Eichenlaub mit Schwertern und Brillanten - Traditionspflege in der Bundeswehr
Neben Graf Schenk von Stauffenberg wird auch Hitlers Fliegeridol Werner Mölders weiterhin geehrt – der 60. Jahrestag des 20. Juli 1944 wird daran nichts ändern
Von Jürgen Rose*
Dass die Armee der Bonner Republik
Anfang der fünfziger Jahre von Angehörigen
der Wehrmacht aufgebaut
wurde, stellt einen irreversiblen Geburtsmakel
dar. Keine zehn Jahre zuvor hatte
diese Wehrmacht noch für den Nazi-Staat
mit preußischer Disziplin den »ungeheuerlichsten
Eroberungs-, Versklavungs- und
Vernichtungskrieg« geführt, »den die moderne
Geschichte kennt«, wie der Historiker
Ernst Nolte 1963 anmerkte. Dessen ungeachtet
wurde schon bei der Planung der Bundeswehr
im Jahre 1950 eine generelle Rehabilitierung
des deutschen Soldaten – sowohl
der Wehrmacht als auch der Waffen-SS – gefordert.
Urheber dieses Ansinnens waren einst
hochrangige Wehrmachtsoffiziere. 15 dieser
Herren, darunter zehn Generäle und Admirale,
kamen 1950 im Eifelkloster Himmerod
zusammen, um den militärischen Grundkonsens
für eine deutsche Wiederbewaffnung im
Kalten Krieg zu definieren. Mit der »Denkschrift
des militärischen Expertenausschusses
über die Aufstellung eines Deutschen Kontingents
im Rahmen einer übernationalen
Streitmacht zur Verteidigung Westeuropas«
schrieben sie die Gründungsakte der Bundeswehr.
Als Preis für ihr Mittun verlangten
sie einen Persilschein für Hitlers Waffenträger,
das hieß: als Kriegsverbrecher verurteilte
Deutsche sollten – soweit sie nur auf Befehl
gehandelt hatten – freigelassen und schwebende
Verfahren eingestellt werden. Außerdem
verbat man sich jede Diffamierung des
deutschen Soldaten, einschließlich der Angehörigen
der Waffen-SS.
Solch Chuzpe hatte Erfolg: Bundeskanzler
Adenauer wie auch der NATO-Oberbefehlshaber
und spätere US-Präsident Dwight
D. Eisenhower beugten sich der Erpressung
und gaben eine Ehrenerklärung für den deutschen
Soldaten und das Offizierkorps ab. Inhalt:
Der deutsche Soldat habe tapfer und ehrenhaft
für seine Heimat gekämpft. Unerwähnt
blieb, ob zu den Schauplätzen dieses
vorgeblich so heldenmütigen Kampfes auch
Stalingrad, Oradur, Babi Jar, Kalavrita, Lidice
oder Maidanek zu rechnen waren.
Vor diesem Hintergrund konnte es kaum
überraschen, dass die mit derartigem traditionalistischen
Mobiliar ausgestatteten Emissäre
einstiger deutscher Militärherrlichkeit
auch die neuen Streitkräfte der demokratischen
Republik als eine Art optimierte Wehrmacht
planten. Der Einzige, der sich dem
schon in Himmerod entschlossen widersetzte,
war Wolf Graf von Baudissin. Wie er später
selber einräumte, blieb sein Widerstand
allerdings eher wirkungslos. Auf von Baudissin
ging die Idee von der »Inneren
Führung« zurück, um die kommende Armee
an zivilisatorische Mindeststandards der demokratischen
Nachkriegsgesellschaft zu binden.
Die Reformer um von Baudissin und die
Restauratoren der Wehrmacht gerieten in einen
erbitterten Streit um das für die Bundeswehr
verbindliche Traditionsverständnis.
Denn »Innere Führung« lief im Kern auf ein
Anti-Traditionskonzept hinaus, hatte doch
Tradition in Reichswehr und Wehrmacht
stets Erhalt der Ausnahmestellung des Militärs
in Staat und Gesellschaft bedeutet.
