Immer weniger Geld für das Militär – Aufgabenteilung im Bündnis als Ausweg?
Interview mit Christian Mölling, Stiftung Wissenschaft und Politik. Aus der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *
Andreas Flocken (Moderator):
Dass die Bundeswehr umgebaut und verkleinert wird, liegt im Wesentlichen auch an den leeren Kassen. Vor diesem Hintergrund ist seit einiger Zeit viel von Arbeitsteilung zwischen den Streitkräften im Bündnis die Rede. „Pooling und Sharing“ lauten inzwischen die geflügelten Worte. Beschworen wurde die militärische Kooperation beispielsweise auch Anfang des Monats während der Sitzung des deutsch-französischen Ministerrats in Paris.
Über die Möglichkeiten der Zusammenarbeit habe ich mit Christian Mölling von der Stiftung Wissenschaft und Politik gesprochen. Ich habe Christian Mölling zunächst gefragt, ob man durch militärische Kooperation dem Sparzwang entkommen kann:
Interview Andreas Flocken / Dr. Christian Mölling
Mölling: Das kann man so allgemein weder mit ja noch mit nein beantworten. Also es gibt Kooperation, die ist dazu angelegt zu sparen. Es gibt Kooperationen, die macht man im Verteidigungsbereich, um militärisch effektiver zu werden. Weil der eine beispielsweise die Panzer hat und der andere die Leute dazu. Da tut man sich am besten zusammen, und es lässt sich auf diese Weise einfacher kämpfen, um es einmal so zu sagen. Oder aber sie machen eine Kooperation aus politischen Gründen, weil sie zeigen wollen, dass sie politisch gemeinsam bereit sind, ihre Interessen durchzusetzen. In der Vergangenheit ist es so gewesen, dass wir eigentlich nicht kooperiert haben, um zu sparen. Also die letzten 30, 40, 50 Jahre der Kooperation sind nicht vom Sparwillen im Verteidigungsbereich geprägt gewesen. Was man für die Zukunft sagen kann ist folgendes: ja, Kooperation kann erst einmal helfen, den Verlust von Fähigkeiten ein bisschen abzubremsen. Sie ist aber kein Ersatz dafür.
Flocken: Sie meinen den Verlust von militärische Fähigkeiten?
Mölling: Genau, Kooperation ist kein Ersatz für Bereiche, in denen man sowieso Lücken hat. Da wird man investieren müssen. Also da kommen Sie nicht drum herum.
Flocken: Es wird ja viel von Arbeitsteilung und Kooperation geredet. In diesem Zusammenhang fallen immer wieder die Begriffe „Pooling und Sharing“. Können Sie an einem Beispiel einmal klar machen, was genau der Unterschied ist. Was genau versteht man unter „Pooling“ und was versteht man unter „Sharing“ von militärischen Fähigkeiten? Was ist der Unterschied?
Mölling: Sharing kann man eigentlich übersetzen mit Teilen. Also ich habe etwas und das stelle ich anderen, die es eigentlich nicht haben, zur Verfügung. Das heißt zum Beispiel: Die Franzosen benutzen die britische Luftbetankung. Die Franzosen haben keine ausreichende Luftbetankung, also helfen die Briten ihnen, denn die haben ausreichende Kapazitäten zur Luftbetankung. Das wäre sozusagen ein Sharing. Das andere ist das „Pooling“, also das Bündeln, das Zusammenlegen von Fähigkeiten. Wir tun uns alle zusammen und erledigen eine Aufgabe gemeinsam. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn wir Flugzeuge zusammenlegen und diese gemeinsam nutzen. Zum Beispiel, weil die Staaten allein nicht genug Transportraum haben. Dann versucht man, gemeinsam eine große Transportflotte aufzustellen. Wenn Sie allerdings etwas gemeinsam machen, dann müssen Sie auch eine Organisation dafür aufbauen. Das ist im Grunde genommen der Unterschied zwischen Pooling und Sharing. Sie müssen etwas tun, um die militärischen Fähigkeiten zu koordinieren. Die Flugzeuge müssen koordiniert werden. Die Personen, die dort zusammen arbeiten, ihre Vorschriften, müssen koordiniert werden.
