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Geprobter Bürgerkrieg

Die ausschließlich aus Reservisten bestehenden »Sicherungs- und Unterstützungskräfte« üben zusammen mit der Bundeswehr und Hilfsorganisationen den »Heimatschutz«. Eine zivil-militärische Gesamtverteidigung soll entstehen

Von Peer Heinelt *

Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Thüringen haben sie bereits, alle anderen Bundesländer werden sie noch bekommen – Regionale Sicherungs- und Unterstützungskräfte, im Militärjargon kurz RSUKr. Die ausschließlich aus Reservisten der Bundeswehr bestehende Einheit soll laut Bundesverteidigungsministe­rium (BMVg) 27 Kompanien mit einer Gesamtpersonalstärke von 2700 Mann umfassen; aktuell ist sogar von bis zu 32 aus mehr als 3000 Reservisten bestehenden Kompanien die Rede. Die Angehörigen der RSUKr, die bei Bedarf jederzeit einberufen werden können, sind den in allen sechzehn Bundesländern implementierten »Landeskommandos« der deutschen Streitkräfte unterstellt; zu ihren primären Aufgaben gehört es nach Angaben des BMVg, »die aktive Truppe … im Rahmen des Heimatschutzes (zu) unterstützen«. Verstanden wird hierunter ein ganzes Bündel von Maßnahmen: Die »Überwachung und Gewährleistung der Sicherheit des deutschen Luft- und Seeraums« und die »Absicherung militärischer Anlagen« im Inland zählen ebenso dazu wie die »Amtshilfe« für andere Repressionsdienste – etwa zum »Schutz kritischer Infrastruktur« oder bei »innerem Notstand«.

Selbstverständlich muß das alles auch trainiert werden – schließlich geraten ehemals aktive Soldaten durch die Freuden des Zivillebens leicht außer Form. Dokumentiert ist ein entsprechendes Bürgerkriegsmanöver für das Jahr 2009; es firmierte unter der Bezeichnung »Hoher Franke II« und fand an der »Luftverteidigungsstellung Döbraberg« in der Nähe des bayerischen Ortes Schwarzenbach am Wald statt. Wie die Frankenpost seinerzeit berichtete, habe der in Anwesenheit des heutigen Bundesinnenministers Hans-Peter Friedrich (CSU) abgehaltenen »Objektschutzübung« folgendes Szenario zugrunde gelegen: Einhergehend mit der »Ausweitung des Afghanistan-Einsatzes« seien auch die in der Bundesrepublik stationierten »Verbände der Luftverteidigung und der Luftraumüberwachung« ins Visier von Aufständischen und »Terroristen« geraten. Nicht näher bezeichnete Geheimdienste hätten bei einer Fahrzeugkontrolle Papiere, Karten und Koordinaten der Stellung am Döbraberg konfisziert und daraus messerscharf auf einen kurz bevorstehenden Angriff geschlossen – der dann auch prompt erfolgt sei.

Ausführlich beschrieb das Lokalblatt im Anschluß den Ablauf des zweitägigen Manövers. Der Darstellung zufolge waren die eingesetzten Soldaten und Reservisten am ersten Tag zunächst mit »Flugblätter verteilenden Friedensaktivisten« konfrontiert, die die Übungsteilnehmer zur Desertion aufriefen: Wie aus einer parlamentarischen Anfrage der Linkspartei hervorgeht, ließ eine fiktive Gruppe namens »Der liebe Feind – Abteilung Wehrkraftzersetzung« die Militärs schriftlich wissen, daß sie als »Handlanger einer rücksichtslosen Regierung« fungierten und die »Machenschaften« derer unterstützten, »die ständig von Freiheit reden, aber gerade das Gegenteil meinen«. Zum Nachdenken kamen die Bundeswehrangehörigen allerdings nicht – laut Frankenpost wurden sie gleich im Anschluß an den Auftritt der agitierenden Antimilitaristen in »Feuergefechte im Wald« verwickelt.

