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Truppe ohne Auftrag? Die vergessene Bundeswehr-Mission im Kosovo

Ein Beitrag von Joachim Samse in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *

Andreas Flocken (Moderator der Sendung):
Mehr als zehn Jahre dauert im Kosovo nun schon die KFOR-Mission. Der Einsatz wird von der NATO geführt. Auch die Bundeswehr ist beteiligt. Doch in der Öffentlichkeit findet dieser Einsatz kaum noch Beachtung. Joachim Samse über eine fast vergessene Mission:


Manuskript Joachim Samse

Wenn es lange kaum Berichte über einen laufenden Auslandseinsatz gibt, dann ist das normalerweise eine gute Nachricht. Doch wenn eine Mission erfolgreich ist, dann kann sie eigentlich auch beendet werden. So sieht das jedenfalls mancher Soldat, der selbst unter KFOR-Kommando stand. Es gibt immer mehr Berichte, wonach der Einsatz im Kosovo von relativ viel Routine und jeder Menge Leerlauf geprägt sei. Rainer Glatz, Generalleutnant und Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, sieht das jedoch etwas anders:

O-Ton Glatz
„Es wird sicherlich nicht zu vermeiden sein, dass der ein oder andere seine Nische findet, in der er auch mal Langeweile entwickelt. Das gehört zu einem Einsatz auch dazu, in dem es im Wesentlichen darauf ankommt, präsent zu sein und auf das Unerwartete reagieren zu können.“

Auf das Unerwartete reagieren zu können, das ist demnach immer noch die Hauptaufgabe der deutschen Soldaten bei KFOR. Voraussetzung für einen vollständigen Abzug ist eine entsprechend positive Sicherheitsprognose. Doch die gibt es bislang noch nicht, sagen zumindest Politiker und Militärs. Die Lage im Land ist zweigeteilt: Während im südlichen Bereich, da wo die Bundeswehr ihren Verantwortungsbereich hat um die Stadt Prizren, derzeit alles ruhig ist, gibt es im Norden immer wieder Spannungen zwischen den Ethnien. Die Stadt Mitrovica zum Beispiel ist gespalten: eine Brücke trennt dort den serbischen vom albanischen Stadtteil. General Glatz:

O-Ton Glatz
„Alles was südlich des Iber ist, also südlich von Mitrovica, - da haben wir eine niedrige Bedrohungslage. Alles was nördlich des Iber ist – da ist die Bedrohungslage mittel. Und es gibt natürlich noch ein latentes Spannungspotenzial zwischen den Ethnien, was jederzeit zu Gewaltausbrüchen führen kann, - wie wir ja leider letztes Jahr bei den Auseinandersetzungen um das Gerichtsgebäude gesehen haben. Das kann man also nicht ausschließen.“

Deswegen ist ein vollständiger Abzug der NATO-Truppen und damit auch der deutschen KFOR-Soldaten derzeit kein Thema. Allerdings erfolgt trotzdem seit einiger Zeit eine kontinuierliche Reduzierung der Truppen. 1999 begann der Einsatz mit einer Stärke von über 50.000 Soldaten. Inzwischen sind es nur noch 5.000 aus über 30 Nationen. Der Abbau der Truppenstärke wird schrittweise vollzogen – auch die Bundeswehr wird in Zukunft immer weniger Soldaten im Kosovo einsetzen. Demnächst sollen es nur noch 900 Männer und Frauen sein. Vor anderthalb Jahren waren es mehr als doppelt so viel Soldaten. Und bei der nächsten Abzugsphase, bei der KFOR spricht man vom so genannten „Gate Three“, werden es nur noch 450 Bundeswehr-Soldaten sein. Doch die Einnahme der jeweiligen Stufe ist abhängig von der Lageeinschätzung der NATO. Ob bereits in diesem Jahr oder erst 2012 eine weitere Reduzierung veranlasst wird, darüber hat General Glatz noch keinerlei Kenntnis. Denn die Entscheidung trifft der NATO-Rat. Dort werden auf Grund politischer und militärischer Lagebeurteilungen entsprechende Weisungen an die Mitgliedstaaten erteilt. Seit dem 1. März gilt bislang lediglich „Gate Two“, also die Stufe 2. Und derzeit ist die Lage noch nicht so stabil, dass sofort alles zurückgefahren werden kann:

O-Ton Glatz
„Wir haben eine zweigeteilte Sicherheitslage im Kosovo. Wir haben noch ein latentes Spannungs- und damit auch ein Eskalationspotenzial, was durch den politischen Ausgleich im Lande, aber auch durch den Ausgleich mit Serbien minimiert und geregelt werden muss. Und das wird sicherlich noch einige Zeit in Anspruch nehmen – nach der jetzigen Beurteilung der Lage.“

Jetzt alle Soldaten abzuziehen – dafür ist es definitiv zu früh, das sieht auch die Politik so. Allerdings geht der SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels davon aus, dass der Kosovo-Einsatz, mit ursprünglich einmal mehr als 6.000 deutschen Soldaten, in zwei bis drei Jahren erfolgreich beendet werden kann.

O-Ton Bartels
„In den nächsten Jahren wird weiter reduziert werden können - auf am Ende Null im Kosovo. Ich denke, dann wird es eine Bereitschaftsreserve in Deutschland oder in anderen NATO-Staaten geben, die hinterm Horizont, sozusagen bei Bedarf, wieder ins Kosovo verlegt werden könnte, wenn es dort zu schwierigeren Situationen kommt. Aber das ist im Moment ja gar nicht absehbar – die Entwicklung ist positiv.“

Doch immer noch kommt es im Kosovo zu Konflikten und Zusammenstößen. Wie etwa im September vergangenen Jahres. Nach einem verlorenen Basketballspiel gegen Serbien gab es in Mitrovica gewaltsame Zusammenstöße. Allerdings gebe es auch genug positive Beispiele, sagt General Glatz:

O-Ton Glatz
„Es wäre doch vor zwei, drei Jahren unvorstellbar gewesen, dass der serbischorthodoxe Patriarch nach 11 Jahren Abwesenheit wieder nach Prizren zurückgeht, wie wir es am 26. Dezember des letzten Jahres erlebt haben, und dort wieder seinen Bischofssitz einnimmt.“

In der Weihnachtszeit wurde die Bereitschaft dennoch hochgefahren. Passiert ist jedoch nichts.

In diesem Jahr kostet der Bundeswehr-Einsatz im Kosovo rund 150 Millionen Euro. Im Zuge weiterer Reduzierungen werden auch diese Ausgaben weniger. Um wie viel, das ist allerdings noch offen. Derzeit wird die Bundeswehr im Kosovo umgegliedert. Momentan werden die beiden nicht mehr benötigten Feldlager Airfield und Toplicane zurückgebaut, danach erfolgt die Übergabe an die Vorbesitzer. Vor diesem Hintergrund will General Glatz bei den KFOR-Soldaten von der manchmal kolportierten Langeweile nichts wissen:

O-Ton Glatz
„Wir müssen in erheblichem Maße Gerät, Fahrzeuge und Material, einschließlich Containern zurück nach Deutschland bringen. Was wir auch schon mit 12 extra zusammengestellten Eisenbahnzügen und einer Vielzahl von Landtransporten zurück nach Deutschland durchgeführt haben. Und wenn sie diese Frauen und Männer fragen, die damit zu tun haben, die sind rund um die Uhr beschäftigt.“

In anderen Bereichen gibt es aber, das weiß auch der General, nicht so viel zu tun. Wie etwa im Feldlazarett, wo zwar alle auf den Ernstfall vorbereitet sind – dieser aber schon lange nicht mehr eingetreten ist. Und so müssen sich die Soldaten fern von der Heimat anders ablenken – durch Sigthseeing, Einkaufstouren oder ähnliches. Das alles ist möglich, obwohl es sich um ein Einsatzgebiet handelt.

