung« von Ministerin von der Leyen und ihrem polnischen Amtskollegen Tomasz Siemoniak unterzeichnete »Absichtserklärung zu einer Deutsch-Polnischen Heereskooperation«. Und das, obwohl das Verteidigungsministerium im Anschluss verlauten ließ, das Abkommen sei ein »zukunftsweisende(r) Meilenstein« auf dem Weg zu »europäische(n), integrierte(n) Streitkräftestrukturen«.

Der Begriff steht gemeinhin als Synonym für eine EU-Armee unter deutscher Führung, der man durch bilaterale Arrangements näher kommen will. Ziel der nun mit Polen geschlossenen Vereinbarung ist es denn auch, die »Interoperabilität« beider Heere - ihr koordiniertes Zusammenwirken im Gefecht - zu verbessern. Folgerichtig beinhaltet das Abkommen den Aufbau einer »beiderseitige(n) Heeresverbindungsorganisation« ebenso wie die »vertiefte Zusammenarbeit« zwischen den Panzertruppen, den Heeresaufklärern, den Gebirgsjägern und der Artillerie beider Armeen. Geplant ist zudem der Austausch von Offizieren und die gemeinsame Ausbildung von Offiziersanwärtern.

Indes beschränkt sich die »Absichtserklärung« nicht auf das Abhalten von Lehrgängen und Manövern, sondern sieht explizit die »wechselseitige Unterstellung von Kampftruppenbataillonen« vor. Der »Interoperabilität« der beiden Armeen dient auch die Ausstattung des polnischen Heeres mit Kampfpanzern vom Typ »Leopard 2« aus dem Hause der deutschen Waffenschmiede Krauss-Maffei Wegmann. Aktuell sind es knapp 130. Rund 120 weitere sollen bis 2015 hinzukommen. Als im November 2013 der zugehörige Kaufvertrag zwischen Deutschland und Polen geschlossen wurde, sprach der seinerzeitige Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) begeistert von einem »weitere(n) Baustein der sehr engen und fortzusetzenden Zusammenarbeit zwischen den Streitkräften unserer beiden Staaten«.

Ähnlich euphorisch hatte sich de Maizière im Mai desselben Jahres bei der Unterzeichnung einer »Absichtserklärung« über die Kooperation der deutschen und der polnischen Kriegsmarine gezeigt. »Das ist eine ganz neue Qualität von Zusammenarbeit in der Ostsee, für die Ostsee, für unsere beiden Staaten in der NATO und der Europäischen Union«, ließ der heutige Bundesinnenminister verlauten. Insgesamt beinhaltet die Vereinbarung 28 sogenannte Projekte, die von »gemeinsamer Ausbildung« über die »gemeinsame Überwachung der Ostsee« bis hin zu »gemeinsamen Einsätzen« reichen. Analog zur jetzt förmlich besiegelten deutsch-polnischen Heereskooperation steht auch hierbei die »Interoperabilität« der beiden Armeen im Vordergrund.

Die Fähigkeit, im Gefecht möglichst nahtlos zusammenzuarbeiten, drückt sich unter anderem darin aus, dass die Kriegsmarinen beider Länder den maßgeblich von der deutschen Waffenschmiede Diehl BGT Defence entwickelten »Seezielflugkörper« RBS15 Mk3 nutzen. Die Rakete zeichnet sich Herstellerangaben zufolge durch eine Reichweite von mehr als 200 Kilometern und die Fähigkeit zum Umfliegen von Inseln aus. Aufgrund ihrer niedrigen Flughöhe und »nicht vorhersehbare(r) Ausweichmanöver im Endanflug« verfüge sie außerdem über ein »hohes Durchsetzungsvermögen« gegenüber der feindlichen Luftabwehr, heißt es. Wie im Falle der nunmehr »vertieften« Heereskooperation stand der militärpolitische Führungsanspruch der BRD schon beim Abschluss des deutsch-polnischen Marineabkommens offenbar nicht zur Debatte: Laut Bundeswehr bezeichnete Siemoniak die Vereinbarung als »besonders wichtig« für die »konzeptionelle Weiterentwicklung« der Streitkräfte seines Landes.