Terrorabwehr

Folgt man dem Bericht der Lokalpresse weiter, war damit indes noch lange nicht Feierabend, sah das Übungsdrehbuch doch eine weitere Eskalation vor. Nach dem nächtlichen Beschuß eines Munitionstransporters hätten am frühen Morgen des zweiten Manövertages Bewaffnete die Luftwaffenstellung selbst attackiert, hieß es: »Ein Fahrzeug durchbrach den Checkpoint und explodierte, wobei viele Soldaten verletzt wurden.« Daraufhin habe die Bundeswehr die »zivilen Hilfsorganisationen« Technisches Hilfswerk (THW), Rotes Kreuz, Bergwacht und Freiwillige Feuerwehr um Unterstützung gebeten. Ihren Höhepunkt erreichte die Übung laut Frankenpost mit einem Feuerüberfall auf den Radarturm der Luftwaffenstellung. Da die Angreifer dabei Panzerfäuste eingesetzt hätten, habe es sowohl im Inneren des Turmes als auch auf den umliegenden Gebäuden viele Schwerverletzte gegeben. Aufgabe der eingesetzten Militärs sei in dieser Situation die Bekämpfung der »Terroristen« gewesen: »Soldaten schlugen mit Salven aus ihren Maschinengewehren die Angreifer in die Flucht beziehungsweise schalteten sie aus.« Die Bergung der Verwundeten sei hingegen von den »zivilen Hilfsorganisationen« übernommen worden: »Während das THW die Verletzten von den umliegenden Dächern barg, mußte im Inneren des Turmes die Bergwacht Verletzte von der ersten Etage des Turmes aus rund 25 Metern Höhe abseilen.« Ein an der »Objektschutzübung Hoher Franke II« beteiligter Bundeswehroffizier bezeichnete diese der Lokalpresse zufolge im Rahmen einer abschließenden Manöverkritik als perfektes Beispiel für die »praxisnahe gemeinsame Ausbildung unserer aktiven Soldaten und der Reservisten«.

Das dürfte auch Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) so sehen, dem Reservisten nach eigener Aussage als »Nukleus für einen den zukünftigen Bedrohungsszenarien angemessenen Aufwuchs« der deutschen Streitkräfte gelten. Laut seiner am 1. Februar 2012 verkündeten »Konzeption der Reserve« ist der »Heimatschutz« deren »wesentliche Aufgabe«; zur Abwehr von »asymmetrischen und insbesondere terroristischen Bedrohungen« müßten sie die »zivilen Sicherheits- und Katastrophenschutzkräfte« auf breiter Front »ergänzen«, heißt es hier. Wie das BMVg weiter ausführt, habe man bereits ein von Reservisten getragenes »flächendeckendes Netzwerk« implementiert, »um die zivilen Stellen und Akteure zu informieren, zu beraten und zu unterstützen«. Hierunter fallen sowohl die 470 auf der Ebene der Regierungsbezirke, der Landkreise und der kreisfreien Städte eingerichteten »Bezirks- und Kreisverbindungskommandos« als auch neunzehn über die gesamte Bundesrepublik verteilte »Stützpunkte« für »zivil-militärische Zusammenarbeit«. Auf letzteren sind nicht nur mit Räumpanzern ausgestattete Pioniertruppen stationiert, sondern auch Einheiten zur Abwehr von Angriffen mit atomaren, biologischen und chemischen Waffen. Laut Verteidigungsministerium schließen die jetzt aufgestellten »Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte« somit die letzte »Lücke« im Rahmen der »gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge«.

Mit letzterer befaßt sich hierzulande neben der Bundeswehr insbesondere das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Wie das Militär weiß auch die Behörde, daß ein Land, das gemäß den eigenen »Verteidigungspolitischen Richtlinien« weltweit Krieg für den »Zugang zu Bodenschätzen, Vertriebswegen und Märkten« führt, mit harschen Reaktionen derer rechnen muß, die nicht gewillt sind, sich zu Objekten einer neokolonialen Weltpolitik degradieren zu lassen. Das »neue, sich in den vergangenen Jahren deutlich steigernde außen- und sicherheitspolitische Engagement Deutschlands« habe zu einer nationalen Bedrohung durch Angriffe feindlicher Kombattanten im Inland (»Terroristen«) geführt, erklärt denn auch das BBK in seiner »Neuen Strategie zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland«. Gefordert wird hier die Etablierung einer staatlichen »Gesamtverteidigung« mit »hoher Schlagkraft«, die sowohl die »unterschiedlichen gesetzlichen und administrativen Zuständigkeiten von Bund und Ländern« als auch die »tradierten Trennlinien« zwischen Katastrophenschutzbehörden, Polizei, Militär und Geheimdiensten »überbrückt«.

