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"Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz geworden"

Im Wortlaut: Rede von Bundeskanzlerin Merkel auf der Bundeswehrtagung 2012 in Strausberg


Im Folgenden dokumentieren wir die Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich der Tagung des zivilen und militärischen Spitzenpersonals der Bundeswehr in der Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation, Strausberg am 22. Oktober 2012. Die Zwischenüberschriften haben wir der besseren Lesbarkeit halber selbst eingefügt.


Sehr geehrter Herr Verteidigungsminister, lieber Thomas de Maizière,
sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, lieber Herr Königshaus,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,
sehr geehrte Vertreter der Interessengruppen der Bundeswehrangehörigen, sehr geehrte Herren Staatssekretäre,
sehr geehrter Herr Generalinspekteur,
sehr geehrte Generale und Admirale,
sehr geehrte zivile und militärische Angehörige der Bundeswehr,
meine Damen und Herren,

ich bedanke mich ganz herzlich für die Einladung zu dieser Tagung und in diesen Saal. Ich möchte an dieser Stelle auch die Bürgermeisterin grüßen. Denn dies ist ein sehr spannender Ort – ein Ort, der verbunden ist mit vielerlei Veränderung, und zwar Veränderung zum Besseren, zum Guten. Das sollte Sie bei all dem, was Sie heute und morgen zu beraten haben, inspirieren.

Ich freue mich, dass ich wieder eingeladen wurde – und das gerade in einer Zeit, in der die Neuausrichtung der Bundeswehr, wie der Verteidigungsminister eben sagte, an Fahrt gewinnt. Seit November 2010, als ich auf der Kommandeurtagung in Dresden gesprochen habe, ist natürlich manches passiert. Damals haben wird des Jubiläums „20 Jahre Armee der Einheit“ gedacht, aber natürlich auch nach vorne geschaut. Wir merken aber auch: Die Welt verändert sich weiter. Deshalb ist es umso wichtiger, jetzt in dieser Phase den Blick sehr intensiv nach vorne in die Zukunft zu richten – wohl wissend, dass neue Herausforderungen auch immer neue Antworten verlangen.

Die Neuausrichtung der Bundeswehr befindet sich in der Umsetzung

Vor zwei Jahren, als ich in Dresden war, befand sich die Neuausrichtung der Bundeswehr noch in den Anfängen. Man wusste, dass da etwas Großes passieren wird, aber man wusste noch nicht genau, wie. Inzwischen liegt die Planungsphase hinter uns, und die Neuausrichtung ist inmitten der Phase der Umsetzung. Am Ende dieses Prozesses wird die Bundeswehr in weiten Teilen völlig neu strukturiert sein.

Ich glaube, damit stellt die Bundeswehr den notwendigen Mut zur Veränderung unter Beweis. Das ist ein starkes Signal für unser ganzes Land: Wir wissen, dass wir niemals das Kind mit dem Bade ausschütten dürfen, aber wir dürfen auch nie nachlassen, immer wieder neue Wege zu wagen, wenn es notwendig wird. Das mag mitunter unbequem sein, aber nur so können wir auch in Zukunft unsere Werte und unsere Interessen erfolgreich vertreten.

Ich hoffe, dass die Neuausrichtung der Bundeswehr eine solch tiefgehende ist, dass sie dann vielleicht die permanente kleine Veränderung in Zukunft etwas geringer ausfallen lässt, als das in den vergangenen 20 Jahren der Fall war. Aber vor Veränderung wollen Sie auch gar nicht geschützt werden. Denn Ihre Aufgabe als Bundeswehr ist ja, für mehr Sicherheit und für mehr Frieden zu sorgen. Deshalb muss sich ja etwas verändern. Alles andere wäre eine schlechte Nachricht.

