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Über "den Kern der transatlantischen Differenzen"

Rede von Verteidigungsminister Peter Struck auf dem 14. Forum "Bundeswehr & Gesellschaft" der "Welt am Sonntag"

Die Rede von Verteidigungsminister Peter Struck am 3. November in Berlin wurde sehr stark beachtet. Mancher Kommentator sah darin eine Kampfansage an den Führungsanspruch der USA. dpa sprach von einer "auffallend Amerika-kritischen Rede". Zumindest wird in ihr deutlich, dass das Verteidigungsministerium sehr deutlich auch Grenzen der Militärmacht USA sieht und sich darüber hinaus Gedanken macht, warum es so schwer ist mit militärischer Gewalt Regionen zu befrieden. Wir dokumentieren die Rede, die Struck im Rahmen einer Veranstaltung der "Welt am Sonntag" unter dem Titel "Perspektiven einer erneuerten transatlantischen Partnerschaft" hielt, im Wortlaut.


Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Peter Struck, anlässlich des 14. Forum Bundeswehr & Gesellschaft der WELT am SONNTAG am 3.November 2003 in Berlin "Perspektiven einer erneuerten transatlantischen Partnerschaft"

Drei Thesen und deren Diskussion

Meine Damen und Herren,
zu Beginn drei Thesen:
  1. Die Irak-Krise war zu Recht Anlass für eine grundsätzliche Debatte über den Stellenwert und die Zukunft der transatlantischen Beziehungen. Sie hat verdeutlicht: Die Partnerschaft zwischen Europa und Amerika bedarf der Anpassung an grundlegend veränderte Bedingungen und an veränderte Partner im Übrigen nicht zum ersten Mal in der Geschichte der westlichen Demokratien.
  2. Die großen Herausforderungen, denen sich die euro-atlantischen Staaten gemeinsam stellen müssen, sind nicht verschwunden sie sind nur anders, und sie werden unterschiedlich wahrgenommen. Wie mit den veränderten Aufgaben und neuen globalen Risiken umgegangen werden soll - dies berührt den Kern der transatlantischen Differenzen, wie sie durch die Irak-Krise deutlicher zu Tage getreten sind.
  3. Die Fortsetzung der euro-atlantischen Erfolgsstory der vergangenen Jahre und Jahrzehnte ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Es wäre auf beiden Seiten des Atlantiks kurzsichtig und leichtfertig, darauf zu verzichten, die richtigen Schlussfolgerungen aus der Irak-Krise und den veränderten sicherheitspolitischen Realitäten zu ziehen.
Weder der nostalgische Rückblick noch das geschichtslose Ignorieren transatlantischer Erfahrungen und Entwicklungen helfen hier weiter. Eine erneuerte transatlantische Partnerschaft muss sich an der gemeinsamen Vergangenheit und an der gemeinsamen Zukunft orientieren. Diese neue Partnerschaft ist gegenwärtig erst in Umrissen erkennbar.

Allerdings können wir uns nicht den Luxus leisten, mit ihrer Ausgestaltung bis zur nächsten Krise, die gemeinsames Handeln erfordert, zu warten. Meine Damen und Herren, wer sich über die Zukunft der transatlantischen Beziehungen Gedanken macht, sollte zunächst versuchen, sich ein Bild von dem zu machen, was sich verändert hat. Aber auch von dem, was die Partner weiterhin verbindet.

Die führende Rolle der USA, im wesentlichen gestützt auf eine beispiellose militärische Macht, ist in den vergangenen Jahren noch klarer hervorgetreten. Die militärischen Erfolge gegen die Taliban und gegen Saddam Husseins Armee haben dies schlaglichtartig deutlich gemacht. Doch diese militärische Macht hat auch Grenzen. Sie allein befähigt nicht zum erfolgreichen "nation building" und zur nachhaltigen Stabilisierung, wie es auf dem Balkan, in Afghanistan oder im Irak erforderlich ist. Sie allein ermöglicht auch nicht die dauerhafte Lösung komplexer politischer Konflikte. Die Grenzen militärischer Macht werden uns im Nahen Osten täglich vor Augen geführt. Der Durchsetzungsfähigkeit der USA werden weniger durch potente Regionalmächte oder "Schurkenstaaten" Grenzen gesetzt als vielmehr durch die Probleme einer komplexer gewordenen Welt.