Thinktanks grübeln über EU-Armee

Als Paradebeispiel der deutsch-polnischen Militärkooperation gilt in Armeekreisen das »Multinationale Korps Nordost« (MNK NO) mit Sitz im polnischen Szczecin. Der Inspekteur des deutschen Heeres, Generalleutnant Bruno Kasdorf, nannte es erst unlängst »unser großes gemeinsames Projekt«. Die 1999 auf Betreiben Deutschlands, Polens und Dänemarks ins Leben gerufene Truppe ist fester Bestandteil der NATO-Kommandostruktur in Europa und laut Bundeswehr befähigt zur »Führung von multinationalen Großverbänden«. Wie die deutschen Streitkräfte erklären, spielt das MNK NO nicht nur eine »Schlüsselrolle« bei der »Osterweiterung« der NATO, sondern auch bei den Interventionskriegen des Militärbündnisses. Mitglieder des Korps, das abwechselnd von einem deutschen und einem polnischen General befehligt wird, waren mehrfach in Afghanistan eingesetzt. Ähnlich verhält es sich mit dem im französischen Strasbourg stationierten »Eurokorps«, in das 2016 auch polnische Militärs aufgenommen werden sollen. Die bisher aus Deutschen, Franzosen, Spaniern, Luxemburgern und Belgiern bestehende Einheit wurde Anfang der 1990er Jahre als Befehlsstab der EU konzipiert und übernahm im Rahmen mehrerer Interventionskriege entsprechende Führungsaufgaben - etwa in der serbischen Provinz Kosovo und am Hindukusch. Im Bedarfsfall kann das »Eurokorps«, das turnusmäßig Personal für die »Schnelle Eingreiftruppe« der NATO stellt, über Kampfeinheiten mit einer Gesamtstärke von bis zu 60.000 Soldaten verfügen. Wie die Bundeswehr erklärt, bilde es somit die »Grundlage für eine effiziente Europa-Armee mit einer autonomen Führung«.

Ganz ähnlich sieht das auch Claudia Major, ihres Zeichens stellvertretende Leiterin der »Forschungsgruppe Sicherheitspolitik« der regierungsnahen Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Wie sie in einem Anfang dieses Jahres auf der Webseite des Bundesverteidigungsministeriums publizierten Aufsatz schreibt, könnten europäische Kampfverbände wie die bereits existierenden »EU-Battlegroups« als »Nukleus einer europäischen Armee« fungieren. Die Zeit für eine solche ist ihrer Ansicht nach offenbar ohnehin reif: Da die USA künftig »in Asien oder Afrika stärker gebunden« seien, müsse die EU »weltweit mehr Verantwortung übernehmen«, erklärt Major im besten Einvernehmen mit Verteidigungsministerin von der Leyen, Außenamtschef Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Bundespräsident Joachim Gauck. Als weiteren Stimulus für die Aufstellung einer EU-Armee identifiziert die Wissenschaftlerin die Überschuldung südeuropäischer EU-Staaten, die es Deutschland ermöglichte, den betroffenen Ländern eine rigide Austeritätspolitik zu oktroyieren. Die »Finanzkrise« habe eindrücklich gezeigt, »dass staatliche Souveränität, die auf Autonomie aufbaut, illusorisch ist«, verkündet Major triumphierend: »Die EU-Staaten müssen Einsparungen vornehmen und erkennen zunehmend die europäische Ebene als Lösungsansatz an.« Allerdings mahnt die Autorin explizit zur »Vorsicht bei der Wortwahl«, da Länder wie Großbritannien »in absehbarer Zeit kein Projekt unterstützen« würden, das »mit dem Etikett 'europäische Armee' versehen« sei: »Gleiche Anstrengungen unter einem anderen Namen haben mehr Erfolgsaussichten.«

Auch Hans-Georg Ehrhart vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) empfahl erst unlängst, mit dem Begriff »EU-Armee« nicht unbedingt hausieren zu gehen. Besser sei es, von einer »engere(n) Zusammenarbeit« auf militärpolitischem Gebiet zu sprechen, erklärte der Wissenschaftler in einem Interview mit der Wirtschaftswoche: »Das sollte man nicht europäische Armee nennen. Wir nennen die NATO ja auch nicht atlantische Armee.«

Scharfmacher in der Politik

Ebenso zurückhaltend zeigte sich der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), in einem Ende September erschienenen Gastbeitrag für die Welt. Zwar forderte er die »ganz reale Ertüchtigung« der Bundeswehr durch bilaterale »Rüstungskooperationen« nach dem Vorbild Großbritanniens und Frankreichs. Denn Deutschland bleibe ansonsten ein »politischer Zwerg«, »wenn es darauf ankommt, westliche Werte und Interessen ernsthaft zu schützen« - den Begriff »EU-Armee« indes wollte Lambsdorff nicht in den Mund nehmen: »Niemand weiß heute, ob am Ende eines solchen Prozesses etwas entsteht, das als 'Europäische Armee' bezeichnet werden kann. Niemand weiß auch, ob sich eine solche Armee dann in bestehende Institutionen einpassen lässt, oder ob man neu denken muss.«

