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Karriere statt Knast

Von Uli Schwemin *

Darauf hätte man schon am Abend des 4. September 2009 wetten können: Oberst Georg Klein wird General. Am 3. September 2009 war er der Öffentlichkeit noch völlig unbekannt gewesen. Aber am Morgen des nächsten Tages befehligte er das größte Kriegsverbrechen der deutschen Truppen in Afghanistan. Zwei von Aufständischen entführte Tanklaster waren in einer Furt des Kundus-Flusses manövrierunfähig liegengeblieben. Dorfbewohner aus der Gegend, vorwiegend Kinder und Jugendliche, waren dabei, sich Benzin aus den gestrandeten Fahrzeugen abzuzapfen. Mit dem deutschen Herrn Oberst Klein konnten sie dabei nicht rechnen, sie kannten ihn ja nicht.

Klein war damals Kommandeur des deutschen »Wiederaufbauteams« in Kundus, log sich »Feindkontakt« zurecht und forderte US-Bomber zur Verteidigung des Schrotts im Fluß und wohl auch der demokratischen Grundwerte im allgemeinen an. Kurze Zeit später trafen zwei Kampfflugzeuge ein, deren Besatzungen sich von Klein laut Wikipedia eine weitere Aufklärung der Lage erbaten. Der lehnte ab und gab statt dessen den Befehl zu bombardieren. Darauf schlug einer der Piloten vor, »eine höhere Autorität« in die Entscheidung einzubinden, »damit wir beide gedeckt sind«. Klein lehnte wieder ab. Anschließend gab es fünfmal das Angebot der Besatzungsmitglieder, die Personen an den Tanklastern durch einen Tiefflug zu vertreiben. Klein lehnte ab. Nächste Frage der Piloten: »Wollen Sie die Fahrzeuge oder die Leute treffen?« Antwort des Fliegerleitoffiziers im Auftrag Kleins: »Wir wollen versuchen, die Leute zu treffen«.

Dann folgte das Bombardement, der Experte »für Wiederaufbau« hatte sechs Bomben gefordert, die Piloten sahen zwei als ausreichend an. So starben laut dem Bremer Rechtsanwalt Karim Popal, der Opfer des Massakers vertritt, mindestens 139 Zivilisten, sieben wurden verletzt, 20 vermißt. Eine umfassende Untersuchung des Verbrechens vor Ort wurde von niemandem veranlaßt.

Das war auch nicht nötig, denn in Deutschland wußten die verantwortlichen Politiker ohnehin bestens Bescheid. Verteidigungsminister Franz Josef Jung erklärte noch zwei Tage später, es seien »ausschließlich terroristische Taliban« getroffen worden. Seine notorischen Lügen kosteten ihn schließlich nicht nur das Amt des Verteidigungs-, sondern später auch des Arbeitsministers.

Oberst Klein wurde von der Bundesregierung noch schneller aus dem Verkehr gezogen. Zwar ermittelte die Generalbundesanwaltschaft wegen des »Verdachts auf ein Kriegsverbrechen«. Aber, wer hätte das gedacht, der Verdacht bestätigte sich nicht, weil der Oberst »sich der Verpflichtung bewußt« gewesen sei, »zivile Opfer soweit irgend möglich zu vermeiden«.

Seitdem schrubbte der Mann irgendwo in Deutschland seinen Dienst. Doch nun scheint die Schamfrist vorbei. Knapp drei Jahre sind seit jener mörderischen Nacht vergangen, da wird man sich doch bei ihrem Hauptakteur einmal bedanken dürfen. Und wie beim Militär üblich – mit der Beförderung. Klein soll im neugeschaffenen Bundesamt für Personalmanagement der Bundeswehr Abteilungsleiter werden, was wenig später automatisch die Ernennung zum General nach sich zieht. Bezahlt wird er schon ab Dienstantritt wie ein solcher: Laut dpa wird er ohne Zuschläge 11000 Euro im Monat erhalten. Die Familien seiner ermordeten afghanischen Opfer hat die Bundesregierung mit einmalig 5000 Euro abgespeist.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 9. August 2012


Deutschland immer weniger ein Rechtsstaat

Ein Kommentar von Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait

"Karriere statt Knast" heisst es heute treffend in der Schlagzeile von "Junge Welt", bei der Süddeutschen Zeitung liest sich das dagegen so: "Barmherzigkeit für Oberst Klein" - so der Titel des Kommentars von Peter Blechschmidt (SZ, 09.08.2012). Dieser Kommentar war Anlass für die folgende Stellungnahme, die uns die Autorin zusandte:

Gegen Oberst Georg Klein, der für die Kundus-Bombardierung am 4.9.2009 verantwortlich war, wobei 140 Menschen getötet wurden, fand kein Strafprozess statt. Der Generalbundesanwalt stellte die zugehörige Untersuchung ein. Infolgedessen bleiben alle Indizien, Vermutungen, Beweismittel bestehen, die Oberst Klein belasten, weil es kein gerichtliches Urteil gab, keine Rechtskraft weder zur Entlastung noch zur Beschuldigung und Überführung als Straftäter.

Folglich liegt der Journalist Peter Blechschmidt völlig daneben, als er absolut abwegig von „keine strafbare Schuld“ schreibt. Sein Kommentar „Barmherzigkeit für Oberst Klein“, SZ, 9.8.12, ist nicht nur lächerlich, sondern auch dumm: Er selbst weist zu Beginn seines Kommentars auf das Unvorstellbare mit der Frage hin: „Kann das wahr sein?...“

Ja, es ist ein wahrer Skandal, dass es zur Beförderung eines solchen Oberst kommt, der nicht einmal die Würde hatte, seinen Rücktritt einzureichen, ein Skandal, der auffälliger denn je darauf hinweist, dass Deutschland immer weniger als Rechtsstaat und immer mehr als Unrechtsstaat funktioniert. Nach rechtsstaatlichen Grundsätzen kann und sollte der Fall Oberst Klein wieder eröffnet werden, so dass es zu einem rechtskräftigen Urteil kommt. Nicht nur im Fall Kundus, sondern auch im Fall Loveparade Duisburg (24.7.2012, 21 Tote) haben die rechtlichen Institutionen offenkundig versagt, nämlich die Staatsanwaltschaften, die nicht so funktionieren wie sie es in einem Rechtsstaat in solchen Fällen tun sollten.


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