Die große Blutspur
Hermann Frank Meyer hat die Geschichte der "Edelweiß"-Division, der Gebirgsjäger der Wehrmacht, vorgelegt
Von Markus Mohr *
Anfang Dezember 1969 erschien im Spiegel ein für die damalige Zeit ungewöhnlicher Artikel unter dem Titel »Härter als üblich«. Die Überschrift bezog sich auf eine Aussage eines Soldaten der 1. Gebirgsdivision (»Edelweiß«-Division), der sich nur noch dunkel an die Geschehnisse auf der griechischen Insel Kephallonia im September 1943 erinnern wollte. Gestützt auf Aussagen von Überlebenden verhandelte der Beitrag den Massenmord, den die Wehrmacht an Tausenden gefangenen italienischen Soldaten beging – es war der erste Presseartikel zu diesem Thema im deutschen Sprachraum.
Im Anschluß schrieb Hubert Lanz, 1943 als General der Befehlshaber der 1. Gebirgsdivison, dem damaligen Spiegel-Chefredakteur Günter Gaus einen Brief, in dem er feststellte: »Auf der ehemaligen Wehrmacht herumzutrampeln und ihre Offiziere anzuschuldigen, ohne ein gutes Wort für ihre Opfer und ihre Leistung zu bringen, gehört heute in gewissen Kreisen zum guten Ton.« 1947 war Lanz in einem der Nürnberger Nachfolgeprozesse wegen Kriegsverbrechen in Griechenland und auf dem Balkan zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden, von denen er nur vier absitzen mußte. Statt dessen wurde er sicherheitspolitischer Berater der FDP. In Reaktion auf den Spiegel-Artikel verteilte Lanz dann im sogenannten Kameradenkreis der Gebirgsjäger, dessen Ehrenvorsitzender er 1952 geworden war, ein Memorandum, in dem er den Nazijäger Simon Wiesenthal als »Auftraggeber« jenes Artikels vermutete. Für Lanz war Wiesenthal ein »bekannter jüdischer Großinquisitor gegen die ehemalige deutsche Wehrmacht und die ehemalige NSDAP«, ja der »Leiter einer großen israelischen Spionageorganisation in Wien«.
Diese Episode aus der verdrängten Auseinandersetzung um den Gebirgsjägermassenmord ist in dem voluminösen Buch von Hermann Frank Meyer über die Geschichte der 1. Gebirgsdivision im 20. Jahrhundert nachzulesen. Auf rund 800 Seiten zeichnet Meyer das Wirken der Einheit mit den Edelweißmützen durch alle Schlachten- und Frontverläufe nach, das heißt, er beschreibt deren Scharmützel mit Partisanen ebenso wie das Auslöschen der Zivilbevölkerung in Hunderten Dörfern während des Zweiten Weltkriegs. Unter Führung eines hochgradig faschistisch ideologisierten Offizierkorps zog diese Einheit eine ungeheure Blutspur quer durch ganz Europa.
Es ist kein Zufall, daß bislang von der deutschen Geschichts- und Militärwissenschaft keine solch akribische Untersuchung einer Wehrmachtseinheit geleistet worden ist, wie sie Meyer nun vorgelegt hat. Die schlechten Gründe dafür können im letzten Kapitel des Werkes nachgelesen werden: Es hat die sich bis auf den heutigen Tag vollziehende ganz spezielle Traditionspflege des Kameradenkreises der Gebirgstruppe zum Gegenstand. Bekanntlich wird seit 1952 zu Pfingsten im bayrischen Mittenwald seitens der Bundeswehr den Gebirgsjägern offiziell gedacht. Aufgrund der sich in den letzten Jahren häufenden Proteste dagegen wurden dieses Jahr die entsprechenden Feierlichkeiten eine Woche vorverlegt worden (jW berichtete).
Um so bemerkenswerter ist die Tatsache, daß Meyer als freier, das heißt ohne institutionelle Anbindung forschender Wissenschaftler sich diesem Thema angenommen und es rund zehn Jahre lang bearbeitet hat. Dabei hat er in vorbildlicher Weise sein eigenes Familienschicksal – sein Vater wurde als Soldat der Wehrmacht in Griechenland Opfer von Partisanen – produktiv gewendet, in dem er den politischen, militärischen wie logistischen Ursachen für diese Tragödie nachspürte.
Der Friedensaktivist Jakob Knab hat in einer zustimmenden Besprechung die Ansicht geäußert, daß dieses Buch »zwanzig Jahre zu spät« erscheint. Das ist wahr und falsch zugleich. Sicher hätte es den Protesten gegen die Traditionspflege des Kameradenkreises viel früher einen enormen Auftrieb geben können. Doch vor zwanzig Jahren, sprich vor dem Fall der Mauer, wäre aufgrund der politischen Kräfteverhältnisse undenkbar gewesen, es zu schreiben. Nicht nur die deutschen Strafverfolgungsbehörden zeigten sich in Sachen Kephallonia-Massenmord außerordentlich desinteressiert, auch seitens der italienischen Staatsführung wurde hier jahrzehntelang aus zwischenzeitlich offen ausgesprochenen Gründen der NATO-Räson gemauert.
Zu Beginn seines Buches äußert Meyer den Wunsch, das seine Arbeit »die Führung des Kameradenkreises der Gebirgstruppe und der Bundeswehr sowie die deutsche Justiz anregen möge, sich kritisch mit den Taten der ›Edelweiß‹-Division und den Gründen für die Einstellung der zahllosen Ermittlungsverfahren zu befassen«. In diese Überlegung kann eine subversive Absicht hineingelesen werden: Denkt man sie auf der Basis der nun in dem Buch überzeugend und quellengesättigt dargestellten Massenmordgeschichte der 1. Wehrmachtsgebirgsdivision zu Ende, müßte die Bundeswehr in Zukunft jeden Kontakt zum Kameradenkreis meiden. Damit wäre er zur Selbstauflösung gezwungen.
Hermann Frank Meyer: Blutiges Edelweiß. Die 1. Gebirgsdivision im Zweiten Weltkrieg, Chr. Links Verlag, Berlin 2008, 789 S., 49,90 Euro
* Aus: junge Welt, 10. Mai 2008
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