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Ein neues Leitbild

Äußerste Rechte besetzen in der Bundeswehr gezielt Multiplikatorenstellen

Von Sebastian Carlens *

Der Umbau der Bundeswehr zur Söldnerarmee führt nach Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht zum 1. Juli dieses Jahres zu Kontroversen um die Identität der Streitkräfte, in die sich auch gezielt sogenannte neue Rechte einbringen. In dem offiziellen Studierendenmagazin der Bundeswehr-Universität München, Campus, wurde Frauen mit biologistischen Argumenten die Befähigung für einen Armeeeinsatz abgesprochen: »Frauen als Kämpfer einzusetzen bedeutet einen strukturellen Kampfwertverlust«, heißt es in der aktuellen Ausgabe des Blattes. Neben dem Autor des Artikels sind zwei weitere Redaktionsmitarbeiter des Studentenblattes, darunter auch der Chefredakteur Martin Böcker, dem Umfeld des rechten Thinktanks »Institut für Staatspolitik« (IfS) zuzuordnen. Wie Spiegel online am 22. Juli berichtete, distanzierten sich mehr als 30 Mitglieder der Fakultät für Staats- und Sozialwissenschaften der Bundeswehr-Uni von den frauenfeindlichen Thesen, die in der letzten Ausgabe des Studentenblattes veröffentlicht worden waren. Der Bundeswehr-Sprecher der SPD-Landtagsfraktion in Bayern, Peter Paul Gantzer, forderte am 19.7. in einem Brief an Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière wegen des Verdachts einer rechten Unterwanderung der Studentenzeitschrift eine Untersuchung und notfalls disziplinarrechtliche Schritte. Die Präsidentin der Bundeswehrhochschule, Merith Niehuss, distanzierte sich in einem Rundschreiben an Studenten und Mitarbeiter von den Campus-Äußerungen. Sie untersagte für die Zukunft Werbung für das IfS und die rechte Zeitung Junge Freiheit in Publikationen ihrer Hochschule.

Nicht nur frauenfeindliche Standpunkte, sondern auch geostrategische Überlegungen zum Umbau der gesamten Bundeswehr finden sich in der aktuellen Campus-Ausgabe. »Der Wandel von der territorialen Landesverteidigung hin zur international agierenden Einsatzarmee« und immer härtere internationale Kampfeinsätze erforderten neue Identitätsangebote, schreibt Gottfried Küenzlen, ehemals Professor für Evangelische Theologie am Institut für Theologie und Ethik der Bundeswehr-Universität. Küenzlen stellt klar: »eine europäische Nation, ein europäisches Staatsvolk ist nicht existent, und die ›Vereinigten Staaten von Europa‹ wird es nicht geben«. Das »Leitbild ›Europäer in Uniform‹« sei deshalb zu verwerfen: Der Soldat kämpfe »weder für Europa, noch für die Menschheit: Der Soldat kämpft für sein Land«. In einem weiteren Artikel eines wissenschaftlichen Mitarbeiters dieses Instituts wird ein »Bruch« mit den »Systemkontinuitäten der alten Bundeswehr« gefordert, denn, »anders als erhofft, entfaltet sich unter freiheitlich-demokratischen Bedingungen keine gemeinschaftlich-gute Lebensform«. Deshalb gelte es, »ein neues Gut zu finden, das die gegenwärtig tendenziell destruktive Pluralität konstruktiv wendet«, »für das es sich gemeinsam einzustehen, zu kämpfen und sogar zu sterben lohnt«.

Eine Absage an die Europäische Union, die Bereitschaft zu aggressiven militärischen Alleingängen und Zweifel am Nutzen der Demokratie sind in der deutschen Armee keine radikale Minderheitenpositionen mehr. Eine Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr kam schon 2009 zu dem Ergebnis, daß rund 13 Prozent der dortigen Studierenden politische Gedanken der sogenannten neuen Rechten teilten. Sie sähen die »nationale Identität Deutschlands durch die vielen Ausländer bedroht« und seien der Ansicht, »eine starke Führungselite sollte den Weg Deutschlands« bestimmen. Ungefähr die Hälfte der Befragten, hieß es, hegten »deutliche Zweifel an der Ausgestaltung unseres parlamentarischen Systems«.

Das Bayerische Fernsehen (BR), das am 14. Juli die personellen Verquickungen der Studentenzeitung mit dem Institut für Staatspolitik aufgedeckt hatte, distanzierte sich mittlerweile von den eigenen Reportern: Dem BR sei nicht bekannt gewesen, daß der Journalist Robert Andreasch, der an dem Beitrag mitgewirkt hatte, »Kontakte zur linksextremistischen Szene« habe, sagte ein Sprecher des Senders der Süddeutschen Zeitung am 19. Juli. Er schreibt auch für die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München (aida). »Hätte die Information vorgelegen, wäre die interessante Recherche mit einem anderen O-Ton-Geber versehen worden.«

* Aus: junge Welt, 26. Juli 2011


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