Edelweiß statt Hakenkreuz
Bad Reichenhall ist "irgendwie anders" – Gebirgsjäger folgen einem Nazi-General und schießen auf "Klein Mitrovica"
Von René Heilig *
Am 27. Mai 2011 lud die Gebirgsjägerbrigade 23 in Bad Reichenhall zum Tag der offenen Tür ein. Das Wetter war zwar unbeständig, notiert die örtliche Presse, es kamen dennoch 7500 Besucher. »Denn es wurde viel geboten: Die Gebirgsjäger stellten nicht nur ihre Ausrüstung und Fähigkeiten an über 37 Stationen vor, sondern beeindruckten auch mit Waffen- und Fahrzeugshows, Vorführungen mit Hubschrauber sowie den tierischen Kameraden: Minenspürhunde und Tragtiere.«
Am 4. Februar 1959 bezog die Truppe, die sich als alleskönnende Elite begreift, feierlich die Kaserne. Zitat von der offiziellen Bundeswehr-Internetseite: »Das Edelweiß ist das symbolträchtigste Erkennungszeichen der Gebirgstruppe, zeugt auch von der Naturverbundenheit der Gebirgsjäger und wird darum auch an der Mütze getragen.« Über den Namensgeber der Kaserne erfährt man offiziell nichts. Das Verteidigungsministerium in Berlin erklärt auf Anfrage nur, dass der Wehrmacht-General nie wegen irgendwelcher Kriegsverbrechen angeklagt wurde.
7500 Besucher – und nur einer schaute genauer hin. Er sah, wie Soldaten mit Kindern Zielübungen veranstalteten. Das Miniaturdorf, das die »feindliche« Kulisse bei dem Kriegsspiel abgab, hatte eine Ortseingangstafel: »Klein-Mitrovica, Kreis Zwickau« stand darauf.
Der Besucher informierte das linke Jugendbündnis »Rabatz«, dessen Mitglieder stellten die Fakten ins Internet. Nun berichtete die überregionale Presse. Mitrovica ist schließlich kein Phantasie-Name. Mitrovica ist eine Stadt in Kosovo, halb serbisch, halb albanisch bewohnt und immer wieder Schauplatz für blutige Auseinandersetzungen. Die Bundeswehr, als Teil der KFOR-Schutztruppe, hat einige ethnische Scharmützel aus der Nähe miterleben müssen. Bereits im Zweiten Weltkrieg waren hier deutsche Soldaten. Historiker berichten von Verbrechen, die Wehrmachtsangehörige, darunter Gebirgsjäger, verübten haben.
Bleibt das Kriegspiel mit Kindern folgenlos?
Soweit die Vorgeschichte. Und eigentlich hätten jetzt nach einer ordentlichen Untersuchung Konsequenzen gezogen werden müssen. Das Verteidigungsministerium in Berlin versprach sogar »Bestrafung auch unterhalb der strafrechtlichen Schwelle«, denn, so Generalinspekteur Volker Wieker weiter: »Das war grundsätzlicher Unfug und ist überhaupt nicht hinnehmbar.« Nicht hinnehmbar stimmt. Doch war es nur »Unfug«? Man darf das bezweifeln.
Es ist warm. Irgendwo auf dem Gelände der General-Konrad-Kaserne rumort ein Hubschrauber. Der Wind, den er mit seinem Rotor erzeugt, kommt nicht bis zum Haupttor. Dort hat der Posten sein G36-Sturmgewehr lässig umgehängt und die Gebirgsjägermütze – das ist so eine, wie sie der Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel von der FDP immer aufsetzt – in den Nacken geschoben. Ab und zu kommt ein Fahrzeug, dann muss der Obergefreite Papiere begutachten und den Schlagbaum bedienen. Keine Vorkommnisse. Oder?
Was ist das?! Ein Zeitsprung? Blickt man auf das zweistöckige Gebäude gleich links neben der Wache, packt einen Entsetzen. Da sind vier überlebensgroße Soldaten – zwei mit Trommeln, zwei mit Karabinern – aufgemalt. Sie tragen nicht die Uniform, die hier alle tragen. Sie haben einen Adler an der rechten Vorderseite ihres Soldatentuchs. Es sind Wehrmacht-Soldaten. Gleich daneben »ziert« ein gut zwei Meter hoher Nazi-Adler die Hausecke. Er breitet die Schwingen aus, hat einen Kranz in den Krallen und darin ist ein ... Nein, kein Hakenkreuz. Man hat es durch ein Edelweiß ersetzt. Das Edelweiß, die scheue, seltene Pflanze, ist Symbol der Gebirgstruppe. Seit jeher.
