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Das Heer auf neuen Wegen

Generalleutnant Helmut Willmann zum aktuellen Stand der Planungen einer künftigen Heeresstruktur - Zwei Berichte

In dem Mitteilungsblatt "Bundeswehr aktuell" erschien im November 2000 ein Artikel, der sich mit den neuen Planungen für eine Heeresreform befasste. Autor ist Jörg Uwe Pauli. Wir dokumentieren den Beitrag und ergänzen ihn um einen kritischen Artikel, der zum selben Thema in der jungen welt erschien.

Wir stehen wohl vor der umfassendsten Strukturreform in der Geschichte der Bundeswehr, wobei das Heer die größten Veränderungen erfahren wird“. Mit diesen Worten formulierte der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Helmut Willmann, am Montag vergangener Woche (23.10.2000) in Berlin eine Einschätzung, die alles andere als gewagt ist. Im Gegenteil. Den versammelten gut 20 Journalisten in der JuliusLeberKaserne „diktierte“ er bei einem Pressegespräch auch in ihre Notizbücher, „dass der bevorstehende Umbau von einer reinen Friedensarmee hin zu einer Einsatzarmee zum Teil einschneidende Konsequenzen nach sich ziehen wird“.

Die Tatsache, dass der Inspekteur nur einen Tag später bereits rund 100 Generale seiner Teilstreitkraft im Kölner Heeresamt versammelte (siehe unten stehenden Artikel), um ihnen in einer ersten Konferenz die wichtigsten, neuen Grobstrukturen und operativ taktischen Neuorientierungen zu erläutern, macht zudem den Hochdruck deutlich, mit dem der Führungsstab des Heeres im Bonner Verteidigungsministerium derzeit arbeitet, plant und erste wesentliche Neuausrichtungen auf den Weg gebracht hat.

Ab 2001 hat das Heer demnach drei Aufgaben: das Halten des Ausbildungsstandes sowie das Meistern des Einsatzes auf dem Balkan auf einem unverändert hohen Niveau, und das trotz der bevorstehenden Umgliederung. (..) „Schon jetzt kann ich sagen, dass wir die Lebensfähigkeit der Kompanien durch die Ausstattung mit zusätzlichem Funktionspersonal wie einem Schirrmeister, Versorgungs- und IT- Feldwebeln deutlich verbessern wollen.“ (..)

Dass das Heer insbesondere im zurückliegenden Jahrzehnt gleich drei nicht immer leichte Veränderungen zu bewältigen hatte, ist unstrittig. Folgte der kollektiven Landes und Bündnisverteidigung bis 1990 doch die jüngst von allen so hoch gelobte Armee der Einheit, „die in wesentlichen Zügen bis 1995 realisiert werden konnte. Seit dieser Zeit hat das Heer abermals eine Wandlung von einer Friedens- zur Einsatzarmee eingeleitet, die bis heute andauert. In diesem Zusammenhang sei die Erhöhung des KRK-Potentials im Jahre 1999 von vormals 37.000 auf inzwischen 50.000 Soldaten erwähnt“, betonte Willmann.

In der Tat haben der SFOR-Einsatz in Bosnien Herzegowina und die Beteiligung an der KFOR-Friedenstruppe im Kosovo bis heute viel verändert. Die drei Faktoren „Führung, Ausbildung und Motivation“ der Soldaten hätten dabei zu keiner Zeit gelitten. Vielmehr sei man auf diesen Gebieten auch im internationalen Vergleich absolute Spitze, machte der Heeresgeneral weiter deutlich. Der Faktor Ausrüstung jedoch müsse – immer abhängig von den jeweils zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln – weiter verbessert werden. „Ich kann beispielsweise mit den verfügbaren Geldern von rund 1.500 vorhandenen Kampfpanzern Leopard II derzeit nur gut 350 auf dem modernsten Stand der Technik halten.“

Doch was wird sich nun ändern? Klar ist, dass der Wandel von der Friedens- zur Einsatzarmee nun auch strukturell in aller Konsequenz nachvollzogen werden soll. Klar ist auch die künftige Friedensstärke von 138.000 Soldaten, die im Verteidigungsfall auf rund 200.000 Mann aufwachsen soll. „Auf diese Fähigkeit im Rahmen einer Mobilmachung werden wir auch künftig nicht verzichten. Abschied nehmen werden wir jedoch von der Unterscheidung in HVK- und KRK-Verbände sowie den starren Gliederungen der Divisionen in drei Brigaden.“ Im Detail bedeutet dies, dass das Heer eine operativ-taktisch Neuorientierung erhält, die ein erweitertes Spektrum von Fähigkeiten ermöglich, nämlich mechanisierte Operationen, Friedensmissionen und Spezialoperationen.