Flocken: Die NATO spricht ja nicht vom Pooling und Sharing, sondern der NATO-Generalsekretär spricht ganz offiziell von „Smart Defence“. Ist das eine andere Bezeichnung oder ist das ein ganz anderes Konzept, was hinter Smart Defence steckt?
Mölling: Es läuft im Grund genommen auch aufs Gleiche hinaus. Der NATO-Generalsekretär musste, weil er Teil der NATO ist, und die EU vorher Pooling und Sharing quasi für sich als Trademark entdeckt hat, etwas Neues erfinden. Das ist einfach so. Aber es läuft aufs Gleiche hinaus. Den Unterschied, den man allerdings sehen muss ist, dass die NATO zurzeit über Spezialisierung. spricht, - ob bewusst oder unbewusst, weiß ich nicht. Und Spezialisierung heißt, die Aufgabe von Fähigkeiten. Das heißt, bestimmte Dinge können einige Länder einfach nicht mehr leisten. Und damit ist die NATO zurzeit einen Schritt weiter als die EU, wo man darüber offiziell noch diskutiert.
Flocken: Spezialisierung: Gibt es denn Staaten, die bereit sind, bestimmte Fähigkeiten aufzugeben und sich zu spezialisieren?
Mölling: Es gibt Staaten, die in der Vergangenheit dazu bereit waren. Ich teile das jetzt mal ein in große, mittlere und kleine Staaten, ohne jetzt alle 28 Mitglieder der NATO zu benennen. Vor allen Dingen die mittleren und kleineren NATO-Staaten haben sich schon spezialisiert. Die wollen sozusagen nicht mehr alle Kriege kämpfen können, sondern die wollen beschränkte Beiträge zu Stabilisierungsoperationen im internationalen Krisenmanagement leisten können. Es gibt andere Fälle, wo Staaten eigentlich unheimlich gerne noch was können wollen, wo aber einfach die Finanzkrise ihnen inzwischen jegliche Möglichkeit genommen hat. Prominentestes Beispiel sind sicherlich die Briten, die aufgrund der Finanzkrise relativ schnell ihren Flugzeugträger verloren haben. Also von daher gibt es sozusagen zwei unterschiedliche Arten von Spezialisierung. Das Eine ist die, wo sie es sicherheitspolitisch wollen, und die andere ist die, wo ihnen einfach finanziell die Luft ausgeht.
Flocken: Kann man denn durch Arbeitsteilung oder durch Pooling und Sharing oder aber durch Smart Defence auch wirklich Geld einsparen? Die Praxis zeigt doch, dass zumindest kurzfristig gar kein Spareffekt da ist, sondern sogar Mehrausgaben geleistet werden müssen.
Mölling: Völlig richtig. Sie haben bei allem, was Sie machen, immer so etwas, was man Transformationskosten nennen kann. Das ist ja nicht nur im Verteidigungsbereich so. Wenn Sie sich von A nach B bewegen, oder etwas umstrukturieren, dann müssen Sie einfach Geld in die Hand nehmen. Die Frage ist, auf welchem zeitlichen Horizont Sie ihre Ausgaben projizieren. Und ab wann man im Grunde genommen sparen kann. Also von daher sind Transformationskosten immer da. Das gehört zur ganzen Debatte über Arbeitsteilung. Wir wissen ja zurzeit gar nicht, ob wir bei dem, was wir tun, sparen. Das heißt also, wenn wir sparen wollen, müssen wir erst einmal wissen, was kostet das denn eigentlich alles? Ich mache mal einen Vorschlag. Wir brauchen eigentlich Preisschilder. An jedem Panzer muss dran stehen, was er kostet und jeder Mechaniker muss im Grunde genommen auch innerhalb der Bundeswehr und in allen anderen Streitkräften sagen können, was sein Stundenlohn ist. Nur so können wir im Grunde genommen eine Vergleichbarkeit herstellen und sagen: ja, mit der und der Maßnahme, mit der und der Zusammenarbeit und Kooperation sparen wir in Zukunft.
Flocken: Aber Sie sind skeptisch, dass durch Kooperation gespart werden kann?
