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Forscher über die Bundeswehr: "Militarismus tritt anders auf"

Das öffentliche Rekrutengelöbnis vor dem Reichstag ist zum Normalfall geworden. Der Friedensforscher Peter Strutynski erklärt, warum das so ist


taz: Herr Strutynski, vor einigen Jahren hat das öffentliche Bundeswehrgelöbnis vor dem Reichstag noch für Diskussionen gesorgt. Heute ist es zum Normalfall geworden. Wo ist die Friedensbewegung?

Peter Strutynski: Die ist natürlich wie jede andere Bewegung auch "konjunkturabhängig". Sie wird stark, wenn es um brennende, die Menschen interessierende Themen geht.

Die Mehrheit der Bevölkerung ist gegen den Afghanistankrieg. Sie sagen, das interessiert die Menschen nicht?

Natürlich interessiert dieser Krieg die Menschen, aber er betrifft sie nicht direkt. Das war beim Kampf gegen die Atomraketen in den 1980er Jahren oder dem Irakkrieg unter Bush ganz anders. Da gingen weltweit 18 Millionen und in Berlin 500.000 Menschen auf die Straßen. Weil jeder wusste, dass der Krieg auf Lügen und Intrigen basierte.

Die Kanzlerin steht an den Särgen getöteter Soldaten, trotzdem mangelt es an Mobilisierung. Taugt ein Begriff wie "Antimilitarismus" dazu noch?

Der Begriff beinhaltet ja kein Bekenntnis zu radikalen oder weniger radikalen Protestformen, sondern ist eine inhaltliche Strategie, die sich gegen die Militarisierung der Gesellschaft richtet. Das ist so aktuell wie eh und je. Aber es stimmt: Dass der Antimilitarismus es heute schwer hat, liegt daran, dass der Militarismus anders auftritt.

Wieso?

Vergleichen Sie den preußischen Militarismus vergangener Zeit mit dem heutigen Auftritt des Militärs: Zivil, offen, freundlich, hilfsbereit - die Bundeswehr legt viel Wert auf eine offene Erscheinung nach außen. Sie geht an Schulen und sucht das Gespräch.

Die Strategie der Bundeswehr ist einfach erfolgreich?

Zumindest ist der Anteil der Bevölkerung, der den Afghanistaneinsatz ablehnt, so groß wie der Anteil, der die Bundeswehr demokratisch okay findet. Mit diesem Widerspruch müssen wir leben. Zwar entscheidet sich ein größerer Anteil der jungen Männer für den Zivildienst statt für die Bundeswehr. Die meisten haben aber nichts dagegen, dass die anderen den Kriegsdienst machen. Positiv formuliert ist das ein Zeichen von Toleranz.

Und negativ formuliert?

Diese Toleranz enthebt die Menschen davon, die Dinge selbst normativ zu bewerten. Das hat auch mit einer immer funktionaleren Arbeitsteilung in der Gesellschaft zu tun. Wenn die Gesellschaft komplexer wird, übernehmen Andere bestimmte Aufgaben, für die ich mich nicht zu interessieren brauche. Der Effekt ist auch bei der schleichenden Akzeptanz der öffentlichen Gelöbnisinszenierung zu sehen.

Was würden Sie mir als Friedenscoach empfehlen?

Friedenspolitische Gruppen müssen das neue Auftreten der Bundeswehr ernst nehmen. Das wird auch getan. An Schulen, Berufsschulen, bei Jugendmessen und Volksfesten, wo die Bundeswehr verstärkt für sich wirbt, thematisieren lokale Initiativen diese Problematik. Und auch bei Gelöbnissen wie zuletzt in Stuttgart oder Münster gab es sichtbare Proteste. Diese Mobilisierung ist nicht immer einfach, aber sie existiert.

INTERVIEW: MARTIN KAUL

* Aus: taz, 21. Juli 2010


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