In diesem Kontext soll nach den Planungen des Inspekteurs „ein ausgewogenes Dispositiv an neun schweren, zwei mittleren und zwei leichten Brigaden entstehen“. Für diesen Umbauprozess hat sich Willmann – in Absprache mit dem Verteidigungsminister – ein „Baukastensystem“ genehmigen lassen: Die Standard-Divisionen von heute gehören der Vergangenheit an. An ihre Stelle treten neu geschnittene Divisionen, die nur noch aus zwei Brigaden mit zusammen rund 10.000 statt bislang rund 18.000 Soldaten bestehen werden. Und im ebenfalls neu zu bildenden Heerestruppenkommando – 22.500 Mann stark – sind die bisherigen Divisionstruppen in so genannten Truppengattungsbrigaden zusammengefasst. Hinzu kommen, und das ist völlig neu, zwei Divisionen, die auf die Namen „Division für spezielle Operationen (DSO)“ und „Division für luftbewegliche Operationen (DLO)“ hören sollen.

Erstgenannte soll 7.400 Soldaten umfassen und aus dem Kommando Spezialkräfte (KSK) in Calw sowie Teilen von zwei bislang bestehenden Luftlandebrigaden gebildet werden. Nach den Worten Willmanns geht man mit dieser Einheit „innerhalb der NATO auf die Überholspur“. Ausgerüstet mit Fernspähmitteln und Drohnen zur Aufklärung in Feindesland gehören neben klassischen Evakuierungsoperationen und Geiselbefreiungen auch der Schutz der eigenen Truppe dazu, beispielsweise vor verdeckt operierenden Gegnern. Darüber hinaus soll dieser Verband, ausschließlich aus Freiwilligen gebildet, nicht nur dem Heer zur Verfügung stehen, „sondern auch zum Schutz von Flugplätzen und Marinebasen eingesetzt werden können“, fügte der General mit Nachdruck an.

Rund 9.800 Mann stark wird die ebenfalls neue DLO. Sie soll ab 2004 mit dem Transporthubschrauber NH90 und dem Kampfhubschrauber „Tiger“ ausgerüstet werden. Vor allem die schnellen und beweglichen Helikopter sollen den gezielten und weitgehend autonomen Einsatz hinter gegnerischen Linien möglich machen. Dort gilt es dann unter anderem, Radaranlagen, logistische Einrichtungen oder auch Panzerverbände auszuschalten beziehungsweise entscheidend zu schwächen. Die Division, die letztlich in einen Einsatz entsandt wird, erhält dann maßgeschneidert das, was sie für ihren Auftrag braucht aus dem Heerestruppenkommando, der DSO und der DLO. Damit folgt das Heer, erläuterte Willmann weiter, „dem Prinzip der Modularität“.

Am Ende steht je nach Auftrag, Einsatzort und möglicher internationaler Beteiligung befreundeter NATO-Staaten eine Bundeswehr, die aus dem Stand heraus in der Lage sein soll, „eine große Operation mit bis zu 35.000 Soldaten aller Teilstreitkräfte ein Jahr lang durchzuhalten. Alternativ sind zwei mittlere Operationen in getrennten Einsatzräumen über einen längeren Zeitraum mit insgesamt 8.000 Mann – derzeit in BosnienHerzegowina und im Kosovo bereits Realität – durchführbar“, erläutert der General dazu. Da nach jetzigem Planungsstand von jeweils sechsmonatigen Auslandseinsätzen mit einer anschließenden zweijährigen „Heimatpause“ für Soldaten ausgegangen wird, ergeben sich in Zukunft fünf Leitdivisionen mit zusammmen zehn Brigaden für Friedensmissionen, um das Heer durchhaltefähig zu machen.

Auch die Führung selbst wird einsatzorientierter, plant das Heer doch die freie Verfügbarkeit eines Korpsstabes, der die Zusammenstellung eines dann neuen Einsatzverbandes für EU und/oder NATOOperationen sicherstellt. „Diese Aufgabe soll aller Wahrscheinlichkeit nach dem Stab des II. Korps in Ulm zufallen“, sagt Willmann. Schließlich, und darauf legte der oberste Heeressoldat in Berlin besonderen Wert, dürfe kein Riss im Heer entstehen. Deshalb werden die Einsatz- und Ausbildungskräfte auf der Bataillonsebene „vermascht“. Kommandeure und Einheitsführer haben es dann leichter, eine hohe Qualität der Ausbildung sicherzustellen und die so wichtige Regeneration ihrer Truppe zu gewährleisten. (..)
Quelle: Bundeswehr aktuell, Nr. 43/2000, Seite 8/9

