Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Der Deutsche Bundestag debattiert über die "Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr"

Alle Fraktionen weitgehend einig: Bundeswehr soll weltweit eingesetzt werden können - Nur PDS hält dagegen - Auszüge aus der Debatte

Im Folgenden dokumentieren wir aus den Reden, die am 23. September 2005 im Bundestag anlässlich der Debatte um die Reform der Bundeswehr gehalten wurden. Die der Debatte zugrundeliegenden Anträge von SPD/Grünen, CDU/CSU und FDP haben wir an anderer Stelle dokumentiert: "Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr".
Bei der Wiedergabe der Redeauszüge haben wir auf die im Protokoll festgehaltenen Beifallskundgebungen, Zwischenrufe und Zwischenfragen verzichtet.
Für die Aussprache waren zwei Stunden veranschlagt. Es sprachen: Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Am Ende des Tagesordnungspunktes wurde über die vorliegenden Anträge abgestimmt, und zwar entsprechend der Empfehlungen des Verteidigungsausschusses. Der Antrag 15/2656 der Koalitionsfraktionen SPD und Bü90/Grüne wurde angenommen, alle anderen Anträge verworfen.


Aus dem Plenarprotokoll (Vorab-Veröffentlichung)*

15. Wahlperiode, 126. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 23. September 2004



Gernot Erler (SPD):

(...) Wenn wir von einer jungen Frau oder einem jungen Mann hören, der oder die einen vollen Beruf ausübt, um den Lebensunterhalt für sich selbst und vielleicht die eigene Familie zu verdienen, und daneben noch eine volle Ausbildung oder ein volles Studium absolviert, dann zollen wir ihm oder ihr häufig Respekt und Anerkennung. Manchmal haben wir auch Sorge, ob das nicht zu einer Überforderung führt.

Wenn wir hier von Realitäten sprechen, so behaupte ich: Exakt das ist schon seit langer Zeit die Realität in der Bundeswehr. Dort üben viele Tausende von Frauen und Männern in der Tat einen Full-Time-Job aus, seit dem Jahr 1990 unter ständigen Umstrukturierungen und seit dem Jahr 2000 auch in einem Prozess der vollen Transformation, der geradezu verharmlosend Bundeswehrreform genannt wird. Nebenbei müssen sie sich noch einem außerordentlich fordernden Lernprozess unterziehen, der mit einer kompletten Ausbildung oder einem kompletten Studium gleichzusetzen ist. Dabei wird auch noch ein völliges Umstellen und Umdenken auf neue Herausforderungen verlangt.

Während diese Transformation in diesem Umfang stattfindet, haben wir eine Dauerhöchstbelastung der Bundeswehr mit aktuell 7 180 Soldaten im Dienst von schwierigen Auslandsmissionen zu verzeichnen, aber auch – das dürfen wir nicht vergessen – mit ständig doppelt so vielen, die sich auf einen solchen Einsatz vorbereiten, und ebenso vielen, die einen solchen Einsatz hinter sich haben, ihn verarbeiten müssen, die Lehren daraus zu ziehen haben und sich in der Regel auf eine Wiederholung einer solchen Herausforderung einstellen müssen.

Ich habe das Bild von einem voll Berufstätigen gebraucht, der neben seinem Beruf einen umfangreichen Lernprozess in Form von Ausbildung oder Studium durchmacht. Das Besondere bei der Bundeswehr ist, dass es sich bei dieser Ausbildung auch noch um Neuland handelt. Was heißt das: Neuland? Ich meine damit – lassen Sie mich das hier einmal offen sagen –, dass die europäische Politik in den 90er-Jahren versagt hat, sodass es leider zu vier blutigen Kriegen auf europäischem Boden in Südosteuropa gekommen ist. Je zweimal hat es in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo militärische Interventionen gegeben. Die Akte der Terroristen in Afghanistan haben dann zu einer militärischen Intervention an einem dritten Ort gezwungen. Im Ergebnis haben wir seit 1995 in Bosnien-Herzegowina, seit 1999 im Kosovo und seit dem Jahr 2002 in Afghanistan komplizierte, fordernde und schwierigste so genannte Nation-Building-Prozesse. Bei denen müssen mehr als 30 verschiedene Nationen, internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen, die NATO, die EU und die OSZE, internationale Finanzorganisationen und andere in einer völlig neuen Form zusammenarbeiten und bei denen muss die Bewältigung völlig neuer Aufgaben unter völlig neuen Arbeitsformen erprobt werden. Das ist in der Tat Neuland.

In diese Situation haben wir die Bundeswehr praktisch zur Bewährung hineingeworfen, weil es nach solchen Interventionen eine nicht mehr abweisbare Verantwortung für uns gibt. Wir haben ihr gesagt: Ihr übernehmt dort die Verantwortung für uns. Von eurem Erfolg hängt das Ansehen der westlichen Welt, ja auch unseres Landes ab – so ein bisschen nach dem Motto: Wir wissen zwar nicht genau, wie Nation-Building-Prozesse ablaufen; aber wir werfen euch einmal in der Hoffnung ins kalte Wasser, dass ihr das Schwimmen schon lernt. (...)

Damit bin ich bei einem sehr aktuellen Thema, nämlich bei den Vorgängen um die außerordentlich tragischen Ereignisse am 17. und 18. März im Kosovo. Da gab es Tote und Verletzte, Vertreibungen von Menschen, brennende Häuser, Kirchen und Klöster. Objektiv war das ein schwerwiegender Rückschlag bei einem dieser außerordentlich komplizierten Nation-Building-Prozesse. Es hat Untersuchungen dazu gegeben. Sie haben ergeben, dass es bei diesem Rückschlag in der Kooperation und in der Kommunikation derjenigen, die Verantwortung vor Ort trugen, ebenso wie bei der Ausrüstung Mängel gab und wahrscheinlich auch Fehler Einzelner vorgekommen sind. Es hat umfangreiche Reaktionen des Ministeriums und auch Maßnahmen zur Verbesserung der Fähigkeiten vor Ort gegeben.

Der Bundesminister der Verteidigung Peter Struck verfolgt bei diesen Vorgängen eine Position der uneingeschränkten Transparenz und Information des Deutschen Bundestages.
(...)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben jetzt mehrere Möglichkeiten. Natürlich kann das Parlament sein Recht wahrnehmen und entsprechende Mittel einsetzen, um die Fehler Einzelner auszuleuchten und zu schauen, ob sich daraus Folgen für die politische Verantwortungsebene ergeben. Man kann aber auch etwas anderes tun: Man kann die Fülle von Informationen, die auf unseren Tischen liegen, als Chance nutzen, um einmal zu erfassen, wie die Situation bei den Nation-Building-Prozessen grundsätzlich ist und wo strukturelle Verbesserungen notwendig sind. Man kann schauen, wo eine bessere Abstimmung und eine bessere Kooperation zu organisieren ist. Auch das wäre eine Möglichkeit, unserer politischen Mitverantwortung für diese außerordentlich schwierigen Aufträge gerecht zu werden und anzuerkennen, unter welch schwierigen Umständen – hinzu kommt der Stress durch die permanente Transformation der Bundeswehr – die Soldaten die schwierigen Aufgaben, die wir ihnen gegeben haben und die Neuland bedeuten, erfüllen müssen.

Dieser ehrliche Umgang mit der Realität, der die Bundeswehr bei ihren Einsätzen begegnet, läge einmal außerhalb des formalen Dankes. In diesem ehrlichen Umgang mit der Realität wäre nach meiner Auffassung mehr Respekt und Dank für die Soldaten enthalten als in den üblichen formalen Dankesbekundungen. Deshalb plädiere ich dafür. (...)

Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU):

(...) Der Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger bleibt eine wichtige Aufgabe staatlicher Sicherheitsvorsorge.

So steht es im Antrag der rot-grünen Regierungskoalition. Die Zielsetzung ist gut. Aber wie sagte schon Cicero: „Epistula non erubescit“ – Papier ist geduldig. In diesem Falle muss ich sagen: sehr geduldig.

Dieser Satz in Ihrem Antrag hat einen großen Fehler, nämlich dass er offensichtlich nicht so gemeint sein kann, wie er da steht. Es handelt sich um ein reines Lippenbekenntnis der rot-grünen Koalition. Denn faktisch haben Sie die Landesverteidigung aus dem Aufgabenkatalog der Streitkräfte gestrichen, auch wenn die Verteidigungspolitischen Richtlinien anderes besagen – und das in der heutigen Zeit, in der uns die Menschen zu Recht fragen, wie sie vor Ort geschützt werden.

Wir fordern einen glaubhaften Schutz der Bürger vor Bedrohungen aller Art, vor Bedrohungen von außen, aber auch vor Bedrohungen durch Terroristen im Innern, am Hindukusch ebenso wie in Heidelberg oder in Weinheim an der Bergstraße.

Deutschland braucht endlich ein verteidigungspolitisches Gesamtkonzept. Dazu gehört ein stringenter Plan für den Einsatz deutscher Soldaten draußen in der Welt. Wir führen zurzeit eine aktuelle Diskussion über den Sinn und Zweck unseres Engagements auf dem Balkan, speziell im Kosovo, und auch in Afghanistan. Damit Sie mich richtig verstehen: Wir diskutieren nicht über das Ob, sondern über das Wie unseres Engagements.

Wir sind es unseren Soldaten schuldig, dass wir klar und deutlich Sinn und Ziel unserer Einsätze darlegen. Der Wehrbeauftragte war vorgestern sehr nachdenklich. Wir haben hier eine politische Bringschuld. Unsere Soldaten müssen zweifelsfrei wissen, was sie im Einsatz machen dürfen und was sie machen müssen. Was im März im Kosovo geschehen ist, das darf es so nicht mehr geben.

Wenn die parlamentarischen Gremien jetzt daran gehen, diese Vorgänge zu erhellen, dann geschieht dies zum Schutz unserer Soldaten.
(...)
Für die konkrete Durchführung und Einsatzgestaltung tragen Sie, Herr Minister, die Verantwortung. Für den Balkan und für Afghanistan gilt das Gleiche: Die Sinnhaftigkeit des Einsatzes ergibt sich aus der Einsehbarkeit des Auftrags. Stabilität und Frieden werden wir auch in Afghanistan nur erreichen, wenn die Weltgemeinschaft dem Terror mit einem robusten Mandat die Stirn bietet und nicht gleich beim ersten Schuss die Segel streicht. Das Gleiche gilt für den Kampf gegen die Drogenbarone, vor deren Verbrechen wir nicht die Augen verschließen dürfen.

Herr Minister, ich frage Sie: Wie viele Soldaten brauchen Sie für den Einsatz in Kunduz und in Faizabad? Wenn die bisherige Stärke nicht ausreicht, dann sollten Sie dies heute dem Parlament und der deutschen Öffentlichkeit sagen. Dafür stehen Sie in der Verantwortung.

Deutschland braucht aber auch ein überzeugendes Konzept zur Landesverteidigung. Richtig ist, dass die Gefahr eines raumgreifenden, mit Panzern geführten Krieges im Herzen Europas so nicht mehr gegeben ist. Richtig ist aber auch, dass neue Bedrohungen und Risiken an seine Stelle getreten sind. Nach den Anschlägen in New York und Washington und nicht zuletzt im März dieses Jahres in Madrid kann keiner mehr sagen: Bei uns kann so etwas nicht passieren.

Ich stelle Ihnen die Frage: Welche originäre Aufgabe hat die Bundeswehr bei der Verteidigung unseres Landes im Hinblick auf terroristische Bedrohungen? Offensichtlich keine bedeutende; denn ich lese nichts davon, dass die Bundeswehr künftig im Innern die Rolle spielen darf, die sie bei Auslandseinsätzen mit ihren spezifischen Fähigkeiten und ihrer speziellen Ausrüstung längst und selbstverständlich einnimmt. Die Verteidigungspolitischen Richtlinien sind nicht vom Kabinett beschlossen. Warum, Herr Minister?

