Beim Bund geht's weiter bunt zu
Wehrbeauftragter legte Bericht vor: Führungsschwächen gibt es nicht nur auf der "Gorch Fock"
Von René Heilig *
Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hellmut Königshaus (FDP), hat am Dienstag die mögliche Einsetzung einer Gleichstellungsbeauftragten auf dem Albtraumschiff »Gorch Fock« als »durchaus vernünftig« bezeichnet. Darüber hinaus legte er seinen Jahresbericht für 2010 vor. Der liest sich wie die Berichte der Vorjahre. Im Bereich Innere Führung hat die Bundeswehr – falls überhaupt – nur wenig gelernt.
Nur unter den Buchstaben Y und Z finden sich im aktuellen Jahresbericht des Wehrbeauftragten keine Beanstandungen. Doch zwischen A (wie Afghanistan) und W (wie Weiterverwendungsgesetz) kommt umso mehr zur Sprache, das als Gesetzesverstoß, menschenunwürdiges Verhalten oder schlichter Mangel einzustufen ist. Unter dem Stichwort Führungsschwächen sind »unverändert zum Teil erhebliche Mängel« aufgelistet. Insbesondere jungen Mannschaftsdienstgraden und unerfahrenen Vorgesetzten fehle es »an Wissen und Gespür dafür, wann die Grenzen zum Dienstvergehen beziehungsweise zur Straftat überschritten werden«, heißt es in dem 70-seitigen Bericht.
Darüber hinaus gebe es eine Fülle Umgangsformen und Verhaltensweisen, die zwar nicht strafrechtlich relevant sind, aber dennoch Anstoß erregen, kritisiert Königshaus. »Oft gehen beleidigende Äußerungen mit anderen schwer wiegenden Pflichtverletzungen einher.« Als Beispiel nennt der FDP-Politiker schikanierende Aufnahmerituale bei Gebirgsjägern im bayerischen Mittenwald. Die Vorgänge machten deutlich: Zum einen fehlte vielen der beteiligten Soldatinnen und Soldaten das Unrechtsbewusstsein für ihr Handeln. Zum anderen zeigten sich Defizite bei der Dienstaufsicht auf.
Mängel gebe es auch bei der Ausbildung. So sei es gerade bei Auslandseinsätzen »mehrfach zu Unfällen mit schweren Folgen« gekommen. Handlungsbedarf gebe es – trotz einiger Verbesserungen – nach wie vor bei der Ausrüstung gerade jener Soldaten, die in den Krieg nach Afghanistan geschickt werden. Sparmaßnahmen gefährdeten sogar den Erhalt von Fluglizenzen bei Heer und Luftwaffe.
Königshaus forderte, bei der anstehenden Bundeswehrreform Maßnahmen zu ergreifen, die zur Verbesserung der Disziplin in der Truppe beitragen. Unter anderem müsse dafür gesorgt werden, dass die Disziplinarvorgesetzten hinreichend auf ihre Aufgabe vorbereitet seien und auch Präsenz zeigten.
Angesichts der Aussetzung der Wehrpflicht müsse der Dienst in den Streitkräften deutlich attraktiver werden, forderte Königshaus. Man sollte die Chancen der Strukturreform nutzen, Trennungen von Familien so weit wie möglich zu reduzieren. Auch bei der Kinderbetreuung sei die Bundeswehr »enorm schlecht aufgestellt«.
Die Vorgänge nach dem Tod einer Offiziersanwärterin auf dem Segelschulschiff »Gorch Fock«, die Öffnung von Feldpost und Waffenspiele in Afghanistan spielen im Wehrbericht 2010 keine Rolle, weil Erkenntnisse darüber erst 2011 vorlagen. Doch sie sind mittlerweile zu einer ernsten Belastung für Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) geworden. Am heutigen Mittwoch will der Minister im Verteidigungsausschuss vor allem Vorwürfen der Opposition begegnen. Für Freitag ist im Parlament dann die Abstimmung über die Verlängerung des Afghanistan-Mandats geplant.
