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Die Angriffsarmee der Bundesregierung nimmt Gestalt an

Die Bundeswehr legt Tempo vor: Zentrales Kommando für Auslandseinsätze in Dienst gestellt

Die Umwandlung der Bundeswehr in eine Angriffsarmee gewinnt an Fahrt. Muss sie auch, wenn die Befürworter der "Reform" ihren Wunsch wahrmachen wollen, mindestens zwei größere Militärinterventionen (oder mehrere kleinere) gleichzeitig an verschiedenen Schauplätzen in der Welt durchzuführen. Die gegenwärtige Debatte um einen möglichen Einsatz in Makedonien gibt den Interventionisten Rückenwind. Schon ist absehbar, dass auch bald mehr Geld in die Taschen der Bundeswehr fließt: Dir Ausrüstungs- und Bewaffnungwünsche der Generalität sind unersättlich. Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel und ein Interview zum Thema: Beides ist der "jungen welt" vom 10. Juli 2001 entnommen.

Voll auf Angriff

Die Bundeswehr macht sich fit für die Intervention. jW-Bericht

Bei ihrer Umwandlung zu einer Interventionsarmee ist die Bundeswehr einen wichtigen Schritt vorangekommen. Elf Jahre nach der Zusicherung von Bundeskanzler Helmut Kohl an den sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow, daß auf dem Territorium der DDR nach der deutschen Einheit keine ausländischen NATO-Truppen stationiert werden sollen, wurde in Geltow bei Potsdam am Montag das neugeschaffene Einsatzführungskommando der Bundeswehr als Kern einer künftigen Zentrale einer EU- Interventionsstreitmacht offiziell in Dienst gestellt. Das neue Kommando wird künftig alle nationalen und internationalen Einsätze von Heer, Luftwaffe und Marine planen und führen. Es ist dem Verteidigungsminister direkt unterstellt. Bislang wurden die Auslandseinsätze der Bundeswehr von Koblenz (Heer), Köln (Luftwaffe) und Glücksburg (Marine) aus gesteuert.

Zugleich soll das neue Kommando mit 600 Soldaten und Zivilbeschäftigten die Voraussetzungen für die Aufstellung eines Hauptquartiers schaffen, das der Europäischen Union einmal für militärische Einsätze zur Verfügung gestellt werden kann. Die neue Schlüsselabteilung der Bundeswehr ist wie ein multinationales Hauptquartier der NATO in zehn Abteilungen gegliedert. Sie soll bis zum Herbst 2002 vollständig aufgestellt sein.

An der militärischen Zeremonie nahmen Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD), der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Harald Kujat, und der Inspekteur der Streitkräftebasis, Vizeadmiral Bernd Heise, teil. Chef des Einsatzkommandos ist Generalleutnant Friedrich Riechmann. Stolpe zeigte sich zufrieden, daß der Standort Geltow im Zuge der Umstrukturierungen der Bundeswehr erhalten bleibt. Damit werde die »gute Tradition der zivil-militärischen Zusammenarbeit« in Brandenburg fortgesetzt.

Das Einsatzführungskommando ist ein Kernelement der von Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) eingeleiteten »Reform« der Bundeswehr. Hinter der Vokabel »Reform« verbirgt sich de facto eine Nachrüstung bei personeller Verkleinerung. Dabei geht es darum, wie im Bericht einer vom Verteidigungsminister eingesetzten Kommission unter Leitung des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker im vergangenen Jahr festgehalten wurde, das neue »Strategische Konzept« der NATO von April 1999 auszufüllen. Damit hatte sich die NATO selbst das Recht eingeräumt, künftig auch ohne UN- Mandat zu intervenieren. Zugleich soll die Bundeswehr Hauptbestandteil einer EU-Interventionsstreitmacht von der Dimension des US-Militärs werden. Die Weizsäcker- Kommission hatte bei ihren Empfehlungen angenommen, daß die Bundeswehr in der Lage sein muß, an zwei Kriegen von der Größe des Golfkrieges »gleichzeitig und zeitlich unbefristet« teilzunehmen. Während sich am NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999 14 Bundeswehr-Tornados beteiligten, sollen es bei künftigen Kriegseinsätzen insgesamt 90 bis 100 Kampfflugzeuge sein. Die benötigten Präzisionswaffen, Lufttransportkapazitäten und Aufklärungssatelliten verlangen insgesamt höhere Ausgaben für den Bundeswehr-Etat.

Anfang April hatten Vertreter der deutschen Friedensbewegung eine Kampagne gegen die Aufstellung einer Interventionsarmee begonnen. Sie warnten seinerzeit, die Bundeswehr solle »in eine Armee mit einer strukturellen Angriffsfähigkeit umgewandelt werden.« Dabei sei eine Bindung an das deutsche Verfassungsgebot der »Verteidigung« (Artikel 87 Grundgesetz) oder an den NATO- Vertrag, der die Mitgliedstaaten in Artikel 5 ausschließlich auf die Bündnisverteidigung verpflichtet, nicht mehr vorgesehen. Zwar bleibe nach dem 1999 verabschiedeten neuen Strategiekonzept der NATO eine UN-Mandatierung für Einsätze »out of area« wünschenswert, aber sie sei aber nicht unbedingt erforderlich. Damit verlasse die Bundesrepublik den Boden des geltenden Völkerrechts, das den Mitgliedstaaten ein generelles Gewaltverbot auferlegt, von dem nur zum Zweck der (kollektiven) Selbstverteidigung im Fall einer militärischen Aggression abgewichen werden dürfe (Artikel 51 UN-Charta).