Mehr als vier Jahrzehnte der sorgsam
gepflegten »Traditionslüge«
Wie sich die Kontroverse entfaltete, lässt sich
bis heute gut nachzeichnen. Auf die Himmeroder
Denkschrift und die Ehrenerklärungen
folgte der BMVg-Erlass Bundeswehr und
Tradition von 1965. Zwar wurde dort nach
zähem Ringen endlich der Widerstand des 20.
Juli 1944 als wichtiger Bestandteil der Traditionspflege
anerkannt. Die Frage nach der
Traditionswürdigkeit der Wehrmacht aber
blieb unbeantwortet. Einen Schritt weiter
ging Verteidigungsminister Apel (SPD) mit
seinem Erlass Richtlinien zum Traditionsverständnis
und zur Traditionspflege in der Bundeswehr
von 1982. Er stellte klar, dass ein
Unrechtsregime wie das Dritte Reich keine
Tradition begründen könne. Kernsätze des
bis zum heutigen Tage unverändert gültigen
Erlasses lauteten: Alles militärische Tun muss
sich an den Normen des Rechtsstaats und des
Völkerrechts orientieren. Die Pflichten des
Soldaten erlangen sittlichen Rang nur durch
Bindung an das Grundgesetz. Die Pflege von
Traditionen solle der Möglichkeit entgegenwirken,
sich wertneutral auf das militärische
Handwerk zu beschränken. Kasernen und
andere Einrichtungen der Bundeswehr
könnten nach Persönlichkeiten benannt werden,
die sich durch ihr gesamtes Wirken oder
eine herausragende Tat um Freiheit und
Recht verdient gemacht hätten.
Obwohl der Erlass verbindliche Kriterien
der Traditionspflege in der Bundeswehr –
nämlich Recht, Freiheit und Demokratie –
definierte, blieb das Verhältnis zur Wehrmacht
weiter unbestimmt. In besagtem Erlass
fand sich die Wehrmacht mit keinem Wort erwähnt
– seltsamerweise auch nicht der Widerstand
des 20. Juli 1944.
Kasernen der Bundeswehr (eine Auswahl)
General-Heusinger-Kaserne/Hammelburg
Adolf Heusinger, Mitbegründer der Bundeswehr, war seit 1940
als Chef der Operationsabteilung des Generalstabes im Oberkommando
der Heeres Vertrauter Hitlers. Er war unter anderem
für die »kriminelle Bandenbekämpfung« verantwortlich.
Nach dem 20. Juli 1944 vorübergehend in Haft, wurde Heusinger
noch vor Kriegsende wieder entlassen.
General-Hüttner-Kaserne/Hof
Hans Hüttner war als Kommandeur der Infanterie 1941 am
Überfall auf die UdSSR beteiligt. Laut Monitor-Recherchen soll
Hüttner die Erschießung von Gefangenen befohlen haben. Der
Autor Jakob Knab, der sich intensiv mit Wehrmachtstraditionen
in der Bundeswehr beschäftigt, schreibt über ihn: »An Generalmajor
Hans Hüttner lässt sich die arbeitsteilige Täterschaft
von Wehrmacht und Einsatzgruppen aufzeigen.«
General-Konrad-Kaserne/Reichenhall
Als Oberst war Konrad Kommandeur des Gebirgsjägerregiments
100, das 1935 aufgestellt wurde. In einem von ihm unterzeichneten
Tagesbefehl vom 3. Januar 1942 heißt es: »Dem
Führer und seinem Werk gehört unsere ganze Hingabe. Wir
wollen es hüten und siegreich tragen durch das neue Jahr zum
Heile Deutschlands.«
Mackensen-Kasernen in Hildesheim, Karlsruhe und Bergzabern
Der Veteran des I. Weltkrieges August von Mackensen (preuß.