Offizielle Beschwerden über Gammeldienst oder ähnliches liegen dem Wehrbeauftragten zwar nicht vor, doch berichten einige Soldaten, die vom KFOR-Einsatz zurückkehren, von jeder Menge Langeweile, vielen Feiern und wenig Dienst. Auch was den übermäßigen Alkoholgenuss betrifft, gibt es keine offiziellen Beschwerden. Allerdings mussten in der Vergangenheit einzelne Soldaten vorzeitig nach Hause geschickt werden, weil sie wiederholt zu viel getrunken hatten. Disziplinarverfahren sind die Folge. Für den Befehlshaber des Einsatzführungskommandos besteht jedoch kein Grund zur Sorge:

O-Ton Glatz
„Aus meiner Sicht sind die Fälle von Alkoholmissbrauch tatsächlich, Gott sei Dank, nur Einzelfälle. Aber sie können diese Einzelfälle bei der heterogenen Zusammensetzung der Kontingente nie völlig ausschließen. Wir versuchen das durch Regelungen einzugrenzen. Dass der ein oder andere dann auffällig wird, ist leider eine Tatsache, die aber nicht ein Bundeswehrphänomen, sondern insgesamt ein gesellschaftliches ist.“

Dennoch: in Afghanistan ist das Thema Alkoholmissbrauch nicht so problematisch wie auf dem Balkan. Denn am Hindukusch haben die Soldaten einen klaren Auftrag in einer risikoreichen Mission. Im Kosovo – so der Eindruck - wird offenbar manchmal vergessen, dass es sich immer noch um einen Einsatz handelt und nicht um einen durch den Auslandsverwendungszuschlag gut bezahlten Urlaub.

Wann die KFOR-Mission abgeschlossen wird, das hängt auch von der Regierung im Kosovo selbst ab, so die Experten. Allerdings habe die Aussicht einer möglichen EU-Mitgliedschaft schon wesentlich zur Verbesserung der Sicherheitslage geführt, meint der SPD-Verteidigungsexperte Bartels:

O-Ton Bartels
„Ich glaube schon, dass das funktioniert. Man weiß, dass gewisse Standards einzuhalten sind, dass sozusagen die Mehrheit dafür verantwortlich ist, dass die Minderheit gut leben kann. Und die Minderheit hat keinen Anreiz zu Provokationen oder Gewalttätigkeiten, weil sie weiß, dass die internationale Gemeinschaft auf die Einhaltung der Standards dringt. Insofern ist die Europaperspektive für den Balkan geradezu ein Glück.“

Die militärische Führung sieht das genauso. Bis zur EU-Mitgliedschaft ist es jedoch noch ein weiter Weg. Organisierte Kriminalität und Korruption sind weit verbreitet, auch die Staatseinnahmen des Kosovo sind sehr gering - deshalb ist der junge Staat auf ausländische Staatshilfen angewiesen. Der KFOR-Einsatz gilt bislang als Erfolgsgeschichte. Der Einsatz, der vor mehr als zehn Jahren mit dem Einmarsch begann, ist inzwischen zu einer Mission geworden, die immer weniger Soldaten benötigt – und bald gar keine mehr. 1999 stand die KFOR in der ersten Reihe, inzwischen steht sie nicht mehr im Rampenlicht, sagt General Glatz:

O-Ton Glatz
„In der weiteren positiven Entwicklung der Sicherheitslage ist die Kosovo-Police in die erste Reihe gegangen. Hinter der Kosovo-Police steht heute eigentlich die Rechtsstaatsmission auch mit den Polizeikräften. Wir nennen sie Eulex. KFOR steht mittlerweile in der dritten Reihe, um dann einzugreifen und verfügbar zu sein, wenn die Bestimmungen der UN-Resolution verletzt werden.“

Für praktisch abgeschlossen hält die KFOR-Mission offenbar der Bundeswehrverband, die Interessenvertretung der Soldaten. Denn Fragen zur Zukunft des Kosovo-Einsatzes wollte der Verband nicht beantworten.

* Aus: NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien", 21. Mai 2011; www.ndrinfo.de


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