Nichtsdestotrotz ist die, zumindest relativ gewachsene, militärische Macht Grundlage des Anspruchs der USA, die Welt zu verändern, oder wie es in der Nationalen Sicherheitsstrategie heißt, im globalen Rahmen "in führender Rolle" den "Triumph der Freiheit...voranzutreiben". Eine enorme militärtechnologische Überlegenheit verstärkt den Hang, militärische Gewaltanwendung als sicherheitspolitisches Handlungsinstrument stärker zur Beeinflussung bedrohlicher Entwicklungen zur Geltung zu bringen.

Die Terrorakte des 11. September 2001 haben in den USA zu einem anhaltenden Gefühl der Bedrohung und zu einer veränderten Weltsicht geführt. Dies wurde lange Zeit und wird wohl immer noch von vielen in Europa unterschätzt.

Das Ergebnis war eine neue Entschlossenheit im - auch militärischen - Handeln gegen den internationalen Terrorismus, wie überhaupt gegen das "Böse" in der Welt. Im strategischen Bewusstsein vieler in den USA haben sich vor diesem Hintergrund die zentralen Orte der Auseinandersetzung um Freiheit und Sicherheit noch stärker aus Europa wegverlagert - hin zum Nahen und Mittleren Osten, nach Zentralasien, hin nach Süd- und Ostasien. Für die europäischen, auch für den deutschen Verbündeten, hat dies Folgen: Ihr bündnis-politischer Wert für die USA wird mehr und mehr danach bestimmt, inwieweit sie zur Lösung von Problemen in den Regionen beitragen, die für die USA künftig im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit stehen. Aber auch auf unserer Seite des Atlantiks hat sich vieles verändert. Als souveräner Staat in der Mitte Europas ist Deutschlands Verantwortung für seine eigene Sicherheit und den Weltfrieden in den vergangenen Jahren gewachsen. Tatsächlich zeigt das enorm gewachsene internationale militärische Engagement Deutschlands: Wir haben gelernt, unsere Sicherheit stärker in globalen Dimensionen zu bewerten. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Dies gilt auch für Europa. Es hat insgesamt einen mächtigen Sprung nach vorne getan. Seine Handlungsfähigkeit und bereitschaft ist größer geworden. Die EU ist zusammen mit NATO und OSZE mit Blick auf die Unterstützung osteuropäischer Staaten und die Aufbaupolitik in den Konfliktgebieten des Balkans zu einem Stabilitätsexporteur geworden. Nach den bitteren Erfahrungen aus den Balkan-Kriegen wurde der Weg zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU eingeschlagen.

Dieser Weg spiegelt die Anforderungen in der Welt der Globalisierung wider. In dieser Welt kann Europa sich nur als eine einige, auf allen Ebenen und umfassend handlungsfähige Kraft behaupten.

Und dieser Weg hat zwangsläufig den Charakter der transatlantischen Beziehungen beeinflusst. Er weist uns den Weg zu einer gleichgewichtigen Partnerschaft in der Zukunft. Die Erfahrungen eines politisch gespaltenen Europas während der Irak-Krise ändern daran nichts.

Ich glaube, sie waren eine weitere heilsame Lehre für Europa und Ansporn, den 1999 auf dem EU-Gipfel in Köln eingeschlagenen Weg mit Nachdruck weiterzuverfolgen.

Meine Damen und Herren,
die transatlantischen Beziehungen zu Beginn dieses Jahrhunderts werden nicht nur durch Veränderungen geprägt. Es gibt wesentliche Konstanten, die weiterhin tragen. Dies wird in der tagesaktuellen Diskussion häufig übersehen, obwohl es doch von enormer politischer und strategischer Bedeutung ist.

Gemeinsame Geschichte, gemeinsame Erfolge, gemeinsame Grundwerte und gemeinsame Interessen sind und bleiben absehbar ein unvergleichliches Merkmal der euro-atlantischen Staatengemeinschaft. Weit über die Grenzen von NATO und EU hinaus ist sie zum wichtigsten Produzenten von Sicherheit und Stabilität in einer unruhigen Welt geworden.

