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Streitfrage: Wie muss eine Reform der Bundeswehr aus linker Sicht aussehen

Es debattieren: Christine Buchholz und Gerry Woop

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat die Verkleinerung und Umstrukturierung der Bundeswehr sowie die Aussetzung der Wehrpflicht auf den Weg gebracht. Die Bundesregierung müsse, so die offizielle Lesart, auch bei der Verteidigung Gelder einsparen. Bis Ende dieses Monats wird eine Kommission unter der Führung von Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit und Oberst der Reserve, einen Bericht mit Vorschlägen zur Umstrukturierung der Streitkräfte vorlegen. Anschließend werden Parteien und gesellschaftliche Akteure dazu Stellung nehmen.
Im Folgenden dokumentieren wir zwei kontroverse Beiträge aus der Partei Die Linke. Sie waren im "Neuen Deutschland" als Debattenbeiträge veröffentlicht worden.


Erst Abrüstung, dann Auflösung der Streitkräfte

Von Christine Buchholz *

Die LINKE lehnt die von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) angestoßene Bundeswehrreform ab. Die Notwendigkeit einer Verteidigungsarmee ist nicht mehr gegeben. In den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2003 heißt es bereits unmissverständlich: »Eine Gefährdung deutschen Territoriums durch konventionelle Streitkräfte gibt es derzeit und auf absehbare Zeit nicht.« Dasselbe betonte Generalinspekteur Volker Wieker in seinem Ende August 2010 vorgestellten Bericht. Stattdessen sehen die Planer der deutschen Außenpolitik die Rolle der Bundeswehr bei der Durchsetzung »deutscher Interesse« weltweit.

So lautet der Grundtenor in der Debatte um die Reform der Bundeswehr. Man müsse sich »den neuen Herausforderungen« stellen, wie es DIHK-Präsident und stellvertretender Vorsitzender der Bundeswehr-Reformkommission Hans Heinrich Driftmann formulierte. Dazu gehöre, die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands, besonders die Handelswege, zu schützen.

Dementsprechend ist zu Guttenbergs zentrales Ziel, die Bundeswehr als »Armee im Einsatz« zu stärken, sie in die Lage zu versetzen, permanent und an verschiedenen Orten auf der Welt Krieg zu führen. Dafür will er die Bundeswehr »verschlanken«, die Elemente einsparen, die nicht zur Interventionsfähigkeit beitragen.

Die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung profitiert nicht von Krieg und einer einsatzfähigen Bundeswehr. Wenn von »unseren« oder »nationalen Interessen« die Rede ist, sind damit immer jene der Konzerne und ihrer Eigentümer gemeint.

Am schlimmsten sind aber die Menschen im globalen Süden betroffen. Ihre Lebensgrundlage und sozialen Strukturen werden durch Krieg zerstört. Und die Bundeswehr ist Teil jenes internationalen Systems, das neue Konflikte produziert, alte Konflikte verstärkt und den Armen der Welt die Möglichkeit nimmt, sich dagegen zu wehren.

Alle Menschen brauchen eine gerechte Welt, in der allen der Zugang zu Nahrung, Wasser, Arbeit, Bildung und Gesundheit gewährleistet wird. Um dieses Ziel zu erreichen, wollen wir das Primat des Profits und die Konkurrenz zwischen Staaten überwinden und zu einer global gerechten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung kommen. In so einer Welt könnten sich die Menschen gemeinsam den Herausforderungen stellen: Naturkatastrophen, Umweltzerstörung, Überwindung von Hunger und Krankheiten. Krieg, Armeen und Waffen sind dafür kein geeignetes Instrument. Deswegen hält die LINKE, im Unterschied zu allen anderen Parteien, eine Welt ohne Krieg und ohne Armeen für nötig. Deshalb bin ich der Meinung, dass die Abschaffung der Bundeswehr zu den Zielen einer sozialistischen Partei gehört und in Programm und Positionierung zur Bundeswehr auch benannt werden soll.

Nun ist die Auflösung der Bundeswehr keine Tagesforderung. Unmittelbare Schritte in diese Richtung wären zum einen die Beendigung der Auslandseinsätze der Bundeswehr, speziell des Krieges in Afghanistan, sowie ein klares Nein zu weiteren Auslandseinsätzen. Die Bundeswehr darf sich nicht an NATO- und EU-Militärmissionen, insbesondere an der NATO Response Force und den European Battle Groups, beteiligen. Zum anderen muss die Bundeswehr qualitativ ab- statt zu einer Interventionsarmee aufgerüstet werden. Hier müssen schrittweise diejenigen Einheiten der Bundeswehr zuerst abgerüstet werden, mit denen die Bundeswehr Kriege führt oder in die Lage versetzt wird, Kriege zu führen. Das würde bedeuten, all die Einheiten der Bundeswehr aufzulösen, die speziell für Auslandseinsätze da sind, z. B.das Kommando Spezialkräfte (KSK), das Einsatzführungskommando u.v.m.

