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Gefährdung durch Auslandeinsätze, Verstöße gegen das Sexualstrafrecht, Rechtsradikalismus

Im Wortlaut: Jahresbericht 2003 des Wehrbeauftragten (Auszüge)

Im Folgenden dokumentieren wir - unkommentiert - Auszüge aus dem Jahresbericht 2003 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestags, Dr. Willfried Penner, der am 9. März 2004 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Unsere Textauszüge handeln von den Auslandseinsätzen der Bundeswehr und den sich daraus ergebenden besonderen Gefährdungen der Soldaten, von den Frauen in den Streitkräften sowie den Sexualstraftaten und von den Vorfällen mit "rechtsextremistischem" Hintergrund. Der "Fall Günzel" taucht im Übrigen in diesem Teil nicht auf.
Der gesamte Bericht ist als Bundestagsdrucksache erschienen, umfasst 68 Seiten und ist als pdf-Datei auf der Homepage des Bundestags:
http://dip.bundestag.de/btd/15/026/1502600.pdf
und des Verteidigungsministeriums dokumentiert:
http://www.bundeswehr.de/misc/pdf/wir/040308_wehrbeauftragter.pdf

Ein kritisches Positionspapier aus der Friedensforschung zu den Jahresberichten des Wehrbauftragten haben wir hier dokumentiert: "Demokratie hört nicht am Kasernentor auf"



Deutscher Bundestag, 15. Wahlperiode
Drucksache 15/2600
09. 03. 2004

Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten

Jahresbericht 2003 (45. Bericht)



2.2 Bundeswehr und Auslandseinsätze

Durchschnittlich waren monatlich ca. 8 000 Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz. Ende Dezember 2003 waren es noch ca. 6 800 Soldatinnen und Soldaten. Zu Beginn des Jahres 2003 waren deutsche Soldaten in Bosnien und Herzegowina (Stabilization Force, SFOR), Kosovo (Kosovo Force, KFOR), Mazedonien (Operation Allied Harmony, OAH), Georgien (United Nations Observer Mission in Georgia, UNOMIG) und in mehreren Ländern Afrikas und Asiens (International Security Assistance Force, ISAF und Enduring Freedom, EF) eingesetzt.

Im Laufe des Berichtsjahres waren etwa 1 300 Soldaten ständig im SFOR-Einsatz. Im KFOR-Einsatz schwankte die Zahl der eingesetzten Soldaten zwischen ca. 3 800 am Anfang des Jahres und ca. 3 200 am Jahresende. Die Zahl der in Mazedonien eingesetzten Soldaten (Operation Allied Harmony, OAH) reduzierte sich von etwa 200 Soldaten auf etwa 40 Soldaten (Operation Concordia, CONCORDIA); zum Jahresende wurde die Operation CONCORDIA beendet. In Georgien waren ständig etwa 11 Soldaten im Einsatz. Am ISAF-Einsatz waren Anfang des Jahres etwa 1 500 Soldaten beteiligt. Die Zahl stieg bis Mitte des Jahres auf ca. 2 400 Soldaten an und fiel bis zum Jahresende wieder auf etwa 1 700 ab. Die Zahl der im EF-Einsatz befindlichen Soldaten wurde von über 1 000 im Januar auf etwa 300 im Dezember reduziert. Von Juni bis September wurde der Einsatz von Soldaten im Kongo im Rahmen des von der Europäischen Union geführten Unternehmens ARTEMIS von bis zu 34 Bundeswehrsoldaten unterstützt.

In allen Einsatzgebieten wird der Dienst der Soldatinnen und Soldaten hoch geschätzt. Sie leisten unter Einsatz von Gesundheit und Leben einen wichtigen Beitrag auch im Interesse der Bundesrepublik Deutschland. Ihr Einsatz verdient uneingeschränkt Respekt und Anerkennung.