Mölling: Nein ich bin nicht skeptisch, dass dadurch gespart werden kann. Ich glaube aber, dass die Staaten zurzeit einfach noch nicht dazu bereit sind, diese Maßnahmen zu ergreifen.
Flocken: Und warum sind sie nicht bereit? Denn eigentlich besteht ja die Notwendigkeit angesichts des Spardrucks oder des Sparzwangs.
Mölling: Ja, das sehen einige Staaten, also vor allem die eben schon zitierten kleinen und mittleren Staaten, schon einigermaßen ernsthaft. Die haben das zum Teil auch schon gemacht. Die Niederländer und die Belgier haben ihre Flotten zusammengelegt. Das haben sie allerdings auch schon vor etwas längerer Zeit gemacht. Bei vielen Staaten wird aber die Notwendigkeit nicht gesehen, weil man immer noch die Verfügungsgewalt über die nationalen Truppen haben möchte. Als politisches Symbol auf der einen Seite und zugleich auch als Ausdruck, dass man seine Truppen für seine Interessen einsetzen möchte.
Flocken: Bei den großen Rüstungsvorhaben gibt es ja schon seit einiger Zeit eine Kooperation, eine Zusammenarbeit in der NATO und auch innerhalb der EU. Der Eurofighter und das Transportflugzeug A400M sind sogenannte multinationale Rüstungsprojekte. Die Kooperation zeigt aber auch, dass Waffensysteme wie der Eurofighter und der A400M nicht unbedingt günstiger werden, sondern sogar teurer. Kritiker sagen, dass einer der Hauptgründe ist, dass es häufig Sonderwünsche gibt. Außerdem will jeder Staat einen nationalen Produktionsanteil haben. Und dadurch wird alles immer teurer. Teilen Sie diese Kritik an multinationalen Projekten, die ja jetzt wieder neu aufgelegt werden?
Mölling: Die Kritik ist im Großen und Ganzen richtig. Sie haben das ja eben schon angesprochen. Man verteilt die Aufgaben und die Arbeitsanteile entsprechend der Abnahmemengen. Also wenn jemand 40 Flugzeuge von 100 kauft, dann kriegt er auch 40 Prozent der Arbeitsanteile. Ob seine nationale Industrie die entsprechende Qualität herstellen kann oder nicht, ist dabei eine zweite Frage, die dann erst danach beantwortet werden wird.
Flocken: Müsste man das nicht ändern, um wirtschaftlicher arbeiten zu können und dann preisgünstigere Waffensysteme herzustellen?
Möllig: Das müsste man. Das müsste man sich zu eigen machen. Und das verweist auf einen ganz wichtigen Punkt in der Debatte, der auch noch sehr unterbelichtet ist. Dass sparen im Grunde genommen nicht anfängt bei der militärischen Fähigkeit, sondern bereits beim Aufbau dieser militärischen Fähigkeit - also im Industriebereich. Die Verbindung zwischen Pooling und Sharing militärischer Fähigkeiten und deren Rückwirkung auf die Industrie, ist zurzeit noch gar nicht in der Debatte angekommen. Aber da liegt im Grunde genommen das große Sparpotenzial. Denn 50 Prozent der Kosten einer militärischen Fähigkeit investieren Sie ja bereits ganz am Anfang, wenn Sie das Waffensystem beschaffen. Und was danach unheimlich teuer ist, das ist diese Systeme zu unterhalten und einsatzbereit zu halten.
Flocken: Wie kann man denn multinationale Projekte günstiger machen? Wie kann man diese ewigen Kostensteigerungen verhindern?