Das heutige Bedrohungsszenario verlangt neue Antworten. Der Bürger hat das Recht, geschützt zu werden. Ich meine, dies kann nur durch die Bündelung aller zur Verfügung stehenden Kräfte und Ressourcen vor Ort geschehen.

Meine Damen und Herren, Verteidigung und Sicherheit haben ihren Preis. Verpflichtungen im Rahmen der NATO, der EU und der UNO sind nicht zum Spartarif zu haben. Ihr politischer Ansatz ist falsch. Sie fragen sich: Was kann ich mit dem wenigen Geld, das ich zur Verfügung habe, machen? Die Frage muss aber ganz anders lauten: Was brauche ich an finanziellen Mitteln und an Ausrüstung, um dem Auftrag der Bundeswehr in einer veränderten Welt mit neuen Risiken und Bedrohungen gerecht zu werden? Das ist die richtige Frage.

Meine Antwort lautet: Wir brauchen viel mehr als die 23,9 Milliarden Euro, die Sie einplanen. Die Rechnung der Bundesregierung kann nicht aufgehen: Auf der einen Seite gibt es immer mehr Einsätze deutscher Soldaten weltweit, immer mehr Verpflichtungen, immer mehr Zusagen in der Europäischen Union, in der NATO und in großen Reden unseres Außenministers vor den Vereinten Nationen.

Auf der anderen Seite hat die Bundeswehr immer weniger Geld zur Verfügung und gibt es immer weniger Soldaten, immer weniger Standorte und zu wenig moderne Ausrüstung.

Als NATO-Parlamentarier bin ich es langsam leid, mir insbesondere von unseren NATO-Bündnispartnern anhören zu müssen, dass wir zu wenig in Zukunftstechnik investieren. Das berührt die Zusammenarbeit im Bündnis und die Interoperabilität der Bündniskontingente. Deshalb meine Forderung: Der Modernisierungsstau in der Bundeswehr muss aufgelöst werden. Ich fordere eine Technologieoffensive. Nur so ist unsere Bundeswehr zukunftsfähig. (...)

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

(...) Immer ernüchternder, ja katastrophaler sind die Resultate einer militärfixierten Art der Terrorismusbekämpfung. Wir sehen die katastrophalen Folgen im Irak.

Die März-Unruhen in Kosovo waren nicht nur ein Gewaltausbruch ungeahnter Intensität und Organisiertheit. Sie offenbarten auch massive Defizite aufseiten von KFOR und UNMIK.

Der bisher sehr breite Konsens bezüglich der gegenwärtigen Friedenseinsätze der Bundeswehr driftet offenkundig auseinander. In Zweifel gestellt werden zum Teil ihre Notwendigkeit, ihre Wirksamkeit und ihre Verantwortbarkeit. Einige Beispiele: Der FDP-Fraktionsvorsitzende Gerhardt sprach in der „Frankfurter Rundschau“ von „wirklich schwachen Einsätzen“ in Kunduz und Faizabad. Das ist offensichtlich ein Werturteil. – CDU-Kollege Börnsen warf ISAF und der Bundeswehr eine Begünstigung des Drogenanbaus und -handels in Afghanistan vor und forderte den Abzug von ISAF insgesamt.

Demgegenüber betone ich sehr deutlich: Der Kosovo- wie auch der Afghanistaneinsatz der Bundeswehr sind in hohem, ja in höchstem Sicherheitsinteresse der internationalen Gemeinschaft, Europas und der Bundesrepublik.

Auch die Niederlage der internationalen Gemeinschaft vom März in Kosovo schmälert in keiner Weise die jahrelangen Leistungen der dort eingesetzten Soldaten, Polizisten und Zivilexperten. Sie haben zumindest ein Mindestmaß an Stabilität gewährleistet.

Schließlich bleibt auch die Philosophie der gegenwärtigen Friedenseinsätze richtig – trotz aller Defizite, die es gegeben hat –: ihr Ziel der Gewalteindämmung, der Stabilisierung und des Nation Building, ihre Legitimität und Glaubwürdigkeit durch UN-Mandat und völkerrechtskonformes und verhältnismäßiges Auftreten, ihre Multinationalität und ihre Multidimensionalität, also das Zusammenwirken von militärischen, polizeilichen und zivilen Säulen. Es geht nach dem März in keiner Weise darum, dass in Zukunft von der Bundeswehr schneller geschossen wird.

Ausdrücklich zu begrüßen ist, wie schnell Bundeswehr und NATO Konsequenzen aus den März-Unruhen gezogen haben. Zugleich wird deutlich, dass die Transformation der Bundeswehr notwendiger denn je ist: Die eine Seite ist die neue Differenzierung der Streitkräfte, der Aufbau von Aufklärungs- und Führungsfähigkeit, von Mobilität über große Distanz, die entsprechende Umrüstung. Die andere Seite – über diese wird viel zu wenig gesprochen – ist, dass sich mit dem veränderten Auftrag die Dienst- und Einsatzmotivation und das Fähigkeitsprofil der Soldaten grundlegend gewandelt haben. Gefordert ist technische und soziale Kompetenz. Gefordert sind die Bereitschaft und die Fähigkeit, gegebenenfalls zu schießen, zum militärischen Kampf, zugleich aber die Fähigkeit zur Kommunikation, zur Kooperation, interkulturelle Kompetenz – und das nicht nur beim höheren Führungspersonal mit Silber oder Gold auf den Schulterklappen, sondern auch bei den Unteroffizieren, beim Unterführerkorps. Diese Anforderung ist enorm gewachsen. Es wird heutzutage eine Breite an Verhaltenssicherheit gefordert, und zwar auch von den einfachen Soldaten, wie man sich dies früher nicht vorstellen konnte.

Grundlegend verschoben hat sich auch der Kern der Einsatzmotivation: weg von der Abwehr existenzieller sichtbarer Bedrohungen, hin zum Einsatz gegen diffuse Risiken für abstraktere Werte und Sicherheitsinteressen.
(...)
Der Auftragswandel der letzten Jahre ging mit einem schleichenden Ausstieg aus der Wehrpflicht einher. Die zentrale Begründung und Legitimation der Wehrpflicht, nämlich Instrument der Massenmobilisierung, der Massenrekrutierung angesichts einer potenziell existenziellen Bedrohung zu sein, ist inzwischen hinfällig geworden. Um Sicherheit der Bundesrepublik und der Partner zu gewährleisten, ist sie nicht mehr zwingend notwendig. Damit aber ist auch der massive Grundrechtseingriff, der mit der Wehrpflicht einhergeht, nicht mehr zu rechtfertigen.

Wehrpflicht muss, so das Bundesverfassungsgericht, gleich belastende Pflicht sein. Davon kann immer weniger die Rede sein, wenn überhaupt nur noch ein Drittel eines Jahrgangs – Tendenz fallend – den Wehrdienst leistet.

Deshalb treten die Grünen und erfreulicherweise inzwischen also auch die FDP für den Ausstieg aus der Wehrpflicht und für den verantwortungsvollen Umbau in Richtung Freiwilligenarmee ein.

Es ist bekannt und auch ganz normal, dass in dieser Frage Dissens in der Koalition besteht, und zwar eben nicht einfach nur zwischen Grünen und SPD, sondern zum Teil auch innerhalb der Fraktionen. Das ist, wie gesagt, etwas ganz Normales. Wir haben uns in der Koalition eindeutig darauf verständigt, diesen Dissens gemeinsam anzugehen. Wir haben vereinbart, die Überprüfung der Wehrform vor Ende der Legislaturperiode vorzunehmen. Wir halten uns an diesen gemeinsamen Fahrplan. Deshalb können wir heute dem FDP-Antrag zur Aussetzung der Wehrpflicht nicht zustimmen, auch wenn wir die Position teilen.

Aber ich sage Ihnen: Viel wichtiger als ein Abstimmungsbekenntnis ist das, wofür wir arbeiten. Da bleibt das Engagement der Bündnisgrünen für die Überwindung der Wehrpflicht unzweifelhaft, beständig und sicherlich für manche in der Koalition auch nervig; aber das nehmen wir alle bestimmt in Kauf. (...)

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):

(...) Nach Überzeugung der Bundestagsfraktion der FDP war die Wehrpflicht in diesem Abschnitt der Geschichte gesellschaftspolitisch überlegen; sie war auch sicherheitspolitisch geboten. Heute aber, nach dem Ende der alten bipolaren Welt, ist sie keine überzeugende Antwort mehr.

Denjenigen, die sie weiter vertreten, müssen wir einige Fragen stellen: Wie begründen Sie die unglaubliche Ressourcenbindung in der Bundeswehr? 10 000 Ausbilder bilden 30 000 Wehrpflichtige in neun Monaten aus, die wir in den Einsätzen, die immer wichtiger geworden sind, gar nicht einsetzen können. Dieses Ressourcenpotenzial behindert eindeutig die Modernisierung der Bundeswehr.

Wer die Wehrpflicht beibehalten will, muss dazu eine Budgetantwort geben. Wenn sie nicht gegeben wird, kann man die Wehrpflicht nicht mehr begründen.
(...)
Wahr ist – jeder kann große Zeugen der Zeit anführen –, dass Wehrpflicht mit Wehrgerechtigkeit verbunden sein muss. Darüber kann es keinen Zweifel geben.

Helmut Schmidt hat sie als „zwei Seiten einer Medaille“ bezeichnet. Der frühere Bundespräsident Roman Herzog hat in einer auch für Nichtjuristen verständlichen Sprache ein verfassungspolitisches Gebot benannt, nach dem gegenüber jeder Generation bei Einschätzung der sicherheitspolitischen Lage die Wehrpflicht eigentlich neu begründet werden muss. Sie kann nicht beibehalten werden, nur weil sie da ist und einmal beschlossen worden war; jede Generation hat Anspruch darauf, dass sie ihr gegenüber unter dem Gesichtspunkt der Wehrgerechtigkeit neu begründet wird.

Wenn heute nur noch weniger als 40 Prozent der Wehrpflicht und dem Zivildienst nachkommen und zugleich 40 Prozent der jungen Generation – auch diejenigen, die wehrdiensttauglich sind – nicht mehr zum Pflichtdienst herangezogen werden, wie will man nur aus der gesellschaftspolitischen Überzeugung heraus, man sei für die Wehrpflicht, dem Teil der jungen Generation, der eingezogen wird, begründen, dass ein anderer Teil nicht eingezogen wird? Gerecht ist dies nicht.
(...)
Wir haben eine 300 000 Mann starke Armee, die haushaltsmäßig schwach finanziert ist und angesichts der neuen internationalen Gegebenheiten und der weltpolitischen Unebenheiten an ihre Grenzen stößt. Die Armee ist vom Budget her nicht in ausreichendem Maße modernisierungsbereit. In dieser Gestalt der Wehrstruktur vergeuden wir ohne Ende Ressourcen. Natürlich sind die Soldatinnen und Soldaten, die wir in internationale Einsätze schicken, leistungsfähig. Sie geben eine eminent gute Visitenkarte für die Bundesrepublik Deutschland ab. Aber dabei kann es bei der Bewertung, mit welcher Wehrstruktur wir in die Zukunft gehen, nicht bleiben. Viele Beobachter sagen, in Deutschland müsse alles immer bis zur Neige durchlebt werden, bevor hier Entscheidungen fallen. In Kenntnis dieser Sachlagen wäre es nun an der Zeit, die Wehrpflicht auszusetzen. (...)
(...)
Unser Antrag auf Aussetzung der Wehrpflicht ist nach unserer Auffassung bei der gegenwärtigen Sicherheitslage geboten; er ist wegen des Gesichtspunkts der Wehrgerechtigkeit verfassungspolitisch geradezu zwingend. Wir können jetzt das machen, wozu die Politik ja immer aufgefordert wird, nämlich nach vorn zu blicken und zu sagen, wie wir in den nächsten Jahren hinsichtlich der Strukturreform vorangehen wollen. Heute ist der Zeitpunkt, zu dem wir dieses Signal geben sollten. Wir beantragen deshalb, die Wehrpflicht auszusetzen. (...)