Die wirtschaftliche Interdependenz der beiden Regionen USA und Europa hat dabei weiter zugenommen und ist in der Welt einzigartig. Konkurrenz ist dieser Situation immanent. Marktwirtschaft und freier Handel lassen nichts anderes zu. Immanent ist aber auch der Zwang zur Ko-operation und zur Durchsetzung gemeinsamer Interessen für den freien Welthandel, für Marktwirtschaft, für Wachstum, Wohlstand und Prosperität in einem stabilen internationalen Umfeld.

Dieses ist umso stabiler, je mehr es durch die gemeinsamen Werte Demokratie, Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit geprägt ist. Auf dieses stabile internationale Umfeld hinzuwirken bleibt die sicherheitspolitische Kernaufgabe der transatlantischen Partner.

Es bleibt wahr: Wenn Europa und Amerika gegeneinanderstehen, wäre keines der großen Probleme dieser Welt leichter lösbar.

Meine Damen und Herren,
in den vergangenen zwei Jahren konnte man bisweilen den Eindruck gewinnen, als sei Amerika und Europa die gemeinsame Agenda abhanden gekommen. Als sei man hinsichtlich der prioritären Herausforderungen und der richtigen Vorgehensweisen auf verschiedenen Planeten angesiedelt.
Ich bin davon überzeugt, dass dieser Eindruck falsch ist. Die transatlantischen Partner stehen auch in der nächsten Zeit vor wichtigen Aufgaben, die sie nur gemeinsam angehen können und gemeinsam angehen sollten, um erfolgreich zu sein.

Stärke und Charakter der transatlantischen Beziehungen werden in der Zukunft wesentlich durch diese gemeinsame Agenda definiert.

Dazu nur einige Schwerpunkte:

1. Die Verbesserung der Fähigkeiten der NATO

Wer die NATO als zentrale Sicherheitsinstitution der euro-atlantischen Partner erhalten will, muss sie weiter anpassen in Struktur, in Zielen, in Fähigkeiten. Der Prager Gipfel war in dieser Beziehung ein großer Schritt nach vorne. Die große Erweiterung wurde beschlossen, genau so wie die Reform der Kommandostruktur, die NATO Response Force, die Transformation der Streitkräfte, Maßnahmen zur Anpassung der NATO an asymmetrische Bedrohungen, insbesondere den Terrorismus.

In Prag, spätestens aber mit der Übernahme des Einsatzes in Afghanistan, hat die NATO ihre angebliche "Sinnkrise" überwunden. Die dezidierte globalere Orientierung der Allianz, die der neuen Sicherheitslage entspricht, ist richtig.

Das Bündnis muss die Interessen seiner Mitglieder dort verteidigen können, wo sie gefährdet sind. Sonst verliert es seine Relevanz.

Dazu ist das Bündnis gegenwärtig nur bedingt in der Lage. Von den rund 1,4 Millionen Soldaten der 18 nicht-amerikanischen Bündnisstaaten sind gerade einmal etwa 55.000 im Einsatz. Trotzdem stößt das Bündnis objektiv überall an die Grenzen seiner militärischen Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit.

Deshalb ist die Transformation des Bündnisses, was seine Entscheidungs- und Führungsstrukturen und was seine militärischen Fähigkeiten angeht, so wichtig.

Der NATO-Generalsekretär hat heute zum Transformationsprozess der NATO schon das Wesentliche gesagt. Ich möchte noch einmal betonen: Diese Transformation muss auf Grundlage eines gemeinsamen Verständnisses vorangetrieben werden. Noch liegt dieses Verständnis weder auf technisch-militärischer noch auf politisch-konzeptioneller Ebene vor. Das Seminar im Rahmen des informellen Treffens der Verteidigungsminister in Colorado Springs vor vier Wochen war hier hilfreich.

Klar ist: Die Beseitigung von Fähigkeitslücken, auch und gerade zwischen den Bündnispartnern, zu der wir uns in Prag verpflichtet haben, und die Umsetzung des NRF-Konzepts sind Schlüsselelemente für einen erfolgreichen Transformationsprozess der NATO.

