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"Wir sind wieder wer" - Deutsche Soldaten im Auslandseinsatz

Von Dr. Lothar Liebsch (DARMSTÄDTER SIGNAL)

Es ist das zweifelhafte Verdienst dieser rot-grünen Bundesregierung, in konsequenter Fortsetzung konservativer Außen- und Sicherheitspolitik, dass sie die Auslandseinsätze der Bundeswehr in ihrer Regierungszeit kontinuierlich ausgeweitet hat. Zu keiner Zeit seit Beendigung des Zweiten Weltkrieges waren so viele deutsche Soldaten im Auslandseinsatz wie in diesen Tagen und es sieht nicht danach aus, dass sich in vorhersehbarer Zukunft daran etwas ändern wird.

Die Verteidigungspolitischen Richtlinien vom Mai 2003 stellen fest, dass sich Bundeswehreinsätze künftig "weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geografisch eingrenzen lassen". Mit anderen Worten, die Bundeswehr wird im breiten Spektrum von humanitärer Hilfe über Peacekeeping und Terroristenbekämpfung bis zum Krieg rund um den Globus eingesetzt. Verteidigungsminister Struck hat mit seinem markigen Ausspruch, dass Deutschland auch am Hindukusch verteidigt werde, deutlich gemacht, dass seine Reform den endgültigen Abschied von einer Verteidigungsarmee darstellt, wie sie im Grundgesetz vorgeschrieben ist. (Art. 87a).

Damit ist die Bundesrepublik nach den USA und Großbritannien derzeit die Nummer drei auf der Liste der Truppensteller im Ausland. Wahrlich eine Bundeswehr im Einsatz. Was 1991 in Kambodscha mit 150 Sanitätern als humanitäre Hilfsaktion begann, hat sich inzwischen zu einem vielschichtigen Einsatzspektrum entwickelt. So ist die Bundeswehr in zahlreichen Staaten mit unterschiedlichsten Missionen im Einsatz. Dazu gehören:
  • ISAF (International Security Assistance Force) Afghanistan, Usbekistan mit ca. 1760 Soldaten,
  • KFOR (Kosovo Force) Kosovo mit ca. 3350 Soldaten,
  • SFOR (Stabilization Force) Bosnien und Herzegowina mit ca. 1320 Soldaten,
  • CONCORDIA, Mazedonien mit 49 Soldaten,
  • NATO HQ Skopje, Mazedonien mit 11 Soldaten,
  • UNOMIG (United Nations Mission in Georgia) Georgien mit 11 Soldaten,
  • JFHQ (Joint Forces Headquarters in Neapel) Italien mit 2 Soldaten,
  • EF (Enduring Freedom) Afghanistan, Horn von Afrika, Golf von Oman, Kenia mit ca. 410 Soldaten.
Mit den in Deutschland zur Evakuierung aus medizinischen Gründen bereit gehaltenen Soldaten und den im östlichen Mittelmeer an den Operationen gegen den Terrorismus (Aktiv Endeavour) beteiligten Kräften sind insgesamt ca. 7400 Soldat/innen der Bundeswehr an Auslandseinsätzen beteiligt. (Quelle: Bundeswehr)

Während im Verteidigungsministerium darüber nachgedacht wird, innerdeutsche Standorte zu schließen, finden sich im Ausland weiterhin Möglichkeiten neue Einsatzorte einzurichten, wie das Beispiel Kundus aktuell belegt. So verändert sich langsam aber kontinuierlich der Daseinszwecks der Bundeswehr. Mit der Zunahme weltweiter Einsätze wird der Gedanke der Landesverteidigung zunehmend in den Hintergrund gedrängt und macht einer Bundeswehr Platz, die sich schon längst zu einer Interventionsarmee entwickelt hat.

Das veränderte Einsatzspektrum führt zu weitreichenden Konsequenzen auf allen Handlungsebenen. Vordergründig fallen dabei vor allem die steigenden Kosten für die Auslandseinsätze ins Auge. Diese haben sich innerhalb von acht Jahren glatt vervierzehnfacht und ein Ende der Kostensteigerungen ist nicht in Sicht.
  • 1995 ca. 131 Millionen Euro,
  • 1999 ca. 554 Millionen Euro
  • 2003 ca. 1,8 Milliarden Euro
Viel schwerwiegender aber sind die politischen Folgen einer Außen- und Sicherheitspolitik, die Kampfeinsätze im Ausland für notwendig oder gar unverzichtbar hält. Welche Interessen verbergen sich hinter dieser Politik? Wem nutzt es, wenn deutsche Soldaten im Ausland ihr Leben aufs Spiel setzten? Vermutlich handelt es sich um eine Verquickung von machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen. Folgt man der Argumentation der Regierenden in Berlin, so gilt es:
  • den Frieden in der Region aber auch weltweit zu sichern,
  • die Menschenrechte zu verteidigen und auszuweiten
  • den Terrorismus mit allen Mittel entschlossen zu bekämpfen.
Zunächst einmal ist gegen diese Optionen grundsätzlich nichts einzuwenden, solange nicht immer wieder der untaugliche Versuch unternommen wird, eine andere, friedlichere Welt ausgerechnet mit militärischen Mitteln schaffen zu wollen. Soldaten können sicherlich im begrenzten Umfang verhindern, dass regionale Konflikte mit Waffengewalt ausgetragen werden, oder dass Zivilisten durch marodierende Banden umgebracht werden. Kein Soldat der Welt aber kann mit Waffengewalt einen dauerhaften und stabilen Frieden erzwingen. Obwohl das Gegenteil mit vielen Beispielen belegt werden kann, werden unsere Politiker nicht müde, immer wieder die militärische Friedenserhaltung und Friedenserzwingung als zentrale Funktion ihrer Außen- und Sicherheitspolitik zu propagieren.

