Guttenberg unter Druck
Im Skandal um den Luftangriff bei Kundus macht der Verteidigungsminister keine gute Figur
Seine ehemaligen Untergebenen bezichtigen ihn der Lüge und die Opposition fordert seinen Rücktritt: Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) steht das Wasser bis zum Hals.
Die Luft wird dünn für den ehemaligen Shooting Star der CSU. Nachdem der von Guttenberg geschasste Bundeswehr-Generalinspekteur Schneiderhan am Sonntag verbreiten ließ, der Minister habe alle wesentlichen Details zum Luftangriff bei Kundus gekannt, bevor er diesen am 6. November als »angemessen« bezeichnete, steht Guttenberg mit dem Rücken zur Wand. Denn falls die Behauptungen Schneiderhans und des ebenfalls entlassenen Staatssekretärs Wichert zutreffen, dann hat Guttenberg die Öffentlichkeit bewusst belogen und die beiden altgedienten Haudegen »als Sündenböcke für seinen eigenen Irrtum« geopfert, wie die »Frankfurter Allgemeine« am Montag (14. Dez.) schrieb.
Nun steht Wort gegen Wort. Denn Guttenberg hatte stets versichert, er habe die beiden einflussreichen Strippenzieher entlassen, weil Schneiderhan und Wichert ihm Berichte zu dem Luftangriff vorenthielten. Selbst nach mehrmaliger Aufforderung, alle »im Verfügungsbereich des Ministeriums existierenden Berichte« namentlich zu nennen und auszuhändigen, stellten sich Schneiderhan und Wichert angeblich stur. Somit blieb Guttenberg keine andere Möglichkeit, als die beiden Querköpfe hinauszuwerfen. Doch selbst im Lager der Union regen sich Zweifel an der Darstellung Guttenbergs.
Und so sah sich CSU-Chef Seehofer am Montag (14. Dez.) genötigt, dem glücklosen Minister sein »volles Vertrauen« auszusprechen. Guttenberg sei »die treibende Kraft bei der Aufklärung und nicht umgekehrt«, behauptete Seehofer im Anschluss an eine CSU-Vorstandssitzung in München. Auch Guttenberg war in die bayerische Hauptstadt gereist. Auf heimischen Terrain ging der Minister zum Gegenangriff über. Der Opposition hätte der NATO-Bericht zu dem Angriff in deutscher Übersetzung seit dem 3. November vorgelegen, betonte der glücklose Minister. »Was den Vorwurf der Täuschung und der Lüge in meiner Amtszeit betrifft, kann ich nur sagen, dass sich Herr Gabriel und Herr Trittin hüten müssen, sich nicht selbst dem Vorwurf der Täuschung auszusetzen«, sagte Guttenberg weiter. SPD-Chef Sigmar Gabriel, Grünen-Bundestagsfraktionschef Jürgen Trittin und LINKEN-Vizechef Klaus Ernst hatten zuvor den Rücktritt des Ministers gefordert.
Ob sich Guttenberg im Sattel halten kann, scheint derzeit noch ungewiss. Sein Vorgänger im Amt, Franz Josef Jung (CDU), musste aufgrund der Affäre um die Luftangriffe bei Kundus bereits im November als Arbeitsminister zurücktreten. Dem Verteidigungsausschuss des Bundestags hatte Guttenberg daraufhin »ein Höchstmaß an Transparenz« versprochen. Doch in den letzten Tagen waren zahlreiche schmutzige Details zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan durchgesickert.
Sollte Guttenberg wirklich nicht gewusst haben, dass es dem Bundeswehroberst Klein in Kundus nicht darum ging, die entführten Tanklaster zu treffen, sondern vermeintliche Taliban zu »vernichten«? Wusste der Minister zudem nicht, dass die Bundeswehr in Afghanistan seit Monaten eine neue Qualität der Eskalation betreibt – und das mit Rückendeckung der Bundesregierung? Zu dieser geheimen Mandatserweiterung zählt offensichtlich auch die gezielte Tötung von Talibanführern.
Regierungssprecher Ulrich Wilhelm bestritt am Montag (14. Dez.) diese im Geheimen betriebene Eskalation: »Die Vorstellung, dass jenseits des Mandats, das der Bundestag erteilt, die Strategie fundamental geändert wird, ist abwegig.«
Wie dem auch sei: Verteidigungsminister Guttenberg wird sich vor einem Bundestags-Untersuchungsausschuss rechtfertigen müssen. Allerdings wird das Gremium voraussichtlich erst im Januar seine Arbeit aufnehmen können und zudem im Geheimen tagen. Ebenso geheim ist übrigens auch der ISAF-Untersuchungsbericht für die NATO zu dem Bombardement, bei dem vermutlich 142 Afghanen ums Leben kamen.
* Aus: Neues Deutschland, 15. Dezember 2009
"Der Minister hat gelogen"
Wolfgang Gehrcke über den Fall Guttenberg **
Wolfgang Gehrcke ist außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag.