Ich halte dies auch deshalb für wichtig, um die Versuchung unseres amerikanischen Bündnispartners zu verringern, auf das für die Allianz insgesamt schädliche Muster der "coalition of the willing" zurückzugreifen. Wir brauchen verlegbare Streitkräfte, und wir brauchen rasche Entscheidungsprozesse in der NATO und in den Mitgliedsstaaten. Am Konsensprinzip im Bündnis darf dabei nicht gerüttelt werden.

Ich habe mich vor diesem Hintergrund dafür ausgesprochen, den raschen multinationalen Einsatz der Bundeswehr durch ein Parlamentsbeteiligungsgesetz zu regeln. Ich gehe davon aus, dass wir dieses bis zum Frühjahr des nächsten Jahres im Bundestag beschließen können.

2. Die Stärkung der europäischen Handlungsfähigkeit

Ein starkes und handlungsfähiges Europa liegt im amerikanischen Interesse. Ein schwaches Europa schwächt auch die transatlantischen Beziehungen. Ein stärkerer europäischer Akteur kann wie ein übermächtiger amerikanischer Akteur - jedoch zu Spannungen führen. Diese gilt es im gemeinsamen Interesse möglichst gering zu halten.

Unser Grundverständnis muss sein: Die Ausgestaltung der GASP und der ESVP ist nicht eine Sache der Europäer allein. Wir Europäer brauchen die amerikanische Unterstützung für die weitere europäische Integration, und wir wollen eine optimale Zusammenarbeit zwischen EU und NATO.

Drei ESVP-Operationen seit Anfang 2003 unterstreichen Handlungsbereitschaft und fähigkeit der Europäer. Mit dem Entwurf einer EU-Sicherheitsstrategie werden die GASP und die ESVP strategisch besser unterfüttert. Der EU-Verfassungsvertrag sieht eine deut-liche Weiterentwicklung der ESVP vor, so die Möglichkeit der strukturierten und der engeren Zusammenarbeit für Gruppen von Mitgliedsstaaten.

Die Aufgaben, die das amerikanische und europäische Engagement erfordern, sind zahlreich. Dazu zähle ich
  • die Umsetzung der strategischen Part-nerschaft bei internationalen Einsätzen auf Grundlage von Berlin plus, wie in Mazedonien mit Erfolg praktiziert;
  • die Umsetzung der Vorgaben aus ECAP und PCC und deren optimale Harmonisierung; dies betrifft auch und gerade die Abstimmung des NRF-Konzepts mit einer absehbaren Weiterentwicklung des European Headline Goal;
  • die stärkere Fokussierung nicht nur von NATO, sondern auch der EU auf neue Risiken wie Terrorismus und Bekämpfung der Proliferation. Hier sind wichtige Grundlagen bereits geschaffen. Ganz generell halte ich es für unverzichtbar, größtmögliche Transparenz bei der Fortentwicklung der ESVP gegenüber den USA sicherzustellen. Dies geht nur im vertrauensvollen Dialog.
Einen Ansatz, die ESVP als Gegengewicht gegen die USA zu entwickeln, halte ich für schädlich für das Zusammenwirken von EU und NATO.
Gleichwohl bin ich davon überzeugt, dass wir die Kompatibilität von ESVP und NATO durch Aufgabenteilung verbessern können.

3. Förderung regionaler Stabilität

Die Förderung regionaler Stabilität, die Entschärfung und Bewältigung regionaler Krisen und Konflikte innerhalb und außerhalb Europas ist eine strategische Herausforderung ersten Ranges.

Gemeinsame Konzepte der transatlantischen Partner liegen allerdings nur in Ausnahmefällen vor.

Was außerhalb NATO und Europäischer Union, was in Regionen wie dem Nahen Osten und Mittleren Osten, dem Kaspischen Raum, was in Südostasien oder in Teilen Afrikas heute in Entwicklung und Stabilität nicht investiert wird, fällt morgen auf uns in Europa und auf die USA als Sicherheitsproblem wieder zurück!

Die Entwicklung des internationalen Terrorismus hat dies eindrücklich bestätigt.

Wir müssen alles tun, um zur Entwicklung von Zusammenarbeit und kooperativen Sicherheitsstrukturen, zu wirtschaftlichen Perspektiven, zur Lösung politischer Kon-flikte und zu nachhaltigen Friedensstrategien beizutragen. Bei dem langjährigen Engagement auf dem Balkan wurde überzeugend unter Beweis gestellt, was die euro-atlantischen Staaten bei konzertiertem Vorgehen in der Friedenssicherung zu leisten imstande sind.