Dr. Peter Struck, Bundesminister der Verteidigung:

(...) Zunächst zu dem Thema Kosovo. Herr Kollege Lamers hat das angesprochen. Dass es bei dem Einsatz der Soldatinnen und Soldaten des KFOR-Kontingents – das KFOR-Kontingent besteht aus 17 000 Soldatinnen und Soldaten, nicht nur aus den 3 000 Bundeswehrangehörigen Kommunikationsprobleme mit der UNMIK, der Polizei der Vereinten Nationen, mit dem Kosovo Police Service, der eigenen kosovoalbanischen Einrichtung, gegeben hat, das ist unbestritten. Dass wir daraus Konsequenzen gezogen haben, ist ebenfalls unbestritten. Wir sagen dazu: Lessons learnt. Das gilt für die NATO-Ebene und für die bundesdeutsche Ebene. Dass es manchen Soldatinnen und Soldaten nicht im Bewusstsein war, dass ein Haus, das nicht von uns überwacht wurde, das so genannte Priesterseminar – das war eigentlich ein leer stehendes altes Gebäude, in dem sich teilweise auch Obdachlose aufgehalten haben –, mit zu unserem Kontrollbereich gehörte, das ist ein Fehler, der passiert ist und den wir aufklären werden. Ich persönlich mache aber keinem einzigen unserer Soldatinnen und Soldaten vor Ort den Vorwurf, dass er bewusst etwas falsch gemacht hat. Ich stelle mich vor die Soldatinnen und Soldaten und sage: Sie haben bei diesen Unruhen am 17. März Menschenleben gerettet. Das muss man hier doch einmal betonen.

Wir werden das im Verteidigungsausschuss ordentlich bereden; die Unterlagen dazu haben wir vorgelegt. Wir haben intern eigene Unterlagen zusammenstellen lassen, die die Grundlage für die Antworten auf die Fragen der Kollegen insbesondere der Opposition bildeten. Man muss im Verteidigungsausschuss beraten, wie man weiter damit umgeht. Ich habe gar keinen Zweifel daran, dass auch der Verteidigungsausschuss zu dem Ergebnis kommen wird: Die Konsequenzen, die gezogen worden sind, sind die richtigen. Wenn man zusätzlich noch etwas machen muss, dann machen wir es halt. Darauf haben die Soldatinnen und Soldaten auch und gerade im Kosovo einen Anspruch.

Ferner müssen wir auch über das Thema des Statuts des Kosovo reden. Das haben wir hier schon mehrfach angesprochen, Herr Kollege Stinner.

Ich will betonen, dass ich da keinen Gegensatz zwischen mir und dem Außenminister sehe. Die Fragen von Status und Standard müssen zusammen behandelt werden; denn ich frage mich: Wie lange sollen unsere Soldaten zum Beispiel noch im Dorf Novake Häuser aufbauen und die Menschen bewachen, die sich nicht trauen, das Dorf zu verlassen? Wir kennen dieses Thema; aber wir müssen es unter außenpolitischer Perspektive gemeinsam mit dem Außenministerium intensiv beraten.

Ich will ganz kurz etwas zu Afghanistan sagen, weil ich mich über Interviews, die Sie, Herr Kollege Gerhardt, gegeben haben, geärgert habe.

In diesen Interviews haben Sie über Faizabad und Kunduz gesprochen, obwohl Sie noch nie dort waren. Wir haben Ihnen, Herr Gerhardt, angeboten, diese Orte mit uns gemeinsam zu besuchen.

Würden Sie nach Kunduz fahren und mit den Menschen in Afghanistan reden, würden Sie sehen, dass es richtig ist, sich dort einzusetzen. Sehen Sie sich die Situation vor Ort doch gefälligst einmal an!

Sie müssen nur einmal mit den kleinen Kindern oder ihren Lehrerinnen reden, die zur Schule gehen können, weil wir sie aufgebaut haben und schützen.

Ich halte es für falsch, einfach zu sagen: Dieses Mandat bringt nichts; brechen wir unseren Einsatz also ab.

Am kommenden Wochenende werden wir Faizabad erneut besuchen. Auch ein Kollege von der FDP, Herr Leibrecht, fährt mit. Ich hoffe, dass es Ihnen, Herr Kollege, danach gelingt, in Ihrer Fraktion mehr Sensibilität für dieses Thema zu schaffen.

Was Afghanistan angeht, muss ich sagen: Die Mission in Faizabad ist auch von der Union infrage gestellt worden.

Ich bin sehr dankbar für die Aussage des Kollegen Schäuble, der in einem Interview gesagt hat, dass die Union dieses Mandat natürlich unterstützt. Was ich auch beklage, ist, dass die Beteiligung noch nicht so groß ist wie auf verschiedenen NATO-Gipfeln, zum Beispiel in Istanbul, vereinbart.

Aber das heißt doch nicht, dass wir, weil sich die anderen nicht beteiligen, wieder nach Hause gehen sollten. So kann man doch nicht arbeiten.

Das Wiederaufbauteam – wir nennen es PRT – in Faizabad ist erforderlich. Dort arbeiten zehn bis zwölf NGOs, also Hilfsorganisationen aus dem privaten Bereich, deren Verantwortliche sich darüber freuen, dass wir dort sind. Wir werden uns ansehen, was dort gemacht wird. Darüber hinaus ist es gelungen – das will ich auch noch sagen –, durchzusetzen, dass aus dem Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung entsprechende Projekte in Faizabad finanziert werden. Dabei handelt es sich um ähnliche Projekte, wie wir sie auch in Kunduz durchgeführt haben. Deshalb rate ich dringend dazu, sich die Situation vor Ort anzusehen und unseren Einsatz nicht infrage zu stellen. Denn auch andere NATO-Staaten werden noch zusätzliche PRTs in Afghanistan installieren.

Die Niederlande sind in Pol-e-Khomri – das ist in der Provinz Baghlan, also in unserer Nähe – vertreten.

Die Neuseeländer sind ebenso anwesend. Die Briten und wir sind mit jeweils zwei PRTs vertreten. Außerdem sind die Amerikaner dort, allerdings im Rahmen einer anderen Konstruktion.
(...)
Das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland ist durch die Arbeit der Bundeswehr in Afghanistan uneingeschränkt hoch. Man kann nicht hoch genug einschätzen, wie angesehen wir dort durch die Arbeit unserer Soldaten sind.

Ich möchte noch auf einen Punkt eingehen, den Kollege Lamers in seiner Rede angesprochen hat: Er hat mehr Geld für die Bundeswehr gefordert.

Ich wäre froh, wenn ich mehr Geld für die Bundeswehr zur Verfügung hätte. Aber Sie müssen auch einmal an die Aussagen des ehemaligen Kanzlerkandidaten der CDU/CSU, Herrn Stoiber, denken. Sie dürfen nicht so tun, als gebe es ihn nicht. Denn er wollte den Bundeshaushalt um 5 Prozent kürzen. Das würde für meinen Etat eine Kürzung um 1,2 Milliarden Euro bedeuten. So kann man nicht arbeiten. Man kann nicht auf der einen Seite mehr Geld für die Bundeswehr und auf der anderen Seite Kürzungen des Haushalts fordern.
(...)
Unser Haushalt hat ein Volumen von 24 Milliarden Euro. Wenn ich unterwegs bin, sagen mir viele Soldatinnen und Soldaten: Herr Minister, ich kann Ihnen sagen, wo wir noch Geld sparen können. – Das geht Ihnen sicher auch so, wenn Sie mit Bundeswehrangehörigen sprechen. Jeder sagt: Da können wir noch sparen. Wir müssen unsere Bundeswehr tatsächlich umstellen. Wozu brauchen wir 4 000 Leopard-Panzer noch? Die kosten Geld, auch wenn sie nur in den Depots stehen. Wozu brauchen wir so viele Flugzeuge? Wir haben 80 Tornados außer Dienst gestellt; im Rahmen der Auflösung eines Marineflieger-Geschwaders. Die neuen Aufgaben, die wir haben, sind doch gar nicht strittig. Ich bin froh, dass die Union wenigstens teilweise bereit ist, den Weg der Transformation, der Reform der Bundeswehr weiter mitzugehen.

Worüber wir uns nur „streiten“, ist die Frage: Sorgen wir für genügend Heimatschutz oder nicht? Nach der Konzeption, die wir vorgelegt haben – es gibt Eingreifkräfte, es gibt Stabilisierungskräfte und es gibt Unterstützungskräfte –, stand niemals infrage, dass die rund 145 000 Unterstützungskräfte auch für den Heimatschutz zur Verfügung stehen werden. Wer wäre ich denn, wenn ich sagen würde: Wenn wir angegriffen werden, gibt es keine Verteidigung für unsere Heimat? – Es ist doch absurd, anzunehmen, wir würden unser Land nicht verteidigen wollen. Der Streit ist also nur theoretischer Natur.

Praktisch auswirken könnte sich dieser Streit allerdings, wenn die Union ihr Konzept jetzt durchsetzen könnte – wenn sie die Mehrheit dazu hätte –, sämtliche Standorte aufrechtzuerhalten; ich habe das in ihren Anträgen gesehen. Ich weiß ja, dass jeder Abgeordnete sich Sorgen um die Bundeswehrstandorte in seinem Wahlkreis macht. Aber wenn wir – das ist nun einmal so – 110 Standorte zu viel haben, weil wir die Bundeswehr verkleinern, müssen eben Standorte geschlossen werden; es geht doch gar nicht anders. Es sei denn, wir bekommen mehr Geld, um Standorte aus strukturellen Gründen aufrechtzuerhalten; das ist aber nicht meine Aufgabe.
(...)
Ich will jetzt noch einmal zu den internationalen Verpflichtungen kommen: Zu der schnellen Eingreiftruppe der NATO, der NATO Response Force, haben wir Anmeldungen vorgenommen. Im Jahre 2005, also im nächsten Jahr, werden auch die ersten Heereseinheiten dabei sein. Unsere diesbezüglichen internationalen Verpflichtungen können wir auch einhalten. Dann gibt es die Eingreiftruppe der Europäischen Union. Auch dafür sind die Einheiten benannt und vorbereitet. Was wir jetzt am vergangenen Wochenende in Nordwijk beschlossen haben, sind die so genannten EU-Battlegroups – darüber werden wir sicherlich im Verteidigungsausschuss noch ausführlich diskutieren –, sozusagen die schnelle Eingreiftruppe in kleinerer Zusammensetzung verschiedener NATO-Staaten. Wir bilden mit den Holländern eine Battlegroup – dazu habe ich mich vertraglich verpflichtet – und mit den Franzosen, die deutsch-französische Brigade. Andere Staaten tun das auch. Die Konzeption ist also folgende: Wenn ein Konflikt in Europa oder außerhalb von Europa auftritt, dann wollen wir schnell eine solche Battlegroup einsetzen. Deutschland wird dazu seinen Beitrag leisten und wir können diesen Beitrag auch leisten.
(...)
Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, was bedeutet, dass das gesamte Parlament auch die Verantwortung für die Bundeswehr hat, wenn sie in einer schwierigen Situation ist. Wir sind in Afghanistan – in Faizabad, in Kunduz, in Kabul – in schwierigen Situationen, weil dort Wahlen bevorstehen. Am 9. Oktober wird der Präsident gewählt; erster Wahlgang, es gibt 18 Bewerber. Man muss mit Sicherheit davon ausgehen, dass es noch einen zweiten Wahlgang geben wird, wahrscheinlich im Dezember. Das bedeutet, die Gefahr von Anschlägen durch Taliban wird noch lange Zeit permanent vorhanden sein. Wir haben unsere Soldaten so ausgestattet, dass sie das haben, was sie brauchen; das sage ich auch in Bezug auf Faizabad und Kunduz. In Faizabad, wo zurzeit nur 120 Soldaten stationiert sind, ist es auch nicht so einfach. Auch da müssen wir sie schützen und sehen, welches Gerät benötigt wird. Deshalb fahren wir ja jetzt auch hin.