Szenario »Schmutzige Bombe«

Analog zur Bundeswehr geht das BBK davon aus, daß elaborierte Konzepte zwar schön und gut sind, aber nur Übung den Meister macht – und läßt daher die zivil-militärische »Gesamtverteidigung« gegen den terroristischen Feind respektive den »Heimatschutz« regelmäßig trainieren. Das nennt sich dann LüKEx, wobei LüK für »Länderübergreifendes Krisenmanagement« und Ex für »Exercise« steht. Ganz wie bei dem geschilderten Militärmanöver »Hoher Franke II« werden bürgerkriegsähnliche Szenarien durchgespielt. So simulierte etwa LüKEx 2010 einen Anschlag auf den Flughafen Köln/Bonn, bei dem laut Drehbuch eine sogenannte Schmutzige Bombe zum Einsatz kam, worunter Terrorismusexperten gemeinhin einen konventionellen Sprengsatz verstehen, der bei seiner Explosion radioaktives Material in der Umgebung verstreut. An dem Manöver beteiligt waren insgesamt etwa 1500 Angehörige von Landes- und Bundespolizei, Bundeswehr, Geheimdiensten, Feuerwehr, THW und medizinischen Rettungsdiensten. Die Kameraden des Reservistenverbandes Köln/Aachen fungierten als sogenannte Role Player – sie spielten die durch den Anschlag Verletzten und Getöteten. Trainiert wurde zwar primär im zivilen Teil des Airports, jedoch gingen die Organisatoren des BBK und seiner Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) davon aus, daß auch der militärische Teil des Flughafens in Mitleidenschaft gezogen wird – aus gutem Grund: Den deutschen Streitkräften zufolge handelt es sich bei diesem um »ein wichtiges Tor für die Auslandseinsätze der Bundeswehr«, das den »Dreh- und Angelpunkt für den Personaltransport deutscher Soldatinnen und Soldaten in die verschiedenen Einsatzgebiete« bildet.

Wurden im Rahmen von LüKEx 2011 »zielgerichtete Angriffe auf IT-Infrastrukturen« geprobt, die nach Ansicht des BBK wahlweise von »Skript Kiddies«, »Hackern«, »Wirtschaftskriminellen«, »Terroristen« oder ausländischen »Spionen« ausgehen können, will man sich Ende November dieses Jahres folgendem Szenario widmen: »Durch die intentionale Ausbringung von Toxinen oder biologischen Erregern werden außergewöhnliche Bedrohungslagen hervorgerufen, die die Gesundheit der Bevölkerung, die Lebensmittelsicherheit und die innere Sicherheit gefährden.« An LüKex 2013 werden sich laut BBK nicht nur das Bundes­innenministerium, das Bundesgesundheitsministerium und das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz beteiligen, sondern auch das Bundesverteidigungsministerium – samt der ihm »nachgeordneten Behörden«. Das ist insofern nachvollziehbar, als doch die Bundeswehr gleich mehrere »wehrwissenschaftliche« Institute und eine »Task Force« unterhält, um terroristische Finsterlinge zu bekämpfen, die vorsätzlich Krankheitskeime unters Volk bringen (siehe jW-Thema v. 03.03.2011). »Zivil-militärische Zusammenarbeit« ist denn auch erklärtermaßen ein »Übungsschwerpunkt« des diesjährigen LüKEx-Manövers.

Grünes Licht vom Gericht

Daß im Rahmen des von Bundeswehr und BBK trainierten »Heimatschutzes« künftig Kriegswaffen zum Einsatz kommen dürfen, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 3. Juli letzten Jahres klargestellt. Im Falle eines »Ereignis(ses) von katastrophischem Ausmaß«, das auch Dritte »absichtlich herbeigeführt« haben könnten, sei die »Verwendung spezifisch militärischer Kampfmittel« mit dem Grundgesetz zu vereinbaren, erklärten die Richter. Dabei spiele es keine Rolle, so hieß es, ob »Schäden notwendigerweise bereits eingetreten« seien; es komme lediglich darauf an, daß »der Eintritt katastrophaler Schäden unmittelbar droh(e)«. Lediglich ein Verfassungsrichter wollte diesen Beschluß nicht mittragen: Nach Auffassung von Reinhard Gaier hat das höchste deutsche Justizorgan »fundamentale Grundsätze aufgegeben« und eindeutig gegen das Rechtsprinzip verstoßen, »Streitkräfte niemals als innenpolitisches Machtinstrument« einzusetzen.