Neues Heer für neue Aufträge

Bundeswehrreform führt zu einschneidenden Änderungen bei den Landstreitkräften

Mit einer ersten Konferenz in Köln hat Heeresinspekteur Helmut Willmann am Dienstag damit begonnen, seine rund 100 Generäle auf die umfassendste Strukturreform in der Geschichte der Bundeswehr vorzubereiten. Der Umbau von der sogenannten Verteidigungsarmee zu einer jederzeit einsatzfähigen Truppe zur Konfliktbewältigung im Ausland hat beim Heer die einschneidendsten Konsequenzen nicht nur, was den inneren Aufbau angeht. Künftig wird es auch zwei Spezialeinheiten mit völlig neuen Fähigkeiten geben. Um sie für Militäraktionen optimal nutzen zu lernen, wird Willmanns Generalität im Januar fünf Tage lang die Schulbank drücken müssen. Neu wird künftig die Division für Spezialoperationen (DSO) mit dem bisherigen 1.000 Mann starken »Kommando Spezialkräfte« und zwei Luftlandebrigaden sein. Mit den Fähigkeiten dieses 7.400-Mann-Verbandes geht die Bundeswehr nach Willmanns Worten »in der NATO auf die Überholspur«. Die Truppe verfügt beispielsweise über Fernspäher und mit Radar bestückte fliegende Drohnen zur Aufklärung in Feindesland. Zu den konzipierten Aufgaben gehören offiziell Evakuierung und Geiselbefreiung. Schwerpunkt ist der Schutz der eigenen Truppe vor verdeckt operierenden Gegnern. Im Kern geht es hier um Partisanenbekämpfung, doch diesen Begriff nimmt bei der Bundeswehr aus historischen Gründen niemand gern in den Mund. Man spicht moderner von Terroristen und Guerilleros. Eingesetzt werden soll die ausschließlich aus Freiwilligen bestehende Truppe nicht nur im Heer, sondern beispielsweise auch zum Schutz von Flugplätzen. Ebenfalls neu ist die geplante 9.800 Mann starke Division für luftbewegliche Operationen (DLO). Ausgerüstet werden soll sie ab etwa 2004 mit dem Transporthubschrauber NH90 und dem Kampfhubschrauber Tiger. Mit dem mit Raketen bestückten Kampfhubschrauber soll diese Einheit in der Lage sein, hinter den gegnerischen Linien Radaranlagen und ähnliche Stützen der Logistik ebenso wie Panzer zu zerstören.

Abschied nehmen muß das Heer dagegen von bisherigen Divisionen mit ihren starren Gliederungen in drei Brigaden. Willmann hat sich von Verteidigungsminister Rudolf Scharping ein Baukastensystem genehmigen lassen: Künftig werden Divisionen nur noch zwei Brigaden mit zusammen 10.000 statt bisher 18.000 Mann haben und speziell für die jeweiligen Einsätzen zusammengesetzt werden. Je nach Lage erhalten sie dann Kräfte von der DSO, der DLO, aus den sechs Brigaden des neu gebildeten Heerestruppenkommandos mit seinen 22.500 Soldaten, aus den Unterstützungstruppen der Streitkräftebasis und vom Zentralen Sanitätsdienst zugeteilt. Die künftige Gliederung des Heeres hat dessen Chef strikt an den von der Politik vorgegebenen Fähigkeiten ausgerichtet: Die Bundeswehr soll aus dem Stand, also ohne Mobilmachung, in der Lage sein, zur Unterstützung eines Bündnispartners im Ausland eine große Operation mit 15.000 bis 30.000 Mann aller Teilstreitkräfte ein Jahr lang durchzuhalten. Alternativ soll sie zwei mittlere Operationen in getrennten Einsatzräumen - wie derzeit in Bosnien und im Kosovo - über einen längeren Zeitraum durchführen können. Da von jeweils sechs Monaten Auslandseinsatz mit folgender zweijähriger Heimatpause ausgegangen wird, ergibt das für Willmann fünf Leitdivisionen mit zusammen zehn Brigaden für Kampfeinsätze am Rande Europas und darüber hinaus.

Bis Weihnachten will Willmann alle Einheiten des Heeres besuchen, um auch dem letzten Kompanieführer das neue Konzept persönlich zu erklären. Bis 2006 soll es umgesetzt sein. Sorgen hat Willmann allerdings mit dem Geld. So kann er von seinen 1.500 Leopard-II-Kampfpanzern nur 350 die inwischen sechste Modernisierungswelle A6 inklusive Verlängerung der Kanone genehmigen.
Detlef Rudel Aus: junge welt, 26. Oktober 2000

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