Sie werden im Kosovo bleiben. Sie müssen aber auch mit dafür sorgen, dass die Albaner ihre politische Verantwortung wahrnehmen – auch dort wird es im Oktober Wahlen geben –, um das zu erfüllen, wozu sie sich in Dayton verpflichtet haben und was dort vereinbart wurde. (...)

Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): (...) Herr Verteidigungsminister, was den Kosovo angeht, so bin ich nicht der Meinung, dass der Außenminister und Sie beim Thema „Standards vor Status“ die gleiche Zielsetzung verfolgen. Das hört sich bei Ihnen beiden nicht gleich an. Ich habe eher den Eindruck, bei Ihnen ist es so wie seinerzeit beim Kaufhaussortiment des Moskauer Kaufhauses GUM: „Gemeinschaft Unabhängiger Minister“, der eine sagt dies, der andere das. Das und nicht irgendeine Kritik an der Ausübung ihres Dienstes beschwert die Soldaten.

Es bedarf eines Weißbuches, in dem verbindlich festgeschrieben wird, wozu die Bundeswehr dienen soll. Dann erst können sich Opposition und Regierung auseinander setzen. Das wird sicherlich streitig sein, aber gegenwärtig weiß ich gar nicht so recht, mit wem in der Regierung ich mich eigentlich auseinander setzen soll, weil ich für jede Meinung einen Vertreter finde. Hier ist der Bundeskanzler gefragt.
(...)
Geändert hat sich bei der Frage, wo unsere Sicherheit verteidigt werden muss, die Tatsache, dass die Sicherheit unseres Landes nicht mehr an den Landesgrenzen verteidigt werden muss, sondern dass Gefahren wie der Terror auch anderswo in der Welt bekämpft werden müssen. Geblieben sind aber die Gefahren bei uns zu Hause, weil Terrorgruppen oder bewaffnete Insurgenten auch hier zuschlagen können. Verteidigung dagegen ist schwer, aber nicht unmöglich. Eine schnelle, flexible Reaktion einerseits und eine landesweit vernetzte Sicherheitsstruktur andererseits müssen gestaltet werden.

Sicherheit im eigenen Lande kommt nicht von selbst, darum muss man sich kümmern. Es ist deswegen falsch, die Strukturen der bisherigen Territorialverteidigung auf das Niveau von Feierabendtreffs zu reduzieren. Die Verteidigungsbezirkskommandos darf man nicht komplett abschaffen, wenn man Vorsorge für zivil-militärische Zusammenarbeit bei Großschadenslagen und Bedrohungen von außen treffen will.

Gerade hier hat sich das Regionalprinzip bewährt. Man müsste diese Kommandos vielmehr zu Regionalbasen Heimatverteidigung ausbauen und darf sie nicht auf eine bloße Funktion für hierfür nicht ausgerüstete oder ausgebildete Restposten derer, die gerade zu Hause sind, reduzieren.

Dass Sie, Herr Verteidigungsminister, hier einen Schnitt machen, indem Sie das Messer am gesunden Körper ansetzen, ist falsch. Es kann nur mit dem Versuch, auf Kosten der Auftragserfüllung zu sparen, erklärt werden, dass eine der eigentlich zukunftsträchtigen Strukturen der Bundeswehr zerstört wird. Zudem werden dann noch die Reservisten als Landsturm der Vergangenheit karikiert, obwohl wir sie als flexible Aufwuchskräfte für solche Aufgaben brauchen.
(...)
Für Auslandseinsätze sind freiwillig länger dienende Wehrpflichtige ein wichtiges Element. Allein damit wird man aber die Wehrpflicht nicht begründen können. Es bedarf einer klaren Zuordnung von Aufgaben in einer gemischten Armee von Berufs- und Zeitsoldaten einerseits und Wehrpflichtigen mit beruflicher Erfahrung und Kenntnissen andererseits. Das relativiert allerdings, Kollege Gerhardt, Ihren Hinweis auf die Ausbildungsnotwendigkeit. Auch der spätere Berufssoldat kommt als Unausgebildeter zur Bundeswehr und bedarf der Ausbildung und Betreuung. Wir haben bereits jetzt ein gemischtes System von Berufs- und Zeitsoldaten sowie Wehrpflichtigen. Wir können schließlich nicht eine eigene Teilstreitkraft Wehrpflichtige bilden. Das wäre in der Tat das Ende der Legitimation der Bundeswehr.
(...)
Transformation ist ein schöner Begriff. Reform sagt man nicht mehr, weil Transformation so schön klingt, dass jeder den Begriff in den Mund nimmt, obwohl keiner weiß, was damit gemeint ist. Der Verteidigungsminister hat Standortschließungen angesprochen, die wir hier nicht im Einzelnen diskutieren. Es ist in der Tat so, dass das Heimatschutzkonzept, das wir vorgelegt haben, den Erhalt einiger Standorte bedeuten könnte.

Wenn wir am 1. oder 2. November die entsprechenden Informationen bekommen, dann müssen wir über dieses Thema noch einmal ins Gespräch kommen. Ich bin nicht derjenige, der sich hier hinstellt und sagt: Jeder Standort kann die nächsten 100 Jahre so bleiben, wie er ist. – Seit 1990 haben sich einige Veränderungen ergeben. Wo aber strukturell Möglichkeiten zum Erhalt bestehen, müssen wir über dieses Thema reden. Wir sind der Meinung, es gibt gute Gründe, gerade auch wegen der Differenzierung der Truppe, die auch mit der Wehrpflicht zusammenhängt, Standorte zu erhalten oder umzuwidmen.

Man kann sagen: Wenn schon zu Hause bei der Bundeswehr General Mangel und Oberst Fehl das Kommando führen, dann könnte das wenigstens bei den vielen Auslandseinsätzen der Bundeswehr anders sein. Die Vorkommnisse im Kosovo belehren uns leider eines Besseren.

Die Informationen, die wir gestern erhalten haben, zeigen – soweit wir sie bisher auswerten konnten – kein überzeugendes Bild von Führung, Ausrüstung und Krisenbeherrschung. Das geht nicht gegen die Hauptfeldwebel, die hervorragende Leistungen erbracht haben; es geht vielmehr gegen die politische Führungsebene. Darüber muss geredet werden. (...)

Marianne Tritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

(...) In den letzten Jahren haben wir es in der Sicherheitspolitik mit völlig neuen Herausforderungen zu tun gehabt. Mit dem Zerfall der Sowjetunion, der Erweiterung der Europäischen Union und der NATO konnte und kann niemand mehr eine existentielle Bedrohung unseres Landes erkennen. Niemand glaubt ernsthaft, dass wir in naher oder ferner Zukunft einen Angriff mit konventionellen Streitkräften auf deutschem Territorium zu erwarten haben.

Wer die Bundesrepublik Deutschland angreifen will, wird sich dafür die weichen Ziele der Zivilgesellschaft suchen und dafür andere Mittel wählen als eine Panzerdivision. Die Bedrohung ist subtiler und perfider geworden. Sie ist weniger fassbar. Sie richtet sich gegen die Menschen in unserem Land, unsere Interessen, unsere Werte und Normen. Sie gefährdet unsere offene Zivilgesellschaft und die unserer Bündnispartner. Unsere Informationsgesellschaft in ihrer Komplexität und mit ihren vielen Abhängigkeiten benötigt eine andere Art von Sicherheit und Verteidigung, als wir es bisher kannten.

Das ist eine der Lehren, die wir aus dem 11. September ziehen mussten. Eine andere ist, dass wir Krisen, Konflikten und Verteilungskämpfen möglichst im Ursprungsland begegnen müssen, wenn wir sie frühzeitig eindämmen wollen.

Wir haben mittlerweile einen erweiterten Sicherheitsbegriff formuliert, der sich mit internationalen Konflikten, asymmetrischen Bedrohungen und dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus auf verschiedenen Ebenen auseinander setzt. Wir setzen dabei auf einen ganzheitlichen Ansatz, auf wirtschaftliche, politische, entwicklungspolitische, finanzielle und humanitäre Maßnahmen, um derartige Bedrohungen abzuwehren.

Unsere Stärken, die Stärken der Bundesrepublik Deutschland, liegen eindeutig im Bereich der Konfliktlösung. Dementsprechend werden Krisenbewältigung und Konfliktvorsorge bis hin zu Frieden schaffenden Maßnahmen mehr denn je auch zentrale Aufgaben der Bundeswehr sein. Auf diesen Gebieten engagiert sich die Bundeswehr bereits jetzt auf vielfältige Weise.

Unsere internationalen Verpflichtungen, die wir zu erfüllen haben, und die Verantwortung, die wir eingegangen sind, haben dazu geführt, dass Anzahl, Intensität, Umfang und Dauer der Einsätze der Bundeswehr stetig zugenommen haben.

Das war und ist mit der Bundeswehr alten Zuschnitts nicht mehr zu machen. Deshalb begrüßt meine Fraktion ausdrücklich den Transformationsprozess der Bundeswehr.

Mit der Aufteilung in drei Kategorien kann die Bundeswehr die anstehenden Aufgaben besser bewältigen. Sie wird damit den neuen Herausforderungen angepasst. (...)

Was wir nicht wollen – das unterscheidet uns von der Opposition –, sind Einsätze der Bundeswehr im Innern. Beim Katastrophenschutz ist eine weit gehende Kooperation mit der Bundeswehr bereits jetzt möglich. Für alle anderen Fälle haben wir die Polizei und den Bundesgrenzschutz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU – ich spreche insbesondere Sie, Herr Schmidt, an –, wenn Sie ständig den Einsatz der Bundeswehr zur Territorialverteidigung fordern, dann müssen Sie auch einmal sagen, wie das gehen soll. Wie, glauben Sie, kann uns die Bundeswehr schützen, wenn die weichen Ziele der Zivilgesellschaft bedroht sind? Es ist doch zweifelhaft, ob zum Beispiel ein Giftgasanschlag wie in der U-Bahn von Tokio oder die Geiselnahme von Kindern in einer Schule durch das Aufmarschieren einer Armee zu verhindern gewesen wären. Herr Schmidt, die Idee, 19-jährige Wehrpflichtige im Rahmen von Heimatschutz zur Terrorismusbekämpfung einzusetzen, lässt mir eher das Blut in den Adern gefrieren. Das ist wirklich eine gruselige Vorstellung.

Dazu bedarf es anderer Instrumente, über die wir einmal an anderer Stelle konstruktiv reden müssen.
(...)
Ich hoffe sehr, dass Sie demnächst der Mandatsverlängerung für Afghanistan zustimmen werden. Alles andere würde nämlich die Vorbereitung und die Unterstützung der Präsidentschafts- und der Parlamentswahlen unmöglich machen und alles, was die Bundeswehr und die zahlreichen Hilfsorganisationen bisher in Afghanistan geleistet haben, infrage stellen. Ich möchte Sie dann einmal sehen, wie Sie das vor diesen, vor Präsident Karzai und vor der internationalen Staatengemeinschaft rechtfertigen würden.

Ein bisschen mehr Sensibilität in bestimmten Fragen stünde Ihnen gut zu Gesicht. Die Art und Weise, wie Sie politische Konflikte auf dem Rücken der Soldaten austragen wollen, ist nicht in Ordnung. Ich finde es richtig, wenn man im Zusammenhang mit den Kosovo-Unruhen im März dieses Jahres auf einer lückenlosen Aufklärung der Ereignisse besteht. Dann muss man auch anerkennen, wenn der Minister und die Bundeswehr dem nachkommen. Dann aber, wenn die Aufklärung erfolgt ist und die Verantwortlichen selbst die Mängel benannt haben, einen Untersuchungsausschuss zu fordern ist schon ziemlich dreist. (...)

