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Global Player Bundeswehr

Entwurf der Verteidigungspolitischen Richtlinien aus dem Hause Struck - Eine Kritik

Verteidigungsminister Peter Struck hat Eile, mit der Novellierung der alten "Verteidigungspolitischen Richtlinien" aus dem Jahr 1992 noch in diesem Frühjahr die Bundeswehr auf interventionistischen Vordermann zu bringen.
Wir haben zuletzt über die Pressekonferenz des Verteidigungsministers im Februar 2003 berichtet (Bundeswehrreform: Schwerpunkt multinationale Einsätz) und über eine Stellungnahme aus der Friedensbewegung hierzu informiert.
Im Folgenden dokumentieren wir eine Einschätzung von Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung (IMI), Tübingen. Anlass für Pflügers Artikel (erschienen am 26. April in der Tageszeitung "junge Welt") war eine auszugsweise Veröffentlichung eines Entwurfs aus dem Verteidigungsministerium in der Zeitung "Die Welt". Auf der Homepage des Verteidigungsministers ist von diesem "Entwurf" noch keine Spur zu finden.

Dementi des Verteidigungsministeriums

Was den Punkt "Einsatz der Bundeswehr im Inneren" betrifft, den Tobias Pflüger in seinem Artikel anspricht, gibt es offenbar unterschiedliche Positionen. Die Meldungen hierzu:
  • Reuters (24.04.2003): Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) will Einsatzkräfte der Bundeswehr nach einem Zeitungsbericht auch für die Terrorismus-Bekämpfung im Inland bereit halten.
    Die Bundeswehr werde zum Schutz von Bevölkerung und wichtiger Infrastruktur vor terroristischen Bedrohungen Kräfte und Mittel entsprechend dem Risiko bereitstellen, berichtete "Die Welt" vorab aus der Freitagausgabe (25.04.03) unter Berufung auf einen Entwurf der Verteidigungspolitischen Richtlinien des Ministers. Die Streitkräfte sollten immer dann zur Verfügung stehen, "wenn nur sie über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen oder wenn zum Schutz der Bürger und kritischer Infrastruktur ein erheblicher Personaleinsatz erforderlich wird". Das Ministerium erklärte, die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien seien noch nicht fertig gestellt und würden erst Ende Mai im Kabinett beraten. Deshalb wolle man den Bericht nicht kommentieren.
    Struck sieht nach einem Bericht der "Bild"-Zeitung eine zunehmende Bedrohung Deutschlands "durch weit reichende Raketen und terroristische Angriffe". Diese Bedrohungen stellten zusätzliche Anforderungen an die Bundeswehr im Inland.
  • AFP (25.04.03): Das Bundesverteidigungsministerium hat Zeitungsberichte über den angeblichen Inhalt der neuen verteidigungspolitischen Richtlinien dementiert. Das, was derzeit kursiere, seien "absolute Arbeitsentwürfe aus der ersten Phase der Erarbeitung, nicht aus der aktuellen", sagte ein Ministeriumssprecher vor Journalisten in Berlin. Zu einem Zeitungsbericht, wonach die Bundeswehr auch im Inland zum Kampf gegen den Terrorismus eingesetzt werden solle, sagte der Sprecher lediglich: "Alle geltenden Gesetze und Bestimmungen werden in diesen verteidigungspolitischen Richtlinien berücksichtigt". Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) werde die Öffentlichkeit in "nicht ferner Zukunft" über die Aktualisierung der elf Jahre alten Richtlinien informieren. Laut "Bild"-Zeitung will Struck die neuen Richtlinien Mitte Mai vorstellen.


Tobias Pflüger: Global Player Bundeswehr

Eigentlich wollte Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) sie erst im Mai offiziell vorstellen: seine neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR). Der Welt wurde derweil schon jetzt ein 21-seitiger Entwurf zugespielt. Auszüge daraus veröffentlichte die Zeitung am Freitag. Kernaussage: Struck will die Bundeswehr in Zukunft nicht nur weltweit auf Jagd nach Terroristen schicken, sondern entsprechende Kräfte auch zur Terrorbekämpfung im Inland bereitstellen.