In Afghanistan wirken Europa und die USA eng zusammen, um dem Terrorismus ein wichtiges Rückzugsgebiet zu entziehen und dem Land eine Perspektive zu geben. Dies bleibt ein vielschichtiger Prozess, der nur gemeinsam zum Erfolg geführt werden kann.

Weniger ermutigend stellt sich die Lage im Nahen Osten dar. Der sogenannte Friedensprozess ist faktisch zum Erliegen gekommen. Gewalt auf beiden Seiten bestimmt seit Monaten das Verhältnis der Konfliktparteien. Der ungelöste Nahostkonflikt prägt und blockiert alle Versuche einer regionalen Stabilisierung. Hier sind neue Anstöße und Anstrengungen erforderlich.

Die Road Map ist ein Modell für gemeinsame europäisch-amerikanische Bemühungen zur Lösung dieses schwierigen Konflikts. Es gibt zu ihr keine glaubwürdige Alternative. Doch wir sollten über die Road Map hinaus denken.

Warum sollten die euro-atlantischen Partner nicht versuchen, in einen transatlantischen Dialog über die gesamte Nahost-/Mittelostregion einzutreten und gemeinsame Strategien zu entwickeln.

Nirgendwo sonst gibt es ein solches Konglomerat von Krisenursachen wie Proliferationsrisiken, anti-westlichen Ressentiments, Terrorismus, Drogen oder der streitigen Nutzung von Rohstoffen. Stabilitätstransfer in diesen Teil der Welt, für den sich der Begriff "Greater Middle East" eingebürgert hat, ist ein strategischer Imperativ.

Er kann nur gemeinsam umgesetzt werden im Zusammenwirken der Mittel und Möglichkeiten von Amerikanern und Europäern. Dies schließt ein, für den Irak einen tragfähigen Stabilitätsansatz unter dem Dach der VN zu entwickeln, der irakische Souveränität und gesellschaftliche Normalisierung unter demokratischen Vorzeichen und in einem gesicherten Umfeld ermöglicht.

Dies würde ein gemeinsames Verständnis erfordern, wie der Iran weiter demokratisiert und die Entwicklung von Nuklearwaffen verhindert werden kann. Dies würde auch gemeinsame Anstrengungen im Anti-Terrorkampf in Zentralasien bedeuten und würde insbesondere die EU zwingen, für diesen Raum eine Regionalstrategie zu entwickeln, die politische, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Elemente umfasst.

Eine solche transatlantische Strategie für die gesamte Region mag vielen sehr ambitioniert erscheinen. Wir sollten uns aber darüber im Klaren sein, dass angesichts der Risiken für unsere Sicherheit Handlungsbedarf besteht, dem sich Europäer und Amerikaner aus strategischen Gründen stellen müssen.

Weitere Regionen möchte ich nur anreißen:

Gibt es angesichts der nuklearen Eskalationsgefahren des Kaschmirkonflikts eine gemeinsame Südasienpolitik?

Was können die Europäer zur Entschärfung des nordkoreanischen Nuklearproblems beitragen?

Wie koordiniert gehen Amerika und Europa mit den vielfältigen Krisen in Afrika um, wo Staaten zerfallen und Rückzugsgebiete für Terrornetzwerke entstehen?

Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass viele dieser Sicherheitsfragen ohne die Einbeziehung Russlands nicht bewältigt werden können. Die politischen Ressourcen, die geographische Lage, die historischen Bindungen zu vielen Staaten machen das neue Russland zu einem wichtigen Partner für die euro-atlantische Staatengemeinschaft bei der Festigung der globalen Stabilität.

Gemeinsame Agenda

Meine Damen und Herren,

ich möchte nun auf einige Voraussetzungen eingehen, denen meiner Ansicht nach große Bedeutung zukommt, um die Allianz zu revitalisieren und die gemeinsame Agenda zum Erfolg zu führen.