Sorgt Scharping für Preußens Glanz und Gloria?

jW sprach mit Tobias Pflüger, Mitarbeiter der Informationsstelle Militarisierung IMI e.V. Tübingen

F: In Potsdam-Geltow wurde am Montag das Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Dienst genommen. Es ist dem Verteidigungsminister direkt unterstellt. Welche Bedeutung hat das?

Die Indienststellung des Einsatzführungskommandos ist ein ganz zentrales Element bei der Herausbildung einer interventionsfähigen Bundeswehr. Es ist die Stelle, von der aus in Zukunft sämtliche Auslandseinsätze geleitet, koordiniert und befehligt werden. Auf diese Weise ist natürlich der Zugriff schneller. Man muß nicht 20 Befehlsstrukturen durchgehen, sondern kann ziemlich schnell durchsetzen, daß es nach Mazedonien geht.
Diesem Kommando unterstehen von den Teilstreitkräften wiederum Führungskommandos. Es ist eine ganz klare Hierarchisierung der Befehlsstrukturen. Das politisch Interessante oder Gefährliche an diesem Einsatzführungskommando ist, daß man im Grunde genommen wieder politisch-militärische Befehlsstrukturen innerhalb einer deutschen Armee hat und dadurch eindeutig auch das, was man nie mehr haben wollte, nämlich einen Generalstab. Einsatzführungskommando bedeutet auch, daß alles dem Einsatzprinzip untergeordnet wird. Es gibt inzwischen fünf Teilstreitkräfte bei der Bundeswehr: Heer, Luftwaffe, Marine und zusätzlich jetzt den Sanitätsbereich und die Streitkräftebasis, die quasi der Verwaltungsbereich innerhalb der Bundeswehr ist.
Das Einsatzführungskommando ist das zentrale Element dieser neuen Streitkräftebasis. Von zentraler Bedeutung ist zudem, daß eine Befehlszentrale etabliert wird - sowohl für zukünftige EU-Interventionen in einem Raum von 4 000 Kilometer rund um Brüssel als auch für NATO-Aktionen. Zudem für die beiden häufig nicht diskutierten weiteren Optionen, nämlich UN-Einsätze und nationale Einsätze, die nach wie vor nicht ausgeschlossen sind.

F: Warum gerade Potsdam?

Früher wurde ein Teil der Auslandseinsätze über Regensburg - Kommando luftbewegliche Kräfte - koordiniert. Jetzt ist der Zugriff mit Potsdam sehr viel näher, man hat die Befehlsstrukturen quasi hauptstadtnah. Es läuft ja offiziell vom Bundesverteidigungsminister runter auf die militärischen Strukturen. »Auch in der Bundeswehr der Zukunft nimmt Potsdam einen bedeutsamen Platz ein. Mit dem teilstreitkraftgemeinsamen Einsatzführungskommando wird die Stadt künftig eine der bedeutendsten Dienststellen der Bundeswehr vor ihren Toren beherbergen.« So drückte es Scharping wörtlich aus.

F: Sorgt der Bundesverteidigungsminister also nun für Preußens Glanz und Gloria?

Das ist natürlich eine Tradition. Man hat bewußt die Henning-von-Tresckow-Kaserne genommen, um sich nicht dem Verdacht der absolut ungebrochenen Tradition Preußen - Wehrmacht - Bundeswehr auszusetzen. Aber es ist schon bezeichnend, daß man dieses Kommando in die Region setzt, die schon immer sehr stark von Militär geprägt war und wo, historisch gesehen, Kriege geplant und durchgeführt wurden. Im übrigen widerspricht der Stationierungsort den 2+4-Vereinbarungen.

F: Das Einsatzführungskommando wird auch offiziell als Kernelement der Bundeswehrreform bezeichnet ...

Am 28. Juni hat man die neue Struktur für das Heer umgesetzt. Im Grunde genommen ist es wie ein Kegel. Oben an der Spitze sind die jeweiligen Führungskommandos, darunter dann als erstes die besonders kampffähigen Einheiten. Die Struktur bedeutet, daß man die Einsatzkräfte, die man ja auf 150 000 Mann und Frau hochschrauben will, Stück für Stück einführt. Hier ist ein zentraler Ansatzpunkt für die Friedensbewegung: zu sagen, diese Einsatzkräfte wollen wir nicht. Bei der Kampagne der Friedensbewegung »Kriege verhindern - Einsatzkräfte auflösen« ist eines der Elemente dieses Einsatzführungskommando. Wir müssen dafür sorgen, daß dieses Kommando politisch thematisiert wird als das, was es ist: ein Kriegsführungskommando.

F: Was sind die nächsten Schritte beim Umbau der Bundeswehr in eine Interventionsarmee?

In bezug auf Potsdam ist die Struktur weitestgehend fertig. Jetzt geht es in die Details bei den jeweiligen Teilstreitkräften. Bei Heer, Marine und Luftwaffe werden die interventionsfähigen Teile herausgebildet.

Interview: Fanny Komaritzan Aus: junge welt, 10. Juli 2001

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Mehr über den Appell "Kriege verhinern - Einsatzkräfte auflösen"

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