Die Bundesregierung insgesamt hat die Neuausrichtung der Bundeswehr von Beginn an unterstützt. Wir werden dies auch in Zukunft tun. Denn diese Neuausrichtung ist ein gemeinschaftliches Projekt der Bundeswehr und der Bundesregierung. Und die Bundeswehr ist unser gemeinsames Gut. Das heißt, wir können nicht einen Minister mit all den Aufgaben alleine lassen. Die Anzahl der Parlamentarier, die hier heute bei dieser Tagung sind, zeigt ja auch, welch große parlamentarische Unterstützung dahintersteht.

Die Neuausrichtung folgt überzeugenden Zielen. Sie sorgt dafür, dass Deutschland auch in Zukunft sicherheitspolitisch handlungsfähig und ein verlässlicher Bündnispartner ist. Die sicherheitspolitischen Herausforderungen der Zukunft werden mit Sicherheit nicht einfacher, und sie werden ganz offensichtlich auch nicht weniger. Im Augenblick hat man eher den Eindruck, dass das Gegenteil der Fall ist:

Aufstrebende Nationen gewinnen auch sicherheitspolitisch an Gewicht und suchen als neue Akteure ihren Platz in der Welt.

Ganze Regionen, wie der Nahe Osten und Nordafrika, erfahren teils gewaltsame Umbrüche. Dabei ist auch eine überregionale Ausweitung der Konflikte nie ganz auszuschließen. Wenn wir uns in diesen Tagen einfach nur die Nachrichten anschauen, dann wissen wir, wovon die Rede ist. Wenn wir an Syrien, an die Grenze zwischen Syrien und der Türkei, an die Situation im Libanon oder an die Situation in Jordanien denken, dann sehen wir, dass viele Bedrohungen doch gar nicht so weit von uns weg sind. – Das erleben wir ja leider schon seit vielen Jahren auch auf dem westlichen Balkan.

Neuartige Bedrohungen wie Cyberangriffe und die Proliferation von Massenvernichtungswaffen werden immer offenkundiger.

Wenn Deutschland auch neue Gefahren wirksam abwenden will, dann müssen wir ihnen frühzeitig und vor allen Dingen aktiv entgegentreten. Wir tun dies unter zwei Maßgaben.

Erstens: Wir agieren mit allen zur Verfügung stehenden sicherheitspolitischen Instrumenten in einem vernetzten Ansatz. Das heißt, wirtschaftspolitische, entwicklungspolitische, diplomatische, polizeiliche und militärische Maßnahmen müssen Hand in Hand gehen. Denn einerseits kann kaum ein Konflikt, mit dem wir heute konfrontiert sind, allein mit militärischen Mitteln gelöst werden. Andererseits kann und darf der Einsatz militärischer Mittel auch nicht ausgeschlossen werden. Insofern ist der Einsatz der Bundeswehr nur ein Instrument, aber eben ein sehr wichtiges und ein unverzichtbares. In welchem Einsatzgebiet auch immer – uns leitet die Überzeugung: Keine Entwicklung ohne Sicherheit und keine Sicherheit ohne Entwicklung. Das sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Wir haben dies an dem praktischen Beispiel von Afghanistan ja in vielerlei Hinsicht – auch in der gesamten Bundesregierung – immer wieder praktiziert.

Zweitens: Deutschland kann wie jedes andere Land in einer eng vernetzten Welt Konflikte nicht alleine lösen. Wir sind wie alle unsere Partner – auch die Vereinigten Staaten von Amerika – angewiesen auf Partner und Bündnisse. Die NATO und unser enges Verhältnis zu Amerika sind und bleiben der zentrale Anker unserer Sicherheitspolitik. Deutschland hat in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, dass unser Bündnis modern und schlagkräftig ist. Hierbei sind vor allem unsere Beteiligungen an NATO-Missionen zu nennen. Wir sind der drittgrößte Truppensteller bei ISAF und derzeit größter Truppensteller bei KFOR.