Wer eine Verbindung zwischen den Hauswand-Soldaten und denen sucht, die heute täglich unterm Adler hindurch zum Dienst gehen, nähert sich der Frage nach General Rudolf Konrad, dessen Namen die Bundeswehr-Kaserne trägt. Er war der erste Kommandeur des 1935 in Bad Reichenhall aufgestellten Gebirgsjäger-Regiments 100 und trieb die Truppe in Hitlers Vernichtungskrieg bis auf die Krim. Konrad war ein überzeugter Nazi. Zitat: »Dem Führer und seinem Werk gehört unsere ganze Hingabe. Wir wollen es hüten und siegreich tragen durch das neue Jahr zum Heile Deutschlands.« Das war 1941.
Am 20. April 1942 feierte er mit seinem Stab im Kinosaal von Tschistjakowo Hitlers Geburtstag und gelobte dessen »unbeugsamen Willen in äußerster Pflichterfüllung nachzueifern, was auch kommen mag«. Was kam? Wie zuvor auch schon – Gräueltaten gegen die Bevölkerung und gegen die eigenen Leute, die der General opferte. »Die Juden«, so verkündete Konrad 1943, als die Gaskammern in Auschwitz im Dauerdienst waren, »sind unser Unglück«. Der Führer überreichte ihm das Ritterkreuz.
Wer dem einstigen Oberst der Roten Armee und späteren KPdSU-Generalsekretär Leonid Breschnew nicht glauben mag, der als Politoffizier direkt gegen Konrads Truppen kämpfen musste und der in seinem Erinnerungsbändchen übers »Kleine Land« von den Mordtaten der Konrad-Truppen berichtete, der recherchiere das Schlachten im Tagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht.
Konrad überlebte den Krieg im Gegensatz zu vielen seiner Untergebenen. Er hat bereits Jahre vor der Gründung der Bundeswehr das Entstehen einer »neuen Wehrmacht« herbeigesehnt. Als sich im November 1952 der Kameradenkreis der Gebirgstruppe gründete, wurde Konrad dessen Chef. Er hoffte im Mai 1953 mit 10 000 Ex-Edelweiß-Soldaten, »dass in der neuen Schale die gleichen Männer, die alten Soldaten stecken, die einst Kraft und Ruhm des deutschen Heeres und Stolz des deutschen Volkes waren«. 25 Jahre nach dem Beginn des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion wurde die Kaserne in Bad Reichenhall nach ihm benannt.
Noch einmal 45 Jahre später behauptet das Verteidigungsministerium in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestags-LINKEN: »Die Frage im Zusammenhang mit Kasernenbenennungen, ob sich ein Angehöriger der ehemaligen Wehrmacht durch sein Wirken um Freiheit und Recht verdient gemacht hat, wird allerdings heute in einigen Fällen anders bewertet als zu der Zeit, als eine Kaserne nach dieser Person benannt worden ist.« Dies gelte auch für die Kaserne in Bad Reichenhall. Wo auch die »Diskussion um den Namensgeber der General-Konrad-Kaserne« geführt werde. »Bewusst beteiligen sich die dortigen Soldatinnen und Soldaten an diesem Prozess.«
Welchen Stand hat die Diskussion erreicht? Obwohl ordentlich beim obersten Stab nachgefragt, wird eine Nachfrage vor Ort abgelehnt. Man könne die Fragen ja bei ihm einreichen, sagt der zuständige Divisionspresseoffizier in Sigmaringen. Sein Kollege in Bad Reichenhall – ein junger Oberleutnant, der vor kurzem die Universität verlassen hat – könne nicht befragt werden, denn er sei dafür »nicht ausgebildet«. Auch sonst »gibt es in Bad Reichenhall keine Protagonisten, die zum Thema Traditionen oder zum Mitrovica-Thema etwas sagen können«.