Erstens: Internationales Recht

Die Verlockungen einseitigen Handelns sind für eine militärische Weltmacht naturgemäß stärker als für andere Staaten.
Allerdings haben sich auch die USA einem dichten Netz internationaler Institutionen und Regeln unterworfen. Es dient dazu, die unheilvolle Trennung von Macht und Recht zu verhindern, bindet auch die vielen kleineren Staaten und verhindert durch die Teilnahme der USA gerade auch Bündnisse gegen die USA.
Richtig ist, dass in Europa bisweilen vergessen wird, dass internationales Recht nur dann Gewicht entfaltet, wenn es auch durchgesetzt werden kann notfalls mit militärischen Mitteln.
Umgekehrt übersieht der eine oder andere in den USA bisweilen, dass die Anwendung militärischer Macht meist nur dann zu guten politischen Ergebnissen führt, wenn sie durch internationales Recht legitimiert und in ein überzeugendes politisches Konzept eingebettet ist.

Niemand wird die USA auch künftig daran hindern können, bei Gefährdung ihrer Interessen auch einseitig zu handeln.
Aber es dürfte für sie angesichts der multilateralen Natur vieler sicherheitspolitischer Probleme und dem Wunsch nach einer angemessenen Lastenteilung ein Gebot der politischen Klugheit sein, dem Vorschlag von Joseph Nye an die eigene Regierung zu folgen: "Try multilateralism first".

In diesen Zusammenhang gehört die so streitig diskutierte Frage eines möglichen präemptiven militärischen Vorgehens gegen Terroristen und andere Bedrohungen.
Ich will nicht in Abrede stellen, dass es Situationen geben kann, die die Inanspruchnahme des Rechts auf präemptive Selbstverteidigung unvermeidbar machen.
Ich halte es aber mit Henry Kissinger, der Zweifel anmeldet, ob ein allgemeines Recht auf Präemption im Interesse Amerikas oder der Welt liegt.

Präemptives Handeln setzt im Übrigen eindeutige Aufklärungsergebnisse voraus. Die nicht auffindbaren Massenvernich-tungswaffen im Irak haben gezeigt, wie dünn das Eis sein kann, wenn man sich auf der Basis angeblich eindeutiger Beweise über eine unmittelbare Bedrohung in einen Selbstverteidigungskrieg begibt.
Das Gewaltverbot darf nicht ausgehöhlt werden. Denn davon würden zuallererst all jene Akteure profitieren, die sich schon bisher schwer getan haben, internationales Recht zu akzeptieren.

Zweitens: Multilateralismus

Es ist zwar richtig: Für einen Staat wie Deutschland ist Multilateralismus ein Muss, für die USA ist es eine Option unter mehreren. Der Irak-Krieg hat dies erneut bestätigt.

Dies ändert aber nichts daran, dass auch für die Weltmacht USA multilaterales Vorgehen zur Bewältigung globaler Sicherheitsprobleme in aller Regel die beste Option darstellt.
Auch eine Nation ohne ebenbürtige Gegner kann nicht ohne Partner auskommen. Dies wird Tag für Tag deutlich in den Krisenregionen dieser Welt.

Weit über 30 Nationen sind in Südosteuropa, genau so viele in Afghanistan militärisch engagiert, um ein sicheres Umfeld zu schaffen und "nation-building" zu ermöglichen.

Politische Legitimität, internationale Unterstützung und angemessene Lastenteilung sind selbst für die stärkste Macht von hoher Bedeutung für ihr Handeln nach außen und nach innen.

Multilateralismus ist eben nicht lästiges Beiwerk oder Zugeständnis an kleinere Partner. Bezogen auf die NATO heißt dies für mich: Eine auf die "toolbox"-Rolle begrenzte NATO wird nicht lebensfähig bleiben. Ad-hoc-Verbündete können ein festes Bündnis nicht ersetzen!

Andererseits sollten die Europäer erkennen, dass Multilateralismus kein Selbstzweck und kein Dogma sein kann.
Es macht wenig Sinn, beispielsweise den VN eine Rolle zuzuschreiben, die sie - sei es wegen fehlender Einigkeit im Sicherheitsrat, sei es wegen unzureichender Entscheidungs- und Krisenmanagementstrukturen, sei es wegen fehlender militärischer Kapazitäten - häufig schlicht und einfach nicht wahrnehmen können.