Wir haben unsere Vorstellungen in das Neue Strategische Konzept von 2010 eingebracht und haben dabei noch einmal die drei Hauptaufgaben unserer Allianz unterstrichen: kollektive Verteidigung, Krisenmanagement, das auch die Zusammenarbeit mit zivilen Partnern umfasst, und kooperative Sicherheit, die auch Partnerschaften mit Drittstaaten einbezieht. Außerdem beteiligen wir uns am Aufbau der Raketenabwehr der NATO, einem der zentralen Anliegen des neuen Konzepts. Darüber hinaus wirken wir mit eigenen Projekten an der Smart Defence Initiative der NATO mit.

Angesichts der Sparanforderungen auch der Verteidigungshaushalte bietet das sogenannte Pooling and Sharing eine gangbare Möglichkeit, Fähigkeiten gemeinsam in der NATO zu erhalten, die Einzelstaaten für sich allein genommen verlieren würden. Wir wollen weitere Projekte prüfen, die sich für Pooling and Sharing anbieten. Deutschland steht es gut an, hierbei als Anlehnungspartner – ein sehr interessanter Begriff, über den ich mich eingehend informiert habe – eine aktive Rolle zu finden, um so unseren Beitrag für mehr Leistungsfähigkeit im Bündnis und als Bündnis zu leisten. Diejenigen, die zu uns kommen, sollten sich allerdings nicht nur anlehnen, sondern dann auch tätige Glieder beim Anlehnungspartner sein.

Daher sehe ich für die Neuausrichtung der Bundeswehr auch den Strukturgrundsatz „Breite vor Tiefe“ als außerordentlich wichtig an. Das heißt: Ein Land wie Deutschland als größte Volkswirtschaft in Europa und mit seiner Bevölkerungszahl und seinen Ressourcen sollte ein breites Fähigkeitsspektrum vorhalten. In dieses Spektrum können sich dann andere Partner mit eigenen Beiträgen einbringen. Die Leitlinie „Breite vor Tiefe“ ist daher ein ernst gemeintes Kooperationsangebot, um als Anlehnungspartner unserer sicherheitspolitischen Verantwortung innerhalb der Allianz gerecht zu werden.

Neben der NATO wird unser sicherheitspolitisches Handeln auch durch die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union geprägt. Um es noch einmal deutlich zu sagen: NATO und Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa bilden aus unserer Sicht ein komplementäres Ganzes. Sie ergänzen sich. Sie bieten jeweils einen spezifischen unverzichtbaren Mehrwert. Da, wo wir heute noch verschiedene Reibungsstellen haben, können wir nur daran arbeiten, diese zu überwinden, damit man noch besser in dieser Gemeinsamkeit agieren kann.

Europäisches Engagement in Mali - und Waffenlieferungen

Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union tritt mit ihren Missionen aktiv für Sicherheit und Frieden an vielen Orten der Welt ein. Derzeit wird intensiv über Art und Umfang eines möglichen zukünftigen europäischen Engagements in Mali diskutiert. Denn freiheitliche, demokratische Staaten können nicht akzeptieren, dass der internationale Terrorismus im Norden des Landes ein sicheres Rückzugsgebiet erhält. Wir wissen, dass die Streitkräfte Malis zu schwach sind, um zu handeln. Sie brauchen deshalb Unterstützung von außen. Denkbar wären hier eine europäische Ausbildungsmission und außerdem auch materielle und logistische Unterstützung. Deutschland ist bereit, sich an einer Unterstützungsmission für Mali zu beteiligen, wenn die Voraussetzungen dafür geklärt und gegeben sind.

Die europäische Sicherheitspolitik ist durch ganz enge Verflechtungen militärischer und ziviler Mittel gekennzeichnet. Deutschland tritt dafür ein, diese Verflechtung noch effizienter zu gestalten und besonders auch die zivile Seite der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik weiter zu stärken. Grundlage einer solchen Fortentwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik muss aber ein gemeinsames Verständnis von Herausforderungen, Interessen und Handlungsoptionen sein. Angesichts des sich wandelnden sicherheitspolitischen Umfelds stehen wir einer Aktualisierung der Europäischen Sicherheitsstrategie, die immerhin schon aus dem Jahr 2003 stammt, aufgeschlossen gegenüber.