(Bericht des Wehrbeauftragten, S. 19/20)

2.2.2 Gefährdung von Soldaten

Soldaten sind im Einsatz besonderen Gefahren ausgesetzt. Eine neue Qualität der Gefährdung ergab sich im Berichtsjahr dadurch, dass deutsche Soldaten erstmals Opfer von gezielten Anschlägen wurden. Zwar hatte es schon vorher Raketenangriffe auf das Camp Warehouse in Kabul gegeben; dabei war das Lager jedoch nicht getroffen und Soldaten waren nicht verletzt worden.

Am 7. Juni 2003 kamen vier deutsche Soldaten bei einem gezielten Sprengstoffattentat auf einen Konvoi des deutschen ISAF-Kontingents ums Leben. 29 weitere wurden zum Teil schwer verletzt.

Nach dem Sprengstoffanschlag auf den deutschen Konvoi am 7. Juni 2003 wurden die Sicherheitsmaßnahmen für die Transporte zwischen Camp Warehouse und dem Flughafen Kabul erheblich verstärkt. Deutsche Soldaten werden nun ausschließlich mit geschützten Fahrzeugen der Typen Fuchs, Mungo und Wolf befördert. Dabei hat jeder Soldat im Fahrzeug die Splitterschutzweste anzulegen und den Gefechtshelm griffbereit zu halten. Fahrtrouten und -zeiten unterliegen einem ständigen Wechsel. Die Festlegung erfolgt erst unmittelbar vor der Abfahrt.

In der Nacht zum 5. Juni war eine internationale Patrouille, der auch zwei deutsche Soldaten angehörten, in Georgien entführt worden. Die Soldaten wurden am 11. Juni unversehrt wieder freigelassen.

Einsatzbedingte Unfälle mit schweren Folgen ereigneten sich auch im Berichtsjahr.

Zu einem besonders schweren Unfall kam es am 29. Mai 2003 in Kabul. Ein Bundeswehrfahrzeug vom Typ Wolf fuhr bei einem Ausweichmanöver auf eine von den Soldaten nicht erkannte Mine. Dabei wurde der Kraftfahrer getötet und der Beifahrer schwer verletzt.

Im Kosovo wurde das Fahrzeug einer Feldjägerstreife vom Typ Wolf in einer Schlucht aufgefunden. Beide Insassen waren tot. Die Untersuchung des Falles ist noch nicht abgeschlossen.

Ein absoluter Schutz vor Unfällen und erst Recht vor den Folgen kriegsbedingter Handlungen ist auch und gerade im Einsatz nicht möglich. Umso mehr sind Hinweise von Soldaten vor Ort besonders zu beachten, die Behauptungen über unzureichende Sicherheitsvorkehrungen zum Gegenstand haben. Diese wurden durchweg von der militärischen Führung aufgegriffen und haben zu folgenden Maßnahmen geführt:

Im Rahmen des „Einsatzbedingten Sofortbedarfs“ zur Sicherstellung eines „Mindestschutzes“ bei fahrzeuggestützten Einsätzen wurde im Berichtsjahr in der 39. Kalenderwoche damit begonnen, zunächst 50 Fahrzeuge vom Typ Wolf mit einem modularen Splitterschutz zu versehen. Die Nachrüstung reduziert die Gefahr für Leib und Leben der Einsatzkräfte bei der Nutzung der im Einsatzraum vorhandenen ungepanzerten Klein-Kfz.

Kampf- und Schützenpanzer werden mit einem verbesserten Minenschutz ausgestattet. Ein Vertrag über die Umrüstung von 15 Kampfpanzern LEOPARD 2 mit einer Option für weitere 55 Kampfpanzer ist abgeschlossen. Die Auslieferung des ersten umgerüsteten Kampfpanzers ist im Juli 2004 geplant. Die Umrüstung von 74 Schützenpanzer MARDER 1 A 3 zum minengeschützten MARDER 1 A 5 ist ebenfalls unter Vertrag. Die ersten 45 minengeschützten Schützenpanzer sind umgerüstet und ausgeliefert, acht davon an das Einsatzkontingent KFOR.

