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Umstellung mit Problemen – die neue Rolle der Kreiswehrersatzämter

Ein Beitrag von Ute Hempelmann in der NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien" *

Andreas Flocken (Moderation):

Die Bundeswehr steht vor dem größten Umbruch ihrer Geschichte. Betroffen sind nicht nur Soldaten, sondern auch rund 75.000 Zivilbeschäftige. Mit Aus-setzung der Wehrpflicht müssen sich vor allem die Mitarbeiter der Kreiswehrersatzämter umstellen. Jetzt gilt es, Freiwillige zu rekrutieren. Eine nicht ganz einfache Aufgabe. Hören Sie Ute Hempelmann:


Manuskript Ute Hempelmann

Der Elmshorner Tobias Warnie möchte sich über seine Berufsaussichten in-formieren. Mit suchendem Blick betritt er das Hamburger Kreiswehrersatzamt. Er hat einen Termin beim Wehrdienstberater:

O-Ton Wehrdienstberater / Warnie
„Guten Tag , Herr Warnie. Sie sind heute von uns eingeladen worden, weil Sie uns Ihren Fragebogen zurückgeschickt haben, wo Sie Ihr Interesse am Freiwilligen Wehrdienst signalisiert haben./ (Warnie): Also ich hab jetzt zwei Ausbildungen angefangen. Die musste ich aber abbrechen. Und - ja. Dann bin ich jetzt arbeitssuchend und dachte mir, versuch ich‘s noch mal beim Bund. Und jetzt bin ich hier.“

Es scheint nicht schlecht zu laufen für das neue „Schnupperpraktikum“ der Bundeswehr, den Freiwilligen Wehrdienst. Rund 14.000 junge Leute - Stand Juli - haben in diesem Jahr bundesweit schon zugesagt. Sind angeschrieben worden von einem der 52 Kreiswehrersatzämter. Oder haben sich, wie der Elmshorner, selbst gemeldet:

O-Ton Wehrdienstberater / Warnie
„Eine bestimmte Dauer in der Sie jetzt mit dem Freiwilligen Wehrdienst begin-nen wollen? / (Warnie) Also ich könnte mir schon 23 Monate vorstellen. / (Wehrdienstberater) Okay, das ist ja schon die längste Möglichkeit.“

Beratungsgespräch, ärztliche und psychologische Untersuchung - vor dem Aussetzen des Grundwehrdienstes hieß das „Musterung“. Am Verfahren selbst hat sich nichts geändert - für die Interessenten. Für die Mitarbeiter ist seit dem 1. Juli alles anders.

Bundesweit arbeiten rund 5.000 Angestellte und Beamte in den Kreiswehrer-satzämtern der Bundeswehr. Unter deren Dach gibt es den Berufsförderdienst sowie eine Anlaufstelle für Reservisten. Der Löwenanteil, rund 3.900 Mitarbei-ter, hatte allerdings mit den „Gemusterten“ zu tun, in der Mehrheit bislang also Grundwehrdienstleistenden und Zeitsoldaten. Doch nun ist aus der sogenannten „Eingriffsverwaltung“ - wie das im Behördendeutsch heißt - eine „Freiwilligen“-Verwaltung geworden. Da mag aus Pflicht zwar Chance werden, wie ein Werbeplakat der Bundeswehr den potenziellen Nachwuchs lockt. Aber nicht jeder ergreift sie. Deswegen ist es still geworden auf den Fluren der Kreiswehrersatzämter.

Der Bundesverteidigungsminister hat die Quote für die Zahl der Freiwillig Wehrdienstleistenden vorgegeben: 5000 + X. Einen Teil davon muss jedes Kreiswehrersatzamt zusammen bekommen. Jetzt muss „das Amt“ seine Da-seinsberechtigung gewissermaßen erarbeiten. Die Veränderungen machen sich an fast jedem Arbeitsplatz bemerkbar:

O-Ton Zabel
„Vor der Umstellung war ich Einplaner wie jetzt auch. Damals haben wir vierteljährlich um die 350 Leute einberufen. Jetzt mach ich dasselbe, allerdings - weit unter 100.“