Für die EU wie für die NATO gilt gleichermaßen: Wir können natürlich nicht alle sicherheitspolitischen Probleme lösen – alleine schon gar nicht. Diesen Anspruch erheben wir auch nicht. Um aber unsere sicherheitspolitischen Ziele erfolgreich verfolgen zu können, sind wir als EU oder als NATO-Partner auch darauf angewiesen, dass in Zukunft auch andere Länder – insbesondere die, die wirtschaftspolitisch an Bedeutung gewinnen – Verantwortung übernehmen. Das sage ich ganz besonders im Hinblick auf Schwellenländer. Wir haben hier erste Reaktionen und auch Beteiligungen. Ich glaube aber, dass das Gewicht dieser Länder noch zunehmen wird. Daneben tritt eine Reihe von Regionalorganisationen, die auch sicherheitspolitisch in ihren Regionen an Gewicht gewinnen, darunter die Afrikanische Union, die Arabische Liga oder Suborganisationen wie ECOWAS in Westafrika, die ich auch schon besuchen konnte.

Diesen Staaten und Organisationen ist nicht nur Verantwortung zuzugestehen. Vielmehr sollten wir solche Staaten und Organisationen durchaus auch ermuntern, sich entsprechend ihrer gewachsenen wirtschaftlichen und politischen Bedeutung für Sicherheit und Frieden weltweit zu engagieren. Oftmals reicht es aber nicht, neue Partner nur zu ermutigen. Vielmehr geht es auch um Ertüchtigung. Ertüchtigung setzt bereits bei guter Regierungsführung an. Sie kann ebenso Ausbildung wie auch Unterstützung bei der Ausrüstung bedeuten.

Es liegt in unserem Interesse – davon bin ich überzeugt –, wenn wir Partner dazu befähigen, sich für die Bewahrung oder Wiederherstellung von Sicherheit und Frieden in ihren Regionen wirksam einzusetzen. Deshalb wollen wir gemeinsam mit den Partnern in NATO und EU über ein gemeinsames Verständnis für solche Unterstützungsmaßnahmen beraten – mit dem Ziel, hier auch zu einer gemeinsamen Politik zu gelangen.

Um es klar zu sagen: Es geht dabei nicht um eine Aufweichung unserer restriktiven Richtlinien für Rüstungsexporte. Es geht ebenso wenig um eine Aufweichung unseres Grundsatzes, dass Menschenrechte und grundlegende Werte entscheidende Kriterien der Beurteilung sind. Dies alles ist und bleibt Grundlage unserer Entscheidungen und unseres Handelns.

Auf dieser Grundlage können wir aber darüber reden, wo in der Welt wir nur gemeinsam mit anderen Partnern Frieden und Sicherheit bewahren können und wie wir das schaffen können, gegebenenfalls auch mit materieller Hilfe, die bestimmten Partnern an unserer Seite zugute kommt. Ich kann nur wiederholen: Wer sich der Friedenssicherung verpflichtet fühlt, aber nicht überall auf der Welt eine aktive Rolle in der Friedenssicherung übernehmen kann, der ist auch dazu aufgerufen, vertrauenswürdigen Partnern zu helfen, damit sie entsprechende Aufgaben übernehmen.

"Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz geworden"

Meine Damen und Herren, bei allen Diskussionen um sicherheitspolitische Konzepte, Strategien und Maßnahmen muss uns jederzeit vollauf bewusst sein: Solche Fragen sind für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr keine Theorie, sie werden schnell zur Lebensrealität, wenn es um einen Einsatz geht. Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz geworden. Das ist sicher für die meisten in der Bundeswehr das zentrale Merkmal des sicherheitspolitischen Wandels der letzten 20 Jahre.

