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Zum Umbau der Bundeswehr: Goldener Handschlag für scheidende Soldaten / Streit bei der Luftwaffe

Zwei Beiträge aus der NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien"


Im Folgenden dokumentieren wir die ersten beiden Beiträge der jüngsten Ausgabe der Sendung "Streitkräfte und Strategien". Der erste Beitrag kommt vom Moderator der Sendung Andreas Flocken; den zweiten Beitrag hat Andreas Dawidzinski beigesteuert.


Umbau der Bundeswehr – Goldener Handschlag für nicht mehr benötigtes Personal?

Andreas Flocken:

Zunächst also zur Bundeswehrreform oder, - wie das Verteidigungsministerium offiziell sagt - zur Neuausrichtung der Bundeswehr. Welche der rund 400 Standorte werden geschlossen? Die Gerüchteküche brodelt. Am kommenden Mittwoch (26. Okt.) will der Verteidigungsminister sein Standortkonzept vorlegen. Dann herrscht Gewissheit.

Schon jetzt ist klar, in vielen Städten und Kommunen wird es einen Aufschrei geben, weil die Bundeswehr ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist.

Wenig gesprochen wird dagegen über die Folgen für die unmittelbar Betroffenen, nämlich die Soldaten. Dabei werden sie die Hauptlast der Umstrukturierung tragen. Es stehen etliche Versetzungen und Abkommandierungen an. Soldaten werden noch mehr als bisher zwischen Wohnort und Kaserne pendeln müssen. Die Bundeswehr soll auf einen Umfang von rund 180.000 Soldaten schrumpfen. Gleichzeitig will der Verteidigungsminister die Streitkräfte verjüngen. De Maizière sprach in dieser Woche von einem Anpassungsprozess, der geprägt sei durch Aufbau, Umbau und Abbau:

O-Ton de Maizière
„Wir werden weniger Mitarbeiter in Stäben und mehr einsatzbereite Soldaten brauchen. Die Zahl der Zeitsoldaten wird sich eher erhöhen, die Zahl der Berufssoldaten etwas weiter absinken. Wir brauchen mehr Mannschaftsdienstgrade.“

Weil es keine Wehrpflicht mehr gibt. Der Verteidigungsminister hat daher in dieser Woche ein Reformbegleitprogramm vorgestellt. Es kostet rund eine Milliarde Euro. Ziel des Programms ist, den angestrebten Umbau der Bundeswehr zu erleichtern. So sollen beispielsweise Berufssoldaten Anreize bekommen, vorzeitig auszuscheiden. Soldaten, die 50 Jahre und älter sind, wird angeboten, ohne Pensionsabstriche vorzeitig in den Ruhestand zu gehen. Ein attraktives Angebot. Von einem goldenen Handschlag will der Verteidigungsminister trotzdem nicht sprechen:

O-Ton de Maizière
„Ein goldener Handschlag passt nicht in die Zeit. Ein goldener Handschlag ist auch nicht beabsichtigt.“

Fakt ist: die Bundeswehr hat zu viel Personal, zu viele Zivilbeschäftigte und zu viele Soldaten. Es müssen also Bundeswehrangehörige ausscheiden. Ein Personalstrukturmodell soll Klarheit schaffen, wer noch gebraucht wird, und wer gehen soll – dann allerdings möglichst sozialverträglich:

O-Ton de Maizière
„Die, die wir nicht brauchen, mit denen werden wir dann im Einzelnen, Mann für Mann, Frau für Frau, Gespräche führen, was für sie die beste Zukunft ist: Weiterbeschäftigung bei der Bundeswehr, Weiterbeschäftigung bei einem anderen öffentlichen Arbeitgeber, Weiterbeschäftigung in der Privatwirtschaft, oder eben die Trennung von ihm oder ihr. Das ist menschlich hart, aber wir versuchen, das so fürsorglich wie möglich durchzuführen.“

Verspricht also der Verteidigungsminister. Und von denen, die bleiben, wird ein hohes Maß an Flexibilität, Mobilitätsbereitschaft und Innovationskraft erwartet, so de Maizière diese Woche. Hohe Erwartungen – Erwartungen, die möglicherweise nicht erfüllt werden können. Denn die Stimmung in der Truppe ist schlecht.