Des Weiteren ist die Zurückdrängung der Bundeswehr aus dem öffentlichen Raum ein weiterer Schritt gegen die Militarisierung der Gesellschaft. Dazu gehört auch die strikte Trennung des Zivilen vom Militärischen. Es sind keine bewaffneten Kräfte nötig, um beispielsweise bei der Bewältigung von Hochwasserkatastrophen zu helfen. Stattdessen könnten zivile Strukturen gestärkt werden. Der Ansatz der Vernetzten Sicherheit, die Doktrin »Responsibility to protect« und die Zivilmilitärische Zusammenarbeit haben nicht zur Stärkung des Zivilen geführt, sondern zur Legitimation und Stärkung des Militärischen.

Unverzichtbar ist eine Diskussion mit Gewerkschaften, Kommunen und Friedensbewegung über die Konversion von Standorten und Rüstungsindustrie. Aufgabe der LINKEN ist es zu zeigen, dass Sicherheit nicht militärisch durch die Armeen kapitalistischer Staaten geschaffen, sondern dass Sicherheit im Sinne von sozialer Sicherheit, Bewahrung der Umwelt und Frieden nur gegen das Primat des Profits erkämpft werden kann.

Das heißt auch, eine scharfe Position gegen jegliche Vermischung von Zivilem und Militärischem einzunehmen. Wer sich jetzt für die Beteiligung Deutschlands an bewaffneten Blauhelmeinsätzen ausspricht, macht nicht nur den Bock zum Gärtner, sondern riskiert, dass die Linkspartei in das Fahrwasser der etablierten Parteien kommt, die mit »humanitären« Argumenten die Legitimation für die Umgestaltung der Bundeswehr zur Einsatzarmee bereitet haben.

Stattdessen sollte die LINKE Wege aufzeigen, wie Menschen in Notlagen zu helfen wäre, z. B. in dem man den Katastrophenschutz und zivile Hilfsorganisationen stärkt, anstatt die Verknüpfung von Militär und Katastrophenschutz weiter voranzutreiben.

* Christine Buchholz, 1971 geboren, ist Mitglied im geschäftsführenden Parteivorstand der LINKEN und Friedenspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag.


Mit etwas mehr Weitblick

Von Gerry Woop **

Nach Jahren steigender Rüstungsetats und der »Normalität« von Kriegseinsätzen im Ausland kommt ein konservativer Verteidigungsminister mit einem Sparplan und will die Bundeswehr deutlich verkleinern. Es geht ihm um mehr Effektivität für globale Einsätze. Die LINKE scheint sprachlos, und das nicht nur aus Gründen blockierender Medien. Jetzt rächt sich der plakative Anstrich großer Teile der Außen- und Sicherheitspolitik der Partei. Im Wachen über das Alleinstellungsmerkmal als Friedenspartei ging der realpolitische Diskurs um die Daseinsweise der Bundeswehr, um lange Übergänge hin zu einer Welt ohne Gewalt fast verloren.

Wer zu Recht davon ausgeht, dass Deutschland nicht bedroht ist, wird dennoch angesichts einer waffenstarrenden Welt auch bei einer notwendigen Abrüstungsperspektive militärische Potenziale als Restversicherung zur Landesverteidigung vorhalten. Dazu gehören Aufwuchsoptionen für den Fall einer sich verschlechternden Bedrohungslage. Das ist der erste Auftrag der Bundeswehr entsprechend Grundgesetz.

Der zweite wichtige Punkt ist die Frage der Bündnispflichten. Sie betreffen Artikel 5 des NATO-Vertrages und die Beistandsklausel der EU. Wer keine Renationalisierung der Sicherheitspolitik will, wird auch hier als Auftrag anerkennen, dass die gegenseitigen Beistandspflichten Auftrag sind. Dies gilt mit dem politischen Vorbehalt, geeignete Maßnahmen je nach konkreter Lage zu beschließen.

