Zum Kampfeinsatz ermächtigt
Von Norman Paech *
Wenn der Untersuchungsausschuss im Januar seine Arbeit aufnimmt, muss er
sich hüten, an einer
Nebenfrage hängen zu bleiben und die Hauptfrage in Vergessenheit geraten
zu lassen. Denn die
Informationspolitik einer notorisch undurchsichtigen Regierung ist
absolut nebensächlich gegenüber
der Frage, was die Bundeswehr in Afghanistan eigentlich treibt und was
sie dort treiben darf.
Nach acht Jahren hat das Verteidigungsministerium endlich die Situation
in Afghanistan
realitätsnäher als »kriegsähnlich« bezeichnet. Jetzt hat sie aber auch
den jahrelang angehäuften
Propagandamüll aufzuräumen, mit dem sie die Arbeit der Soldaten als
brunnenbauende und
Mädchen schützende Truppe beschönigte. Das Massaker bei den beiden
Tanklastwagen hat nun
auch der deutschen Bevölkerung die Augen über den wahren Charakter des
Krieges am Hindukusch
geöffnet. Ähnliche Katastrophen hat es schon im Süden, Westen und Osten
des Landes durch die
US-Amerikaner und die NATO-Truppen gegeben - und es wird weitere geben.
»Kunduz« ist keine
isolierte Panne des unglückseligen Oberst Klein, sondern ein notwendig
sich wiederholendes
Wesensmerkmal dieses Krieges, den man technokratisch verharmlosend
»asymmetrisch« nennt.
Man soll nicht so tun, als wenn Vietnam schon vergessen wäre.
Dieser Krieg ist mit der Ausdehnung auf Pakistan und der immer stärkeren
Beteiligung
ausländischer Kämpfer auf beiden Seiten schon lange zu einem
internationalen bewaffneten Konflikt
geworden. Als der UNO-Sicherheitsrat im Dezember 2001 die ISAF schuf,
übertrug er ihr die
Aufgabe, Afghanistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit zu
unterstützen und ein sicheres
Umfeld für den Wiederaufbau und die humanitären Aufgaben zu schaffen. Er
hat dazu die ISAF
autorisiert, »alle erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Anwendung
militärischer Gewalt zu
ergreifen«. Das ist die klassische Ermächtigung zum Kampfeinsatz, der
über die Verteidigung
hinausgeht und Angriff wie gezielte Tötungen umfasst. Der Bundestag
hätte dieses Mandat
einschränken und auf Verteidigungsmaßnahmen begrenzen können, was er
jedoch nicht getan hat.
Die LINKE hat den Einsatz deshalb als einzige Fraktion immer abgelehnt.
Die UNO-Resolutionen wollten die Realisierung des Petersberg-Abkommen
absichern. Deren
demokratische und völkerrechtliche Mängel sind wiederholt zu Recht
gerügt worden. Das entzieht
den Resolutionen allerdings nicht ihre juristische Wirksamkeit, um die
Kampfeinsätze im Süden
grundsätzlich zu legitimieren - aber nur in den Grenzen des humanitären
Völkerrechts. Und da liegt
das Problem. Denn dieser Angriff war, wem immer er auch gegolten haben
mag, offensichtlich
unverhältnismäßig, betrachtet man die zivilen Opfer, die er gekostet
hat. Die NATO spricht von vier
Taliban-Führern und bis zu 142 Toten - hat sie nach fast vier Monaten
immer noch keine genaueren
Zahlen? Der afghanische Anwalt hat schon 78 Mandate ziviler Opfer und
spricht von insgesamt 159
Toten und 20 Verletzten. In jedem Fall liegt hier ein schwerer Verstoß
gegen das völkerrechtliche
Gebot der Verhältnismäßigkeit vor.
Einer Wiederholung derartiger Katastrophen kann man weder durch
Taschenkarten, striktere
Einsatzregeln oder neue Resolutionen entgehen, sondern nur durch die
realistische Erkenntnis,
dass sie sich immer wiederholen werden, es sei denn, man verlässt das
Schlachtfeld - aus
humanitären Gründen und weil dieser Krieg nicht zu gewinnen ist.
* Der Autor ist Politiker der LINKEN und war bis zum Sommer Mitglied
des Bundestages.
Aus: Neues Deutschland, 21. Dezember 2009
Zurück zur Bundeswehr-Seite
Zur Afghanistan-Seite
Zurück zur Homepage