Sein Minderheitenvotum verdient genauere Betrachtung – zumal er es wagte, seine Richterkollegen daran zu erinnern, daß in der Verfassung der BRD ursprünglich gar kein Militär vorgesehen war: »Das Grundgesetz ist auch eine Absage an den deutschen Militarismus, der Ursache für die unvorstellbaren Schrecken und das millionenfache Sterben in zwei Weltkriegen war. 1949 ist die Bundesrepublik Deutschland als Staat ohne Armee entstanden; schon die Einfügung der Wehrverfassung in das Grundgesetz im Jahr 1956 wird zu Recht ›eine Wende in der Entwicklung der Bundesrepublik‹ genannt.« Teil der verfassungsrechtlich »gebotenen Konsequenzen« aus diesen spezifisch deutschen »historischen Erfahrungen« sei die »Trennung von Militär und Polizei«, wobei letztere allein und ausschließlich für die »Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit« verantwortlich zeichne, erklärte der Jurist: »Ihre Funktion ist die der Gefahrenabwehr und nur über hierfür geeignete und erforderliche Waffen darf die Polizei verfügen; hingegen sind Kampfeinsätze der Streitkräfte auf die Vernichtung des Gegners gerichtet, was spezifisch militärische Bewaffnung notwendig macht. Beide Aufgaben sind strikt zu trennen.« Zwar habe der Gesetzgeber mittlerweile die »Voraussetzungen für die Einbindung der Streitkräfte in den zivilen Katastrophenschutz geschaffen«, damit allerdings »nur polizeiliche Maßnahmen, nicht aber militärische Kampfeinsätze ermöglicht«.

Gaiers besonderes Mißfallen erregte die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, Inlands­einsätze der Bundeswehr mit militärischer Bewaffnung zuzulassen, um einem bevorstehenden Ereignis »katastrophischen Ausmaßes« entgegenzuwirken, das auch »absichtlich herbeigeführt« sein könne: »Es handelt sich um gänzlich unbestimmte, gerichtlich kaum effektiv kontrollierbare Kategorien, die in der täglichen Anwendungspraxis viel Spielraum für subjektive Einschätzungen, persönliche Bewertungspräferenzen und unsichere, wenn nicht gar voreilige Prognosen lassen.« Konkret sah der Verfassungsrichter die Gefahr, daß »bewaffnete Streitkräfte im Inneren … dazu eingesetzt werden, um allein schon durch ihre Präsenz die Bevölkerung etwa bei Demonstrationen einzuschüchtern«, und fragte rhetorisch: »Wie ist beispielsweise zu verhindern, daß im Zusammenhang mit regierungskritischen Großdemonstrationen – wie etwa im Juni 2007 aus Anlaß des ›G-8-Gipfels‹ in Heiligendamm – schon wegen befürchteter Aggressivität einzelner teilnehmender Gruppen ›mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze‹ eintretende massive Gewalttätigkeiten mit ›katastrophalen Schadensfolgen‹ angenommen werden und deswegen bewaffnete Einheiten der Bundeswehr aufziehen?« Vor Augen hatte er dabei offenbar aus Militärdiktaturen bekannte Bilder: »Im Schatten eines Arsenals militärischer Waffen kann freie Meinungsäußerung schwerlich gedeihen.«

Notstand oder Amtshilfe

Um Einsätze der Streitkräfte im Inland juristisch zu legitimieren, hat die hiesige politisch-militärische Führung grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Sie könnte einmal den 1968 im Rahmen der »Notstandsgesetzgebung« von der seinerzeit amtierenden Großen Koalition aus CDU und SPD geänderten Artikel 87a der Verfassung bemühen, der seither unter Ziffer 4 folgendes bestimmt: »Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung (…) Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen.« Dieser Weg allerdings wurde aus gutem Grund bisher nicht beschritten: Wer in aller Welt Kriege ohne Kriegserklärung führt, um den mühsam aufrechterhaltenen Schein gesellschaftlicher Normalität nicht in Frage zu stellen, will im Inland nicht auf Notstandsgesetze rekurrieren, zumal diese mit unschönen Reminiszenzen an eine noch unschönere Vergangenheit behaftet sind.

Als Alternative zur Anwendung des Grundgesetzartikels 87a bietet sich der Bezug auf den Grundgesetzartikel 35 an, der in Absatz 1 »Behörden des Bundes und der Länder« zu gegenseitiger »Rechts- und Amtshilfe« verpflichtet und in Absatz 2 folgendes festlegt: »Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung kann ein Land in Fällen von besonderer Bedeutung Kräfte und Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes zur Unterstützung seiner Polizei anfordern, wenn die Polizei ohne diese Unterstützung eine Aufgabe nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erfüllen könnte. Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern.«