Das mit einem optimalen Minenschutz gepanzerte Kfz DINGO 1 wurde im Rahmen des einsatzbedingten Sofortbedarfs in einer Stückzahl von 147 beschafft. 100 Exemplare sind den Heereskontingenten in allen Einsatzgebieten zur Verfügung gestellt worden, davon 50 für das deutsche Kontingent ISAF. Weitere 55 DINGO 2 (Nachfolger DINGO 1) sollen den Einsatzkontingenten zur Erhöhung des Schutzes als Patrouillenfahrzeug ab Herbst 2004 zur Verfügung gestellt werden. Im Bereich ISAF ist das mit vorrangiger Dringlichkeit beschaffte Flächenminenräumgerät im Einsatz. Eine zusätzliche Minenschutzausstattung für den Bergepanzer BÜFFEL, den Pionierpanzer DACHS und bestimmte Varianten des Mannschaftstransportwagens MTW 112, für die Panzerhaubitze 2000 und den Minenräumpanzer KEILER ist in Vorbereitung und soll bei entsprechender finanzieller Zuweisung realisiert werden. Weitere Fahrzeuge mit Splitter- oder Minenschutz vom Typ Wolf und LKW MULTI A3 sollen der Truppe im Einsatz 2004 zur Verfügung stehen.

(Bericht des Wehrbeauftragten, S. 21)

***

2.1.3 Frauen in den Streitkräften

Seit drei Jahren können Frauen in den Streitkräften entsprechend ihrer Eignung, Befähigung und Leistung in allen Verwendungsreihen Dienst leisten. Ihr Anteil an der Gesamtstärke der Bundeswehr ist im Berichtsjahr von 3,97 % im Jahr 2002 auf 4,71 % weiter angestiegen. Das entspricht einer Steigerung von 18,6 %.

Durchschnittlich leisteten ca. 9 000 Soldatinnen als Zeitoder Berufssoldaten Dienst in den Streitkräften, davon 56,25 % im Sanitäts- und 43,75 % im Truppendienst.

Auch die Zahl der Bewerberinnen stieg im Berichtsjahr an. Insgesamt bewarben sich 9 112 Frauen für den Dienst in den Streitkräften, davon 3 514 für den Sanitäts- und 5 598 für den Truppendienst. Im Jahr davor waren es insgesamt 8 835, davon 3 297 für den Sanitäts- und 5 538 für den Truppendienst.

Nach Laufbahngruppen aufgeteilt stellen sich die Zahlen der Bewerberinnen wie folgt dar: Offiziere 2 040 (2002 2 611), Unteroffiziere und Mannschaften 7 072 (2002 6 224).

Grundsätzlich lagen Bewerbungen von Frauen für alle Verwendungsreihen vor.

Anfang des Jahres veröffentlichte das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr erste Ergebnisse einer im Jahre 2001 eingeleiteten Begleituntersuchung zur Integration von Frauen in die Bundeswehr.

Nach einer ersten Auswertung kommt das Institut zu der Feststellung, dass die soziale Integration fortgesetzt und vertieft werden müsse. Handlungsbedarf wird nach der Studie insbesondere im Bereich der Vereinbarkeit von Familie/ Partnerschaft und Beruf gesehen.

Diese Feststellungen decken sich weitgehend mit den Erkenntnissen des Wehrbeauftragten.

(Bericht des Wehrbeauftragten, S. 16)

3.11 Sexualität und Bundeswehr

3.11.1 Sexualerlass

Mit dem Erlass „Sexuelles Verhalten von und zwischen Soldaten“ (ZDv 14/3, Anlage B 173) vom 25. Februar 2002 hat das Bundesministerium der Verteidigung generelle Verhaltensregeln für den Umgang mit Sexualität aufgestellt.