Ebenso untauglich ist der Versuch, mit Waffengewalt Menschenrecht verteidigen oder herstellen zu wollen. Gerade die letzten Krieg gegen Jugoslawien und gegen den Irak haben deutlich gemacht, dass das individuelle Menschenrecht auf Leben und Unversehrtheit vielfach missachtet wurde und ein deutscher Verteidigungsminister war sich nicht zu schade, von Kolateralschäden zu sprechen, wenn es um den Tod von nicht an Kampfhandlungen beteiligten Zivilisten ging.

Bleibt der Kampf gegen den Terrorismus, dessen Notwendigkeit von unserem Außenminister bei jeder Gelegenheit betont wird und an dessen Durchführung zumindest in Afghanistan sich das Kommando Spezialkräfte mit nicht bekannten Aufwand und nicht bekannten Erfolg über mehrere Wochen hinweg an der Seite der Amerikaner beteiligt hat.

Einmal abgesehen von dem unsinnigen Unterfangen, mit Soldaten gegen den Terrorismus kämpfen zu wollen, bleibt die Frage nach der rechtlichen Legitimation solcher Einsätze. Wenn deutsche Soldaten, eingesetzt im Norden Afghanistans auf Terroristenjagd gehen, verteidigen sie dann wirklich "deutschen Interessen am Hidukusch"? Und wie lässt sich ein solcher Bandenkrieg in einem fremden Land mit den Regeln des Kriegsvölkerrechts vereinbaren? Von den Beschränkungen denen deutsche Soldaten nach dem Grundgesetz unterliegen einmal ganz abgesehen.

Derartige Auswüchse können nicht im Sinne einer vernunftorientierten deutschen Außen- und Sicherheitspolitik sein. Hier werden offensichtlich Zustände hingenommen und weitgehend vor der Öffentlichkeit verschwiegen, um noch andere Interessen zu befriedigen.

Zweifellos sind deutsche Militäreinsätze im Ausland, gleich unter welchen Bedingungen sie stattfinden, im Interesse der Rüstungsindustrie. Wer kampffähige Verbände ins Ausland schicken will, muss zunächst die materiellen Voraussetzungen dazu schaffen, was im Fall der Bundeswehr ein umfangreiches Material- und Waffenbeschaffungsprogramm in Gang gesetzt hat. Aber die Rüstungsindustrie freut sich nicht nur über die neuen Aufträge, sie bekommt auch wertvolle Hinweise für die Weiterentwicklung ihrer Güter, die sich aus dem Gebrauch unter Einsatzbedingungen ergeben.

Auslandseinsätze dienen aber auch dem machtpolitischen Interesse. Die archaische Idee vom Recht auf Krieg als Ausdruck nationalstaatlicher Souveränität lässt sich offensichtlich nicht aus den Köpfen unserer Politiker vertreiben. Sie nennen das beschönigend, "mehr Verantwortung für die Völkergemeinschaft übernehmen".

Obwohl es offiziell heftig bestritten wird, ist ein weiteres, vielleicht das wichtigste Argument für die Teilnahme an Präventiv- und Interventionskriegen die Sicherung weltweiter Wirtschaftsinteressen und speziell die Zugriffsmöglichkeit auf wichtige Rohstoffreserven. Nur wer im Konzert der Groß- und Mittelmächte eine wichtige Rolle spielen kann, notfalls auch mit militärischen Mitteln, wird seine Ansprüche in Zeiten knapper werdender Ressourcen wirkungsvoll zur Geltung bringen können.

Um dieses offizielle und inoffizielle Aufgabenspektrum bewältigen zu können konzentriert sich die Bundeswehr zunehmend auf den permanenten weltweiten Einsatz. Da sie die bevorstehenden Aufgaben in vorhersehbarer Zukunft nicht allein bewältigen kann, setzt sie dabei weiterhin auf eine Kooperation mit der NATO, zunehmend aber auch auf eine militärische Komponente einer selbständig handelnden Europäischen Union immer dort, "wo die NATO nicht tätig sein will oder muss."

So ist kaum noch nachvollziehbar, mit welchem Mandat unter welchem Kommando und an welchem Ort sich gerade wie viele deutsche Soldaten im Einsatz befinden. Diese Vorgehensweise hat durchaus Methode. Den Militärplanern schafft sie die Möglichkeit, zahlreiche neue Einsatzvarianten parallel erproben zu können, ohne die Effektivität jeder Einzelmaßnahme in der Öffentlichkeit rechtfertigen zu müssen. Umgekehrt erschwert dieses Verfahren es den möglichen Kritikern und den Medien, unabhängige und aktuelle Informationen von den einzelnen Auslandsmissionen zu bekommen. Da hört es sich schon fast wie Hohn an, wenn die Fraktionen des Deutschen Bundestages darüber verhandeln, dem Parlament mehr Entscheidungsbefugnisse beim Einsatz der Bundeswehr im Ausland zukommen zu lassen. Wie will das Parlament den Überblick über die zahlreichen Missionen behalten, wenn dies selbst den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses schon schwer fällt?

Aus friedenspolitischer Sicht gibt es nur eine Konsequenz zu der aktuellen Einsatzstrategie der Bundeswehr Sie lautet: Keine deutschen Soldaten in ausländische Kampfeinsätze. Sofortige Rückkehr aller Kampfeinheiten nach Deutschland.


Dieser Beitrag erschien in: FriedensJournal, Nr. 2, März/April 2004

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