Neues Deutschland: Der Verteidigungsminister hat erklärt, über den Bombenangriff von Kundus sei der Opposition seit Anfang November alles Wichtige bekannt. Was war Ihnen bekannt, was ist für Sie neu?
Gehrcke: Minister zu Guttenberg sucht Deckung, weil er gelogen hat. Die Luft um ihn wird immer dünner. Die Ausschüsse des Bundestages waren nicht korrekt informiert. Im Auswärtigen Ausschuss ist nie darüber gesprochen worden, dass es einen Bericht dieses Oberst Klein gibt, der bestätigt, dass man vor allem Menschen treffen wollte und nicht die Tankwagen. Im Gegenteil, der Verteidigungsminister und andere gaben lange Erklärungen ab, dass man befürchtet habe, die Tanklastzüge würden zu rollenden Bomben gemacht. Was Guttenberg jetzt behauptet, ist nicht wahr.
Nun gibt es eine Diskussion über einen Strategiewechsel der Bundeswehr am Parlament vorbei, der das gezielte Töten erlaube. Welche Anhaltspunkte gibt es dafür?
Wir haben oft unsere Befürchtung thematisiert, dass die Operationen der Bundeswehr in Afghanistan auch gezielte Tötungen beinhalten – vor allem in Bezug auf die Spezialtruppe KSK. Die Antwort immer, dass man darüber wegen der Geheimhaltung nichts sagen werde. Im Auftrag des KSK heißt es, »gegnerische Kommandozentralen auszuschalten, um Gefangene zu machen«. Unsere Frage war immer: Wie soll das Ausschalten vor sich gehen, was geschieht mit Gefangenen? Offenbar geht es bei der ISAF immer deutlicher um Kampfeinsätze und Ausschalten heißt Töten und Morden.
Sind gezielte Tötungen durch das bisherige Bundestagsmandat für die Bundeswehr gedeckt?
Nein, meiner Auffassung nach nicht. Das hat auch die Bundesregierung mehrfach bestätigt.
Gibt es da Interpretationsspielraum?
Nein, die Sache ist eindeutig. Guttenberg und vor allem die Kanzlerin müssen jetzt erklären, ob die Mandate umgefälscht werden sollen in Operationen, wie sie bislang die USA gemacht haben.
Welche Verantwortung liegt bei Angela Merkel?
Die Kanzlerin hat Aufklärung versprochen, aber nichts dafür getan. Natürlich ist sie auch verantwortlich für die Bundeswehreinsätze. Entweder hat sie die Ministerien nicht im Griff, das wäre Unfähigkeit, oder sie steuert bewusst in Richtung eines geänderten Mandats und sagt dem Parlament nicht die Wahrheit.
Schließen Sie sich Rücktrittsforderungen gegen Guttenberg an?
Er ist für einen Rücktritt überreif. Aber meine Hauptforderung ist, dass die deutschen Soldaten aus Afghanistan zurückgezogen werden. Offenbar hat der Bundestag auf Grundlage nicht vollständiger Kenntnisse bzw. falscher Darstellungen ein Mandat für die Bundeswehr ausgestellt, das so nicht mehr aufrechtzuerhalten ist.
Das wird alles Gegenstand des Untersuchungsausschusses sein. Der soll aber geheim tagen.
Das Parlament sollte die Courage haben, diese Vorgänge auch unabhängig vom Untersuchungsausschuss zu diskutieren. Der Ausschuss soll keinen Deckel auf das Thema setzen. Wir möchten erreichen, dass vor der Afghanistan-Konferenz Ende Januar öffentlich über die Haltung der Bundesregierung diskutiert wird.
Interview: Wolfgang Hübner
** Aus: Neues Deutschland, 15. Dezember 2009
"Wenig Humanmaterial"
"Feldjägerbericht" der Bundeswehr zum Massaker in Kundus im Internet veröffentlicht. Ziel war der "Verschlußsache" zufolge, so viele Menschen wie möglich umzubringen
Von Knut Mellenthin ***
Die Wahrheit über das Bundeswehr-Massaker in der nordafghanischen Provinz Kundus kommt nur in Bruchstücken ans Licht. Die Bundesregierung hat zwar »Transparenz und Aufklärung« (Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg) versprochen, hält aber sogar die schon vorliegenden Berichte immer noch unter Verschluß. Der Untersuchungsausschuß des Bundestags, der am Mittwoch seine Arbeit aufnimmt, soll voraussichtlich unter Ausschluß der Öffentlichkeit tagen. Warum sich nicht wenigstens die Fraktion Die Linke mit vollem Nachdruck für die Forderung nach Veröffentlichung aller Berichte stark macht, bleibt unverständlich.
Seit Montag ist immerhin ein Teil des sogenannten Feldjägerberichts im Internet nachzulesen. »Wikileaks«, eine Gruppe von Aktivisten, hat ihn unter 88.80.16.63/leak/de-isaf-cas-kunduz-sep09.pdf online gestellt. Allerdings fehlen mindestens 20 Seiten aus der Akte. Das Dokument trägt neben dem üblichen Geheimhaltungshinweis Verschlußsache »VS – Nur für den Dienstgebrauch« auch den seltsamen Vermerk »Nur Deutschen zur Kenntnis«. Anscheinend hat die Bundeswehr auch vor ihren NATO-Partnern ein paar kleine Geheimnisse.