Dieser sogenannte Amtshilfeparagraph wurde in den letzten Jahren immer wieder herangezogen, wenn es darum ging, politisch mißliebige Proteste einzudämmen. Nicht umsonst verwies Verfassungsrichter Gaier in seinem Minderheitenvotum gegen den Kriegswaffeneinsatz im Inland auf die staatlichen Aktivitäten zur Absicherung des »G-8-Gipfels« in Heiligendamm anno 2007: Seinerzeit unterstützten 2000 Bundeswehrsoldaten die 16000 zum Schutz der angereisten Staatschefs eingesetzten Polizisten; Spähpanzer vom Typ »Fennek« bewachten Straßenkreuzungen und Zufahrtswege oder standen für Aufklärungs- und Transportdienstleistungen aller Art zur Verfügung; Kriegsschiffe sicherten die Ostseeküste vor Eindringlingen wie Boot fahrenden Greenpeace-Aktivisten; Tornado-Kampfjets nahmen im Tiefflug Bilder von den Protestcamps und ihren Bewohnern auf. Mit von der Partie waren auch die Heimatschutzkommandos von Rostock, Güstrow, Parchim, Bad Doberan und Neubrandenburg, wie die Bundesregierung auf Nachfrage der Linksfraktion einräumte. Bereits Monate vor dem Gipfeltreffen hatte der damalige Chef des mecklenburgischen Bundeswehr-Landeskommandos, Oberst Manfred Pape, gegenüber dem Norddeutschen Rundfunk eine entsprechende »Sicherheitsübung« in Rostock und den benachbarten Landkreisen angekündigt. Unter Einbeziehung der »neuen zivil-militärischen Verbindungskommandos« wolle man »das Zusammenwirken von Sicherheits- und Hilfskräften etwa bei Demonstrationen oder Auseinandersetzungen mit militanten Globalisierungsgegnern« trainieren, so der Militär.

Auch den Einsatz der Streitkräfte gegen an Arbeitskämpfen Beteiligte zieht die hiesige politische Führung offenbar in Betracht. Als die Vertreter der Linkspartei im Bundestag Ende August 2009 von der Bundesregierung wissen wollten, ob sie ein »Tätigwerden« zivil-militärischer »Strukturen« gegen »Streiks im Transport-, Energie- oder Sanitätssektor oder bei der Müllabfuhr« ausschließen könne, lautete die sibyllinische Antwort: »Die Prüfung der Voraussetzungen für eine Unterstützung der Bundeswehr im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben ist dem jeweiligen konkreten Einzelfall vorbehalten.« Unterdessen übt das in Donaueschingen stationierte Jägerbataillon 292 nachweislich schon einmal die Niederschlagung von Demonstrationen, bei denen die Protestierenden »Blaumann« tragen. Einer Selbstdarstellung zufolge ist die Einheit »aufgrund der hohen Personalstärke« nicht nur »sehr gut geeignet« für den »Kampf mit oder um Sperren und Hindernisse«, sondern auch für »Einsätze zur Katastrophenhilfe«.

»Heimatschutz« nach Thüringer Art

In letzter Zeit leistet die Bundeswehr offenbar insbesondere dann gerne »Amtshilfe«, wenn es darum geht, Naziveranstaltungen gegen antifaschistischen Widerstand durchzudrücken. Ausweislich der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion unterstützte das Landeskommando Thüringen die Polizeidirektion Nordhausen im Mai 2012 nicht nur bei der »Absicherung« des Landesparteitags der NPD, sondern half der Behörde auch dabei, eine Demonstration der Nazipartei zu schützen. Im Juni letzten Jahres schließlich kam die Polizeidirektion Suhl in den Genuß der von Seiten des Landeskommandos gewährten »Amtshilfe«: Die Truppe versorgte die 1100 zum Schutz des »Thüringentags der nationalen Jugend« eingesetzten Polizisten bereitwillig mit »Marschverpflegung«. Organisiert wird die seit 2002 alljährlich stattfindende Veranstaltung nicht zuletzt von Nazikadern aus dem Umfeld des vom Verfassungsschutz üppig finanzierten »Thüringer Heimatschutzes« – eben jener Vereinigung, der die rassistischen Mörder des »Nationalsozialistischen Untergrunds« entstammen.

* Peer Heinelt ist Politologe und lebt als freier Autor in Frankfurt/Main. Zuletzt erschien von ihm an dieser Stelle ein Beitrag über die Zusammenarbeit des Bundesamts für Verfassungsschutz mit »Arbeitgeberverbänden« (jW 16.11.2012).

Aus: junge Welt, Mittwoch, 3. April 2013



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