Scheindebatte um die Bundeswehr
Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
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Nicht die Wehrpflicht, die Bundeswehr insgesamt ist das Problem
- Bundeswehr wird konsequent zur Interventionsarmee ausgebaut
- Grundgesetz und Völkerrecht achten: Afghanistankrieg beenden
Kassel/Hamburg, 23. August 2010 - Die heute vorgestellten "Reformpläne"
der Bundeswehr werden von der Friedensbewegung als friedensgefährdend
und verfassungswidrig abgelehnt. Die Sprecher des Bundesausschusses
Friedensratschlag erklärten in einer ersten Stellungnahme:
Wäre die Sache nicht so ernst, könnte man die Debatte um die
Beibehaltung oder Abschaffung der Wehrpflicht als possierliche
Auseinandersetzung um Peanuts abtun. Wenn aber die Befürworter der
Wehrpflicht so vehement auf das Grundgesetz pochen, ist das zutiefst
scheinheilig. Denn dieselben Politiker verstoßen seit Jahren gegen die
verfassungsrechtliche Beschränkung der Bundeswehr auf die
Landesverteidigung (Art. 87a GG), indem sie deutsche Soldaten in
Kampfeinsätze außerhalb des Bundes- und NATO-Bündnisgebiets schicken.
Die allgemeine Wehrpflicht ist zudem keineswegs als zwingende
Rechtsvorschrift, sondern als Kann-Bestimmung in das Grundgesetz
eingefügt worden. In Art. 12a Ziff. 1 heißt es: "Männer können vom
vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften,
im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet
werden." Die Rechtfertigung für die Inanspruchnahme der Wehrpflicht
durch den Staat ergibt sich allein aus der Notwendigkeit einer
(effektiven) Landesverteidigung. Dies erkannte auch der
Verfassungsjurist und damalige Bundespräsident Roman Herzog, der zum
40-jährigen Bestehen der Bundeswehr sagte: "Die Wehrpflicht ist ein so
tiefer Eingriff in die individuelle Freiheit des jungen Bürgers, dass
ihn der demokratische Rechtsstaat nur fordern darf, wenn es die äußere
Sicherheit des Staates wirklich gebietet. Sie ist also kein allgemein
gültiges ewiges Prinzip, sondern sie ist auch abhängig von der konkreten
Sicherheitslage." Mit anderen Worten: Die Wehrpflicht kann durch den
Gesetzgeber jederzeit widerrufen werden - und sie muss aus der Logik der
Grundrechte widerrufen werden, wenn die Sicherheitslage ihrer nicht
bedarf. Dies ist nach allgemeiner Auffassung heute der Fall.
Wer sich also auf das Grundgesetz berufen will, muss die Abschaffung der
Wehrpflicht fordern.
Damit ist aber das Hauptproblem noch nicht angesprochen - und das liegt
in der beabsichtigten Transformation der Bundeswehr aus einer Armee zur
Landesverteidigung in eine "Armee im Einsatz". Allein zum Zweck der
Kriegführung in den sog. "neuen Kriegen", die in der Regel
Interventionskriege gegen militärisch unterlegene Gegner sind, wird die
Bundeswehr auf eine schlagkräftige Truppe von 163.500 bis 175.000
Berufs- und Zeitsoldaten abgespeckt. Diese beachtliche
Truppenreduzierung um etwa ein Drittel ist mitnichten ein
Abrüstungsschritt, weil er nicht in friedlicher Absicht vorgenommen
wird. Worum es geht, ist die Effektivierung und Flexibilisierung der
Bundeswehr, um noch mehr Soldaten für Militärinterventionen zur
Verfügung zu haben. Die derzeit mögliche Zahl von 7.000 bis 10.000
Soldaten, die zeitgleich Auslandseinsätze durchführen, soll nach den
Plänen Guttenbergs spürbar erhöht werden. Einzelheiten dazu werden aber
noch unter Verschluss gehalten.
Durch Einsparung von Standorten und Personalmitteln sollen mittelfristig
wohl auch die allgemeinen Kosten der Bundeswehr gesenkt werden. Dafür
können dann die Beschaffungsmaßnamen durchgeführt werden, die für eine
weltweit einsetzbare Interventionsarmee, für Sondereinheiten wie
Eingreiftruppen oder Kommando Spezialkräfte (KSK) notwendig erscheinen.
Mit anderen Worten: Einsparungen bei den Personalkosten kommen der
besseren Bewaffnung und Ausrüstung zu Gute. Die Rüstungsindustrie reibt
sich die Hände.
Artikel 87a GG lautet: "Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung
auf." Die Pläne Guttenbergs setzen eine grundgesetzwidrige Politik fort,
die ihren vorläufigen Höhepunkt im völkerrechtswidrigen Angriffskrieg
gegen Jugoslawien fand. Angriffskriege - und nichts anderes sind
Militärinterventionen - würden zur Regel, Krieg zum Alltag werden. Die
Politik des Militärinterinterventionismus zum Zwecke der Durchsetzung
deutscher Macht-, Rohstoff- und Wirtschaftsinteressen ist zerstörerisch
und lebensfeindlich und trägt nicht zum "friedlichen Zusammenleben der
Völker" bei. Dazu aber ist die Bundesrepublik Deutschland nach Artikel
26 GG verpflichtet.
Die Friedensbewegung gibt noch einmal zu bedenken: Außer zur Landes- und
Bündnisverteidigung ist die Bundeswehr nicht geschaffen worden. Wenn sie
dafür nicht mehr gebraucht wird, ist sie verzichtbar. Wer trotzdem an
ihr festhält und sie als Interventionsarmee ausbaut, verstößt gegen das
Grundgesetz und darüber hinaus gegen das Interventionsverbot des
Völkerrechts (Art. 2,4 UN-Charta).
Der Bundesausschuss Friedensratschlag tritt dafür ein, die Politik des
Militärinterventionismus zu stoppen, sich aus den Schnellen
Eingreiftruppen von NATO und EU zurückzuziehen, die aggressiven
Aufrüstungsprogramme zu stoppen, die Zwangsdienste Wehrpflicht und
Zivildienst abzuschaffen und die Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland
zu beenden. Das bedeutet vordringlich, in Afghanistan die
Kampfhandlungen einzustellen und sofort mit dem Rückzug der Bundeswehr
zu beginnen.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Hamburg,
Peter Strutynski, Kassel
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