Ein Mann deutlicher Worte ist dagegen der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD). »Die Stunde ist gekommen, nun endlich konkrete Schritte in Richtung der europäischen Armee zu gehen«, sagte er Anfang August der Welt. Zur Begründung verwies der Politiker auf die angespannte Haushaltslage vieler EU-Staaten, auf den Bürgerkrieg in der Ukraine und auf die von Truppen aus Ländern der EU geführten Interventionskriege: »Wir haben zu wenig Geld. Wir haben aber auch neue sicherheitspolitische Herausforderungen. Wir haben außerdem in den vergangenen Jahren gelernt, im Auslandseinsatz eng zusammenzuarbeiten. Warum sollen wir das dann nicht auch im Grundbetrieb unserer Streitkräfte tun?« Bartels bewegt sich damit exakt auf der im Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU kodifizierten militärpolitischen Linie der Bundesregierung. Hier heißt es: »Wir streben einen immer engeren Verbund der europäischen Streitkräfte an, der sich zu einer parlamentarisch kontrollierten europäischen Armee weiterentwickeln kann.« Erst kürzlich hat nun die »Arbeitsgruppe Sicherheits- und Verteidigungspolitik« der SPD-Bundestagsfraktion in einem Positionspapier ihr Bekenntnis zur Aufstellung einer EU-Streitmacht erneuert: »Wir als Sozialdemokraten wollen in Europa die treibende Kraft auf dem Weg zu einer parlamentarisch kontrollierten europäischen Armee sein und diesen konsequent beschreiten.«

Deutsch-Niederländisches Teamwork

Der hiesigen Presse gilt die Bundeswehr unterdessen bereits als »Vorreiter bei einer europäischen Armee«, wie die Rheinische Post unlängst formulierte. Zum Beleg verwies das Blatt auf die Mitte Juni erfolgte vollständige Unterstellung der Fallschirmjäger der 11. Luftbeweglichen Brigade der Niederlande unter das Kommando der auf verdeckte Operationen und Aufstandsbekämpfung spezialisierten »Division Schnelle Kräfte« (DSK) des deutschen Heeres. Die Befehlsgewalt über eine niederländische Eliteeinheit übt somit just die Truppe aus, zu der auch das in extralegale Hinrichtungen in Afghanistan involvierte Kommando Spezialkräfte (KSK) zählt. Springers Welt ließ dies in regelrechte Begeisterung ausbrechen: »Nie zuvor war ein militärischer Verband eines europäischen Landes in den Großverband eines anderen europäischen Landes eingebunden worden, nie zuvor hatte ein Staat auf diesen elementaren Kernbestandteil seiner Souveränität verzichtet.« Die deutschen Streitkräfte bezeichneten die Kommandoübernahme ihrerseits als »historisch einmaliges, noch nie dagewesenes Ereignis«, das dazu geführt habe, dass man nunmehr »an der Spitze des Fortschritts« marschiere. Wie das Bundeswehrmagazin Y berichtet, wird der deutsche Führungsanspruch von den niederländischen Fallschirmjägern, die an den Kriegen in Jugoslawien, im Irak und in Afghanistan beteiligt waren, nicht angezweifelt - im Gegenteil. So zitiert die Zeitschrift einen »alten Kämpfer« der 11. Luftbeweglichen Brigade mit folgenden Worten: »Von dem deutschen Konzept können wir auch als Brigade lernen. Was wir Niederländer mitbringen, ist eine gute Operationsplanung. Wenn wir das zusammenfügen, dann haben wir eine sehr gute Organisation.«

Aktuell wird zudem die Unterstellung der 43. Niederländischen Mechanisierten Brigade unter das Kommando der 1. Panzerdivision der Bundeswehr vorbereitet. Den deutschen Streitkräften zufolge fand erst kürzlich ein »Arbeitstreffen« der beiden Einheiten statt, bei dem Stabsoffiziere der DSK den Teilnehmern erklärten, »was vertiefte Zusammenarbeit eines deutschen und eines niederländischen Großverbandes bedeutet«. Zugleich nimmt die Bundeswehr direkt Einfluss auf die Ausbildung niederländischer Soldaten. An der Artillerieschule des deutschen Heeres im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein etwa werden sie in der Bedienung der »Panzerhaubitze 2000« unterrichtet. Analog zur deutsch-polnischen Militärkooperation sieht also auch die Zusammenarbeit zwischen den Armeen der BRD und der Niederlande die Übernahme deutscher Waffensysteme durch den »Partner« vor: Die für ihre verheerende Vernichtungswirkung bekannte und zuletzt in Afghanistan eingesetzte Panzerhaubitze stammt aus der Produktion der Rüstungskonzerne Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall.

