Geheime Krieger: Verdeckte Operationen in rechtsfreien Räumen
Das "Kommando Spezialkräfte"(KSK) reflektiert das gestörte Verhältnis der deutschen Außenpolitik zu Völkerrecht und Verfassung
Von Jochen Scholz *
Vor viereinhalb Jahren wurde in dieser Zeitung prognostiziert, dass sich die rot-grüne Bundesregierung durch den verdeckten Einsatz des "Kommandos Spezialkräfte" (KSK) der Bundeswehr in Afghanistan eine Eiterbeule einhandeln werde. Nun könnte sie platzen und mit ihrem septischen Inhalt sowohl noch im Amt befindliche als auch Entscheidungsträger infizieren, die glauben, sich mit dem Rückzug aus der Politik ihrer Verantwortung entziehen zu können.
Mit dem Trick, dass sich der Verteidigungsausschuss als nicht-öffentliches Untersuchungsgremium konstituiert - der einzige Ausschuss des Bundestages, dem das Grundgesetz dies auf Begehren eines Viertels seiner Mitglieder gestattet - und dem BND-Untersuchungsausschuss den Fall Murat Kurnaz entzieht, wird die große Koalition allenfalls Zeit gewinnen und die Politikverdrossenheit steigern. Sobald Strafanzeige gestellt wird, dürfte es mit der Geheimniskrämerei ohnehin vorbei sein.
Zu warnen wäre freilich vor der Methode "Haltet den Dieb!". Das Fehlverhalten von Soldaten des KSK ist dem Auftrag und Geist dieser Formation immanent. Ausgebildet wird das Kommando seit Jahren zusammen mit ähnlichen Einheiten der NATO-Verbündeten, die von ihren Regierungen einen Blankoscheck für das häufig völkerrechtswidrige Verhalten im Einsatz erhalten - aufgestellt wurde das KSK einst von Reinhard Günzel und damit jenem General, der seine reaktionäre Gesinnung im Fall des einstigen CDU-Bundestagsabgeordneten Hohmann allzu öffentlich machte und deshalb vom damaligen Verteidigungsminister Struck entlassen wurde.
Günzel hat soeben zusammen mit Ulrich Wegener, dem ehemaligen Chef der GSG 9, und Wilhelm Walther, dem letzten Kommandeur der Brandenburger (einer Hitlers Abwehrchef Canaris unterstehenden Geheimtruppe der Wehrmacht), das Buch Geheime Krieger herausgegeben. Günzel bekennt darin "freimütig", die Brandenburger seien für ihn ein Vorbild. Was die Oktoberausgabe der Zeitung des Bundeswehrverbandes nicht daran hindert, das Werk freundlich und völlig kritiklos zu besprechen.
Zum geistigen Umfeld der KSK gehört auch ein Inspekteur des Heeres, der den einstigen "Staatsbürger in Uniform", das behauptete Markenzeichen der Bundeswehr bis 1990, durch den "archaischen Kämpfer und High-Tech-Krieger" ersetzen will, ohne dass hierzu bisher eine einzige Reaktion der Politik zu vernehmen war. Schließlich hat auch das Parlament vor der Exekutive kapituliert und dem KSK quasi erlaubt, bei der Erprobung seiner Feldtauglichkeit in Afghanistan ohne wirksame Kontrolle zu bleiben. Ein Versäumnis, das geradezu zwangsläufig in rechtliche Grauzonen führen muss.
Völlig verfehlt wäre daher eine Debatte, die sich des Verhaltens einzelner KSK-Angehöriger annimmt. Soweit sie gegen das allgemein gültige Soldatengesetz mit seinen glasklaren, an Grundgesetz und Völkerrecht ausgerichteten Bestimmungen für Befehlsausgabe und Gehorsam verstoßen haben, ist dem Recht Genüge zu tun. Doch mag - wer über individuelle Schuld urteilt - auch bedenken, dass der Fisch am Kopf zu stinken beginnt. Die Frage ist doch: Darf sich die Öffentlichkeit ernsthaft über eine Erosion der Rechtstreue bei einzelnen Staatsbürgern empören, wenn Bundesregierungen seit Jahr und Tag das Grundgesetz missachten und weisungsgebundene Generalbundesanwälte ihnen dabei strafrechtlich den Rücken freihalten? Hat die rot-grüne Bundesregierung 1998/99 etwa wahrheitsgemäß über die wirkliche Lage im Kosovo informiert, wie sie von den Nachrichten-Fachleuten des Verteidigungsministeriums analysiert und dargelegt wurde? Hat sie nicht vielmehr mit nicht existenten "Hufeisenplänen" hantiert? Und hat nicht die Regierung Schröder wahrheitswidrig behauptet, sie sei wegen der Bündnistreue innerhalb der NATO rechtlich verpflichtet, den USA eigenes Territorium und eigenen Luftraum für die Aggression gegen den Irak zu überlassen? Hat ihr nicht das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom Juni 2005 in der Sache des Majors Florian Pfaff hierzu eine schallende Ohrfeige erteilt? Hat der frühere Verteidigungsminister Scharping in einem WDR-Interview nicht gar die Gesetze der Chemie auf den Kopf gestellt, als er zu beweisen trachtete, serbische Soldaten hätten mit in Kellern geöffneten Gasflaschen die Dächer albanischer Häuser weg gesprengt?
Niemand sollte glauben, solche hanebüchenen Lügen gingen spurlos an der Gesellschaft vorbei. Die aus dem Dunst von Geheimoperationen an die Oberfläche geratenen Skandale sind größtenteils den Brüchen der Außen- und Sicherheitspolitik während des vergangenen Jahrzehnts geschuldet. Schritt für Schritt hat sich die politische Klasse von dem verabschiedet, was einmal als Handlungsmaxime galt: Machtpolitische Zurückhaltung, Militär zur Kriegsverhinderung, Gewaltverzicht, friedliche Konfliktbeilegung.
Die Bundeswehr wird längst zu einer weltweit einsetzbaren Interventionsarmee umgebaut, auch wenn das in der Bevölkerung mehrheitlich abgelehnt wird. Folglich agiert sie nicht offen, sondern bedient sich einer Orwellschen Sprache, um von Friedenseinsätzen reden zu können, wenn es tatsächlich um getarnte Unternehmen im Dienste der US-Operation Enduring Freedom geht.
* Der Autor ist ehemaliger Oberstleutnant der Bundesluftwaffe
Aus: Freitag 43, 27. Oktober 2006
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