Aus dem Feldjägerbericht wird das äußerst geringe Aufklärungsinteresse der für den Luftangriff vom 4.September verantwortlichen Bundeswehrführung in Kundus, namentlich des Obersten Georg Klein, deutlich. Beispielsweise unterließ Klein es entgegen den Richtlinien der internationalen Streitkräfte in Afghanistan (ISAF) und der Bundeswehr, sogleich (»zeitnah«) nach dem Angriff eine Untersuchung der Folgen im Zielgebiet einzuleiten. Den deutschen Feldjägern, die anscheinend eigeninitiativ ermittelten, bot sich dort am folgenden Tag »ein offensichtlich deutlich veränderter Ereignisort, der einen geradezu stark gereinigten Eindruck hinterläßt. Es sind nur noch minimale Spuren von Humanmaterial zu finden, weder Tote noch Verletzte sind vor Ort.« Und: »Am Ort des Vorfalls sind nur noch verbrannte/zerstörte materielle Überreste, einige Tierkadaver und Fahrzeugwracks zu sehen, Kollateralschäden sind nirgends wahrzunehmen.« Daher, so ihre Schlußfolgerung, könne nicht nachvollzogen werden, wie viele Personen sich zur Zeit des Angriffs im Zielgebiet befanden, wie viele Opfer es gab und welche »Veränderungen der Spurenlage am Ereignisort vorgenommen wurden«. Zur Erinnerung: Die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium versuchten anfangs, die Zahl der Getöteten stark herunterzuspielen. Während sie von 56 sprachen, steht inzwischen fest, daß es über 140 Tote gab.
Im Feldjägerbericht wird außerdem bemängelt, daß aus den Unterlagen, die den Ermittlern zur Verfügung gestellt wurden, nicht eindeutig ersichtlich sei, welcher Personenkreis an Kleins Entscheidung für den Bombenangriff auf die um zwei Tanklastwagen versammelte Menschenmenge beteiligt war. Klein habe aus nicht erklärten Gründen weder seinen Rechtsberater hinzugezogen noch sich mit übergeordneten Stellen wie etwa seinem direkten Vorgesetzten, dem Brigadegeneral Jörg Vollmer als Chef des Regionalkommandos Nord, in Verbindung gesetzt. Ob Klein verpflichtet gewesen wäre, vor seinem Angriffsbefehl Vollmer zu konsultieren, ist allerdings ungeklärt.
Die bisher vorliegenden Erkenntnisse deuten darauf hin, daß Kleins Ziel darin bestand, möglichst viele Menschen, die sich um die beiden Tankwagen versammelt hatten, töten zu lassen. Er forderte deshalb den Abwurf von sechs Bomben; gewährt wurden ihm schließlich »nur« zwei. Daß in der Menschenmenge viele Nichtkombattanten waren, wußte Klein aus den Mitteilungen der US-Piloten. Diese hatten deshalb vorgeschlagen, die Menge durch Tiefflugmanöver zu zerstreuen, statt sie anzugreifen. Klein lehnte ab und bestand auf seinem Massaker. Ob er dabei auch die »gezielte Tötung« von zwei oder vier Taliban-Führern im Blick hatte, die er angeblich am Ort vermutete, ist ungewiß.
So oder so handelte es sich, wenn man die Beurteilungen durch den »Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien« zum Maßstab nimmt, um Kriegsverbrechen. Nicht wegen der »gezielten Tötungen«, über deren prinzipielle Rechtmäßigkeit unterschiedliche Auffassungen bestehen, sondern wegen der absehbaren hohen Verluste unter den anwesenden Nichtkombattanten, sprich den Dorfbewohnern, die herbeigeeilt waren, um etwas Benzin aus den Tankwagen zu holen.
Damit verstieß Klein sogar gegen die aktuellen Einsatzregeln, die der Oberkommandierende der ISAF und der US-Streitkräfte in Afghanistan, General Stanley McChrystal, nach seinem Amtsantritt im Juni erlassen hatte. Klein »erschlich« sich den Luftangriff durch falsche Angaben: Indem er wahrheitswidrig mitteilen ließ, es gebe bereits »Feindberührung« – was die Anwesenheit deutscher Soldaten vor Ort vorausgesetzt hätte – und indem er behauptete, die Situation stelle eine Bedrohung für die Bundeswehrtruppen dar.
Vor diesem Hintergrund erklärte der Sprecher des Bundeswehrverbands, Wilfried Stolze, am Montag: »Wir sagen, daß der Skandal nicht darin liegt, was in Kundus am 4. September passiert ist. Dort haben Soldaten ihre Pflicht getan. Und zu diesen Soldaten stehen wir.« – Stolze scheint damit für einen nicht geringen Teil des deutschen Offizierskorps zu sprechen, der der Meinung ist, die Bundeswehr stünde über nationalem und internationalem Recht.
*** Aus: junge Welt, 15. Dezember 2009
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