Die Vielfältigkeit der Einsätze stellt die Leistungsfähigkeit der Bundeswehr stets aufs Neue auf die Probe. Das Spektrum reicht von der Pirateriebekämpfung über Stabilisierungseinsätze bis hin zu Trainings- und Ausbildungsmissionen. Dabei wird die Bundeswehr immer wieder auch zum Ziel von Anschlägen. Immer wieder werden Bundeswehrsoldaten in Kämpfe verwickelt. Solche Einsätze sind kein Dienst wie jeder andere. Sie verlangen den Soldatinnen und Soldaten sowie ihren Angehörigen viel ab. Unsere Einsatzkräfte nehmen Gefahren für Leib und Leben in Kauf, damit andere in Sicherheit leben können: im Einsatzland und – das sollten wir nie vergessen – auch in Deutschland. Ich finde, wir müssen alle immer wieder genau darüber sprechen.

Wie hoch der Preis sein kann, mussten wir schon allzu oft schmerzlich erfahren. Deshalb möchte ich an dieser Stelle aller gefallenen Soldaten und derer gedenken, die in Ausübung ihres Dienstes bei Unfällen, auch in der Heimat, ums Leben gekommen sind. Wir erinnern uns an sie mit Trauer und mit großer Hochachtung. Unsere Gedanken sind auch bei jenen, die körperliche und seelische Wunden erlitten haben. Ihnen möchte ich heute hier möglichst rasche und vollständige Genesung wünschen.

Ich denke auch an die Familien der Gefallenen, Verunglückten und Verwundeten. Wir wissen, dass wir den Schmerz kaum lindern können. Dennoch bemühen wir uns, ihr Schicksal zu erleichtern. Denn dies ist eine der vornehmsten Aufgaben des Staates und seiner Bürgerinnen und Bürger.

Die Einsätze prägen nicht nur das Bild der Bundeswehr in unserem Land. Sie prägen natürlich auch die Bundeswehr selbst. Die Bundeswehrangehörigen im Ausland leisten Schweres, zum Beispiel auf dem Balkan. In Bosnien-Herzegowina haben die militärischen Aufgaben der Bundeswehr am 27. September ein gutes und erfolgreiches Ende gefunden. Ich bin dankbar und froh, die letzten Soldatinnen und Soldaten wohlbehalten wieder hier in der Heimat zu wissen. Die militärische Pflicht dort ist erfüllt. Nun ist es eine Frage der politischen Arbeit, dass sich das Land gut weiterentwickeln kann. Da allerdings haben wir noch sehr viel zu tun.

"Deutsche Soldatinnen und Soldaten werden auch nach 2014 in Afghanistan aktiv sein"

Von besonderer Art ist der ISAF-Einsatz in Afghanistan. Hier sind nicht nur erhebliche militärische Mittel im Verbund mit zivilen Instrumentarien auch weiterhin notwendig. Hier lauern zudem noch immer große Gefahren auf unsere Einsatzkräfte. Vor diesem Hintergrund sind kritische Fragen zu Sinn, Ziel und Zweck des Einsatzes vollkommen verständlich. Wir sehen ja, was auf dem Spiel steht: Es geht um die Stabilisierung eines schwer geprüften Landes – und zwar auch und gerade um der Sicherheit Deutschlands und unserer Verbündeten zu dienen. Wir beteiligen uns an der Stabilisierung des Landes, damit in Zukunft von dort kein Terror mehr in die Welt getragen werden kann.

Die Stabilisierung des Landes muss zweifellos auch weiterhin militärisch gesichert werden. Da die afghanischen Sicherheitskräfte dafür noch nicht ausreichend gewappnet sind, unterstützen wir sie durch die Bundeswehr. Auch wenn der Einsatz von vielen Rückschlägen begleitet wird, so können wir im Blick auf die vergangenen Jahre durchaus auch ermutigende Fortschritte feststellen.