Bereits seit fast 20 Jahren wird die deutsch-niederländische Waffenbrüderschaft beim im westfälischen Münster stationierten I. Deutsch-Niederländischen Korps gelebt. Die 1995 aufgestellte Truppe umfasst 1.100 Soldaten, die im Bedarfsfall sowohl der NATO als auch der EU innerhalb weniger Tage für weltweite Kriegsoperationen zur Verfügung stehen. Das aus deutschen und niederländischen Offizieren bestehende Korpskommando, das der NATO als »Hauptquartier hoher Einsatzbereitschaft« dient, war an Gewaltmaßnahmen in Afghanistan beteiligt und verfügt eigenen Angaben zufolge über einen »hochmobilen Gefechtsstand, der völlig autark und losgelöst von vorhandener Infrastruktur eingesetzt werden kann«. Seine Fähigkeiten trainiert das I. Deutsch-Niederländische Korps unter anderem bei Manövern wie »Reliable Sword« (»Zuverlässiges Schwert«), dem im Mai dieses Jahres nach Angaben des Verteidigungsministeriums der Niederlande folgendes Szenario zugrunde lag: »Bewaffnete Aufständische gefährden die Stabilität eines fiktiven Landes. Um den inneren Frieden wiederherzustellen, hat die Regierung die internationale Gemeinschaft um Hilfe gebeten.« Die Parallelen zur Situation in der Ukraine sind nicht zu übersehen. Geprobt wurden denn auch in erster Linie Luftlandeoperationen, die das Ziel verfolgten, den Widerstand der Insurgenten gewaltsam zu brechen. Bundespräsident Joachim Gauck ließ es sich nicht nehmen, die Übung aus nächster Nähe zu beobachten und zeigte sich nach eigenem Bekunden »ganz beeindruckt« von der deutsch-niederländischen Heereskooperation: »Ich habe hier einen schönen Satz gelernt: Wir müssen uns kennen, bevor wir uns brauchen! Das zahlt sich dann offensichtlich in Krisenregionen aus.«

Frankreich zieht ab

Die deutsche und die französische Armee müssten sich demnach am besten »kennen«, unterhalten sie doch bereits seit 1989 einen gemeinsamen Kampfverband: die Deutsch-Französische Brigade, die ihren Stab im badischen Müllheim hat. Die Truppe, die dem bereits erwähnten »Eurokorps« unterstellt ist, umfasst rund 5.000 Soldaten und gilt hiesigen Politikern und Militärs gemeinhin als »Symbol« der deutsch-französischen »Verständigung« nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie die Bundeswehr erklärt, handele es sich bei der Brigade um ein »durchsetzungsfähiges Instrument« der »Friedenssicherung«, das seine Fähigkeiten nicht nur in Bosnien und in der serbischen Provinz Kosovo, sondern auch in Afghanistan »unter Beweis« gestellt habe. Geplant sei deshalb, die Truppe »zum Kernelement der schnellen Eingreiffähigkeit der Europäischen Union, zu ihrer am ehesten verfügbaren und universell einsetzbaren 'Speerspitze', weiter(zu)entwickeln«.

Gleichzeitig spiegelt die Brigade den von imperialistischer Konkurrenz geprägten Zustand der deutsch-französischen Beziehungen wider. Enttäuscht über das zögerliche militärische Engagement Deutschlands in Afrika - Berlin betrachtet im Unterschied zu Paris vorrangig Osteuropa als seinen ökonomischen »Hinterhof« - zog Frankreich erst im Sommer dieses Jahres einen wichtigen Teil der Brigade, das 110. Infanterieregiment, aus seinem deutschen Stationierungsort Donaueschingen ab. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung unter Berufung auf das französische Verteidigungsministerium berichtete, sei es für Frankreich »aufgrund der hohen Kosten für die Truppenstationierung in Donaueschingen auf mittlere Sicht nicht akzeptabel, dass die Deutsch-Französische Brigade für Auslandseinsätze insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent nur bedingt einsatzfähig (ist)«. Selbst »nach mehr als zwanzig Jahren Zusammenarbeit und vielen gemeinsamen Übungen« könne man also offenbar noch nicht ohne weiteres »gemeinsam in den Krieg (...) ziehen«, hieß es lakonisch. Österreich deutschlandhörig neutral