Günther Friedrich Nolting (FDP):

(...) Was ist eigentlich von dem ehrgeizigen Anspruch aus dem Jahre 1998 geblieben, die größte Reform in der Geschichte der Bundeswehr einzuleiten? Nicht viel! Seit sechs Jahren regiert Rot-Grün. Was ist passiert? Seit sechs Jahren doktern Sie an der Bundeswehr herum. Ich sage Ihnen: Rot-Grün bringt nicht einmal einen Strukturentwurf für die Streitkräfte zustande, der dieses Jahrzehnt überlebt. Ich bedauere alle Angehörigen der Bundeswehr in Uniform wie in Zivil: Sie wissen über Jahre nicht, ob ihr Arbeitsplatz sicher ist oder ob ihr Wohnort beibehalten werden kann. Ihnen ist jede Planungssicherheit seit 1998, seitdem Rot-Grün an der Regierung ist, abhanden gekommen.

Natürlich muss die Bundeswehr reformiert werden. Ihre Struktur und ihr Umfang entsprachen in keiner Beziehung mehr den Erfordernissen der neuen Zeit. Die FDP-Bundestagsfraktion hat als einzige Fraktion bereits vor Jahren ein eigenes Konzept vorgelegt. Vieles davon finden Sie im Bericht der Weizsäcker-Kommission wieder. Wenn der damalige Verteidigungsminister diesen Vorschlägen doch nur gefolgt wäre, dann hätte er der Bundeswehr etliche Irritationen erspart und dann wäre die neue Struktur jetzt weitgehend Realität.

Herr Minister, Ihre Verteidigungspolitischen Richtlinien gehen in die richtige Richtung. Wir unterstützen viele Aussagen. Aber wir erwarten, dass endlich ein Weißbuch vorgelegt wird. Das letzte Weißbuch gab es 1994. Seit dem Jahr 2000 versprechen Sie uns solch ein Weißbuch. Wir wollen wissen, wie die gesamte Bundesregierung die sicherheitspolitische, die verteidigungspolitische Lage einschätzt und welche Konsequenzen die gesamte Bundesregierung – nicht nur der Verteidigungsminister – daraus zieht. (...)
(...)
Herr Minister, Sie haben das Thema Afghanistan angesprochen. Eine Vielzahl der Kollegen aus der FDP-Bundestagsfraktion ist vor Ort in Afghanistan gewesen. Auch insofern haben wir keinen Nachholbedarf. Was hat sich in den letzten zwölf Monaten in Kunduz, in Faizabad verändert? Es gibt immer noch kein mit den Partnern abgestimmtes Gesamtkonzept für die Region.

Ich darf an Folgendes erinnern – damit komme ich zum Schluss, Frau Präsidentin –: Es war General Riechmann, der letztes Jahr mit einem Vorauskommando vor Ort war und nach seiner Rückkehr gesagt hat: Ich brauche für ein PRT mindestens 230 Soldatinnen und Soldaten. – Jetzt sind in Faizabad keine 100. Wie sieht es da eigentlich mit dem Selbstschutz aus?

Auch dafür tragen wir eine Verantwortung. Dass wir ihr nachkommen, kann ich leider nicht erkennen. Wir haben auch für den Schutz unserer Soldaten zu sorgen.

Was den Kosovo angeht, so gibt es keine Vorwürfe gegenüber den Soldaten vor Ort, überhaupt nicht. Frau Kollegin Tritz, die Soldaten leisten gute Arbeit vor Ort, aber ich mache der rot-grünen Bundesregierung Vorwürfe, weil sie ihrer Informationspflicht nur mangelhaft nachkommt. Das haben wir gerade in den letzten Tagen wieder erlebt. Wenn es nicht Druck aus der Opposition gegeben hätte, hätten wir bis heute nicht die Informationen, die wir benötigen. (...)

Rainer Arnold (SPD):

(...) Die Sicherheitslage in Europa hat sich verändert. Wir haben einen euroatlantischen Stabilitätsraum und erkennen, dass wir gleichzeitig mit neuen, nicht so genau definierbaren Risiken fertig werden müssen, also andere Antworten brauchen. Herr Schmidt, bei Ihrer Rede habe ich den Eindruck gewonnen: Sie erkennen in der Analyse zwar die Veränderungen richtig, aber an den Antworten, die Sie geben, zum Beispiel zur Heimatschutzkomponente – Standorte sollen nur wegen dieser Komponente weitergeführt werden –, merken wir, dass Sie in der Union diesen Wandel mental gar nicht wirklich vollzogen haben.

Um es klar zu sagen, Herr Lamers: Die Soldatinnen und Soldaten gestalten diese Reform nicht auf dem Papier, sondern sie sind in ihrer täglichen Praxis mitten in dem Wandel. Die Reform ist Realität. Wir sind in der Umsetzung. Die Soldatinnen und Soldaten sind in den Köpfen viel, viel weiter als die Politik auf Ihrer Seite.
(...)
Zunächst einmal übersehen Sie, dass die Konzeption der PRTs nicht auf nationaler deutscher Vorliebe beruht, sondern die Staatengemeinschaft insgesamt diesen Weg gewählt hat. Natürlich beruht dieses Vorgehen auf einem Kompromiss zwischen den beiden Polen, entweder 70 000 bis 80 000 Mann nach Afghanistan zu schicken. Ich sehe niemanden, der das will bzw. leisten kann – oder allein den Weg über Nation-Building zu wählen und ganz herauszugehen. Dieses fordert ja die FDP. Das ist aber unverantwortbar gegenüber den Menschen in Afghanistan.

Deshalb stellt das jetzige Vorgehen einen Kompromiss dar, für den sich die NATO mit unserer Unterstützung entschieden hat.
(...)
Wenn ein PRT auch Frieden schaffende Maßnahmen in einer Großstadt durchsetzen soll, dann braucht man viele Hundert Soldaten. Dies soll es aber nicht. Wenn ein PRT einzelne Objekte und Menschen in der Stadt schützen, kommunikativ Staatsgewalt aus Kabul auch in die Regionen tragen, Menschen zusammenbringen und mit den Akteuren reden und verhandeln soll, zugleich dabei aber ein Gewehr im Hintergrund hat, damit man in dieser Gesellschaft als Verhandlungspartner respektiert wird, wenn das die Aufgabe des PRT ist – und das ist sie –, dann ist die Größe, die wir gewählt haben, angemessen. Wir machen dabei manchmal den Fehler, dass wir von den Soldaten dann, wenn etwas schief läuft, plötzlich verlangen, dass sie Aufgaben erfüllen sollen, für die wir gar kein Mandat erteilt haben. So sollte man mit den Soldaten nicht umgehen, sondern die Aktionen präzise an der vorliegenden Aufgabenbeschreibung messen.

Die Bundeswehr – das hat sich an dem PRT gezeigt – wird dieser Aufgabenstellung längst gerecht. Ich will gar nicht drum herumreden: Die Ausschreitungen im Kosovo haben gezeigt, dass Fehler gemacht wurden. Es ist notwendig, die nationalen und internationalen Kommunikationsketten zu überprüfen. Es wurden strukturell falsche Einschätzungen vorgenommen. Die Schwachstellen wurden nicht richtig erkannt, insbesondere nicht in ihrer politischen Brisanz. Das alles liegt auf dem Tisch. Jetzt kommt aber der entscheidende Punkt: Sie tun so, als ob es, um dies zu erkennen, der Medienberichte im August bedurft hätte. Das ist falsch. Der dicke Ordner, den der Verteidigungsminister gestern den Obleuten übergeben hat – ich bin froh, dass wir ihn haben; da steht nämlich überhaupt nichts Spektakuläres drin –, bietet eine saubere Aufarbeitung der Versäumnisse und Fehleinschätzungen im Kosovo, die bereits im April und Mai aufgestellt wurde und aufgrund derer der Generalinspekteur bereits im Mai klare Schlussfolgerungen gezogen und in Anweisungen umgesetzt hat.

Das heißt im Klartext: Durch die Informationen in diesem Ordner werden keine Fragen aufgeworfen, sondern sie wurden zu einem viel früheren Zeitpunkt, als sie sie gestellt haben und versucht haben, einen Skandal daraus zu machen, klar beantwortet. (...)
(...)
Es darf nicht passieren, dass die Politik, wenn Soldaten Fehler machen – das wird angesichts der schwierigen Aufgaben immer wieder vorkommen –, einen Kompaniechef oder einen Bataillonskommandeur in den Verteidigungsausschuss nach Berlin zitiert – solche Überlegungen stellen Sie an –, damit er Rede und Antwort steht. Eine solche Entscheidung hätte eine völlig falsche Signalwirkung für die Truppe. Sie würde die Motivation und die Verantwortungsbereitschaft mindern. Es kommt aber darauf an, dass unsere jungen Soldaten die Bereitschaft zeigen, in schwierigen Situationen selbst zu entscheiden und Verantwortung zu übernehmen.

Die Soldaten werden dies nur tun können, wenn sie wissen, dass die Politik auch dann hinter ihnen steht, wenn sie in schwierigen Situationen entscheiden müssen. Das bedeutet ganz klar: Wir alle sollten darauf bedacht sein, den jungen Truppenführern die richtigen Signale zu geben. (...)

Ursula Lietz (CDU/CSU):

(...) Vor 14 Tagen haben die Außen- und Verteidigungspolitiker dieses Hauses ein Gespräch mit einem führenden NATO-Diplomaten gehabt. Zwei Sätze aus diesem Gespräch sind mir in Erinnerung geblieben. Der erste Satz hieß: Ich hoffe, dass das transatlantische Bündnis den Irakkrieg überlebt.

Man sollte sich einmal überlegen, was das bedeutet. Der zweite Satz lautete: Es gibt mittlerweile in der NATO zwei Gruppen: die eine Gruppe, die ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommt, und die andere, die das nicht tut und für die die erste mit einstehen muss.

Wir alle wissen: Wir gehören zur zweiten Gruppe. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich habe mich anlässlich solcher Sätze für diejenigen, die für unsere Bundeswehr verantwortlich sind – nicht für die Soldaten; das muss ich hier ausdrücklich sagen und das werde ich an anderer Stelle noch einmal betonen –, geschämt. Denn dies wirft ein bestimmtes Licht auf unsere Außen- und unsere Verteidigungspolitik und beeinträchtigt das Vertrauen, das wir eigentlich haben sollten. Mit unserer Politik riskieren wir, an Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Sie, Herr Verteidigungsminister, haben heute wiederholt, dass Sie davon ausgehen, dass die Opposition die Reformpläne im Großen und Ganzen billigt. Das ist so nicht richtig; denn wir stellen Bedingungen. Diese Bedingungen lauten, dass die Reform der Bundeswehr und die Umwandlung in eine Einsatzarmee nur dann durchgeführt werden können, wenn wir zusätzliche Investitionen in neue Techniken und in Schutzausrüstungen der Truppe, aber auch – darauf möchte ich mich konzentrieren – in Fürsorgemaßnahmen für unsere Soldaten tätigen. Anderenfalls erleiden wir einen Vertrauensverlust; die Vorkommnisse der letzten Tage weisen sehr deutlich darauf hin. Wir brauchen eine umfangreichere Versorgung unserer Soldaten, wenn wir sie in schnelle Einsätze schicken. Wir brauchen mehr, um ihnen da wieder herauszuhelfen.

Herr Verteidigungsminister, seit über einem Jahr sagen Sie uns – und leider auch den Mitarbeitern von acht Bundeswehrkrankenhäusern –, dass Sie etliche Krankenhäuser schließen werden. Jede Woche höre ich aus demselben Munde unterschiedliche Pläne. Sie vergrätzen und verunsichern damit das Personal in den Bundeswehrkrankenhäusern. Nach all dem, was wir jetzt gehört haben, reduzieren Sie circa 35 bis 40 Prozent der in diesen Krankenhäusern bestehenden Kapazitäten und somit auch Ausbildungskapazitäten. Im Sanitätswesen wird Personal in der Anästhesie, in der Kopf- und Kieferchirurgie und in vielen anderen einsatzrelevanten Disziplinen wie etwa der Neurochirurgie reduziert, deren Kenntnisse wir in den zivilen Krankenhäusern nicht kompensieren können. Interessante Modelle, die dazu in einigen Städten erarbeitet worden sind, finden in Ihren Verhandlungen keinen Platz.

