Schwarz-Gelb bedroht Zivildienst
Wohlfahrtsverbände kritisieren Auswirkungen der geplanten Wehrdienstverkürzung
Von Fabian Lambeck *
Die Entscheidung der schwarz-gelben Koalition, den Wehr- und Zivildienst
auf sechs Monate zu verkürzen, sorgt bei den Sozial- und
Wohlfahrtsverbänden für Verärgerung. Aufgrund der verkürzten Dienstzeit
lassen sich Zivis in vielen Bereichen nicht mehr sinnvoll einsetzen,
warnen die Verbände.
»Ohne Zivis wäre Deutschland am Ende«, hieß es früher. Doch ein Blick
auf die Statistik beweist: Die Zeiten haben sich geändert. Momentan sind
bundesweit etwa 76 000 Zivildienstleistende im Einsatz. Vor zehn Jahren
waren es noch mehr als 129 000. Die Entscheidung der schwarz-gelben
Koalition, die Wehr- und Zivildienstzeit ab 2011 auf sechs Monate zu
verkürzen, dürfte den »Anfang vom Ende des Zivildienstes« einläuten, wie
der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich
Schneider, dem »Kölner Stadt-Anzeiger« vom Dienstag sagte. In den dann
verbleibenden sechs Monaten seien die Zivis nicht mehr »vernünftig
einzusetzen«, glaubt Schneider. Allein die Ausbildung auf den Fahrzeugen
des Rettungsdienstes nehme etwa drei Monate in Anspruch, »da bringen
sechs Monate gar nichts mehr«, kritisierte Schneider Deshalb bereite
sich sein Verband darauf vor, zukünftig ganz ohne Zivis auszukommen.
Kein einfaches Unterfangen, schließlich arbeiten derzeit noch 15 000
Kriegsdienstverweigerer unter dem Dach des Paritätischen
Wohlfahrtsverbandes.
Rückendeckung bekam Schneider am Dienstag vom größten ostdeutschen
Wohlfahrtsverband, der Volkssolidarität. Dort ist die Zahl der Zivis
seit langem rückläufig. Während man in den 90ern noch mehr als 3000
Zivildienstleistende pro Jahr beschäftigte, sind es mittlerweile nur
noch 280 - Tendenz abnehmend.
Ein Grund für den Rückgang sind die in den letzten Jahren immer wieder
gekürzten Dienstzeiten. Musste ein Zivi im Jahre 1995 noch einen
15-monatigen Dienst ableisten, sind es heute nur noch neun Monate. Durch
diese verkürzte Einsatzzeit habe der Zivildienst »in den vergangenen
Jahren an Wirksamkeit verloren«, betonte Bernd Niederland, der
Bundesgeschäftsführer der Volkssolidarität, am Dienstag. Denn »soziale
Arbeit ist in erster Linie menschliche Beziehungsarbeit, die von
längerer Dauer getragen sein sollte«, unterstrich Niederland. Während
die Volkssolidarität beinahe ohne Zivis auskommt, sind viele
Wohlfahrtsverbände noch auf die billigen Arbeitskräfte angewiesen. Bernd
Niederland fordert den Ausbau sozialversicherungspflichtiger
Arbeitsplätze, »notfalls durch öffentlich geförderte Beschäftigung«.
Zudem sollten Freiwilligendienste stärker gefördert werden.
Beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) sieht man die Dinge ähnlich. Das DRK
könne komplett auf Kriegsdienstverweigerer verzichten, »wenn das
freiwillige soziale Jahr gestärkt und aufgewertet wird«, sagte ein
Sprecher des DRK Sachsen-Anhalt der Nachrichtenagentur dpa. Auch die
Arbeiterwohlfahrt (AWO) plädierte für einen Ausbau des freiwilligen
sozialen Jahres. Die dort Tätigen sollten genauso bezahlt werden wie
Zivildienstleistende, forderte eine Sprecherin der AWO.
Der Bundesbeauftragte für den Zivildienst, Jens Kreuter, wies auf einen
weiteren Nachteil der Verkürzung hin. Demnach könnten Zivis ein halbes
Jahr »in der Luft hängen« - ohne Studium oder Ausbildung. Eine
Kompromisslösung wäre die Möglichkeit einer »freiwilligen Verlängerung
der Dienstzeit«. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund sprach sich
ebenfalls für eine freiwillige Verlängerung auf zwölf Monate aus.
* Aus: Neues Deutschland, 4. November 2009
Auslaufmodell
Von Fabian Lambeck **
Als der Bundestag im Jahre 1956 beschloss, die allgemeine Wehrpflicht
einzuführen, konnte niemand ahnen, dass dieser Zwangsdienst den
Zusammenbruch des Ostblocks überstehen würde. Die Wehrpflicht ist ein
Anachronismus, den man nun mit der geplanten Verkürzung der Dienstzeit
auf sechs Monate zu retten versucht. Doch der faule Kompromiss zwischen
einer Union, die sich zur Wehrpflicht bekennt, und einer FDP, die diese
am liebsten vollständig »aussetzen« möchte, offenbart seine Schwächen.
Die Koalitionäre hatten nicht bedacht, dass die damit einhergehende
Verkürzung des Zivildienstes viele Wohlfahrtsverbände vor ungeheure
Probleme stellt. Denn Zivis verrichten oftmals anspruchsvolle
Pflegearbeit in Altersheimen oder Krankenhäusern. Sie müssen im Umgang
mit Mensch und Technik geschult werden. Das kostet Zeit. Wenn diese
weiter verkürzt wird, lohnt sich der Einsatz in vielen Bereichen nicht
mehr. Schon die vorangegangenen Dienstzeitkürzungen hatten den Verlust
Zehntausender Zivi-Stellen zur Folge.
Der früher Ersatzdienst genannte Zivildienst ist ein Auslaufmodell.
Seine endgültige Abschaffung muss jedoch kein Verlust sein. Den
politischen Willen vorausgesetzt, ließen sich innerhalb kürzester Zeit
Alternativen schaffen. So könnte man das freiwillige soziale Jahr weiter
ausbauen und die Wohlfahrtsverbände finanziell besser ausstatten, damit
diese zusätzliches Pflegepersonal anstellen können.
** Aus: Neues Deutschland, 4. November 2009 (Kommentar)
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