Es gilt der Leitsatz: „Die Intimsphäre als Teil des Persönlichkeitsrechts des Soldaten ist einer Einflussnahme des Dienstherrn grundsätzlich entzogen. Daher ist der Umgang eines Soldaten mit seiner Sexualität dienstrechtlich nur von Bedeutung, wenn er die dienstliche Zusammenarbeit erschwert oder den kameradschaftlichen Zusammenhalt beeinträchtigt und damit zu nachhaltigen Störungen der dienstlichen Ordnung führt.“

Nach Einschätzung des Bundesministeriums der Verteidigung wird der Erlass von der Truppe als eine notwendige „Orientierungshilfe“ für alle Soldatinnen und Soldaten, insbesondere aber für die Disziplinarvorgesetzten, begrüßt und grundsätzlich nicht infrage gestellt.

Gegenüber dem Wehrbeauftragten äußerten Soldatinnen und Soldaten im Berichtsjahr wie bereits im Vorjahr Kritik an einzelnen Aussagen des Erlasses und stuften sie als „lebensfremd“ ein. Sie machten insbesondere geltend:

Es sei nicht akzeptabel, dass Vorgesetzte disziplinar eingreifen müssten, sobald sie von der Aufnahme von sexuellen Beziehungen zwischen Soldaten und Soldatinnen außerhalb des Dienstes in der militärischen Liegenschaft erführen. Insbesondere sei dies der Fall, wenn die Beziehung nicht persönlich oder dienstlich störe.

Das vom Erlass statuierte Verbot sexueller Betätigung innerhalb militärischer Liegenschaften führe im Auslandseinsatz praktisch zu einem generellen Verbot sexueller Betätigung. Der Auslandseinsatz sei nämlich mit dem ständigen Aufenthalt in der militärischen Liegenschaft verbunden.

Entsprechendes gelte für den Fall der Kasernenwohnpflicht im Inland.

Das Bundesministerium der Verteidigung beabsichtigt, den Erlass zu überarbeiten. Die Hinweise der Soldaten und Soldatinnen werden aufgenommen. Es ist nach gegenwärtigem Stand an folgende Lösungswege gedacht:

Eine sexuelle Betätigung außerhalb der Dienstzeit in militärischen Liegenschaften zwischen Soldaten soll künftig toleriert werden können, wenn der Dienst oder das Kameradschaftsgefüge nicht beeinträchtigt werden.

Disziplinarvorgesetzte sollen von der Pflicht entbunden werden zu überprüfen, ob sexuelle Beziehungen von vornherein auf Dauer angelegt sind. Anknüpfungspunkt für oder gegen die Aufnahme disziplinarer Ermittlungen sollen mögliche Auswirkungen auf den Dienstbetrieb bzw. auf das Vertrauen in die handelnden Personen als Vorgesetzte sein.

Die Aussagen zum Eindringen in die Ehe oder in die eheähnliche Lebensgemeinschaft eines Kameraden sollen so angepasst werden, dass disziplinare Ermittlungen nur dann aufgenommen werden sollen, wenn durch den konkreten Sachverhalt eine Störung des Dienstbetriebes hervorgerufen würde.

Die beabsichtigte Überarbeitung des Erlasses wird begrüßt. Zum Umgang mit homo- und bisexuellen Bundeswehrangehörigen trugen Soldaten vor, dass es im Truppenalltag Intoleranz, Berührungsängste oder einfach nur Unsicherheit und Unwissenheit gebe.

Jeder Bundeswehrangehörige ist verpflichtet, Diskriminierungen auch im sexuellen Bereich zu unterlassen und ihnen entgegenzutreten.

Für einen unbefangenen Umgang setzt sich ein Arbeitskreis homosexueller Angehöriger der Bundeswehr (AHsAB e.V.) ein, dessen Vorsitzender im Berichtsjahr die Thematik in einer ausführlichen Aussprache dem Wehrbeauftragten geschildert hat.