Am 21. September dieses Jahres hat der Inspekteur des Sanitätswesens von einem gigantischen Mangel an Medizinern für den Einsatz gesprochen. Er hat Recht; denn wir werden in Zukunft weltweit eingesetzte Truppen nicht mehr ausreichend medizinisch versorgen können.

Wenn Sie glauben, Krankenhäuser in den nächsten Jahren auslaufend schließen zu können, dann wird Ihnen das nicht gelingen. Denn sobald die Schließungen bekannt werden, werden die guten Leute gehen und mit denjenigen, die bleiben müssen, können Sie den laufenden Betrieb nicht mehr aufrechterhalten. Schon jetzt erlassen Sie Einstellungsstopps in den verbleibenden Krankenhäusern. Das führt zu Problemen und Engpässen. Wir stellen immer wieder fest, dass der Vertrauensverlust in den entsprechenden Einrichtungen groß ist, auch wenn man Ihnen das vielleicht nicht sagt.

Wir haben das alles in den letzten Jahren bei Schließungen von Standortverwaltungen miterlebt. Wir erleben das jetzt wieder. Sie werden die medizinische Versorgung unserer Soldaten im Einsatz und den guten Ruf der Bundeswehr als Medical Lead Nation – und dies bezieht sich nicht nur auf das Sanitätswesen – nicht aufrechterhalten können.

Hinzu kommt, dass Reservisten im Sanitätswesen von 50 000 auf 14 000 reduziert werden sollen. Diese empfinden dies so, als ob wir gegenüber denjenigen, die jahrelang an unserer Seite gestanden haben, plötzlich kein Vertrauen mehr haben. Sie ziehen dabei nicht in Betracht, dass wir sie als Verstärkungsgruppe für Kliniken in Einsatzgebieten und bei der Rückführung verletzter Soldaten, aber auch im Katastrophenfall dringend brauchen. Sie werden feststellen, dass die Schließung von Reservelazaretten bei der zukünftigen Heimatverteidigung Probleme macht; wir haben darüber gesprochen.

Dann wollen Sie noch in den nächsten fünf bis sechs Jahren zivile Mitarbeiter in einem hohen Ausmaß in den vorzeitigen Ruhestand schicken oder auf andere Stellen versetzen. Sie wollen so die Zahl der zivilen Mitarbeiter um 40 000 reduzieren. Wenn Sie sagen, dass Sie das sozialverträglich und ohne betriebsbedingte Kündigungen machen werden, dann werden Sie erneut erleben, dass die Menschen in der Bundeswehr Ihnen nicht mehr glauben.

Ich denke, dass wir uns auf eine neue Bedrohungslage einstellen müssen. Wir haben in diesem Land noch immer nicht begriffen, worum es eigentlich geht. Wir erinnern uns zu wenig daran, dass wir uns verpflichtet haben, an der Seite unserer NATO-Partner im internationalen Kampf gegen den Terrorismus zu stehen. Ich erinnere an das Wort des Kanzlers von der uneingeschränkten Solidarität, die wir so von ihm gar nicht verlangt haben.

Wir sind an vielen Einsatzorten in der Welt. Unsere Soldaten erwarten von uns, dass wir hinter ihnen stehen. In einem Interview haben Sie, Herr Verteidigungsminister, sogar einen Einsatz im Sudan nicht ausgeschlossen.

Ich denke, wir müssen dafür sorgen, dass unsere Bündnispartner, aber auch unsere Soldaten wieder Vertrauen in uns haben. Wegen der Vorkommnisse im Kosovo brauchen Sie den Soldaten keinen Vorwurf zu machen, Herr Verteidigungsminister; denn es hat sich gezeigt, dass die Vorkommnisse im Kosovo Führungsprobleme sind. Führungsprobleme löst man aber nicht mit Maulkorberlassen. Sie löst man mit Vertrauen in die Soldaten und mit deren Stärkung, durch ausgezeichnete Ausrichtung, Ausbildung und Ausstattung. All das fehlt. Vor diesem Hintergrund können wir dieser Reform nicht zustimmen. (...)

Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste, ich bin Abgeordnete der PDS.

Im Antrag der Regierungsfraktionen zur Transformation der Bundeswehr findet sich folgende Passage, die ich nur unterstützen kann:

Der grundlegend veränderte Auftrag und die Transformation der Bundeswehr müssen von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen werden. Dieser bedarf einer breiten sicherheits- und friedenspolitischen Debatte in Politik und Gesellschaft.

Das ist völlig richtig. Wo aber wird diese breite sicherheits- und friedenspolitische Debatte in Politik und Gesellschaft geführt? In welcher Frage haben Sie in der Gesellschaft einen Konsens in der Sicherheits- und Friedenspolitik erreicht? Sie wissen, dass eine Mehrheit der Bundesbürger den militärischen Einsatz der Bundeswehr in Ex-Jugoslawien und in Afghanistan abgelehnt hat und noch immer ablehnt.

Es gibt auch eine Mehrheit in der Bevölkerung, die keine Auslandseinsätze der Bundeswehr will, sondern Konfliktprävention und verstärkte Bekämpfung der Ursachen von Terror und Gewalt.

Die Bundesregierung regt diese Diskussion nicht an. Sie verweigert sich dieser Diskussion sogar hartnäckig.

Sie schickt die Bundeswehrsoldaten von einem Krisenherd zum nächsten und setzt das Leben der Soldaten leichtfertig aufs Spiel. Aus der Bundeswehr selbst ist zu hören, dass diese Art der Sicherheitspolitik als „Gefechtsfeldtourismus“ bezeichnet wird.

Die Bundesregierung hat kein sicherheitspolitisches Konzept. Das letzte Weißbuch, das eine Konzeption der Bundeswehr enthielt, wurde 1994 von der Regierung Kohl vorgelegt, also vor zehn Jahren. Bekanntlich hat sich seitdem einiges in der Welt grundsätzlich verändert. Der ehemalige Bundesminister der Verteidigung, Herr Scharping, hatte bereits für 2001 ein Weißbuch angekündigt. Nun soll es, dem Antrag der Koalition entsprechend, im Jahre 2005 kommen. Der Kollege Schmidt von der CDU/CSU ist darauf schon kritisch eingegangen.

Auch das bestätigt unseren Eindruck, dass Sie die Bundeswehr in Krisengebiete dieser Welt schicken, ohne die Folgen zu bedenken. Das ist gefährlicher Aktionismus.

Dies wird besonders deutlich, wenn man sich die fehlende Strategie der Bundesregierung in Afghanistan anschaut: Niemand weiß, wo sich Bin Laden aufhält, die alten Herrschaftsstrukturen in den Regionen sind bestehen geblieben, der Drogenhandel blüht und die Bundeswehr schaut weg. Afghanistan lebt nicht in Frieden und ist weit von einer funktionierenden Demokratie entfernt.

Die Bundesrepublik läuft Gefahr, in Afghanistan in einen lang andauernden, blutigen und extrem kostspieligen Konflikt verwickelt zu werden.

Der derzeitige Präsident der USA, Herr Bush, hat bereits erklärt, dass er kein Ende des Krieges den Terrorismus sieht. Ich glaube, in diesem Punkt stimmt er mit Bin Laden überein. Herr Verteidigungsminister Struck erklärt gern, dass die deutschen Interessen am Hindukusch verteidigt werden müssen. Aber warum definiert niemand öffentlich, worin die deutschen Interessen dort bestehen? Was Afghanistan betrifft, so sehe ich vor allem die Interessen der USA und der afghanischen Warlords und Drogenschmuggler.

Die Bundesregierung glaubt augenscheinlich, sich bei den USA für die Nichtbeteiligung am Irakkrieg rechtfertigen zu müssen, und verkauft den USA den Afghanistaneinsatz als Kompensationsgeschäft. Wir müssen uns aber nicht für die Nichtteilnahme am Irakkrieg bei den USA entschuldigen oder rechtfertigen. Der Krieg gegen den Irak ist illegal, wie Kofi Annan festgestellt hat. Also bedarf es auch keiner Kompensationsgeschäfte.

Ich will noch zu einem anderen Punkt Ihres Antrags kommen. Sie fordern in Punkt 5, dass Standortentscheidungen nach militärischen und betriebswirtschaftlichen Kriterien getroffen werden. In diesem Zusammenhang habe ich durchaus Fragen an die Grünen: Müssten nicht auch ökologische Kriterien bei Standortentscheidungen eine Rolle spielen? Wie stellen Sie sich einen transparenten Entscheidungsprozess unter Einbeziehung der Betroffenen vor?

An dieser Stelle erinnere ich an das Bombodrom bei Wittstock. Die Grünen und die lokale SPD haben sich vor den Wahlen in Brandenburg gegen das Bombodrom ausgesprochen. Jetzt sind die Wahlen vorbei und die Bürger fragen sich natürlich, was aus dem Engagement der Politiker geworden ist. Für die PDS kann ich allen Bürgern, die sich für eine freie Heide engagieren, versichern, dass wir uns nach der Wahl genauso wie vor der Wahl gemeinsam mit den Bürgern gegen das Bombodrom einsetzen werden.

Abschließend will ich die Position der PDS zusammenfassen: Erstens. Wir lehnen weltweite Einsätze der Bundeswehr ab.

Die Bundeswehr ist für die Landesverteidigung da; wir halten auch gar nichts von Bundeswehreinsätzen im Inneren.

Zweitens. Die Zahl der Berufs- und Zeitsoldaten kann auf 100 000 reduziert werden.

Drittens. Wir sind gegen jede Art von Zwangsdiensten und dazu gehören Wehrpflicht und Zivildienst.

Viertens. Bei Standortschließungen muss die Bundesregierung ein Konversionsprogramm für die betroffenen Regionen vorlegen und es aus dem Rüstungsetat finanzieren.

Fünftens. Natürlich fordern wir den Verzicht auf Rüstungsprojekte, die weltweiten Militäreinsätzen dienen, bzw. deren Abbruch.

Meine Damen und Herren, das wäre die richtige Richtung für die Transformation der Bundeswehr.

Reinhold Robbe (SPD):

(...) Derzeit befinden wir uns national und international in einer Phase des Umbruchs. Die Sicherheitslage in der Welt hat sich im Laufe der zurückliegenden Jahre vollkommen verändert. Der Kalte Krieg ist seit 15 Jahren Geschichte. Seit etwa zehn Jahren steht die Bundeswehr praktisch überall in der Welt in der Verantwortung. Seit der ersten echten Auslandsmission im Jahre 1995 haben wir uns daran gewöhnt, dass Verteidigungspolitik heute anders als zu jenen Zeiten buchstabiert wird, in denen unser Land ausschließlich auf die Sicherung der nationalen Außengrenzen fixiert war.

Der Umbruch in der Sicherheitspolitik macht sich aber natürlich auch am Datum 11. September 2001 fest. Der internationale Terror zwingt uns alle zum Umdenken. Selbst bei Clausewitz finden wir keine Antwort auf die Frage, wie der Staat auf die Herausforderungen der asymmetrischen Bedrohungen reagieren soll. Es gibt keine Patentlösungen für die komplizierten Fragestellungen mit Blick auf Selbstmordattentate, auf Geiselnahmen oder auf entführte Flugzeuge durch Terroristen.

Die freie westliche Welt hat jedoch auf diese neuen Herausforderungen politisch und militärisch reagiert. Die UNO als wichtigste Trägerin des Völkerrechts hat nie ihre Bedeutung verloren. Daran hat auch die Entwicklung des Irakkrieges nichts geändert. Die NATO und alle Mitglieder haben mit der notwendigen Transformation begonnen, die dazu dient, sowohl die NATO insgesamt als auch die Bündnispartner in die Lage zu versetzen, mit den neuen Herausforderungen besser als in der Vergangenheit klarzukommen.