Drittens: Strategischer Dialog

Amerika und Europa müssen "erste Wahl" füreinander bleiben. Dies verlangt Bereitschaft zu substanziellen Beiträgen. Dies verlangt aber auch gegenseitigen Respekt und die Fähigkeit, divergierende Positionen nicht als Anfang vom Ende einer virtuellen transatlantischen Harmonie zu interpretieren.

Sondern als Ausdruck einer wünschenswerten politischen Emanzipation und gleichberechtigter Partnerschaft. Entscheidend ist etwas anderes. Gemeinsames Handeln setzt einen umfassenden und intensiven Dialog und entsprechende Abstimmung über Handlungsoptionen voraus.

Dies hat in den vergangenen Jahren gelitten. Wer nicht miteinander redet oder reden will, kann auch nicht gemeinsam handeln. So einfach ist das.

Insbesondere die NATO muss wieder stärker zum Forum der strategischen Diskussion und der gemeinsamen transatlantischen Beschlussfassung genutzt werden.

Die NATO ist nicht Erfüllungsgehilfe für die Umsetzung von in Washington getroffener Entscheidungen. Niemand, der eine starke NATO will, wird eine solche NATO wollen.

Sie kann aber auch nicht ersetzt oder ausgehöhlt werden durch europäische Duplikationen. Sie bleibt, richtig genutzt, für beide Seiten unersetzlich für die Konsultation unter Verbündeten und Freunden und für effektives Handeln. Je komplexer und unübersichtlicher das sicherheitspolitische Umfeld ist, desto größer ist der Bedarf zum strategischen Austausch über globale Sicherheitsfragen.

Mit der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA und der EU-Sicherheitsstrategie liegen wichtige Voraussetzungen vor, um in der NATO, zwischen NATO und EU sowie auf bilateraler Ebene die strategische Analyse und die strategischen Handlungsoptionen einander anzunähern.

Viertens: Europas Beiträge

Es kann keine Frage sein, dass die mangelnde Handlungsfähigkeit Europas eines der zentralen Probleme der transatlantischen Beziehungen ist.

An einem schwachen Europa verlieren die USA das Interesse. Auch deshalb wird Europa militärisch handlungsrelevanter.

Dieses stärkere Europa darf nicht als Gegenmacht zu Amerika entwickelt werden, sondern als starker Partner mit in der Welt einzigartigen Ressourcen.
Wie keine andere Institution ist die EU in der Lage, politische, militärische, zivile und wirtschaftliche Mittel im Zusammenhang zur Krisenbewältigung zur Anwendung zu bringen.

Amerika seinerseits wäre schlecht beraten, wenn es der Versuchung der Spaltung der Europäer nachgeben würde. Das mag kurzfristig das Handeln erleichtern, führt längerfristig aber nur zu Nachteilen.

Entscheidend ist das gemeinsame Ziel: Gemeinsam besser in der Lage zu sein, die veränderten sicherheitspolitischen Herausforderungen zu meistern, indem die besten Ressourcen beider Seiten für die gemeinsamen Ziele genutzt werden.
Diesem Ziel dient der vom mir eingeschlagene neue Kurs für die Bundeswehr. Er wird die Fähigkeiten der Streitkräfte wesentlich verbessern und ihnen erlauben, erfolgreich zusammen mit den Verbündeten und Partnern in multinationalen Operatio-nen zu agieren. Ohne die Gefahr der Überforderung der Bundeswehr als Ganzes, angepasst an ein verändertes Aufgabenprofil.

Meine Damen und Herren,

nach der Überwindung der Irak-Krise in den transatlantischen Beziehungen drängt die Zeit für die Ausgestaltung einer erneuerten transatlantischen Partnerschaft.

Wer den Blick nach vorne richtet, wird erkennen, dass es dazu gar keine vernünftige Alternative gibt. Die globale Dimension unserer Sicherheit und die Veränderungen im transatlantischen Binnenverhältnis geben den Takt vor.

Je rascher wir daraus die richtigen Konsequenzen ziehen, desto wirksamer können die einflussreichsten und leistungsstärksten Staaten der Welt komplementär zur Verteidigung von Sicherheit und Stabilität zusammenwirken.

Vielen Dank.

Quelle: Homepage des Verteidigungsministeriums, (www.bundeswehr.de)


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