Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Parlamentsarmee ohne Parlament

Die Bundeswehr und die Operation Enduring Freedom

Von Alexander Neu *

Heute läuft das Bundestagsmandat für die deutsche Beteiligung am »Anti-Terrorkrieg« – »Operation Enduring Freedom« (OEF) und »Operation Active Endeavour« (OAE) – aus. Der Bundestag schafft Anschluss.

Der Bundestag will nunmehr zum sechsten Male seit 2001 die deutsche Beteiligung am so genannten Anti-Terrorkrieg verlängern. Diesmal jedoch unterschied sich die Abstimmung von den vorangegangenen jährlichen „Routine-Verlängerungen“, bei denen alle Fraktionen mit Ausnahme der LINKEN zugestimmt hatten: Die GRÜNEN entdeckten im Laufe des Jahres 2007 ihre Oppositionsrolle und befanden nun, dass die OEF – nicht aber die ISAF - in Afghanistan bei der Befriedung des Landes kontraproduktiv sein könnte. Ähnliche Erkenntnisse taten sich bei einigen Sozialdemokraten auf, was sich auch im Beschluss der SPD auf ihrem Hamburger Parteitag Ende Oktober sehr zaghaft widerspiegelte, in dem eine weitere Absenkung von OEF als Ziel im Konjunktiv formuliert wurde.

Worüber aber stimmen die Mitglieder des Deutschen Bundestages tatsächlich ab, wenn sie OEF und OAE verlängern? Sie wissen es nicht! Sie wissen nur so viel, dass OEF sich in zwei getrennte Operationen gliedert: Der Operation in Afghanistan und der maritimen Operation am Horn von Afrika. Und sie wissen, dass eine OAE existiert – mal mit mal ohne deutsche Beteiligung -, die im Mittelmeer schippert, um dort die „Feinde der Freiheit“ zu bekämpfen. Die beiden maritimen Operationen am Horn von Afrika und im Mittelmeer haben zwar bislang noch keinen „Feindkontakt“ gehabt. Die sicherheitspolitischen und militärischen Experten der Bundesregierung sind jedoch um keine Antwort verlegen und erklären diesen Mangel an Feindkontakt mit der „rein psychologischen Abschreckungswirkung“.

Warum aber wissen die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, denn nicht mehr als der aufmerksame Zeitungsleser? Das Parlamentsbeteiligungsgesetz legt fest, die „Bundesregierung unterrichtet den Bundestag regelmäßig über den Verlauf der Einsätze und über die Entwicklung im Einsatzgebiet“, um auf diese Weise dem Anspruch der „Parlamentsarmee“ gerecht zu werden.

Schließlich kann ein Abgeordneter seine Verantwortung dem Volke gegenüber nur seriös wahrnehmen, über etwas zu befinden, wenn er auch entsprechende Kenntnisse über den Gegenstand seiner Entscheidung besitzt. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit – nicht so in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik: Tatsächlich wissen lediglich eine Handvoll Abgeordnete, nämlich die Obleute des Auswärtigen und Verteidigungsausschuss sowie die beiden Ausschussvorsitzenden und ihre Stellvertreter, etwas. Und darüber sind sie - mit Ausnahme gegenüber ihren FraktionssprecherInnen - zur Verschwiegenheit verpflichtet. Somit verfügen von 613 max. 21 Abgeordnete über die Information, ob die Bundesregierung ihre Geheimwaffe, das Kommando Spezialkräfte, entsandt hat oder zu entsenden gedenkt. Diese Ob-Information sagt noch nichts über den genauen Auftrag und den Verlauf aus. Denn derartige Informationen erhalten die Obleute - zumindest der LINKEN - nicht. Ob es sich dabei um ein allgemeine restriktive Informationspolitik gegenüber diesem „erlauchten Kreis“ oder ob es sich um eine abgestufte Informationspolitik handelt, an dessen Ende DIE LINKE steht, entzieht sich der Kenntnis der LINKEN.