Generalfeldmarschall) hielt auf enge Gefolgschaft zu Hitler und
verdammte Stauffenbergs Tat am 20. Juli 1944 als »fluchwürdiges
Attentat«. Noch Ende 1944 richtete Mackensen einen
Aufruf an die 14- bis 17-Jährigen, mit »Opferbereitschaft
und Fanatismus« Hitler die Treue zu halten.
Rommel-Kasernen in Osterode und Augustdorf
Generalfeldmarschall Erwin Rommel wird zu den »Männern
des 20. Juli gezählt«, weil er von dem Attentat gewusst haben
soll, ohne Hitler zu warnen, und daraufhin zum Selbstmord gezwungen
wurde. Andererseits war er 1943 als Oberbefehlshaber
der Heeresgruppe B in Kriegsverbrechen an der italienischen
Zivilbevölkerung verstrickt, unter anderem in das Massaker
von Boves im 19. September 1943.
Erst Verteidigungsminister Rühe (CDU)
vollzog den klaren Bruch mit der Wehrmachtstradition.
Anlässlich der Kommandeurstagung
1995 in München verfügte er:
»Die Wehrmacht war als Organisation des
Dritten Reiches, in ihrer Spitze, mit Truppenteilen
und mit Soldaten in Verbrechen des
Nationalsozialismus verstrickt. Als Institution
kann sie deshalb keine Tradition begründen.
« Darüber hinaus negierte er entschieden,
dass einer rein militärischen Haltung
und Leistung eine traditionsstiftende Bedeutung
zukommen könne. Nach mehr als vier
Jahrzehnten der sorgsam gepflegten »Traditionslüge
«, wie Ralph Giordano notierte, war
endlich ein Stück Wahrhaftigkeit eingekehrt.
Die vorläufig letzte Frontbegradigung vollzog
1998 der Deutsche Bundestag. Anlässlich
des 61. Jahrestages der Bombardierung von
Guernica in Spanien durch die Legion Condor,
entschied er, die Bundeswehr solle
»dafür Sorge tragen, dass Mitgliedern der Legion
in Deutschland« künftig kein »ehrendes
Gedenken zum Beispiel in Form von Kasernenbenennungen
« mehr zuteil werde. »Bereits
erfolgte Kasernenbenennungen nach der
Legion Condor sind aufzuheben.«
Die Bundeswehrführung ignorierte diesen
Parlamentsbeschluss in skandalöser Weise
und missachtete das sonst stets beschworene
Primat der Politik. Bis heute werden Angehörige
der Legion Condor durch die Bundeswehr
geehrt, das gilt besonders für Oberst
Werner Mölders, nach dem sogar ein Luftwaffenverband,
das Jagdgeschwader 74 Mölders
in Neuburg an der Donau, benannt ist.
Warum nicht der zum Tode verurteilte
Cäsar von Hofacker?
Wer war dieser Werner Mölders? Erstmals
markant in Erscheinung tritt er als Kommandeur
einer Jagdstaffel der Legion Condor im
spanischen Bürgerkrieg. Innerhalb weniger
Monate kämpft er sich an die Spitze der Condor-
Jäger, schreibt sein Jagdfliegerkamerad
Adolf Galland, der unter Hitler zum Generalleutnant
aufsteigt. Im Zweiten Weltkrieg
wird Mölders zum »Top Gun«, der seine
Gegner dutzendweise vom Himmel schießt.
Hitler lässt eigens für ihn eine neue Auszeichnung
entwerfen – das »Eichenlaub mit
Schwertern und Brillanten zum Ritterkreuz
des Eisernen Kreuzes« –, verleiht sie ihm
nach dem 100. Luftsieg und belohnt ihn zusätzlich
mit dem Amt eines »Generals der
Jagdflieger«, der direkt dem »Führer« und
Göring unterstellt ist. Die Nazi-Propaganda
stilisiert ihn zur exemplarischen Heldengestalt
des Dritten Reiches. Als Mölders bei einem
Flugzeugabsturz im November 1941
ums Lebens kommt, wird das Fliegeridol
endgültig zur Kultfigur verklärt und mit einem
pompösen Staatsbegräbnis bedacht.