3.11.2 Verstöße gegen Sexualstrafrecht

Im Berichtsjahr wurden insgesamt 83 Besondere Vorkommnisse mit Verdacht auf Verstoß gegen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung gemeldet.

Dazu einige Beispiele:

Ein Vorgesetzter rief nach den Feststellungen der zuständigen Einleitungsbehörde eine ihm unterstellte Soldatin an und befragte sie eingehend, welche sexuellen Praktiken sie bevorzuge.

Darüber hinaus bot er ihr an, mit ihr in einen „Swingerclub“ zu gehen. In einem weiteren Gespräch fragte er sie, „Na, wie war die Woche Ficken?“
Gegen den Soldaten wurde ein gerichtliches Disziplinarverfahren eingeleitet.
Ein Leutnant umarmte eine Obergefreite und versuchte sie zu küssen. Sie machte unmissverständlich deutlich, dass sie seine Annäherungsversuche nicht wolle. Dennoch drang der Leutnant ca. zwei Stunden später in die Stube der schlafenden Soldatin ein, küsste sie und berührte sie im Intimbereich. Erst nach mehrfacher laut geäußerter Aufforderung der inzwischen erwachten Soldatin, sie in Ruhe zu lassen, ließ er von ihr ab. Der Leutnant wurde fristlos entlassen.

Bisher konnten 31 Fälle abschließend untersucht werden. In sechs Fällen bestätigte sich der Verdacht auf verbale Übergriffe. In 16 Fällen konnte den verdächtigten Soldaten die Anwendung körperlicher Gewalt nachgewiesen werden.

Im Hinblick auf Kinderpornographie wurden 24 Besondere Vorkommnisse gemeldet. In 2002 waren es 18. Hierbei handelt es sich wie im Vorjahr um Fälle, bei denen der Verdacht auf Besitz und/oder Verbreitung von Bildern und/oder Filmen mit entsprechendem kinderpornographischen Inhalt Gegenstand der Meldung war.

Die Aufklärung der Fälle gestaltet sich schwierig. Häufig sind Besitz und/oder Verbreitung entsprechenden Materials nur schwer nachzuweisen, weil sichergestelltes Material nicht eindeutig zugeordnet werden kann.

Dateien waren beispielsweise über Netzwerke vielen Benutzern zugänglich oder es war nicht auszuschließen, dass Mails mit veränderter Absenderkennung verschickt wurden.

3.11.3 Meldung und Untersuchung von Verstößen gegen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung

Gemäß der ZDv 10/13 Nr. 304 ist der Verdacht des Verstoßes gegen die sexuelle Selbstbestimmung als Besonderes Vorkommnis zu melden. Ausnahmen von dieser Meldepflicht sind in der ZDv nicht vorgesehen. In der Nichtmeldung eines solchen Verdachtes, aus welchen Gründen auch immer, ist dementsprechend ein Verstoß gegen die Dienstvorschrift zu sehen. Ein solches Besonderes Vorkommnis muss auch dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages mitgeteilt werden. Diese Unterrichtung ist angesichts der Brisanz des Themas und des daraus abgeleiteten Interesses des Parlaments, über entsprechende Vorgänge unterrichtet zu werden, und wegen der gesteigerten Sensibilität der Öffentlichkeit bei Themen der Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung von besonderer Bedeutung. Die Einhaltung der Dienstvorschrift 10/13 ist deshalb auch für die Arbeit des Wehrbeauftragten unerlässliche Voraussetzung.

Die Dienstvorschrift ist im Berichtsjahr nicht immer beachtet worden.

Ein Beispiel:

Von einem Bataillon wurde der Verdacht eines Verstoßes gegen die sexuelle Selbstbestimmung nicht gemeldet. Es berief sich dabei auf den Gesichtspunkt des Opferschutzes. Der Wehrbeauftragte erfuhr von diesem Vorfall erst aus den Medien.