Leider kann sich offenbar auch der kommandierende General der 23. Gebirgsjägerbrigade Johann Langenegger nicht äußern. Er sei, so erfährt man, gemeinsam mit dem katholischen Militärbischof zur 53. Internationalen Soldatenwallfahrt nach Lourdes unterwegs. Zuvor jedoch hatte der fromme Mann die Vorwürfe wegen der Mitrovica-Kriegsspiele scharf zurückgewiesen: »Da einen Zusammenhang herzustellen, von Pogromen der Gebirgstruppe der Wehrmacht über den KFOR-Einsatz zu den heutigen Gebirgsjägern, ist ein ungeheuerlicher, ehrabschneidender Vorwurf, gegen den ich mich verwahre.« Da wäre noch jemand, der sich eigentlich dazu äußern müsste. Es ist der CSU-Spitzenmann und Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer. Er war Schirmherr des Tages der offenen Tür und sagt – nichts. Mal abgesehen davon, dass – so spricht man in der Konrad-Kaserne – er und sein Parteifreund, der Verteidigungsstaatssekretär Christian Schmidt, dem Kommandeur und seinen Mannen den Rücken gestärkt haben sollen.
Wallfahrtsort für SS-Verherrlicher
Vor Ort interessiert das ohnehin kaum jemand. »Ach, wissen Sie«, sagt die Dame im Friedensbüro, »Bad Reichenhall war schon immer etwas anders.« Das Friedensbüro ist eigentlich so eine Art Dritte-Welt-Laden. »Fairer Handel und so«, assistiert ein junges Mädchen und führt gestrickte Mützen vor, die ihre Schwester kreiert hat. »Die hier im Ort etwas zu sagen haben, die stehen hinter den ›Jagern‹.« Angefangen bei Dr. Herbert Lackner, Oberbürgermeister des 17000-Einwohner-Luftkurortes. Er gedenkt lieber der beim Überfall »vor und auf Kreta« 1941 gefallenen 246 Bad Reichenhaller Gebirgsjäger. »Den Toten zum Gedenken und den Lebenden zur Mahnung« hat man unweit der Kaserne eine Straßenbrücke benannt.
Einen Gedenkstein für die Opfer der Nazis sucht man vergebens in Bad Reichenhall. Wohl aber erinnert man an »zwölf tapfere Söhne Frankreichs, die am 8. Mai 1945 in Karlstein als Gefangene der Sieger ohne Urteil hingerichtet wurden«. Karlstein ist ein Ortsteil von Bad Reichenhall und die französischen »Helden« waren Mitglieder der SS-Division Charlemagne. Jedes Jahr im Mai ist der Ort, an dem es einen Gedenkstein gab, Anziehungspunkt für Wallfahrer der tiefbraunen Art. Wohl um die ins Nichts laufen zu lassen, errichtete man auf dem Friedhof St. Zeno in Bad Reichenhall eine Grabanlage mit Tafeln und Kreuz. Den Hinweis, dass es sich um SS-Männer gehandelt hat, sucht man vergebens. Dafür brachte man eine Tafel an, auf der auch an die an der Ostfront und in Berlin gefallen französischen Freiwilligen erinnert wird. Der Umzug der toten SS-ler konnte ihre Nacheiferer von NPD und Freien Kameradschaften nicht stoppen. Sie provozieren weiter. So trafen sich nach Anmeldung durch den Vorsitzenden des NPD-Kreisverbandes Traunstein-Berchtesgadener Land am vergangenen 9. Mai um die 40 Alt- und Jung-Nazis. Unter ihnen einer der übelsten: Martin Wiese. Einst wollte er in Rostock-Lichtenhagen Asylbewerber verbrennen. Im Zusammenhang mit einem geplanten Sprengstoffanschlag auf die Grundsteinlegung des neuen Jüdischen Kulturzentrums am 9. November 2003 in München ist er wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden. Eigentlich hat er Kontaktverbot, doch das hinderte ihn nicht, in Bad Reichenhall aufzukreuzen, wo auch sein Spießgeselle Karl-Heinz Statzberger gesehen worden ist.
Es gab weder in Karlstein noch am St. Zeno-Friedhof »Anlass für ein polizeiliches Einschreiten«, sagt die Ordnungsmacht. Die Sicherheitsbehörden sind zufrieden darüber, dass ein paar Tage später das traditionelle Kreta-Pfingsttreffen des Kameradenkreises der Gebirgstruppen – zu dem über 500 Anhänger aufmarschierten – »ohne jegliche Störungen« stattfand. Unbehelligt kamen Vertreter der Landsmannschaft der Oberschlesier und des Freikorps Oberland zum alljährlichen Gedenkgottesdienst mit anschließender Kranzniederlegung zusammen.