Jetzt stehen wir vor einer Zäsur unseres Engagements in Afghanistan. Wir werden die Sicherheitsverantwortung in afghanische Hände abgeben. Die in Lissabon gemeinsam mit Afghanistan vereinbarte Übergabestrategie setzen wir wie geplant bis Ende 2014 um. Deutsche Soldatinnen und Soldaten werden auch nach 2014 in Afghanistan aktiv sein, aber der Umfang des Engagements wird deutlich geringer ausfallen, und das Engagement der Bundeswehr und unserer Partner wird grundlegend anders sein. Die zukünftige NATO-Mission wird auf Beratung, Training und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte ausgerichtet sein. Planungen zu Form und Umfang dieses Engagements werden derzeit in enger Abstimmung in der NATO und zusammen mit unseren Nicht-Bündnis-Partnern vorgenommen, die sich auch weiterhin in Afghanistan engagieren werden.

Die Stabilisierung Afghanistans erfordert einen langen Atem. So wird unser weiteres Engagement Ausdruck unserer bündnispolitischen Verantwortung als verlässlicher Partner wie unserer Überzeugung sein, dass eine gedeihliche Entwicklung Afghanistans in unserem sicherheitspolitischen Eigeninteresse liegt.

Die "Neuausrichtung" der Bundeswehr wirft viele Fragen auf

Ob in Afghanistan, in Afrika oder auf dem Balkan – die verschiedenen Einsätze, abgeschlossene wie aktuelle, machen deutlich: Die Bundeswehr ist ein wichtiger und unverzichtbarer Pfeiler deutscher Sicherheitspolitik. Ihre Neuausrichtung ist deshalb eine konsequente Schlussfolgerung aus den Einsatzerfahrungen, den sicherheitspolitischen Veränderungen in der Welt und dem Wandel der Bündnisse, in denen wir Mitglied sind.

Das heißt: Die Neuausrichtung dient dazu, die Bundeswehr auch unter veränderten Bedingungen effizient und flexibel agieren zu lassen und sie immer einsatzbereit und bündnisfähig sein zu lassen. Das sagt sich recht leicht. Doch ich bin mir schon bewusst, dass eine Reform dieses Ausmaßes in das Leben sehr, sehr vieler Menschen eingreift.

Mit den einzelnen Etappen der Neuausrichtung der Bundeswehr sehen sich die Soldatinnen und Soldaten ebenso wie die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit sowohl fachlich als auch persönlichen neuen Fragen konfrontiert: Der eine sieht nun höhere Hürden auf seinem Karriereweg, ein anderer fürchtet um die Möglichkeit einer Weiterverpflichtung, und viele stehen angesichts der Schließung ihres Standorts vor einem Umzug oder davor, pendeln zu müssen. Solche Fragen und Sorgen müssen wir ernst nehmen. Schließlich wirken sie sich auch auf Moral und Motivation in der Truppe aus. Aber dies ist nicht der einzige Grund. Auch die Bundeswehr kann nur so einsatzbereit und leistungsstark sein, wie es ihre Angehörigen sind. Deshalb heißt die Aufgabe nicht mehr und nicht weniger – ich erahne nur, wovon ich spreche: Jeder Soldat, jede Soldatin muss auf dem Weg der Reform mitgenommen werden. Deshalb ist immer auch die Betroffenheit der Bundeswehrangehörigen und ihrer Familien zu sehen.

Deshalb wende ich mich heute hier an Sie in diesem Saal: Sie alle haben zentrale Führungsaufgaben im Verteidigungsministerium oder in der Bundeswehr inne. Wenn Sie als Vorgesetzte über die Neuausrichtung überzeugend argumentieren, dann fällt es – davon bin ich überzeugt – auch den Ihnen anvertrauten Soldatinnen und Soldaten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern leichter, zumindest etwas leichter die Folgen zu tragen, die mit der Neuausrichtung der Bundeswehr für das ganz persönliche Leben und das ihrer Familie verbunden sind. Das heißt also, Sie sind – wenn ich es in Bezug auf meine frühere Tätigkeit sagen würde – so etwas wie Katalysatoren. Sie sind die, die, wenn Sie aktiv sind, wenn Sie fröhlich sprechen, wenn Sie überzeugt sind, wenn Sie erklären und die Zusammenhänge darstellen, diese Bundeswehrreform zu einem wirklichen Erfolg machen können.