Der dritte Aspekt ist die Gretchenfrage bei der LINKEN, die Frage nach der Zulässigkeit von Auslandseinsätzen. Es lohnt, neben dem wichtigen Friedensengagement gegen die Kriege in Jugoslawien, Irak oder in Afghanistan etwas weiter und genauer zu blicken. Nicht jeder bewaffnete Einsatz auf der Welt ist im Sinne des Völkerrechts rechtswidrig, nicht jeder Einsatz lässt sich als Krieg bezeichnen und nicht jeder Einsatz mit UN-Mandat ist ablehnenswert. 2009 wurden 39 gewaltförmige Konflikte in der Welt gezählt, davon neun Kriege. Und neben 88 129 Soldaten waren im Mai 2010 13 407 Polizisten und 8378 Zivilisten in reinen UN-Friedensmissionen aktiv. Alles nur Imperialismus und Krieg? Wer davon ausgeht, dass die Gewalt aus den internationalen Beziehungen nur über einen langen Zeitraum zurückzudrängen ist, wird die auf zahlreiche Kriterien gestützte Einzelfallprüfung für Auslandseinsätze auch bei allem Vorrang für zivile Komponenten nicht ausschließen können. Dazu werden noch bis kommenden Herbst programmatische Debatten geführt. Daraus ergäbe sich der dritte Auftrag für die Bundeswehr.

Grundsätzlich ist ein Eckpunkt der Übergang zu einer Freiwilligenarmee, um den Grundrechtseingriff der Wehrpflicht endlich komplett zu beenden. Aus den genannten Aufträgen ergeben sich notwendige Fähigkeiten, Ausrüstungen und Strukturen.

Zu den Aufträgen gehören normative Vorgaben: das Völkerrecht, Multilateralismus, Stärkung der Vereinten Nationen, Millenniumsziele, zivile Konfliktprävention und -bearbeitung, zeitgemäße Revitalisierung der Kultur militärischer Zurückhaltung; aber auch die Zielgröße für den Abrüstungsprozess, zum Beispiel eine Soldatenpersonalstärke von 100 000 in der nächsten Dekade und die Obergrenze für im Ausland befindliche Einsatzkräfte bei 10 000 mit kleinerer Aufteilung in verschiedene Einsätze, eher Teilhabe an reinen UN-Missionen. Wichtig ist ein klares Nein zu Einsätzen mit hoher Gewaltintensität. Deutschland darf keine Kriege mehr führen, weder allein noch im Bündnis und auch nicht mit UN-Mandat. Die nukleare Teilhabe kann beendet werden. Aus all diesen Faktoren ergeben sich drastische Abrüstungsmöglichkeiten. Dazu kommen überholte Rüstungsprojekte.

Zu überlegen ist darüber hinaus, wie bei Einsätzen Exitstrategien von Beginn an verankert werden, wie eine permanente öffentliche Einsatzkontrolle gesichert wird, wie externe Evaluierungen erfolgen oder wie eine Art parlamentarischer Bundessicherheitsrat – ohne Geheimniskrämerei – wirklich bereichsübergreifend Konfliktlösungsstrategien erörtert.

Wenngleich schwierig, könnte geprüft werden, wie neben einer Transformation der NATO in Richtung eines gesamteuropäischen und transatlantischen Sicherheitsverbundes mit Einbeziehung Russlands die engere Bündnisverteidigung im Rahmen der EU perspektivisch effizienter gewährleistet werden kann. Schließlich sind im Rahmen der Vorstellungen zur Konversion auch Konzepte zu einer schnell einsatzfähigen Katastrophenhilfstruppe – bisher partiell unter dem Begriff der Grünhelme gefasst – angebunden beim Auswärtigen Amt denkbar.

Es würde der LINKEN gut tun, endlich im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik auch transformatorische Überlegungen anzustellen, um neben Kritiken und der Friedensvision auch Vorschläge zum Verlauf der notwendigen Prozesse dahin, zu realistischen Ideen für die Umgestaltung der europäischen Sicherheitsarchitektur, zur UN-Reform, zu einer abgerüsteten Bundeswehr mit Friedensauftrag zu entwickeln. Das würde für breitere Gesellschaftsschichten überzeugender sein und könnte andere Parteien in der Debatte um deutsche internationale Verantwortung unter Druck setzen.

** Gerry Woop, Jahrgang 1968, ist Mitglied im Vorstand der Linkspartei sowie im Bundesvorstand der parteiinternen Strömung Forum Demokratischer Sozialismus.

Beide Beitrag aus: Neues Deutschland, 23. Oktober 2010 ("Debatte")


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