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Deutsche Piratenjäger als Vorhut für die "Marine 2025+"

Neue Konzepte, neue Taktiken, neue Schiffe – das alles wird auch vor Somalia erprobt

Von René Heilig *

Die Militäroperation »Atalanta« kann die Piraten am Horn von Afrika offenbar nur mäßig abschrecken. In den ersten neun Monaten dieses Jahres wurden nach Angaben der Internationalen Seefahrtsbehörde (IMB) mehr Angriffe von Piraten verzeichnet als im gesamten vergangenen Jahr.

Vor der somalischen Küste wurden zwischen Januar und September 47 Attacken gemeldet. Im Vorjahreszeitraum waren es 12. Für den gesamten Golf von Aden stieg die Anzahl der Angriffe in den ersten neun Monaten auf 100, das waren schon fast doppelt so viele wie die 51, die in der Vorjahresperiode registriert wurden – bevor der »Atalanta«-Einsatz begann.

Solche Statistiken sind mit Vorsicht zu genießen. Andere Experten meinen aus denselben Daten andere Schlussfolgerungen herauslesen zu können. Kernpunkt: Während somalische Piraten im dicht patrouillierten Golf von Aden offenbar keine Ziele mehr finden (in den vergangenen Wochen wurden hier keinerlei Zwischenfälle gemeldet), steigert sich offenbar die Piratenaktivität im Somaliabecken. Vor allem die im Indik nordwestlich der Seychellen begonnene Thunfischfangsaison scheint den Piraten lohnende Ziele zu bieten.

Mehrere hundert Seemeilen von der somalischen Küste entfernt wurden hier zahlreiche Kaperversuche registriert. Am 15. Oktober enterten Piraten das unter der Flagge Singapurs fahrende Containerschiff »Kota Wajar«. Vermutlich weil zuvor mehrere Überfälle auf Thunfischfänger fehlgeschlagen sind. So griffen am 10. Oktober Piraten die Schiffe »Drennec« und »Glenan« an. Doch auf denen fuhren französische Marineinfanteristen, die seit Juli bereits unter der Trikolore fahrende Trawler schützen. Am 13. Oktober konnten eingeschiffte französische Elitekämpfer Angriffe auf die Thunfischer-Mutterschiffe »Via Avenir« und »Via Mistral« abwehren.

Am gleichen Tag hat die zur Zeit im Somaliabecken operierende deutsche Fregatte »Bremen« einen Überfall verhindert. Da der jedoch noch nicht stattgefunden hatte, musste man die elf Verdächtigen wieder ziehen lassen. Freilich nicht ohne zwei der drei somalischen Fischerboote zu versenken. Auf welcher rechtlichen Grundlage das geschah, ist unklar.

Klar dagegen ist, wohin die Piratenhatz – zumindest aus Sicht der Deutschen Marine – führen soll. Es geht darum, Erfahrungen zu sammeln für »die Verknüpfung des maritimen Wirkraums mit den Schwerpunkten ›Expeditionary Navy‹ und ›Schutz der Küstengewässer und Seeverbindungslinien Deutschlands und seiner Verbündeten‹«. So kompliziert formuliert es Vizeadmiral Wolfgang Nolting als Einführung in die vertrauliche »Zielvorstellung Marine 2025+«.

Man kann eigentlich nur staunen, wie perspektivisch exakt sich die Marine in die politischen Zielvorgaben der herrschenden deutschen Politik einpasst. Volldampf voraus, denn das deutsche Engagement wird »nicht hinter den aktuellen Stand zurück fallen«, heißt es in dem 40-seitigen geheimen Papier. Die Analyse ist unmissverständlich: »Eine sich absehbar verschärfende Konkurrenz um den Zugang zu Rohstoffen und anderen Ressourcen erhöht das zwischenstaatliche Konfliktpotenzial. Konventionelle, reguläre Seestreitkräfte regionaler Mächte können dabei den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage des deutschen und europäischen Wohlstands ebenso gefährden wie kriminelle oder terroristische Bedrohungen der maritimen Sicherheit.«

Deutschlands Marine begnügt sich – streitkräfteübergreifend – nicht mehr mit kaiserlichen »Pantersprüngen«. Sie muss »dauerhaft, auch in großer Entfernung, im multinationalen Rahmen und unter Bedrohung vor fremden Küsten operieren können«. Natürlich wird dabei nicht vergessen, dass man auch einer wachsen Migrationsgefahr Kriegsschiffe entgegen schicken können muss.

Wer glaubt, dass Fregatten und – so sie mal wieder seetauglich sind – auch deutsche Korvetten und U-Boote irgendwo an irgendwelchen Küsten als »Show of Force« vorbeischippern, ist naiv. Längst denkt man über vernetzte Landungsoperationen und darüber nach, ob zwei große sogenannte JSSLandungsschiffe mit je 800 Angreifern besser sind als drei JSS mit je 400 Infanterie-Kriegern. Alternativ ist auch »Variante 3« in der Diskussion. Diese Plattformen für Expeditionskorps wären nur ein wenig spartanischer ausgestattet.

Bei all diesen Plänen gibt es noch viele Unbekannte: Wie lange halten Schiffe und Mannschaften durch fern der Heimat, wie müssen vernetzte Operationen geführt werden ... So gesehen ist die Piratenjagd vor Somalia, so umstritten ihre Erfolge auch erscheinen mögen, ein einzigartiger Laborversuch.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Oktober 2009


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