Wenn wir uns anschauen, mit welchen Problemen wir es aktuell in der Welt zu tun haben, so werden unsere eigenen sicherheitspolitischen Themen, die naturgemäß von den Bundeswehrauslandseinsätzen bestimmt sind, vom Irakkonflikt, von der äußerst labilen Lage im Kaukasus, dem nach wie vor ungelösten Nahostkonflikt und zahlreichen Krisenherden von Afrika bis Südostasien überschattet.

Diese zugegebenermaßen verkürzte Situationsbeschreibung wird von einem Thema begleitet, das alle Politikfelder belastet, nämlich von der Tatsache, dass für die vielen Notwendigkeiten zu wenig Geld zur Verfügung steht. Auch dies ist natürlich kein typisch deutsches Problem, macht sich jedoch vor dem Hintergrund unserer besonderen Situation – ich nenne das Stichwort Aufbau Ost – besonders stark bemerkbar. Aus dieser Situationsbeschreibung ergeben sich meines Erachtens folgende Konklusionen: Erstens. Gerade weil sich überhaupt nicht abzuzeichnen scheint, dass sich die aufgrund unterschiedlichster Ursachen labile Sicherheitslage in absehbarer Zeit positiv verändert, brauchen wir mehr Anteilnahme, mehr Interesse und mehr Bereitschaft für die brennenden Fragen der Sicherheitspolitik. Dies gilt ganz allgemein für unsere Gesellschaft. Dies gilt im Übrigen aber in besonderer Weise für unser Parlament. (...)

Zweitens. Innerhalb des Parlaments und der im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen muss nach meiner Auffassung stärker als bisher über die Frage nachgedacht werden, wie wir es schaffen, Sicherheitspolitik nicht isoliert, sondern eingebunden in die vielen sonstigen Politikfelder zu behandeln. Spätestens seit unserem Engagement auf dem Balkan und in Afghanistan ist jedem klar geworden, dass Sicherheit und Verteidigung auf keinen Fall losgelöst von der Außenpolitik, der Entwicklungshilfe, der Innenpolitik und weiteren Politikschwerpunkten betrachtet werden können.

Meine Damen und Herren, auch wenn ich nicht unbedingt denen Recht gebe, die für eine Zusammenlegung beispielsweise der Bundestagsausschüsse für Verteidigung, Auswärtiges und wirtschaftliche Zusammenarbeit plädieren, so halte ich eine wesentlich stärkere Kohärenz auf diesem Feld für absolut notwendig. (...)

Drittens. Wer mit mir hinsichtlich einer besseren Verankerung der Sicherheitspolitik im öffentlichen Bewusstsein übereinstimmen kann, kann nach meiner festen und ehrlich gemeinten Überzeugung nicht für die Abschaffung der Wehrpflicht sein.

Unabhängig von der Tatsache, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass eine Berufsarmee zurzeit gar nicht finanzierbar wäre, trägt die Wehrpflicht ganz wesentlich dazu bei, den nachfolgenden Generationen ein Bewusstsein für den Auftrag der Bundeswehr und damit gleichzeitig auch für die sich ständig verändernden politischen Vorgaben und Rahmenbedingungen zu vermitteln. Vor diesem Hintergrund mutet es schon ein wenig sonderbar an – wenn ich das sagen darf –, wenn gerade eine so große und wichtige Institution wie der Bundesverband der Deutschen Industrie in einer Denkschrift die Abschaffung der Wehrpflicht fordert – in der, wie ich finde, naiven Erwartungshaltung, dass bei einer Abschaffung mehr Finanzmittel für den investiven Bereich zur Verfügung stehen würden. (...)

Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU):

(...) Streitkräfte sind Instrumente der Politik und für alle Mängel, die dieses Instrument im Kosovo gezeigt hat, trägt die politische Führung die Verantwortung. Ich darf hier vielleicht noch einmal die „Tagesschau“ vom 22. September in Erinnerung rufen: Da war von gravierenden Mängeln im Kosovo die Rede. So hätten Krisenpläne für eine solche Situation gefehlt; die Soldaten seien unsicher in der Anwendung der Schusswaffen gewesen, ihre Englischkenntnisse ungenügend und ihre Schutzausrüstung unzureichend. Ich wiederhole: Dafür trägt nicht der Soldat, dafür trägt nicht die Bundeswehr, dafür trägt die politische Führung die Verantwortung. Wenn Kritik angebracht ist, dann ist sie zu kritisieren und nicht die Soldaten.

Sehr geehrter Herr Minister Struck, Sie schulden uns noch, wie ich meine, eine Antwort auf die Frage: Wie stark muss das Kontingent für die PRTs in Afghanistan sein?
(...)
Reichen die 450 oder brauchen Sie mehr, Herr Minister? Wenn es so ist, dann müssen Sie es dem Deutschen Bundestag vorher sagen. Folgende Frage ist ebenfalls wichtig: Was sollen die PRTs machen? Davon hängt es ab. Nachdem sie schon eine ganze Reihe von Monaten im Einsatz sind, kommt diese Frage etwas spät. Dies kann doch nicht der Punkt sein. Es kann ebenfalls nicht angehen, dass man sagt: Wir würden gern mehr tun, aber dieses Parlament gibt uns nicht die nötigen Mittel. Herr Minister, ich fordere Sie auf: Sagen Sie uns, was Sie brauchen! Diese Frage muss beantwortet sein, bevor wir in verantwortlicher Weise über die Verlängerung des Mandats entscheiden können.
(...)
Sie haben zu Recht gesagt, dass die eigentlichen Fragen lauten: Wie wichtig und notwendig ist die Vorsorge für den Heimatschutz? Tun wir wirklich das Notwendige für den Schutz der Bürgerinnen und Bürger? Wie sieht die Sicherheitsvorsorge unter den Bedingungen eines erweiterten Sicherheitsbegriffs aus? Sind wir wirklich in ausreichendem Maße auf potenzielle Gefahren vorbereitet?

Ich meine, dass wir die Weichen in zwei Bereichen falsch gestellt haben. Der erste Bereich betrifft die territorialen Wehrstrukturen. Hier hat Kollege Schmidt völlig Recht: Die VBKs sind nicht abzuschaffen, sondern als Zentren für Heimatschutz und Landesverteidigung auszubauen.

Den zweiten Bereich habe ich schon mehrfach angesprochen: Ich warne davor, alle nicht aktiven Truppenteile ersatzlos aufzulösen. Wenn 220 000 Reservisten den Bescheid bekommen, dass sie nicht mehr gebraucht werden, ist dies ein fatales Signal für die Wehrpflicht. Das sollte man bedenken. (...)

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):

(...) Lassen Sie mich auf einen Aspekt der aktuellen Diskussion eingehen, der besonders große öffentliche Aufmerksamkeit verdient: die Zukunft der Wehrpflicht in diesem veränderten Umfeld. Einige Stimmen in diesem Hause sind immer sehr schnell mit ihrer Forderung nach dem Ende der Wehrpflicht zur Stelle. Sie passe nicht mehr in unsere Zeit, hören wir dann. Die Argumente wechseln: Einmal wird die angeblich mangelnde Wehrgerechtigkeit beklagt, dann heißt es wieder, die Wehrpflicht sei sicherheitspolitisch nicht mehr begründbar. Manchmal wird auch empirisch argumentiert: Die große Mehrheit der NATO-Mitgliedstaaten – so die FDP in einem ihrer Anträge – habe die Wehrpflicht ausgesetzt oder plane, dies zu tun. Deshalb müssten wir nun ebenso handeln.

Mich überzeugt keine dieser Begründungen. Im Gegenteil: An der Wehrpflicht festzuhalten, wie der Verteidigungsminister das will, ist richtig. Ich glaube, dass die Entscheidung für die Wehrpflicht, solange wir eigene, deutsche Streitkräfte unterhalten, solange es noch keine Europaarmee gibt, richtig bleibt.

Streitkräfte ohne Wehrpflichtige wären eine Armee, die nach und nach nicht mehr zur Alltagserfahrung der Menschen in Deutschland gehören würde. Das wäre eine Bundeswehr, die viele dann nur noch aus der „Tagesschau“ kennen. Man soll die Zahlen nicht gering schätzen: 8 Millionen junge Männer haben in den vergangenen fünf Jahrzehnten in der Bundeswehr gedient. Im Jahr 2003 haben 120 000 Rekruten – W9er, FWDLer, Zeit- und Berufssoldaten – ihren Dienst in der Bundeswehr angetreten und etwa genauso viele, 120 000, sind ausgeschieden. Diese Fluktuation, dieser ständige Austausch ist eines der wichtigsten Bindemittel zwischen Bundeswehr und Gesellschaft. Das wollen wir erhalten.

Die Wehrpflicht ist aber auch deshalb so wertvoll, weil wir nicht wollen, dass die Bundeswehr zu einem beliebigen Dienstleister in Sachen Sicherheit wird. Gerade in Zeiten, in denen unsere Soldaten in Einsätzen weit außerhalb unserer Grenzen ihren Dienst tun, ist es wichtig, dass das Militärische dem Zivilen nicht fremd wird. Zusammen mit dem Prinzip der Parlamentsarmee gehört die Wehrpflicht zu den Sicherungsmechanismen, die uns davor bewahren, das Militär leichtfertig einzusetzen.

(...) um auf den Mythos Wehrungerechtigkeit einzugehen: 100 Prozent haben wir nie gehabt, auch in Zeiten des Kalten Krieges nicht. Ich habe es gesagt: Wir haben im Jahr 2003 120 000 Wehrpflichtige zur Bundeswehr eingezogen; das sind die Zahlen, die uns vorliegen. Darüber hinaus leisten 20 000 bis 30 000 in den Bereichen Bundesgrenzschutz, Polizei und Katastrophenschutz ihren Dienst für die Sicherheit unseres Landes und werden deshalb nicht zur Bundeswehr einberufen. Darüber hinaus haben wir die Kriegsdienstverweigerer, die Zivildienst leisten. Weit über die Hälfte der Angehörigen eines Jahrgangs leistet ihren Dienst – nicht nur Wehrdienst – für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und darüber hinaus. Ich finde das gut. Es enthebt uns aber nicht der Verpflichtung, uns vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung, aber auch geringerer Personalstärke der Bundeswehr Gedanken über die Ausgestaltung der Wehrpflicht zu machen und sie anzupassen. Aber wir haben heute nicht das Problem einer eklatanten Wehrungerechtigkeit. Wenn Sie die Zahlen zur Kenntnis nehmen, die das Verteidigungsministerium veröffentlicht, werden Sie sehen: Weit über die Hälfte tut ihren Dienst.
(...)
Nach Art. 87 a unseres Grundgesetzes stellt der Bund Streitkräfte auf. Sie dienen der Verteidigung und jenen Zwecken, die das Grundgesetz ausdrücklich zulässt. Diese Zwecke sind in Art. 24 unter anderem beschrieben. Ich zitiere:

Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen;

Gemeinsame Sicherheit, das ist nicht Landesverteidigung allein. Ein solches Bündnis muss dazu dienen,

eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbei[zu]führen und [zu] sichern.

Wir sind Mitglied solcher Bündnisse. Sie heißen UNO, NATO und EU. Auf Beschluss dieses Parlaments stellen wir ihnen zur Wahrung des Friedens deutsche Streitkräfte zur Verfügung. Das ist zwar etwas anderes als Landesverteidigung, es ist aber einer der verfassungsmäßigen Daseinszwecke der Bundeswehr.

Das wird oft vergessen oder unterschlagen. Deshalb sprechen wir heute im Übrigen von der Transformation der Bundeswehr. Wenn es nur um Landesverteidigung ginge, gäbe es nicht viel zu transformieren.

