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Es gibt Schlimmeres als den Tod

Ihr Einsatz im Kosovokrieg hat Daniela Matijevics Leben dauerhaft verändert. Mit einem Buch wendet sie sich jetzt an die Öffentlichkeit *

Daniela Matijevic hat als Bundeswehr-Rettungssanitäterin im Kosovokrieg unfassbare Grausamkeiten erlebt. Die heute 35-jährige Osnabrückerin gehört zu den rund 1800 Bundeswehrsoldaten, die nach Einsätzen auf dem Balkan oder in Afghanistan an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) erkrankt sind. In ihrem Buch »Mit der Hölle hätte ich leben können« schreibt sie schonungslos darüber, was der Krieg aus Menschen macht. Mit Daniela Matijevic sprach für das Neue Deutschland (ND) Olaf Neumann.

ND: Frau Matijevic, Sie sind 1996 zur Bundeswehr gegangen. Im Kosovokrieg haben Sie an vorderster Front gestanden - und mussten dem Grauen ins Gesicht sehen. Können Sie eine Situation beschreiben?

Matijevic: In Kosovo hatte ich das Pech, Sprachmittlerin zu sein. Während 88 Tagen und vier Stunden war ich überall dabei, wo die Luft brannte. Einmal war ich in einem Stall voller verkohlter Leichen. In dem Moment, wo man da nur die Nase reinhält, begreift man den Schrecken. Aber man muss es trotzdem mit eigenen Augen sehen, weil es so unglaublich ist. Es ist ein Unterschied, etwas kognitiv zu erfassen oder etwas zu begreifen.

Sie werden von Schuldgefühlen geplagt, weil Sie tatenlos mit ansehen mussten, wie kleine Kinder kaltblütig erschossen oder von Minen zerfetzt wurden. Warum?

Mein Verstand sagt mir ganz klar, dass ich deshalb keine Schuldgefühle haben muss. Aber mein Bauch reagiert völlig anders. Wenn zwei gegensätzliche Stimmen in einem leben, ist man machtlos. Zumal sich die Logik im Schlaf ausschaltet. Das ist, als säße man in seinem Privatkino. Die schlimmsten Situationen erlebe ich wieder und wieder.

Waren Sie wegen dieser inneren Konflikte bei einem Psychotherapeuten?

Ja. Bei mir wurde eine Posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Früher hat man sich unter einem Veteranen einen alten Mann vorgestellt, der weinend von Stalingrad erzählte. Heute sind das 30-jährige Familienväter mit schweren Alkoholproblemen. Män-ner werden aggressiv und Frauen können sich nicht mehr binden, weil sie das Vertrauen in die Menschen verloren haben.

Wurden Sie auf Ihren Kriegseinsatz psychologisch vorbereitet?

Man kann niemanden auf den Krieg vorbereiten. Ein Profi im Rettungsdienst hat vielleicht schon mal von Minenverletzungen gelesen, aber noch nie eine gesehen. Wie soll man jemandem erklären, wie es sich anfühlt, sich durchs Gesicht zu wischen und ein Stück Darm in der Hand zu haben? Wir hatten in Kosovo einen sehr engagierten, hoch anständigen jungen Pfarrer dabei, der heute Bischof ist. Er war selber jahrelang traumatisiert. Ein anderer Kamerad war Notfallseelsorger und hat sich vor drei Jahren erschossen. Militärexperten sagen, dass Afghanistan bestimmt grausam ist, aber kein Vergleich mit Kosovo.

Warum war der Kosovokrieg so grausam?

Das hatte etwas mit der Art des Konflikts zu tun. Wenn sich wie auf dem Balkan verschiedene Ethnien bekämpfen, geht das bis aufs Blut. Solche Phänomene beobachtet man aber nicht nur auf dem Balkan.

Was muss passieren, dass Erwachsene Kindern bestialische Gewalt antun?

Krieg ist eine Fratze, die man sich nicht ausmalen kann. Wir reden hier über ein Volk mit niedriger Allgemeinbildung und geringer Konfliktfähigkeit. Wir reden über Blutrache. Im Krieg potenziert sich die Hass- und Gewaltspirale um ein Vielfaches. Ich habe gesehen, wie Menschen ein dreijähriges Kind regelrecht auseinanderrissen. Alle anderen sahen seelenruhig zu, wie der kleine Junge verblutete.

Sie stellen sich die Frage, ob auch Sie damals jeden Bezug zur Menschlichkeit verloren haben. Haben Sie?