Bundeswehr muss "attraktiver Arbeitgeber" werden

Es geht bei der Neuausrichtung im Kern um zweierlei: Erstens um den Abbau von Bürokratie und Doppelungen von Zuständigkeiten. Klare Strukturen und Verantwortlichkeiten sind gleichermaßen Ausdruck des Zutrauens und des Vertrauens. Ich denke, hier wird die Neuausrichtung schon ihre Wirkung entfalten, wenn klar ist, wer wofür verantwortlich ist und sich damit auch ein Engagement entwickeln kann. Zweitens muss sich die Bundeswehr nicht allein als effizient agierende Armee erweisen, sondern auch als attraktiver Arbeitgeber. Das ist nach Aussetzung der Wehrpflicht und vor allem angesichts des demografischen Wandels eine doppelt lohnende Aufgabe.

Um geeigneten Nachwuchs zu finden und den Dienst in der Bundeswehr ansprechend zu gestalten, gibt es verschiedene Ansätze. Viele Soldatinnen und Soldaten wünschen sich, dass ihr Dienst für unser Land in der Öffentlichkeit mehr wahrgenommen und gewürdigt wird. Der Verteidigungsminister hat hierzu schon etliche Denkanstöße gegeben. Er hat diese Ideen und Vorschläge auch zur öffentlichen Diskussion gestellt. Ich glaube, das ist der richtige Weg. An diesem sollten sich auch das gesamte Kabinett und der Bundestag beteiligen. Denn eine breitere Würdigung des Dienstes in der Bundeswehr kann nicht einfach verordnet werden, sondern nur aus der Gesellschaft heraus erfolgen.

Ich bin zuversichtlich, dass sich dafür geeignete Mittel und Wege finden lassen. Denn aus meinen vielen Gesprächen bei Truppenbesuchen in den Einsatzländern und in der Heimat – ich war erst kürzlich in Munster – habe ich vor allem eines mitgenommen: Die Bundeswehr ist da, wo sie schon immer war und wo sie auch weiterhin ihren Platz hat – in der Mitte unserer Gesellschaft. v „Wir. Dienen. Deutschland.“ – In diesem Motto spiegeln sich, wie ich finde, Selbstverständnis und Verantwortungsbewusstsein der Bundeswehrangehörigen sehr gut wider. Sie geben viel, manche auch alles für unser Land. Die Belastungen für unsere Soldatinnen und Soldaten sind oft sehr hoch. Sie stellen sich einer fordernden Ausbildung. Sie nehmen lange Abwesenheiten von zu Hause in Kauf. Sie nehmen Gefahren für Leib und Leben auf sich. In der Tat, unsere Soldatinnen und Soldaten haben für ihren Dienst Dank und Anerkennung verdient. Wir sind es ihnen und unserem ganzen Land schuldig, dass die Bundeswehr eine moderne und schlagkräftige Organisation bleiben kann. Dafür ist die große Aufgabe der Neuausrichtung begonnen worden. Sie muss jetzt umgesetzt werden, ich sage: gleichermaßen mit Herz und Verstand, mit dem Willen zum Effizienzgewinn ebenso wie mit kameradschaftlicher Zuwendung.

Meine Damen und Herren, in diesem Sinne wünsche ich Ihnen intensive, spannende Tage. Hier können Sie morgen, wenn ich das richtig verstanden habe, im geschlossenen Rahmen alle Bedenken, Fragen, Anregungen unterbringen, um hoffentlich anschließend gestärkt zu den vielen Soldatinnen und Soldaten zu gehen, damit die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land sich auch in Zukunft darauf verlassen können, dass wir mit Hilfe der Bundeswehr in Sicherheit leben können.

Herzlichen Dank.

* Quelle: Website der Bundesregierung, 22. 10. 2012; www.bundesregierung.de


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