Das ist ein Verstoß gegen die ZDv 10/13; eine diesbezügliche Ausnahme von der Meldepflicht aus Opferschutzgründen ist nicht vorgesehen.

Die Führungsstäbe der militärischen Organisationsbereiche wurden aufgefordert, im unterstellten Bereich auf die Einhaltung der diesbezüglichen Meldepflichten hinzuwirken. Im Falle eines Verdachts ist der Sachverhalt mit größtmöglicher Sorgfalt aufzuklären. Vorgesetzte und Kameraden dürfen nicht einmal den Anschein erwecken, das Opfer würde nicht ernst genommen. Sexuelle Diskriminierungen sind ein massiver Eingriff in die Würde des Menschen. Angesichts der Schwere eines solchen Eingriffs ist der Aufklärung des Falles und dem angemessenen Umgang mit dem Opfer besondere Bedeutung beizumessen. Diesen Pflichten ist im Berichtsjahr nicht immer entsprochen worden.

Ein Beispiel:

Eine Soldatin meldete ihrem Vorgesetzten, dass ihr aus dem Fenster eines Bundeswehrfahrzeuges eine Beleidigung mit sexistischem Hintergrund nachgerufen worden sei. Aufgrund der Dunkelheit habe sie Nummernschild und Fahrer des Wagens nicht erkennen können. Der Vorgesetzte nahm die Ermittlungen zwar auf, unterließ es aber, die Ergebnisse der Vernehmungen in einem Aktenvermerk festzuhalten oder zu protokollieren. Damit verstieß er gegen § 32 WDO. Die Aufklärung des Sachverhalts erfolgte nicht mit der gebotenen Sorgfalt; das Verfahren wurde in die Länge gezogen. Ein solches Verhalten von Vorgesetzten ist angesichts des Verdachts eines Eingriffs in die sexuelle Würde eines Menschen unangemessen.

(Bericht des Wehrbeauftragten, S. 32-33)

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3.13 Rechtsextremismus

Mutmaßungen über rechtsextremistische Tendenzen in der Bundeswehr im Zusammenhang mit der Versetzung eines Generals in den einstweiligen Ruhestand geben Anlass zu der Feststellung:

Die Bundeswehr ist eine demokratische Institution im demokratisch verfassten Staat. Sie schützt die Freiheit und das Recht. Zu den tragenden Werten gehören die Achtung und der Schutz der Würde des Anderen. Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit haben in der Bundeswehr keinen Platz.

Im Berichtsjahr wurden 139 „Besondere Vorkommnisse“ mit Verdacht auf rechtsextremistischen oder fremdenfeindlichen Hintergrund gemeldet. In den Jahren 2000 bis 2002 waren 196, 186 bzw. 111 einschlägige Meldungen registriert worden.

Bei den gemeldeten Besonderen Vorkommnissen stehen ausschließlich Propagandadelikte in Rede; Gewaltdelikte mit rechtsextremistischem Hintergrund waren nicht darunter. Es geht im Wesentlichen um Schmierereien, das Hören von rechtsextremistischer oder fremdenfeindlicher Musik sowie um das Zeigen des „Hitlergrußes“, „Sieg- Heil“-Rufe und die Kundgabe nationalsozialistischer Parolen, oft begleitet von beleidigenden und fremdenfeindlichen Äußerungen.

Bei den Tatverdächtigten handelt es sich zu etwa 70 % um Grundwehrdienstleistende oder freiwillig zusätzlichen Wehrdienst leistende Soldaten. Unterteilt nach Dienstgradgruppen lag der Anteil der Mannschaften bei etwa 83 %. Unteroffiziere und Offiziere waren mit ca. 16 bzw. 1 % beteiligt.