Ja, der Bezug zur Menschlichkeit ist uns Soldaten 1999 definitiv verloren gegangen. Binnen kurzer Zeit beginnt man die Menschen zu deklassieren. Die Uniformierten sind die Freunde, die Bart tragenden Zivilisten potenzielle Feinde. Man spricht nicht mehr von »Einheimischen«, sondern von »Klingonen«. Ich erinnere mich an eine Frau, die im Feldlazarett anderthalb Stunden mit dem Tod rang. Für mich war das in dem Moment kein sterbender Mensch, sondern nur ein interessanter medizinischer Fall. Das erschreckt mich heute noch. Im Einsatz muss ein Soldat wie eine gut geölte Maschine funktionieren. Deswegen versucht man, sich sämtliche Gefühle zu verkneifen.

Ein Soldat mit Kriegserlebnissen habe ein anderes Verhältnis zum Tod, schreiben Sie in Ihrem Buch. Welches denn?

Ein kollegiales. Man lernt, dass der Tod zum Leben gehört. Er verliert seinen Schrecken. Mich kann nichts mehr schocken. Vor allem lernt man zu unterscheiden zwischen einem sauberen und einem dreckigen Tod. Wer wohlriechend und sauber stirbt, hat sich überhaupt nicht zu beklagen. Ich habe gelernt, dass der Tod nicht das Schlimmste ist, was einem im Leben passieren kann.

Die Versorgungslage im Bundeswehrcamp in Prizren war nach Ihrer Aussage so schlecht, dass Sie sogar Hunde aßen. Wie demotivierend waren derartige Extreme?

Dafür kann ich der Bundeswehr nur bedingt einen Vorwurf machen. Sie war nicht darauf vorbereitet, dass ihre Soldaten in solch einen Einsatz kommen und knietief in Leichen stehen. Sie war nicht darauf eingestellt, dass ihr die Menschen vor Ort nicht wohl gesonnen waren. Wir konnten kein Wasser aus Brunnen trinken, weil wir damit rechnen mussten, dass es vergiftet war.

Warum konnten die Psychotherapeuten, die Sie aufsuchten, Ihnen nicht helfen?

Ich glaube, dahinter steckt eine gehörige Portion Arroganz. Seit mein Buch auf dem Markt ist, melden sich unzählige Psychotherapeuten bei mir. Ich soll ihnen Tipps geben zu der Ausbildung von Traumatologen. Meine Erfahrung ist, dass ich mental stärker bin als meine Therapeuten. Oberstarzt Dr. Karl-Heinz Biesold vom Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, die Koryphäe für Posttraumatische Belastungsstörungen in Deutschland, bezeichnet mich als harte Sau.

Dass die Bundeswehr mich keine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben ließ - ihr Pech. Das wurde in der brenzligen Situation schlichtweg vergessen - und macht mein Buch so interessant.

Arbeitsämter, Versorgungsämter und Sozialämter begegneten Ihnen mit Ablehnung, wenn nicht gar Verachtung. Mit welcher Begründung wurden Sie abgewiesen?

Wenn ich das wüsste ... Die Sachbearbeiter haben sich immer hinter Paragraphen versteckt. Diese Erfahrung mussten alle traumatisierten Kameraden machen. Als mein Buch herauskam, fiel den Behörden plötzlich auf, dass sie mir zehn Jahre lang viel zu wenig Unterstützung gezahlt hatten. Inzwischen kriege ich zwar mehr, aber für eine Nachzahlung fühlt sich niemand zuständig. Müsste ich nur von der Wehrdienstbeschädigung leben, hätte ich monatlich 741 Euro zur Verfügung. Das liegt unter den Hartz-IV-Bezügen. In Holland zum Beispiel sind Veteranen weitaus besser dran.

Was muss passieren, damit sich solch eine Katastrophe wie 1999 in Kosovo nicht wiederholt?

Es wird vielleicht vielen übel aufstoßen, aber ich persönlich glaube, den Menschen auf dem Balkan hat Tito gut getan. Wo jahrhundertelang keine Demokratie geherrscht hat, kann man den Menschen die Freiheit nicht einfach vor die Füße werfen. Das endet in einem Keulenschwingen. Für die Soldaten, die in solche Krisengebiete geschickt werden, ist es wichtig, dass das Verteidigungsministerium seine Pforten öffnet und Uniformierte mit an den runden Tisch holt. Das Verteidigungsministerium darf nicht länger ignorieren, was traumatisierte Veteranen zu sagen haben. Ich würde gerne mal mit Minister zu Guttenberg darüber sprechen.

Daniela Matijevic: »Mit der Hölle hätte ich leben können. Als deutsche Soldatin im Auslandseinsatz« (Heyne, 256 S., geb., 19,99 €).

* Aus: Neues Deutschland, 1. Oktober 2010


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