Eine so schwerwiegende Entscheidung im Parlament, ob der Kriegseinsatz OEF verlängert werden soll oder nicht, wird sodann seit Jahren von 97 Prozent nicht-informierten und drei Prozent mehr oder minder informierten Mitgliedern des Deutschen Bundestages gefällt.

Seitens der Bundesregierung wird diese vom Parlamentsbeteiligungsgesetz abweichende Informationspraxis bei Einsätzen des KSK mit „besonderen Sicherheitsbedürfnissen“ wie dem „Schutz des Rechts auf Leib und Leben“ sowie die „Gewährleistung der äußeren Sicherheit“ begründet. Haben denn nicht auch alle übrigen SoldatInnen der Bundeswehr ein „Recht auf Leib und Leben“, wenn Sie sich im Auslandseinsatz befinden und der Bundestag darüber unterrichtet wird? Noch abstruser die zweite Begründung der „Gewährleistung der äußeren Sicherheit“. Sie ist zu unkonkret formuliert als dass sie das Informationsrecht des Parlaments per se aushebeln darf. Diese abstrakte Begründung räumt der Exekutive einen mit dem Geiste und den Buchstaben des Parlamentsbeteiligungsgesetzes unzulässigen Handlungsspielraum ein. Eine Einzelfallkonkretisierung dieser abstrakt formulierten Begründung wäre vielmehr erforderlich. Und diese konkrete Feststellung der unabdingbaren Ausnahmenotwendigkeit für den Einzelfall müsste vom Bundestag zumindest aber von den relevanten Ausschüssen auf der Grundlage eines von der Exekutiven einzubringenden Antrages entschieden werden. Denn nur auf diese Weise kann dem Anspruch der parlamentarischen Prägorative (Parlamentsarmee) - normiert im Parlamentbeteiligungsgesetz - genüge getan werden. Und im Übrigen lässt sich nur so verhindern, dass die Exekutive ohne parlamentarischen Einfluss jeglichen Einzelfall als für die „Gewährleistung der äußeren Sicherheit“ ausnahmenotwendig deklariert.

Wie wichtig eine umfassende Kontrolle der deutschen Auslandseinsätze durch das Parlament und durch DIE LINKE, ungeachtet ihrer prinzipiellen Ablehnung deutscher Auslandseinsätze, ist, zeigen die beiden bekanntgewordenen Fälle, Kurnaz und der Geleitschutz für die US-Kriegsmarine: Im Falle Kurnaz wurde deutlich, dass KSK-Soldaten den US-Verbündeten eine rechtlich fragwürdige und moralisch verwerfliche Gefälligkeit erbrachten, nämlich die Bewachung eines US-Gefangenenlagers in Afghanistan, und hierbei nach wie vor der Verdacht im Raume seht, Kurnaz währenddessen misshandelt zu haben.

Im zweiten Fall leistete die Bundesmarine während ihres OEF-Einsatzes am Horn von Afrika Geleitschutz für die US-amerikanischen Kriegsschiffe auf dem Weg zum Überfall auf den Irak, während im gleichen Zeitraum der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder sich mit seinem „Nein“ zum Irakkrieg als Friedenskanzler feiern ließ. Diese völkerrechts- und verfassungswidrige Dienstleistung unter Verbündeten wurde erst 2006 durch eine Kleine Anfragen der LINKEN publik.

Wie viele weitere Leichen im Keller deutscher Auslandseinsätze mit oder ohne KSK-Beteiligung liegen, bleibt vorerst ein Geheimnis der Bundesregierung.

* Dr. Alexander Neu ist Referent für Sicherheitspolitik der Bundestagsfraktion DIE LINKE.
Der Autor gibt ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.

Dieser Beitrag erschien - nur unwesentlich gekürzt - am 15. November 2007 im "Neuen Deutschland"



Zurück zur Bundeswehr-Seite

Zur Afghanistan-Seite

Zurück zur Homepage