Im Unterschied zu Frankreich, das sich nicht erst seit dem Libyen-Krieg zunehmend gen Großbritannien orientiert, ist das formal neutrale Österreich auch auf militärpolitischem Gebiet ein recht anschmiegsamer »Partner« Deutschlands. Dies zeigte sich zuletzt im Oktober, als das von der Bundeswehr in Ulm eingerichtete »Multinationale Kommando Operative Führung« (MKOF) auf dem baden-württembergischen Truppenübungsplatz Heuberg das Manöver »United Endeavour« (»Gemeinsame Anstrengung«) abhielt. Das MKOF ist in der Lage, bei künftigen Interventionskriegen der EU bis zu 60.000 Angehörige von Heer, Luftwaffe, Marine und »spezialisierten Kräften« anzuleiten und wollte nun dem selbsterklärten Anspruch näher kommen, diese Funktion auch im Rahmen der NATO wahrzunehmen. Folgerichtig zeigte das »United Endeavour« zugrunde gelegte Szenario deutliche Parallelen zu den Auseinandersetzungen in der Ostukraine und auf der Krim. Laut Lokalpresse stellte es sich folgendermaßen dar: »An der Staatsgrenze zwischen den frei erfundenen Ländern Amberland und Beachland kriselt es. Seit Jahren schwelt dort ein Konflikt. Obwohl beide Staaten an der gemeinsamen Grenze eine demilitarisierte Zone eingerichtet haben, besetzen amberländische Soldaten diese. Nun sollen NATO-Truppen die Zone sichern.« Die hierfür notwendigen Planungen verantwortete Robin Hillinger, Oberst des österreichischen Bundesheeres und Mitglied des MKOF. Gegenüber der Onlineredaktion der deutschen Streitkräfte bezeichnete Hillinger seine dortige Tätigkeit als den »Höhepunkt« seiner Karriere: »Ein Kommando wie dieses gibt es in Österreich nicht. Die Nationen, das muss ich wirklich sagen, können sich glücklich schätzen, dass Deutschland auch anderen Nationen anbietet, sich am Ulmer Kommando zu beteiligen.«

Dem hier einmal mehr zum Ausdruck kommenden Führungsanspruch Deutschlands unterwirft sich Österreich allerdings nicht nur im Rahmen von Manövern, sondern auch bei Militäroperationen »Out of Area«. So sind österreichische Verbände seit 2007 Teil der westlichen Besatzungstruppen in der serbischen Provinz Kosovo; sie zählen zum »Operativen Reservebataillon« der Bundeswehr und stehen EU und NATO für die Niederschlagung innerer Unruhen (»Crowd Riot Control«) zur Verfügung. Ausgebildet wurden die Österreicher im wesentlichen am »Gefechtsübungszentrum« der deutschen Streitkräfte in der Altmark bei Magdeburg, das von dem Rüstungskonzern Rheinmetall betrieben wird. Aktuell beteiligen sich Angehörige des österreichischen Heeres außerdem an der EU-Militäroperation im westafrikanischen Mali, wo sie laut Bundeswehr gemeinsam mit deutschen Armeeärzten die »sanitätsdienstliche Versorgung« der Mission zur Ausbildung der malischen Streitkräfte sicherstellen.

Wie deutlich geworden sein dürfte, unternimmt die BRD überall dort Schritte in Richtung auf eine EU-Armee, wo sich die jeweiligen »Partner« mehr oder minder anstandslos den deutschen Machtambitionen beugen. Ansonsten muss zumindest gewährleistet sein, dass entsprechende Schaltstellen mit deutschem Personal besetzt sind, man jederzeit unliebsame Entscheidungen verhindern kann und die »multinationale Zusammenarbeit« der Erweiterung des eigenen Einflussbereichs dient. Bei dem im niederländischen Eindhoven stationierten »Europäischen Lufttransportkommando« (EATC) etwa, an dem Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Belgien, Luxemburg und Spanien beteiligt sind, scheint all dies der Fall zu sein: Hier stellt die BRD zur Zeit nicht nur den kommandierenden General, sondern auch den stellvertretenden Abteilungsleiter der »Operational Division«, der den deutschen Streitkräften zufolge »mit seinem Vetorecht dafür Sorge (trägt), dass nationale politische Vorgaben hinsichtlich des Einsatzes deutscher Lufttransportmittel eingehalten werden«. Gleichzeitig, so heißt es, verfüge man durch das EATC nunmehr über »Operationsbasen von der Ostsee bis fast nach Gibraltar«.

Peer Heinelt ist Politikwissenschaftler und Berater für Public Relations (DAPR).

* Aus: junge Welt, Montag, 15. Dezember 2014


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