Paul Schäfer, Wehrexperte der Linksfraktion, will, dass die Vorgänge in der Bundeswehr »in aller Öffentlichkeit« untersucht werden. Von der Grünen-Idee, die Skandale im bestehenden Kundus-Untersuchungsausschuss oder einem neu zu bildenden Gremium zu behandeln, hält er wenig, denn »dann versickert wieder alles in einem schwarzen Loch«.
Der Bericht des Wehrbeauftragten beruht auf 4976 Eingaben von Soldaten sowie Erkenntnissen, die Königshaus und sein Vorgänger Reinhold Robbe (SPD) bei Gesprächen mit Bundeswehrangehörigen gewonnen haben.
* Aus: Neues Deutschland, 26. Januar 2011
Dokumentiert: Der Jahresbericht im Überblick **
Der vorliegende Bericht ist der 52. in der Reihe der Jahresberichte
der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages.
Er fasst, unabhängig von der laufenden Unterrichtung
der Abgeordneten des Verteidigungsausschusses des
Deutschen Bundestages und des Bundesministeriums der
Verteidigung, die Ergebnisse der Arbeit des Wehrbeauftragten
im Berichtsjahr zusammen. Dabei berücksichtigt
er auch Erkenntnisse meines Amtsvorgängers, der bis
zum 12. Mai 2010 im Amt war.
Neben den Truppenbesuchen und den dabei geführten
Gesprächen mit Soldatinnen und Soldaten aller Dienstgradgruppen
stützt sich der Bericht nicht zuletzt auf die
Eingaben an den Wehrbeauftragten. Ihre Zahl war seit
September 2009 tendenziell rückläufig, stieg im letzten
Quartal des Berichtsjahres aber wieder an.
Gegenstand der Eingaben sind ganz überwiegend persönliche
Probleme, während generelle Kritik in Eingaben immer
seltener geäußert wird. Dass es solche Kritik dennoch
gibt, wird in Gesprächen deutlich. Viele Soldatinnen
und Soldaten zeigen sich über ihre persönliche Situation
und die bisherige Entwicklung der Bundeswehr nachhaltig
enttäuscht. Sie verweisen darauf, dass zahlreiche Mängel
und Defizite immer wieder gemeldet und seit Jahren
bekannt seien, ohne dass sich eine Besserung abzeichne.
In diesem Punkt gilt es, verloren gegangenes Vertrauen in
die militärische Führung, aber auch in die Politik zurückzugewinnen,
nicht zuletzt im Hinblick auf die bevorstehende
weitere Strukturreform, der die Soldatinnen und
Soldaten mit großer Verunsicherung, Skepsis und Sorge
entgegenblicken.
Der Jahresbericht spiegelt die Erkenntnisse des Wehrbeauftragten,
die dieser im zurückliegenden Kalenderjahr
zur Situation der Bundeswehr und der Motivation ihrer
Soldatinnen und Soldaten gewonnen hat. Darüber hinaus
zeigt dieser Bericht auf der Grundlage der Analyse bestehender
Mängel und Defizite einige der Probleme auf, die
mit der neuen Strukturreform auf die Bundeswehr zukommen,
und legt dar, welche Forderungen an die Reform
sich daraus ableiten. Angesichts des Umfangs und
der Tragweite dieser Reform erscheint eine solche Vorausschau
geboten.
Der diesjährige Jahresbericht hat drei Schwerpunkte, die
sich aus der Eingabenlage, aber auch aus den Erkenntnissen
der Gespräche mit den Soldatinnen und Soldaten bei
Truppenbesuchen herausgebildet haben. Besonders intensiv
befasst er sich mit dem Thema „Vereinbarkeit von Familie
und Dienst“, das sich fast durchgehend bei allen
übrigen Themen als übergeordnete Fragestellung begleitend
hinzugesellt. Das beginnt bei den grundlegenden
Fragen der künftigen Struktur der Bundeswehr und endet
keineswegs bei den Fragen der Stehzeiten in den Auslandseinsätzen
und der Kommunikation mit der Heimat.