Einplaner Ulrich Zabel ist 59, Beamter. Das ist sein Pech. Für Angestellte gibt es Härtefallregelungen, die einen vorzeitigen Ruhestand möglich machen. Aber nicht für Beamte wie Zabel. Also hat er sich gedanklich auf einen beruflichen Neuanfang eingestellt - inklusive Umzug:

O-Ton Zabel
„Ich hatte eigentlich gehofft, auf diesem Posten meine Rente zu erreichen, oder meine Pension. Jetzt denk ich, dass wir spätestens nächstes Jahr noch woanders hin müssen.“

Seit Juli wirbt die Bundeswehr bei Facebook. Seit Juli haben die Kreiswehrer-satzämter einen regionalen Werbeetat. Je mehr Freiwillige akquiriert werden, umso mehr Arbeit haben die Mitarbeiter. Angesichts dieser Situation vermutet mancher schon Zustände wie in Amerika, wo die Werber zumindest in Roma-nen nachts durch die Kneipen ziehen, um Betrunkenen ihre Unterschrift abzuluchsen. Darum reagiert Amtsleiter Jörg Listner auf die Frage nach Druck bei der Akquise der Freiwillig Wehrdienstleistenden zunächst etwas spitz:

O-Ton Listner
„Es hat sich eigentlich nicht viel geändert. Es wird hier kein Mensch mehr poli-zeilich vorgeführt, weil er zu keinem Musterungstermin mehr kommt. Mit dem Telefonat hat es dann sein Bewenden, wenn der Betreffende deutlich macht, dass er kein Interesse hat. Es ist durchgehend das Prinzip ‚Freiwilligkeit‘.“

Doch bereits jetzt hat das „Prinzip Freiwilligkeit“ Strukturen gesprengt. Und es werden weitere Veränderungen kommen. Ende Oktober wird Bundesverteidi-gungsminister de Maizière Standortschließungen bekannt geben. Mit zehn Kreiswehrersatzämtern gibt es im Norden einen deutlichen Überhang.

Doch auch hier ist die Lage unterschiedlich. Mecklenburg-Vorpommern hat viele Bewerber. Schwerin ist - typisch für die neuen Länder - gut ausgelastet. Niedersachsen dagegen ist mit sechs Kreiswehrersatzämtern in Hannover, Braunschweig, Stade, Meppen, Lüneburg und Oldenburg - freundlich formuliert - reich gesegnet. Ob Schließung oder nicht - Personalabbau ist überall unvermeidlich, sagt Nicole Burbach-Wilm, Sprecherin der Wehrbereichsverwaltung in Hannover und damit zuständig für die zehn nördlichen Kreiswehrersatzämter:

O-Ton Burbach-Wilm
„Es gibt eine ganz klare Aussage. Es wird keine betriebsbedingten Kündigun-gen geben. Und gemeinsam mit den Menschen, den Dienststellenleitern und den Beschäftigten und der vorgesetzten Dienststelle wird es Lösungen geben.“

Was das für den Standort Hamburg bedeutet erklärt der Leiter des Kreiswehr-ersatzamtes Jörg Listner:

O-Ton Listner
„Wir haben das Bundeswehrkrankenhaus. Wir haben die Führungsakademie. Die Hochschule, das Landeskommando, Dienstleistungszentrum, viele andere Dienststellen, wo es Einsatzfelder und Bedarf gibt, so dass wir Personal durchaus auch schon verändert haben.“

Komplett verändern wird sich künftig im gesamten Bundesgebiet die Nach-wuchsgewinnung der Bundeswehr. Was das im Einzelnen für die Kreiswehrersatzämter bedeutet, wird noch geprüft, heißt es. Bislang war die Bundeswehr in Sachen Rekrutierung so aufgestellt, wie es für die Organisation selbst am zweckmäßigsten war. Künftig soll sich zumindest theoretisch alles um die Bewerber drehen. Auf dass kein Williger verloren gehe im bürokratischen Zuständigkeits-Dschungel.