Und damit sind wir schon bei unserem nächsten Thema. Der Sparzwang hat weitreichende Konsequenzen für die Streitkräfte, insbesondere für die Luftwaffe. Die Folge: eine große Unzufriedenheit. Tendenz steigend. Andreas Dawidzinski weiß mehr:

Frust statt Lust – dicke Luft bei der Luftwaffe

Von Andreas Dawidzinski

Ein Eurofighter startet zu einem Übungsflug. Die in den 80er Jahren konzipierte Maschine ist das modernste Kampfflugzeug der Luftwaffe. Rund 70 Eurofighter sind bereits ausgeliefert worden. Insgesamt 140 Maschinen soll die Bundeswehr erhalten. Allerdings stehen viele Kampfflugzeuge nicht sofort den fliegenden Verbänden zur Verfügung – sie müssen zunächst zur Instandsetzung, werden durch Updates auf den neuesten Stand gebracht.

Das Nachsehen haben die Piloten. Nicht nur Offiziere, die eigentlich für den Eurofighter vorgesehen sind, sondern auch Piloten der Tornado-Jets. Denn die Zahl der Kampfflugzeuge ist in den vergangenen Jahren stark reduziert worden. Vor vier Jahren verfügte die Luftwaffe noch über rund 230 Tornados und 70 Phantom-Jagdflugzeuge. Demnächst soll die Tornadoflotte nur noch knapp 90 Maschinen umfassen, und die Phantom-Jagdflugzeuge werden ausgemustert. Die Folge: Es gibt zu viele Besatzungen für immer weniger Flugzeuge.

Kein Wunder, dass die Piloten frustriert sind. Offen ins Mikrofon sagen möchte das aber kein Flugzeugführer. Ulrich Scholz, Oberstleutnant a.D. und jahrelang selbst Tornado-Pilot:

O-Ton Scholz
„Wenn eine Besatzung, die jeden Morgen in die Staffel zum Flugdienst geht, und die nur noch alle zwei Wochen einmal zum Fliegen kommt, und den Rest im Simulator fliegen muss, und ansonsten Vorschriften liest und Karten spielt, dann können Sie sicher sein, dass die Stimmung nicht gut ist. Die sind ja in die Bundeswehr gegangen, um zu Fliegen. Und sie haben unterschrieben, bis zum 41. Lebensjahr zu bleiben. Das sind dann keine guten Aussichten.“

In der Luftwaffe brodelt es. Denn die Zahl der Flugstunden ist erheblich reduziert worden – aus Kostengründen. Die NATO fordert jährlich 180 Flugstunden. Jet-Piloten der Bundeswehr fliegen erheblich weniger. Das demotiviert. Thomas Wassmann, Vorsitzender des Verbandes der Besatzungen strahlgetriebener Kampfflugzeuge, kurz VBSK:

O-Ton Wassmann
„Ein Flieger, der nicht fliegt, wird auf die Dauer ein bisschen maulig. Weil er letztendlich genau aus diesen Gründen in die Luftwaffe eingetreten ist - , das war zumindest ein starker Beweggrund. Das gleiche gilt aber auch für Hubschrauberpiloten oder Transall-Piloten. Ihre eigentliche Ausbildung und ihre eigentliche Berufung ist das Fliegen. Und wenn auf Dauer nicht sichergestellt ist, dass sie ihrem Beruf auch nachkommen können, dann werden sie halt einfach frustriert.“

Unzufrieden sind aber nicht nur die Piloten. Betroffen ist auch das technische Personal. Andreas Hubert, beim Bundeswehrverband - der Interessenvertretung der Soldaten - zuständig für die Luftwaffe:

O-Ton Hubert
„Jede Stunde, die man weniger fliegt, hat natürlich unmittelbar auch Auswirkungen auf die Instandsetzung und auf das Unterstützungspersonal. Und nichts ist so schlimm, wie mangelnde Arbeit vorweisen zu können.“

Hauptgrund für den Rückgang der Flugstunden ist der Spardruck in der Bundeswehr. Nicht nur der Kauf moderner Kampfflugzeuge wird immer teurer – auch für die Flugstunde muss inzwischen immer mehr ausgegeben werden. Eine Flugstunde des Eurofighters kostet rund 77.000 Euro, fast doppelt so viel wie eine Tornado-Flugstunde.

Immer weniger Flugstunden - für den ehemaligen Tornado-Piloten Ulrich Scholz eine fatale Entwicklung. Denn für komplexe Flugmanöver bedarf es umfassender praktischer Übung:

O-Ton Scholz
„Als wir damals 180 Stunden geflogen sind, ist der Warschauer Pakt 90 Stunden geflogen pro Jahr. Heute sind wir mit unseren Besatzungen bei 40 Stunden. 40 Stunden, Live-Stunden, fliegen, und 30 Stunden Simulator. Meine Erfahrung ist: mit 40 Stunden Live-Fliegen pro Jahr sind Sie nicht in der Lage, solche Hochwertübungen ernsthaft effektiv durchzufliegen.“

Der ehemalige Tornado-Pilot verweist darauf, dass bereits die Reduzierung der Flugstunden von 180 auf 150 höchst umstritten war. Dieser Schritt hatte für heftige Diskussionen in der Luftwaffe gesorgt:

O-Ton Scholz
„Damals schon wurde immer wieder gewarnt: Lasst das nicht zu, dass die Leute immer weniger fliegen. Wir sind so schleichend da reingekommen. Und heute sind wir bei einer Zahl, die unverantwortlich ist. Abgesehen davon, dass solche teuren Geräte, die wir da haben, natürlich nicht einfach nur da rumstehen oder zum Eskortieren des Papstflugzeuges da sein können. Das geht nicht.“

Die Verringerung der Flugstunden hat Folgen. Aktive Piloten räumen ein, dass die deutsche Luftwaffe in der NATO schon längst nicht mehr ganz vorne mitfliegt. Trotz des neuen Eurofighters und der in diesem Monat vorgestellten großen Aufklärungsdrohne Eurohawk. Bei einer Beteiligung am Luftkrieg gegen Libyen wäre der Beitrag der Luftwaffe äußerst bescheiden gewesen. Für den Oberstleutnant a.D. Ulrich Scholz spielen die deutschen Luftstreitkräfte bei internationalen Großübungen in den USA mittlerweile nur eine Nebenrolle:

O-Ton Scholz
„Was anspruchsvolle Flüge angeht, wo Sie also mit vier, acht, 16, 20 Maschinen unterwegs sind als taktischer Führer, das muss ein deutscher Luftwaffenpilot können. Das können Sie mit diesen wenigen Stunden nicht mehr. Das heißt, wenn Sie zur Hochqualitätsausbildung zum Beispiel nach Red Flag gehen, eine Arena in den USA, wo größere Formationen von Flugzeugen den Luftkrieg simulieren und man natürlich Live-Fliegen können muss. Da muss man sehr viel Flugerfahrung haben. Man muss in der Luft gewesen sein. Das kann man nicht im Simulator lernen.“

Angesichts der Sparzwänge gibt es die Befürchtung, dass sich die Situation bei den Flugstunden noch weiter verschlechtern könnte. Für Andreas Hubert vom Bundeswehrverband wäre das eine bedenkliche Entwicklung:

O-Ton Hubert
„Wenn die Flugstandobergrenze limitiert ist in der Form, dann werden wir feststellen, dass wir auch von diesen 70 Stunden noch Abstand nehmen müssen. Und das ist zu sehen vor dem Hintergrund der Flugsicherheit und der Auftragserfüllung - obwohl wir in diesem Land ja Flugzeuge haben, die sich sicher im Luftraum bewegen. Das ist bisher sichergestellt. Aber die Gefahren steigen mit Reduzierung des aktiven Übens. Das macht den Piloten Sorgen.“

Allerdings gibt es in den Geschwadern auch Piloten, die jährlich mehr als 100 Flugstunden absolvieren. Die meisten Besatzungen fliegen jedoch weniger. In einigen Verbänden werden die Crews in drei Kategorien aufgeteilt: Besatzungen mit rund 40 Flugstunden, Crews mit knapp 100 Stunden und Besatzungen mit mehr Flugstunden. Die Folge: In den Verbänden ist nur noch ein kleiner Teil der Besatzungen voll einsatzbereit, also Combat Ready. Der Rest ist bemüht, das Minimum an Flugkompetenz zu erhalten. Ein Zustand, der den Zusammenhalt der Crews nicht gerade fördert und zusätzlich für Unmut sorgt.

Ein weiteres Problem sind die Verzögerungen bei der Auslieferung der Eurofighter. Um die Auswirkungen für die Piloten zu reduzieren, ist die Luftwaffe inzwischen dazu übergegangen, die Waffensysteme vorerst in Laage in Mecklenburg-Vorpommern zu konzentrieren. Dort - im Jagdgeschwader 73 - werden die Eurofighter-Piloten ausgebildet. Seit Aufnahme des Flugbetriebes mit dem Kampfflugzeug vor sieben Jahren rund 70 Piloten. Doch das Zusammenziehen der Maschinen im Norden führt zu anderen Problemen. Probleme, die nach Ansicht von Andreas Hubert vom Bundeswehrverband nicht nur den Eurofighter betreffen:

O-Ton Hubert
„Dazu müssen Sie praktisch das Personal durchs Land bewegen, weil wir nicht in der Lage waren, die eigenen Geschwader so schnell und zeitgerecht, wie ursprünglich mal geplant, zu befüllen. Das hat was mit Zulieferung zu tun. Dieses Problem haben wir in der Hubschraubertechnik genauso wie beim A400M, der uns ja noch gar nicht zur Verfügung steht. Überall stellen sie Personal ein. Ich sage das gelegentlich spitz: es wird jemand eingestellt, der geht nachher weg aus der Ausbildung, betritt seinen Verband und macht eine Zeit lang Museumswärter, weil das, was er vorfindet, eben das Lebensalter auch seiner Eltern haben könnte. Das ist nicht motivierend. Das ist nichts, was man auch werbetechnisch gut nach außen bringen kann.“

Beim Eurofighter kommt noch hinzu, dass mancher für die Ausbildung vorgesehene Pilot länger als ursprünglich geplant warten muss - weil das Verteidigungsministerium entschieden hat, 24 Piloten aus Österreich in Laage auf dem Eurofighter umzuschulen. Denn Österreich hatte der Luftwaffe rund ein Dutzend bereits ausgelieferte Maschinen abgekauft. Was nach außen als Exporterfolg für den EADS-Konzern gefeiert wurde, ging somit zu Lasten der deutschen Piloten. Österreicher sind noch immer in der Ausbildung. Nach Ansicht von Kritikern blockieren sie damit Plätze für deutsche Offiziere.

Nicht nur bei den Jet-Piloten ist die Stimmung schlecht. Schwierig ist die Situation auch bei den Transportfliegern. Die mehr als 40 Jahre alte Transall soll durch den neuen Militär-Airbus A400M ersetzt werden. Die Auslieferung verzögert sich aber aus einer Vielzahl von Gründen um mehrere Jahre. Zunächst war die Beschaffung von mehr als 70 A400M geplant. Heute hält man 40 Maschinen für ausreichend.

Anfang des Monats hat die Transall ihre eine millionste Flugstunde geflogen. Im Luftwaffenstützpunkt im schleswig-holsteinischen Hohn wurde das ganz groß gefeiert. Doch nicht allen Transall-Besatzungen ist zum Feiern zu Mute. Denn die Belastungen durch die Auslandseinsätze sind groß. Manche Piloten haben bereits Konsequenzen gezogen. Andreas Hubert, vom Bundeswehrverband:

O-Ton Hubert
„Wir haben vor ein paar Jahren eine größere Kündigungswelle gehabt, also eine innere Abkehr in Wort und Tat von den Streitkräften. Piloten haben sich auf anderen Feldern im kommerziellen Flugbetrieb umgesehen. Das hat dazu geführt hat, dass die Transportflieger-Truppe deutlich ausgedünnt wurde. Sie wurde mit weniger gut qualifizierten, einsatzfähigen, erfahrenen Piloten ausgestattet. Diese Belastungen mussten natürlich dann auf die verbliebenen gut Qualifizierten übertragen werden. Es gab also eine Arbeitsverdichtung auf den Dienstposten. Eine Situation, die dann auch nicht dazu führte, dass man freudig erregt nach Vorne guckt. Kündigungen haben wir gehabt, wie eben auch deutliche Hinweise darauf, dass man hier nicht zufrieden ist.“

Die Luftwaffe versucht, die Abwanderung zu stoppen. Mit mehr Geld. Kommandanten der Transportflugzeuge erhalten inzwischen eine monatliche Zulage von 600 Euro. Für Kritiker ist dies praktisch eine Nichtkündigungsprämie. Doch die Kommandantenzulage ist in der Luftwaffe umstritten. Thomas Wassmann vom Verband der Jet-Piloten:

O-Ton Wassmann
„Auch die Kommandanten waren damit nicht so richtig glücklich. Denen wäre es lieber gewesen, wenn man einen Betrag fürs Flugzeug zur Verfügung gestellt hätte, den man dann auf alle Besatzungsmitglieder, nach welchem Schlüssel auch immer, aufgeteilt hätte."

Die Zulage hat also zu neuem Streit geführt. Besatzungsmitglieder fühlen sich zurückgesetzt, sehen ihre Arbeit nicht ausreichend gewürdigt. Erfolgreich geklagt haben inzwischen deutsche Kommandanten der AWACS-Aufklärungsmaschinen der NATO. Denn die Bestimmungen des Verteidigungsministeriums sehen für die Luftfahrzeugführer der Boeing 707 die Kommandantenzulage nicht vor. Das Verwaltungsgericht Aachen konnte dieser Argumentation allerdings nicht folgen. Möglicherweise stehen der Bundeswehr jetzt noch weitere Klagen ins Haus - von Kommandanten der Transporthubschrauber oder der Marine-Seefernaufklärer.

Der Neuausrichtung der Bundeswehr sehen viele Piloten mit gemischten Gefühlen entgegen. Die Luftwaffe schrumpft um ein Drittel auf einen Umfang von knapp 23.000 Soldaten. Mehrere fliegende Verbände werden aufgelöst. Statt bisher drei wird es nur noch ein Transportgeschwader geben. Die Luftwaffe muss zudem künftig mit einem Aufklärungsverband sowie drei Eurofighter- und einem Jagdbombergeschwader auskommen. Es wird also deutlich weniger Flugzeuge geben.

Kein Wunder, dass Piloten die Luftwaffe verlassen wollen und auf Zivilmaschinen umsteigen möchten. Doch die Anerkennung der militärischen Fluglizenz für den zivilen Luftverkehr ist ein Problem. Für Fluglehrer bei der Bundeswehr ist es inzwischen einfacher geworden. Nicht jedoch für die normalen Jet-Piloten. Thomas Wassmann:

O-Ton Wassmann
„Die neue Regelung besagt letztendlich, dass man in einem sogenannten Dual-Cockpit, also Zwei-Piloten-Cockpit, Flugstunden erflogen haben muss. Früher war es so, dass dazu auch ein Tornado und eine Phantom zählte, weil da zwei Personen drin sitzen. Dies ist heutzutage nicht mehr so, weil die Rolle im Jet-Kampflugzeug nicht als Zwei-Piloten-Cockpit angesehen wird, und damit nicht mehr anerkannt wird. Das bedeutet für viele ein Riesenaufwand, wenn sie in die zivile Fliegerei umschulen wollen. Letztendlich fangen die ganz normal an, und machen den ganzen Schein, bis auf ganz wenige Ausnahmen, von vorne, wie jeder normale Fußgänger auch.“

Das stößt auf Unverständnis. Etwas neidisch schaut man auf die Jet-Piloten der NATO-Partner:

O-Ton Wassmann
„Es ist ja so, dass man sich auf internationalen Übungen oder auch auf Flugtagen, oder auf irgendwelchen Kongressen trifft, und dann auch mal austauscht. Und wenn man dann sieht, dass der Kamerad aus einem anderen NATO-befreundetem Land mehr oder weniger nahtlos ins Zivilleben umsteigen kann - natürlich noch mit kleinen Prüfungen, aber letztendlich alles, was sich im Rahmen hält - und man selber fängt im Prinzip fast bei null wieder an, das ist natürlich nicht gerade befriedigend.“

In der verkleinerten Luftwaffe wird es weniger Spitzenpositionen geben. So mancher Soldat wird bei der Karriereplanung Abstriche machen müssen. Nicht alle früher gemachten Zusagen werden noch zu halten sein. Ein großes Problem. Die Neuausrichtung der Streitkräfte – sie hat bei vielen Soldaten nicht zu einer Aufbruchsstimmung geführt, sondern eher zur Resignation. Andreas Hubert vom Bundeswehrverband:

O-Ton Hubert
„Wenn ich in meiner Funktion als Vorsitzender der Luftwaffe durch die Personalversammlung in der Truppe gehe, und mich mit den betroffenen lebensälteren Kameraden auch auseinandersetze, dann ist eigentlich ein geflügeltes Wort: welche Möglichkeiten gibt es, die Streitkräfte zu verlassen. - Eine ganz negative Entwicklung.“

Angesichts dieser Entwicklung wird die Luftwaffe Probleme haben, künftig geeignete Piloten zu bekommen. Das befürchtet jedenfalls Thomas Wassmann vom Verband der Jet-Piloten:

O-Ton Wassmann
„Aufgrund der Massenfliegerei - oder warum auch immer - ist die Fliegerei längst nicht mehr so attraktiv und längst nicht mehr so ein Traumberuf wie früher. Und das merken sicherlich auch die Streitkräfte. Es ist natürlich klar, dass sich im Moment junge Leute auch angucken, was da gerade mit der Bundeswehr passiert und vielleicht auch den einen oder anderen fragen, der gerade bei der Bundeswehr ist, und der sicherlich im Moment das Ganze nicht in blumigen, rosigen Worten beschreibt. Was aber zu bemerken ist, dass man inzwischen längst nicht mehr die Anzahl an Bewerbern hat wie früher. Jetzt kann man natürlich sagen: aber so viele braucht man auch nicht mehr. Aber auch die Qualität der Bewerber, insbesondere was die Gesundheit angeht, ist längst nicht mehr dieselbe. Aber ich glaube, das ist ein allgemein gesellschaftliches Phänomen, dass die Jugend nicht mehr ganz so fit ist, wie vielleicht andere Generationen vor ihnen.“

Die Bundeswehrreform soll die Luftwaffe fit machen für die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen. Für den ehemaligen Tornado-Piloten Scholz ist allerdings eine wichtige Voraussetzung, dass die Luftwaffe den Mut hat, alte Zöpfe abzuschneiden. Dazu gehört für den früheren Dozenten der Führungsakademie der Bundeswehr, unkonventionell zu denken. Ulrich Scholz verweist dabei auf die USA:

O-Ton Scholz
„Die amerikanischen Special Operation Staffeln kaufen sich einmotorige Pilatus. Die werden Hightech hochgemotzt, und sind dann präzisionsfähig. Sie können eine ganze Menge davon beschaffen. Dann können sie auch Leute wieder fliegen lassen. Und die Maschinen sind gerade in den Gegenden, wo wir uns zurzeit engagieren, sehr wartungsfreundlich. Sie sind sehr leicht dahin zu transportieren, und sind auch von der Geschwindigkeit langsamer, und im Einsatz hat der Pilot bei der verschwimmenden Lage am Boden viel eher die Chance, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden, insbesondere beim Waffeneinsatz. Denn er fliegt nicht mit 300 Meter pro Sekunde durch die Gegend. Wenn wir wirklich Veränderung wollen, dann gibt es ganz viele Möglichkeiten. Und diese Möglichkeiten könnten auch die Probleme dieser Luftwaffe lösen. Aber es kostet Geld. Das muss man dazu sagen. Umsonst gibt es das nicht.“

Für Scholz sind der Eurofighter und andere beschaffte scheinbar hochmoderne Fluggeräte Waffensysteme von vorgestern. Systeme, die für ihn nicht zukunftsfähig sind.

2007 führte der Bundeswehrverband, die Interessenvertretung der Soldaten, eine großangelegte Befragung seiner Mitglieder zur Berufszufriedenheit durch. Die Ergebnisse waren wenig schmeichelhaft. Besonders erschreckend: 73 Prozent der Berufssoldaten gaben an, sie würden ihren Kindern nicht empfehlen, zur Bundeswehr zu gehen. Und heute, vier Jahre später? Andreas Hubert, vom Bundeswehrverband:

O-Ton Hubert
„Ich glaube nicht, dass wenn wir die Umfrage wiederholen würden, dass die Ergebnisse anders ausfallen als wir sie damals gehabt haben. Denn verändert hat sich praktisch ja nichts zum Positiven.“

Glaubt man Kritikern, hat sich sogar vieles verschlechtert. Bei der Luftwaffe, und nicht nur dort, gibt es also erheblichen Handlungsbedarf.

* Aus: NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien", 22. Oktober 2011; www.ndr.de


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