Weitere Schwerpunkte sind die Situation bei den Auslandseinsätzen,
insbesondere hinsichtlich der Ausrüstung
und der den Einsatz vorbereitenden Ausbildung sowie die
weiter fortbestehenden Probleme im Bereich des Sanitätsdienstes.
Die Bundeswehr wird noch einmal drastisch verkleinert.
Daneben wird voraussichtlich zum 1. Juli 2011 die Wehrpflicht
ausgesetzt. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht
werden, abgeleitet aus dem Auftrag, Umfang und Bedeutung
der Streitkräfte für unser Gemeinwesen neu bestimmt.
Der Dienst in diesen Streitkräften ist zukünftig
keine den Einzelnen treffende Pflicht mehr.
Das wird nicht ohne Auswirkungen auf die Nachwuchsgewinnung
und die Zusammensetzung der Bundeswehr
bleiben. Alle Nationen, die die Wehrpflicht in den vergangenen
Jahren abgeschafft haben, haben die Erfahrung
gemacht, dass nach Aussetzung oder Abschaffung der
Wehrpflicht die Gewinnung des Nachwuchses für die
Streitkräfte schwieriger und teurer wird. Die Bundeswehr
wird davon keine Ausnahme machen.
Auf der Kommandeurtagung in Dresden haben hohe Vertreter
der militärischen Führung eindringlich darauf hingewiesen,
dass es darauf ankomme, schon jetzt verstärkt
Freiwillig länger Wehrdienst Leistende und Zeitsoldatinnen
und Zeitsoldaten einzustellen, um die durch die Aussetzung
der Wehrpflicht entstehenden personellen Lücken
zu schließen. Dazu müssen allerdings auch die personalund
haushaltsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen
werden.
In Zukunft wird vor allem die Attraktivität des Arbeitgebers
Bundeswehr darüber entscheiden, ob eine genügende
Anzahl geeigneter Bewerberinnen und Bewerber für den
Dienst in den Streitkräften gewonnen werden kann.
Dabei zieht sich die Frage nach der Attraktivität wie ein
roter Faden durch alle Bereiche des Dienstes. Das beginnt
bei den Auslandseinsätzen mit der Frage nach der Ausbildung
und Ausrüstung und geht über die Einsatzdauer bis
hin zur Betreuung und Versorgung. Im Bereich des Personalwesens
wird die Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr
an der Transparenz und Qualität der Personalbearbeitung
sowie an den konkreten Karrierechancen
gemessen. Daneben ist die Frage nach der Vereinbarkeit
von Familie und Dienst ein ganz entscheidender Attraktivitätsfaktor.
Besoldung und Versorgung schließlich sind
die entscheidenden Faktoren, wenn es um die wirtschaftliche
Attraktivität und die Absicherung der Soldatinnen
und Soldaten und ihrer Familien geht. Auf diese Themenbereiche
geht der Bericht ausführlicher ein.
Gemäß Artikel 45b des Grundgesetzes wird der Wehrbeauftragte
zum Schutz der Grundrechte und als Hilfsorgan
des Deutschen Bundestages bei der parlamentarischen
Kontrolle der Streitkräfte berufen. Dieser Auftrag umfasst
mithin auch die Prüfung, ob die Soldatinnen und Soldaten
gut ausgebildet in ihre Einsätze entsandt und mit geeigneter
Ausrüstung und tauglichem Material versorgt werden.
Ihre Grundrechte, insbesondere der Anspruch auf Schutz
ihrer körperlichen Unversehrtheit, würden verletzt, wenn
andere Gesichtspunkte wie etwa Fragen der politischen
Opportunität, industriepolitische Erwägungen oder Kostengründe
Vorrang vor den Schutzansprüchen der Soldatinnen
und Soldaten fänden. Daher widmet sich auch dieser
Bericht ausführlich den Fragen der Bewaffnung,
Ausrüstung und Ausbildung im und für den Einsatz.