Eine bemerkenswerte Krieger-Biographie.
Im Bundesverteidigungsministerium wird
bis heute abwiegelt. Mölders, so ist zu hören,
sei »nicht so herausgehoben« gewesen, er
habe sich »nicht selbst an der Bombardierung
von Guernica beteiligt«, er sei »persönlich
nicht in das Unrecht des NS-Regimes verstrickt
gewesen«. Offenbar spielt es für die
Bundeswehrführung keine Rolle, dass Mölders sich freiwillig als Angehöriger eines
Söldnerkorps hervortat, das General Franco
und seine Clique an die Macht bombte. Unwesentlich
scheint auch zu sein, dass Mölders
ein Handwerker des Krieges war, der sich vor
allem dadurch auszeichnete, dass er schnell
und effizient für eine Diktatur tötete. Ein
williger Vollstrecker als Traditionsstifter für
die Luftwaffe des demokratischen, freiheitlichen,
rechtsstaatlichen Deutschlands?
An keiner einzigen Stelle in Mölders Biographie
ist die vom Traditionserlass geforderte
»herausragende Tat« zu erblicken, mit
der er sich »um Freiheit und Recht verdient
gemacht« hätte. Wenn gemäß den gültigen
Traditionsrichtlinien »ausschlaggebend« sein
soll, ob »Gesamtpersönlichkeit und Gesamtverhalten
« eines Namenspatrons »beispielgebend
in unsere Zeit hineinwirken«, so kann
die Person Mölders allenfalls als Negativbeispiel
dienen. Es bleibt festzuhalten, dass mit
der von höchster Stelle gedeckten Praxis der
Traditionspflege in der Bundeswehr das Parlament
missachtet, Geschichtsklitterung betrieben
und fortgesetzt gegen die eigene Erlasse
verstoßen wird.
Da muss es angesichts des neuen Bundeswehrauftrages
einer »Verteidigung bis zum
Hindukusch« schon bedenklich stimmen,
wenn Leute wie Mölders zu traditionswürdigen
Vorbildern einer Armee erhoben werden,
die erklärtermaßen Freiheit, Recht, Demokratie
und Menschenwürde beschützen soll.
Dabei hat die Bundeswehr falsche Helden gar
nicht nötig. Sie existiert nunmehr fast 50 Jahre
und damit länger als alle früheren deutschen
Armeen, sie besitzt hinreichend eigene
Traditionen aus demokratischer Zeit und
kann sich jederzeit auf bislang nicht gewürdigte
Persönlichkeiten aus dem Widerstand
gegen die Nazi-Diktatur berufen – auf die
Mitglieder der Weißen Rose, des Kreisauer
Kreises oder der Roten Kapelle, auf die Männer
des 20. Juli. Zu letzteren zählt der zum
Tode verurteilte und in Plötzensee hingerichtete
Cäsar von Hofacker, ein maßgeblicher
Aktivist und der einzige Teilnehmer der
Luftwaffe am militärischen Widerstand gegen
Hitler. Als Alternative zum Jagdflieger-
Ass Mölders drängt er sich geradezu auf.
Nicht zuletzt gab es in der deutschen Militärgeschichte
eine Reihe von Offizieren, die
sich vom dereinst vorherrschenden militaristischen
»Schwertglauben« und imperialistischer
Gewaltpolitik abwandten und dezidiert
für eine Friedenskultur eintraten. Einer von
ihnen, der Generalmajor a. D. Paul Freiherr
von Schoenaich, wurde sogar Vorsitzender
der Deutschen Friedensgesellschaft – durchaus
nicht das schlechteste Vorbild für eine
Bundeswehr, der vor lauter »Transformation
« und Interventionsbereitschaft ihr eigentlicher
Daseinszweck – nämlich Friedenssicherung
– aus dem Blick zu geraten droht.
* Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr.
Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.
Der Beitrag erschien in der Wochenzeitung "Freitag", Nr. 29/30, 9. Juli 2004
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