Mit derzeit drei Anlaufstellen für Interessenten - den Kreiswehrersatzämtern, der Offizierbewerberprüfzentrale und den Zentren für Nachwuchsgewinnung sowie den jeweils dafür vorgesetzten Stellen sowie den unterschiedlichen Ansprechpartnern für die zivile und die militärischer Personalgewinnung - gelingt es einem Außenstehenden nämlich auch nach geraumer Zeit nicht, zu durchschauen, wann wer für wen zuständig ist. Nicole Burbach-Wilm mag das allerdings so nicht stehen lassen:

O-Ton Burbach-Wilm
„Also Doppelstrukturen hat es bislang nicht gegeben. Es ist schon eine klare Aufgabenaufteilung da gewesen. Die Aufgabe, die die Kreiswehrersatzämter bislang wahrgenommen haben, war eine andere als die, die die Zentren für Nachwuchsgewinnung wahrgenommen haben. Jeder wurde gezielt dahin weitergeleitet, wohin er hingehen muss.“

Sofern er genau wusste, was er wollte. Wenn nicht, wurde er nämlich von Pontius zu Pilatus verwiesen. Bei der Bundeswehr studieren? Ist in diesem Fall der Ansprechpartner für angehende Offiziere oder Zeitsoldaten zuständig? Oder lieber doch nicht länger verpflichten? Ein zweiter, dritter, vierter Termin zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort - das war bisher gang und gebe. So werden potenzielle Freiwillige schnell verschreckt. Und erfahren leidvoll den feinen Unterschied zwischen behördlicher Zuständigkeit sowie Serviceorientierung. Jüngere Wehrdienstberater wie Kai Siegmund denken da schon eher vom „Kunden“ her:

O-Ton Siegmund
„Wir müssen nach außen darstellen, dass wir [als] eine Organisation auftreten, egal, was der junge Mann möchte. Ob er sich nur sieben Monate bei der Bundeswehr aufhalten möchte oder 13 Jahre.“

Schon jetzt sind die Anlaufstellen für Freiwillig Wehrdienstleistende und Zeit-soldaten vereint unter dem Dach der Kreiswehrersatzämter. Der in Hamburg für Zeitsoldaten zuständige Jens Schuffenhauer weiß, dass die Verzahnung noch enger wird:

O-Ton Schuffenhauer
„In Zukunft soll es so aussehen, dass die Organisationen auch zusammen geführt werden. Ich persönlich stell mir das so vor, dass die Trennung zwischen zivil und militärisch so nicht mehr besteht, sondern dass es ein Büro ist, in denen es auch keine verschiedenen Befindlichkeiten gibt, sondern nur eine Richtung, eine gemeinsame.“

Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums bestätigt: Aus den Zentren für Nachwuchsgewinnung und den Kreiswehrersatzämtern wird eine gemeinsame Organisation, die dann für Freiwillig Wehrdienstleistende, Zeitsoldaten, für Militärs und Zivilisten zuständig ist.

„Kurze Wege“ und „Alle Informationen an einem Tag“ - so lautet die Devise. Damit schafft die Bundeswehr erste Voraussetzungen, um künftig qualifiziertes Personal zu rekrutieren, das sie speziell für anspruchsvolle Auslandseinsätze benötigt. Doch diese Konzentration auf Servicecenter, zum Beispiel auf Kreiswehrersatzämter, braucht ein Gegengewicht - weil die Bundeswehr nach den absehbaren Standortschließungen in der Fläche schon bald noch weniger präsent sein wird als derzeit.

Dass es demnächst an der Haustür klingelt und ein Vertreter der Bundeswehr mit Laptop und Prospekten vor der Tür steht, ist daher nicht ganz aus der Luft gegriffen. Laut Gesetz sind die Meldebehörden verpflichtet, die Daten aller 18-Jährigen an das Bundesamt für Wehrverwaltung weiterzugeben. Auf diese Weise kann die Bundeswehr theoretisch an alle jungen Leute herantreten, die für sie als Freiwillige in Frage kommen. Und die sich dann entscheiden müssen, ob sie der Bundeswehr auch ohne Pflicht eine „Chance“ geben.

* Aus: NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien", 27. August 2011; www.ndr.de/info


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