Es kann in diesem Zusammenhang zusammenfassend
festgestellt werden, dass die politische und die militärische
Führung seit dem Frühjahr eine Neubewertung der
Situation in Afghanistan vorgenommen und daraus auch
hinsichtlich der Ausrüstung zutreffende Schlussfolgerungen
gezogen haben. Es sind auch bereits zahlreiche Verbesserungen
bei Ausrüstung und Bewaffnung festzustellen.
Es bleibt jedoch abzuwarten, ob, wann und wie die
weiteren erkannten, aber noch fortbestehenden Defizite
behoben werden.
Auf Vorfälle mit rechtsextremistischem Hintergrund ist
der vorangegangene Jahresbericht ausführlich eingegangen.
Ihre Zahl war im Berichtsjahr glücklicherweise rückläufig.
Dabei handelte es sich wie in den Vorjahren vorwiegend
um sogenannte „Propagandadelikte“, das heißt
Handlungen oder Äußerungen mit rechtsextremistischem
Hintergrund ohne Gewaltanwendung. Da insoweit keine
berichtenswerten Veränderungen festzustellen sind, geht
der Bericht darauf im Folgenden nicht weiter ein. Die Beobachtung
der weiteren Entwicklungen in diesem Bereich
bleibt aber weiterhin ein Schwerpunkt der Arbeit des
Wehrbeauftragten.
Aus Gründen der Lesefreundlichkeit und der Stringenz
wurde im ersten Teil dieses Berichts auf veranschaulichende
Beispielfälle verzichtet. Sie sind diesem Bericht
unter Ziffer 16 beigegeben. Die Beispiele sind nach
Schwerpunkten zusammengefasst, belegen drastische
Einzelfälle, zeigen aber auch beispielhaft grundsätzliche
Fehlentwicklungen auf.
** Quelle: Jahresbericht 2010, S. 7-8
Hier geht es zum ganzen Bericht:
Jahresbericht 2010 (52. Bericht) - Externer Link
Charly wird's schon heilen
Standpunkt von René Heilig ***
Der Wehrbeauftragte hat Lob verdient. Er setzt sich ein für die Soldaten und deren Familien. Doch seine Möglichkeiten sind begrenzt. Laut Sanitätsdienst der Bundeswehr meldeten sich allein im Dezember 56 Afghanistan-Heimkehrer – und 18 aus anderen Auslandseinsätzen – mit Posttraumatischen Belastungsstörungen zurück. Im gesamten Jahr 2010 begaben sich 729 Bundeswehr-Kämpfer mit PTBS-Verdacht in ärztliche Behandlung. Wie hoch die Dunkelziffer ist? Niemand wagt sie zu schätzen.
Doch jetzt gibt es ja »Charly«. Das ist ein präventives Trainingssystem. Es ist vorerst nur auf Bedürfnisse von Kampfmittelräumern ausgerichtet. Doch vielleicht kann man ja damit schon bald auch die anderen militärischen Weltenbummler psychologisch-prophylaktisch grundversorgt in den Horror eines Krieges schicken. Um solche Kampfroboter müsste sich dann der Wehrbeauftragte auch keine Sorgen mehr machen. Grausame Vision! Eine, die selbst den knallharten »Tatort« vom vergangenen Sonntag zum Unterhaltungsfilm herabstuft.
Wer – wie derzeit auch Vertreter aller Bundestagsparteien – die skandalösen Vorgänge in der Bundeswehr kritisiert, sollte dabei nicht ausblenden, wer die Bundeswehr zu dieser Truppe, also zu einer Armee im Einsatz gemacht hat. Am kommenden Freitag steht im Parlament die Verlängerung des nun schon zehn Jahre währenden Afghanistan-Kriegseinsatzes an.
*** Aus: Neues Deutschland, 26. Januar 2011 (Kommentar)
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