Die Bundeswehr ist laut Grundgesetz ein Instrument zur Erfüllung unserer Verpflichtung, dazu beizutragen, den Frieden in der Welt zu sichern oder wiederherzustellen. So ist es selbst in unserem Grundgesetz vorgesehen.

Um diese Bundeswehr optimal aufzustellen, haben wir nach Art. 12 a des Grundgesetzes in Deutschland das Instrument der allgemeinen Wehrpflicht. Wir müssen nicht krampfhaft nach originellen Legitimationen für die Wehrpflicht suchen. (...)
(...)
Das Argument, andere NATO-Staaten schaffen auch die Wehrpflicht ab und sind damit ein Vorbild, kann für uns, wenn wir genau hinschauen, nicht gelten. Das ist nicht kostengünstiger und nicht besser. Die Wahrheit ist, dass selbst im Umfang reduzierte Berufsarmeen höhere Kosten verursachen, etwa durch erheblich höhere Investitionen in Nachwuchsgewinnung und Personalbindung.

Schwierigkeiten gibt es auch bei der Gewinnung von Mannschaften und Unteroffizieren. Weil die Haushaltsmöglichkeiten, junge Menschen über finanzielle Anreize zum Dienst in der Armee zu bewegen, auch bei unseren Nachbarn nicht unbegrenzt sind, kommt oft die zweite Option zum Zuge, um die Reihen zu füllen: die Senkung der Einstellungskriterien. Das ist nicht gerade der Königsweg zur Professionalisierung der Streitkräfte.

Im Übrigen sind die FWDLer, die freiwillig länger dienenden Wehrpflichtigen, ganz professionell an Auslandseinsätzen der Bundeswehr beteiligt. Sie haben ihren Anteil am guten Ruf unserer Soldaten in den Einsatzgebieten. (...)

Jürgen Herrmann (CDU/CSU):

(...) Um nochmals auf die veränderten Vorzeichen und Anforderungen nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes zurückzukommen, muss ich feststellen, dass viele zum damaligen oder späteren Zeitpunkt getroffene Entscheidungen richtig waren, aus heutiger Sicht jedoch fatal sind. Der Abbau von sicherheitsrelevanten Strukturen beim Bevölkerungsschutz, angefangen von der Demontage von Sirenen bis hin zur deutlichen Verringerung von Dienstposten im Bereich der Bundeswehr, war Folge der sich radikal verändernden Sicherheitslage. Niemand konnte sich damals vorstellen, welche Aufgaben, Gefahren und Herausforderungen auf die internationale Staatengemeinschaft und somit auf die Bevölkerung in Deutschland zukommen würden.

Ein Agendaschwerpunkt internationaler sicherheits- und verteidigungspolitischer Aufgaben stellt sicherlich die Bekämpfung des internationalen Terrorismus sowie die Stabilisierung der so genannten Failed States dar. So richtig es ist, Sicherheitskrisen weltweit präventiv zu bekämpfen – von der Entwicklungshilfe bis zum UNO-Mandat –, so wichtig ist es, die eigentliche verfassungsrechtliche Grundlage der Bundeswehreinsätze – Landesverteidigung – nicht aus den Augen zu verlieren und sie anlassbezogen den heutigen Erfordernissen anzupassen.

Die Terroranschläge von New York, Washington, Istanbul, Madrid und Beslan mahnen uns, heute zu handeln, damit wir weitere Terroranschläge verhindern können und bei der Bewältigung möglicher Anschläge zumindest ausreichend gewappnet sind.

Wir dürfen somit nicht auf die Erhaltung sicherheitsrelevanter, umfassender Strukturen in der Heimat verzichten, sondern müssen sie stärken und ausbauen. Leider zeichnet sich jedoch in diesem Bereich eine bedauerliche Entwicklung ab, die durch die Mitte Mai 2003 veröffentlichten Verteidigungspolitischen Richtlinien unterstützt wird. Zwar wird in dem Papier auch auf die Landesverteidigung Bezug genommen, jedoch werden andere Schwerpunkte deutlich herausgehoben und deren Umsetzung forciert.

Wie ernst die Regierungskoalition das Thema Landesverteidigung nimmt, zeigt ein Beispiel im Zusammenhang mit der heute geführten Diskussion um die Wehrpflicht. Ich zitiere aus den Verteidigungspolitischen Richtlinien: „Aufgaben der Bundeswehr“ – hier wird auf die besondere Bedeutung der Wehrpflicht hingewiesen –:

Angesichts der sicherheitspolitischen und strategischen Lage können die hierfür erforderlichen zusätzlichen Kräfte zeitgerecht wieder aufgestellt werden. Diese Rekonstitution wird vor allem durch die allgemeine Wehrpflicht sichergestellt.

Fakt ist jedoch, dass die Zahl der Wehrpflichtigen bis zum Jahr 2010 weiter sinken soll. Ab dem 1. Januar 2005 werden die mit T3 gemusterten Männer nicht mehr zum Wehrdienst herangezogen.

Dieser Weg, Herr Minister, ist falsch. Anstatt sich für eine gerechte und effiziente Wehrpflicht stark zu machen, höhlen Sie sie immer weiter aus, bis sie auf kaltem Wege abgeschafft wird. Herr Minister Struck, geben Sie den Gegnern der Wehrpflicht nicht noch mehr Argumente für die Abschaffung der Wehrpflicht, sondern stellen Sie sie auf ein starkes Fundament!
(...)
Bereits im März dieses Jahres haben wir als Union die Schaffung eines Organisationsbereiches „Landesverteidigung und Heimatschutz“ in der Bundeswehr und ein flächendeckendes Netz von bis zu 50 „Regionalbasen Heimatschutz“ gefordert. Diese Regionalbasen sollen miteinander vernetzt und jeweils bis zu 500 Soldatinnen und Soldaten stark sein. Dafür können bis zu 80 Prozent Wehrpflichtige vorgesehen werden, die von Zeit- und Berufssoldaten geführt werden. Die Verwendung von Reservisten soll im Falle eines Einsatzes einen umfassenden Aufwuchs ermöglichen. Die Ausbildung dieser Truppe soll katastrophenschutznah erfolgen. Die Soldaten sollen nach ihrer Grundausbildung besondere Fähigkeiten in Objektsicherung, Fernmeldewesen, ABC-Abwehr, Pionier- und Sanitätswesen erwerben.

Eine flächendeckende Verteilung der Regionalbasen gewährleistet die schon angesprochene Zusammenarbeit mit zivilen Behörden des Katastrophenschutzes. Daher ist es besonders wichtig, die Diskussion über unsinnige Standortschließungen sowie die Auflösung von VBKs zu beenden; denn gerade der Verbleib der Bundeswehr in der Fläche erlaubt es, ohne Zeit- und Reibungsverluste eine erforderliche zivil-militärische Abstimmung vorzunehmen.

Bei den vorliegenden Vorschlägen geht es darum, unter Einbindung aller Kräfte ein Gesamtverteidigungs- und Heimatschutzkonzept zu verwirklichen, das den bestmöglichen Schutz unserer Bevölkerung gewährleistet. Hierbei sollen die Kräfte für innere und äußere Sicherheit eng miteinander verschränkt werden, die zivil-militärische Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden gestärkt und Hilfsorganisationen wie THW und Rotes Kreuz stärker in den Katastrophenschutz eingebunden werden. Dafür brauchen wir Strukturen, Ansprechpartner und eine verlässliche Zeitplanung.

Die Bundeswehr muss endlich in die Lage versetzt werden, Aufgaben jenseits der Kriminalitätsbekämpfung optimal wahrnehmen zu können, und zwar dort, wo Polizei, Technisches Hilfswerk und Rotes Kreuz allein nicht mehr weiterkommen. Die hierfür erforderliche Grundgesetzänderung würde von uns getragen und ist im Übrigen in diesem Jahr durch einen Gesetzentwurf unserer Fraktion zur Diskussion gestellt worden. (...)

Hans Raidel (CDU/CSU):

(...) Wer genau hinschaut und hinterfragt, stellt fest, dass es in der Truppe immer mehr Frust gibt, weil Defizite immer sichtbarer werden. Wo moderne Ausrüstung sein sollte, herrscht Mangel. Der Bundeswehrplan des Herrn Generalinspekteurs ist lesenswert. Er hat keine Perspektive, er hat keinen Optimismus, sondern er weist eher die Fassung eines Mängelberichts auf.

Die Modernisierung der Ausrüstung klemmt an allen Ecken und Enden. Mühsam gestaltet sich die notwendige Transformation der Streitkräfte. Der dringend notwendige Heimatschutz wird zugunsten der Auslandseinsätze zurückgefahren und auch bei den Auslandseinsätzen stellen sich immer mehr Fragezeichen.

Die Regierung übernimmt immer mehr internationale Aufträge, die die Bundeswehr erfüllen muss. Gleichzeitig schrumpft die Bundeswehr, die Armee wird verkleinert, Standorte werden aufgelöst, Rüstungsprogramme werden gestrichen oder gestreckt, die Reservisten an den Rand gedrängt und die Wehrpflicht infrage gestellt. Der Katalog ließe sich fortsetzen.

Wo aufgrund einer seriösen Sicherheitsanalyse eine stabile Armee geformt werden müsste, wird gestutzt. Wo Geld für Forschung, Entwicklung, Beschaffung und Rationalisierung gegeben werden müsste, um die Attraktivität der Bundeswehr zu erhöhen, wird gekürzt.

Eines ist klar: Deutschland braucht eine tragende und klar definierte Sicherheitsstrategie dringender denn je. Wo stehen wir und wohin wollen wir? Unsere Interessen müssen eindeutig formuliert werden. Dazu müssen eigene Beiträge geleistet werden.

Deutschland muss seinen politischen Willen zur Durchsetzung dieser Ziele unter Beweis stellen. Dafür brauchen wir eine verlässliche Finanzplanung für die Bundeswehr, eine Anschubfinanzierung für Investitionen und Planungssicherheit. Darüber hinaus ist ein integriertes Gesamtverteidigungskonzept notwendig, in dem auch die Aufgaben der Bundeswehr im Heimatschutz definiert werden.

Unsere Bundeswehr hat Anspruch auf die bestmögliche Ausrüstung. Deshalb brauchen wir auch eine hervorragend aufgestellte wehrtechnische Industrie. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang die Schaffung der Europäischen Rüstungsagentur, weil wir der Auffassung sind, dass Europa eigenständige und gemeinsame rüstungstechnologische und -industrielle Fähigkeiten braucht. Das setzt aber den politischen Willen zum Erhalt der Schlüsseltechnologien und Kernfähigkeiten der deutschen wehrtechnischen Industrie voraus. Hier bestehen meiner Meinung nach bei der Regierung Defizite.

Wir müssen die Rüstungsindustrie wieder werthaltig machen, damit sie beispielsweise mit Frankreich oder England mithalten kann, sodass Fähigkeitslücken zwischen uns und der NATO bzw. den USA verkleinert werden können.

Wenn wir nicht umfassend investieren und rationalisieren, dann wird sich nichts ändern und wir werden die militärische Transformation nicht zum Erfolg führen können. Wenn wir nicht bereit sind, umzudenken und die notwendigen Mittel in einem mittel- und langfristigen Zeitrahmen zur Verfügung zu stellen, dann wird Deutschland in sicherheitspolitischer Hinsicht in die zweite Liga absteigen. Das können wir alle nicht wollen.

Am Ende des Tagesordnungspunktes wurde über die vorliegenden Anträge abgestimmt, und zwar entsprechend der Empfehlungen des Verteidigungsausschusses. Der Antrag 15/2656 der Koalitionsfraktionen SPD und Bü90/Grüne wurde angenommen, alle anderen Anträge verworfen.

* Quelle: Plenarprotokoll - Vorab-Veröffentlichung
DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG
www.bundestag.de



Zurück zum Dossier "Weißbuch der Bundesregierung"

Zurück zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage