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"Lili Marleen" und das Liedgut der Bundeswehr

ARD-Kulturreport: Das Bundeswehr-Liedbuch enthält viele Lieder mit nationalsozialistischer Tradition

Am 25. November 2001 strahlte der ARD-Kulturreport einen Beitrag über die Geschichte des Schlagers "Lili Marleen" und das Liedgut der Bundeswehr aus. Wir dokumentieren im Folgenden die Sendung.

Es herrschte Stille über den Schützengräben bei Belgrad, wenn jeden Abend um 22 Uhr das Lied "Lili Marleen" gespielt wurde. In diesen drei Minuten, in denen Lale Andersen sang, war Waffenruhe zwischen der Wehrmacht und ihren Gegnern. "Lili Marleen" - "the biggest hit of World War II" - ist mehr als ein deutsches Soldatenlied über Abschied, Trennung und ungewisse Heimkehr. Auf beiden Seiten der Front wird "Lili Marleen" zum populärsten Lied des Zweiten Weltkrieges. Das Lied berührt menschliche Grundbefindlichkeiten und trifft die allgemeine Gefühlslage der Zeit: Trennung von geliebten Menschen, Sehnsucht nach zu Hause, Einsamkeit, Angst vor dem Sterben. Und auf dieser Sentimentalität klimpert das Lied meisterlich herum. Eine Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte erinnert jetzt an die Geschichte des Schlagers, der zu den erfolgreichsten Liedern des 20. Jahrhunderts zählt. In zahlreiche Sprachen übersetzt, wird es von Marlene Dietrich, Bing Crosby, Perry Como, Anne Shelton, Suzy Solidor und vielen anderen vertont. Immer neue Varianten, aber auch Parodien und propagandistische Umdichtungen entstehen. Sowjetische Flugblätter appellieren an deutsche Soldaten, zu ihrer "Lili Marleen" heimzukehren. Der englische Rundfunk fordert dazu auf, Hitler an "Lili Marleens" Laterne aufzuhängen und ein kanadisches Regiment wählt "Lili Marleen" als offiziellen Parademarsch. Norbert Schultze, Komponist der volksliedhaft eingängigen Melodie, kommt dank "Lili Marleen" nach Kriegsende glimpflich davon, obwohl er im NS-Deutschland mit Liedern wie "Bomben auf Engelland", "Vorwärts nach Osten" oder "Panzer rollen in Afrika vor" Karriere gemacht hatte. Schultze war Goebbels Auftragskomponist und komponierte alles, was gebraucht wurde.

"Das war eigentlich immer meine Aufgabe, so habe ich mich gefühlt. Ohne einen Auftrag hätte ich überhaupt nichts geschrieben." (Norbert Schultze/ Komponist)

Aber auch in den Kriegen nach 1945, ob Korea, Algerien, Vietnam oder jüngst im Kosovo: "Lili Marleen" ist immer dabei. Der Bundeswehr-Sender "Radio Andernach" spielt den Klassiker regelmäßig für die in Prizren stationierten KFOR - Soldaten. Immer, wenn es darum geht, dem trostlosen Soldatenleben einen Sinn zu geben, dann schlägt die Stunde von "Lili Marleen". Das Lied ist ein Evergreen und auch eine feste musikalische Größe im Bundeswehr-Liedbuch. Doch in der neuesten Auflage des Bundeswehr-Liederbuches, "Kameraden singt", findet sich nicht nur jener harmlose Weltkriegs-Hit "Lili Marleen". Der Musikwissenschaftler Eberhard Frommann hat in seiner Studie "Lieder der NS-Zeit" herausgefunden, dass das Bundeswehr-Liedbuch viele Lieder enthält, die "eindeutig als Träger der nationalsozialistischen Ideologie zu werten" sind.

Neben jeder Menge Wald- und Wiesenromantik findet sich im Liedbuch hartes musikalisches Rüstzeug wieder. Als es im 2. Weltkrieg gegen England ging, sang die Wehrmacht damals "Der mächtigste König im Luftrevier". Darin heißt eine Zeile: "Ja, wir sind die Herren der Welt". Und auch heute wird das Lied mit dieser Zeile noch so gesungen. Frommann fürchtet, dass sich die Bundeswehr bei einem eventuellen Auslandseinsatz mit solch einem Lied unbeliebt machen könnte.

"Die Soldaten, die da jetzt nach Afghanistan gehen oder auch im Kosovo stationiert sind, sollten sich hüten, diese Lieder, die diesen Aggressionsgeist der Wehrmacht noch in sich tragen, so wie "Ja, wir sind die Herren der Welt", noch zu singen." (Eberhard Frommann/ Musikwissenschaftler)

Sehr bekannt und beliebt ist laut Bundeswehr - Liedbuch auch das "Panzerlied". Angeblich stammt seine Melodie von einem alten Seemannslied. Frommann weist in seiner Studie aber nach, dass die Melodie einem gut bekannten SS-Lied entnommen wurde.

"Als Melodie diente das SS-Lied "Es steht an der Grenze die eiserne Schar zum Kampfe in die Freiheit gegen Judengefahr"" (Eberhard Frommann/ Musikwissenschaftler)

Nach Frommanns Studie werden im Bundeswehrliedbuch neue Texte auf alte SS-Gassenhauer umgeschrieben, Wehrmachtsromantik verbreitet und Komponistennamen gefälscht. Das Ergebnis wird im Klappentext als "modernes Liedbuch" bezeichnet.

" Ein Teil dieser Lieder entstammt dem Liedgut der NS-Zeit. Aber diese Tatsache wird eben durch falsche Kommentare verfälscht" (Eberhard Frommann/ Musikwissenschaftler)

Das erste Liederbuch der Bundeswehr erschien 1958. Getreu dem Adenauerschen Appell "Vergesst mir die Musike nicht, das ist eine wichtige Sache für die Soldaten!". Mit "Kameraden singt!", so der Titel der vorerst letzten Auflage des Liederbuches von 1991, wollte die Chorleitung von der Hardthöhe nicht nur die Sangeslust der Truppe wiederbeleben, sondern auch der Öffentlichkeit die musikalische Visitenkarte einer modernen demokratischen Armee vorlegen. Trotz intensiver Bemühungen wollte sich die Bundeswehr zu ihrem Liedbuch nicht vor der Kamera verhalten.

Buchtipp:

Eberhard Frommann: Die Lieder des NS-Zeit: Untersuchungen zur nationalsozialistischen Liedpropaganda von den Anfängen bis zum Zweiten Weltkrieg.
Köln: Papyrossa Verlag, 1999.
ISBN: 3-89438-177-9; DM 28.-; EUR 14,32;


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