Die Tatmotive sind unterschiedlich. Sie basieren auf politischer Überzeugung, aber auch auf der bloßen Absicht, provozieren oder für andere „spaßig“ sein zu wollen.

Einige Beispiele aus diesem Bereich:

Ein Grundwehrdienstleistender bezeichnete gegenüber anderen Soldaten einen Oberfeldwebel philippinischer Herkunft als „Fidschi“, einen Hauptgefreiten als „Neger“ und zwei Muslime in der Kompanie als „Kanaken“. In diesem Zusammenhang äußerte er sein Unverständnis darüber, dass solche Menschen Soldaten in der Bundeswehr sein könnten. Im Übrigen gab er an, vermummt an einer NPD-Veranstaltung teilgenommen zu haben. Gegen den betroffenen Soldaten wurde ein Disziplinararrest von sieben Tagen verhängt. Die Staatsanwaltschaft wurde eingeschaltet.

Während einer Feier im Unterkunftsgebäude einer anderen Kompanie zeigte ein freiwillig zusätzlichen Wehrdienst leistender Soldat in deutlich alkoholisiertem Zustand anderen Soldaten die im SMS-Speicher seines Mobiltelefons befindlichen nationalsozialistischen Symbole. Als ein weiterer Soldat die Stube betrat, deutete er durch das Anlegen von zwei Fingern an die Oberlippe den Bart von Hitler an und führte den „Hitlergruß“ aus.

Die Dienstzeit des Soldaten wurde auf neun Monate neu festgesetzt; gleichzeitig wurde gegen ihn eine Disziplinarbuße von 400 Euro verhängt. Die Vollstreckung wurde auf die Dauer von fünf Monaten zur Bewährung ausgesetzt. Auch in diesem Fall erfolgte eine Abgabe an die Staatsanwaltschaft.

Ein Maat hob nach übermäßigem Alkoholgenuss in der Mannschaftsmesse einer portugiesischen Fregatte den rechten Arm zum „Hitlergruß“. Als er von einem deutschen und portugiesischen Mannschaftsdienstgrad auf seine Fregatte zurückgebracht wurde, rief er zweimal „Heil Hitler“. Bei den daraufhin durchgeführten Ermittlungen wurde festgestellt, dass der Soldat bereits in der Vergangenheit durch rechtsextremistische Äußerungen aufgefallen war, die jedoch nicht gemeldet worden waren. So hatte er beim Landgang in der Türkei einheimische Jugendliche als „türkisches Dreckspack“ bezeichnet. Während eines Aufenthaltes in Spanien sang er die ersten beiden Strophen des Deutschlandliedes und sprach vom „Führer“. An Bord einer Fregatte sprach er gegenüber einem Mannschaftsdienstgrad vom „Führer“ und äußerte sich dahin gehend, dass „früher alles besser war und wir wieder rote Armbinden mit Hakenkreuz tragen sollten“. Schließlich wurden auf seinem privaten Laptop Dateien mit rechtsextremistischem Inhalt entdeckt. Auf seinem Rechner befanden sich indizierte Musik, das in Deutschland verbotene Computerspiel „Return to Castle Wolfenstein“ sowie eine veränderte Version des Buches „Mein Kampf“. Der betroffene Soldat wurde fristlos aus der Bundeswehr entlassen. Die Staatsanwaltschaft wurde eingeschaltet.

Nach den bisher durchgeführten Ermittlungen konnten im Berichtsjahr in rund 25 % der Fälle entweder der Anfangsverdacht nicht hinreichend bestätigt oder der Täter nicht ermittelt werden.

In einigen Fällen konnte auch die Täterschaft von Zivilpersonen nicht ausgeschlossen werden. Vereinzelt kam es zu rechtsextremistischen Schmierereien in Liegenschaften der Bundeswehr, die auch für zivile Besucher oder Dienstleister zugänglich waren.

(Bericht des Wehrbeauftragten, S. 34)


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