Über Verbindungen deutscher Neonazis nach Österreich weiß man angeblich nicht genug, um einzuschreiten. Dass Bad Reichenhaller Neonazis in Italien beim faschistischen Rockkonzert die Hand erhoben und mit T-Shirt-Aufschriften »University Auschwitz – gegründet 1941« herumliefen, ist so ein »Gerücht« aus linken Kreisen. Da man das NPD-Mitteilungsblatt nicht liest, kann man auch nur vom Hörensagen wissen, dass da zur Streusalzsituation in Salzburg gestanden haben soll: Wenn die deutsche »Ostmark« Salz aus Israel bekomme, könne ja auch die deutsche EON »demnächst Gas nach Israel liefern«. Wie soll man ahnen, was beim Liederabend der NPD gesungen und bei den regelmäßigen Sonntag-Stammtischen der NPD geredet wird? Vorfälle im Kollegium des Bad Reichenhaller Gymnasiums – seltsame biologische Unterrichtsthemen über den geringeren IQ von »Schwarzen« und das Absingen der ersten Strophe des Deutschlandliedes werden genannt – ignoriert man offenbar. Dass es die Stadt gar nicht gern sah, als junge Leute im Haus der Jugend einen Vortragszyklus zum Antisemitismus organisieren wollten, ist sicher ein Missverständnis. Wie so vieles in der »etwas anderen« Kur-Stadt, in der die Gebirgsjäger so heimisch sind.
Aktueller Antrag an das Verteidigungsministerium:
Am 8. Mai 2000 wurde die Kaserne in Rendsburg nach Feldwebel Anton Schmidt benannt. Schmidt hat als Leiter einer Versprengtensammelstelle der Wehrmacht in den Jahren 1941 und 1942 im Wilnaer Ghetto versucht, die Lage der eingepferchten Juden zu lindern. Er besorgte Lebensmittel und verhalf Menschen zur Flucht. Dafür wurde er zum Tode verurteilt und am 13. April 1942 in Wilna hingerichtet.
Die Feldwebel-Schmidt-Kaserne wurde im Rahmen der Truppenreduzierung aufgegeben, der Traditionsname erlosch. »Eine Neubenennung Feldwebel-Schmidt-Kaserne könnte zur Herausbildung einer anknüpfungsfähigen Erinnerungskultur innerhalb der Bundeswehr beitragen.«
Erstunterzeichner des Antrags:
Dr. Detlef Bald, München;
Jakob Knab, Kaufbeuren;
Prof. Dr. Arno Lustiger, Frankfurt am Main;
Brigadegeneral a. D. Winfried Vogel, Bad Breisig;
Prof. Dr. Wolfram Wette, Waldkirch
Ein Traditionserlass wird zu Grabe getragen.
Im geltenden Traditionserlass des Bundesministers der Verteidigung heißt es: »Im Nationalsozialismus waren Streitkräfte teils schuldhaft verstrickt, teils wurden sie schuldlos missbraucht. Ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich kann keine Tradition begründen.« Das sei Maßstab aller Überlegungen zur Traditionspflege in der Bundeswehr. Eine aktuelle Ergänzung aus dem selben Hause: Seit dem Jahr 2000 hat sich die Bundeswehr mit 68 Ehrengeleiten und 43 Abordnungen an Trauerfeiern für verstorbene Wehrmachtangehörige beteiligt. Aus Datenschutzgründen könne man den Dienstgrad nicht angeben, jedoch die höchste Auszeichnung. Es handelt sich ausschließlich um Soldaten, denen das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes oder ein noch höherer Mörder-Orden verliehen worden ist.
Aber auch bei der Traditionspflege muss alles im Rahmen bleiben. Die mit der sprichtwörtlichen deutschen Gründlichkeit erarbeitete Regel lautet: Für einen Kranz mit Schleife werden einschließlich Nebenkosten nicht mehr als 98 Euro in den Monaten Mai bis Oktober und 105 Euro in den übrigen Monaten aufgewandt.
* Aus: Neues Deutschland, 21. Juni 2011
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