Wie erwartet, taucht in dem Text auch das Konzept des Präventivkriegs auf. In den VPR wird die frühzeitige Anwendung militärischer Maßnahmen zur politischen Krisenvorsorge gegenüber nichtstaatlichen Akteuren und Terroristen angedroht. Das ist übersetzt: Vorbeugender Angriff auf Verdacht ohne unmittelbaren Anlaß. Die Ablehnung des Irak-Krieges durch die deutsche Regierung hat also erwartungsgemäß nichts mit der besonderen deutschen Friedensliebe zu tun. Die Ablehnung dieses Krieges ist wesentlich erklärbar durch andere Interessen Deutschlands in der Region. Das Grundprinzip des Irak-Krieges, das des Präventivschlags, hält die Bundesregierung offenkundig für legitim, wie der VPR-Entwurf belegt.

Zum Einsatz der Bundeswehr im Innern heißt es unter anderem, zum Schutz der Bevölkerung vor »terroristischen und asymmetrischen Bedrohungen« werde die Bundeswehr »Kräfte und Mittel entsprechend dem Risiko« bereithalten. »Auch wenn dies vorrangig eine Aufgabe für Kräfte der inneren Sicherheit ist, werden die Streitkräfte immer dann zur Verfügung stehen, wenn nur sie über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen«. Dieser geplante umfangreiche Einsatz im Innern ist wie die präventive Gefahrenabwehr ein Bruch des Grundgesetzes. Der Wachdienst der Bundeswehr bei den US-Militärstandorten in Deutschland steht hier Pate.

Die Notwendigkeit der Wehrpflicht wird in dem Text unter anderem folgendermaßen herausgestellt: »Der Schutz Deutschlands einschließlich der Befähigung zur Rekonstitution sowie die eventuelle Unterstützung bei Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen begründen auch künftig die allgemeine Wehrpflicht.«

»Die Landesverteidigung im Bündnisrahmen gegen konventionelle Angriffe als die bisher maßgeblich strukturbestimmende Aufgabe der Bundeswehr entspricht nicht mehr den sicherheitspolitischen Erfordernissen«, heißt es im VPR-Entwurf. Damit wird offiziell Abschied genommen vom Grundgesetz, in dem es heißt: »Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.« Das Verteidigungsministerium erklärt weiter: »Die bisher ausschließlich für die Landesverteidigung gegen einen konventionellen Angreifer vorgehaltenen Fähigkeiten werden angesichts des neuen internationalen Umfeldes nicht länger benötigt. Sie können zudem angesichts der knappen, zur Schwerpunktbildung zwingenden Ressourcenlage nicht mehr erbracht werden, ohne daß sich dies nachteilig auf die künftig erforderlichen Fähigkeiten auswirkt.« Weitere Standortschlieungen zugunsten einer fast ausschließlichen Konzentration auf Auslandseinsätze sind damit angekündigt.

Künftige Einsätze, heißt es weiter, lassen sich »weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geographisch eingrenzen«. Der politische Zweck bestimme »Ziel, Ort, Dauer und Art eines Einsatzes«. Schnell einsatzfähige Truppen sind das Ziel, mit den im Entwurf so genannten »Operationen mit hoher Intensität« können nur Aktionen des Kommandos Spezialkräfte oder der Division Spezialoperationen (DSO) gemeint sein.

Die Welt lobt Struck dafür, daß in dem Papier gleich mehrfach die Bedeutung der NATO unterstrichen und die USA als zentraler Bündnispartner genannt werden. »Ohne die Vereinigten Staaten von Amerika kann es auch künftig keine Sicherheit in und für Europa geben«, heißt es da, und: »Die transatlantische Partnerschaft verlangt einen angemessenen deutschen Beitrag, um gemeinsam die neuen Herausforderungen in und um Europa bewältigen zu können.« Die letzte Formulierung deutet die Schwerpunktverschiebung in Richtung einer Militärmacht EU an, wie sie unter anderem mit dem deutsch-französisch-belgischen Sondergipfel am kommenden Dienstag auf den Weg gebracht werden soll.

Zur Terrorbekämpfung wird im Entwurf erklärt: »Die Bundeswehr bekämpft weltweit operierende Terrororganisationen und trägt dazu bei, ihnen sichere Rückzugsgebiete zu entziehen und Seeverbindungswege zu sichern.« Als besondere Gefahr für die westliche Zivilisation werden »religiöser Extremismus und Fanatismus« genannt. Dieser Satz nach dem Irak-Krieg gelesen, zeigt die Doppelbödigkeit westlicher Politik. Der Balkan wird als europäischer Einflußbereich definiert: »Die fortdauernd labile Sicherheitslage auf dem Balkan erfordert weiterhin das besondere Engagement gerade der europäischen Nationen.«

Im nächsten Monat soll Strucks Richtlinienentwurf im Bundeskabinett beraten werden.

Aus: junge Welt, 26. April 2003


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