Mölling: Da kommt man in eine große Litanei über Sachen hinein, die schon vor 20 Jahren diskutiert worden sind. Also wenn man versucht, es kurz zu machen, dann sind die Vorschläge eigentlich schon auf dem Tisch. Man muss sich einfach bei den sogenannten requirements, also bei den militärischen Ansprüchen, die man an solche Dinge stellt, ein bisschen zurückhalten. Weil der eine oder andere Generalinspekteur oder Inspekteur der Teilstreitkräfte eines Landes einen besonderen Wunsch hat, oder eine besondere Vorstellung hat, dann, muss nicht anstatt eines blauen Sessels ein grüner Sessel einschraubt werden. Das ist ein Beispiel, das es zwar so nicht gegeben hat. Aber es ist in diesem Zusammenhang zu grotesken Dingen gekommen. Man muss sich auf eine Sache beschränken, dann wird die Sache automatisch billiger. Man muss sich, glaube ich, bei diesen multinationalen Rüstungsprojekten vor Augen führen, dass das eben nicht ein Projekt ist, sondern teilweise haben Sie, sozusagen in der gleichen Produktionslinie, vier bis hin zu 23 unterschiedliche Projekte. So ist das zum Beispiel bei dem neuen Transporthubschrauber NH90 gewesen. Das ist nicht ein Hubschrauber, sondern das sind im Grunde genommen 23 unterschiedliche Hubschrauber, die da gebaut werden.
Flocken: Weil jedes Land eine eigene Version haben möchte.
Möllig: Genau, weil jedes Land eigene Versionen haben möchte, weil es für einen Teil der Ausstattung seine eigenen Unternehmen ranziehen möchte, und entsprechende Aufträge vergeben möchte, und weil jeder Militär ganz gerne seine eigene Definitionsmacht ausspielen möchte. Das sind ganz viele unterschiedliche Gründe, die am Anfang eines Rüstungsgutes eigentlich zusammenlaufen. Sie haben militärische Bedingungen. Sie haben industrielle Ziele, die sie verfolgen. Sie wollen Arbeitsplätze erhalten. Sie wollen Technologie erhalten und da muss man sagen: die vier Ziele, die bringen sie nie unter einen Hut.
Flocken: Die Bundeswehr wird umgebaut. Die deutschen Streitkräfte erleben zurzeit die größte Reform seit Bestehen der Bundeswehr. Man hat aber den Eindruck, dass die nach außen immer gern propagierte Arbeitsteilung bei dieser Reform viel zu kurz kommt. Denn praktisch hält die Bundeswehr ja an allen militärischen Fähigkeiten national fest, also an U-Booten, an Minenabwehrkräften, am Lufttransport usw. Verpasst man nicht eine historische Chance, zu einer Arbeitsteilung in den Streitkräften in Europa und in der NATO?
Mölling: Ja, ich glaube man verpasst die Gelegenheit. Die verpasst man nicht nur in Deutschland, sondern insgesamt in Europa. Denn es ist nicht nur die Bundeswehr, die sich umstrukturiert, sondern es sind natürlich auch andere Armeen, die gerade umstrukturiert werden. Sie können insgesamt beobachten, dass diese Armeen nicht miteinander reden, mit Blick auf das, was sie in Zukunft noch können wollen. Der Verteidigungsminister hat sehr deutlich gesagt, dass er in Zukunft mehr Verantwortung auf Deutschland zukommen sieht, also mehr Auslandseinsätze. Und diese Auslandseinsätze werden wir ja wohl sicherlich in Zukunft auch weiterhin mit Partnern leisten. Das heißt also, Sicherheit ist eine Gemeinschaftsleistung. Dann wäre es eigentlich auch ganz gut zu wissen, wie sich die Streitkräfte unserer Partner reformieren und entwickeln. Man muss mit ihnen darüber sprechen, wie wir denn diese Gemeinschaftleistung in Zukunft eigentlich auf die Beine stellen können. Also wir müssen wissen, was können deren Streitkräfte denn eigentlich und was wollen die denn eigentlich mit uns gemeinsam machen? Und das ist ein Punkt, wo zurzeit auf allen Seiten in Europa eigentlich nur ein Schweigen festzustellen ist.
Flocken: Und warum schweigt man? Warum spricht man nicht miteinander über Arbeitsteilung?
Mölling: Ja weil man sich nicht festlegen möchte. Weil man in gewisser Weise einen Vorbehalt für nationale Entscheidungen sicherstellen möchte. Ich glaube, es gibt eine Vielzahl von Gründen, die da zusammenkommen. In Deutschland kommt noch hinzu, dass diese Reform dringend notwendig ist, und unter einem enormen Zeitdruck steht, so dass der Verteidigungsminister glücklich ist, wenn er sie einfach erst einmal abgeschlossen hat.