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Kanonendonner um Scharpings Militäretat

Muss die Bundeswehr ihren Laden dicht machen?

Scharping ist nicht zu beneiden. Nicht dass wir plötzlich Mitleid mit ihm bekämen, aber irgendwie steckt der Verteidigungsminister in einer Zwickmühle. Wenn er zu wenig Geld hat, um seinen Laden in Ordnung zu halten, d.h. die für die neue Bundeswehr- und NATO-Strategie notwendigen Waffen und Ausrüstungen zu beschaffen, dann muss er entsprechende Forderungen an das Kabinett stellen und im Fall der Nichterfüllung eigentlich seinen Helm, Pardon: seinen Hut nehmen. Stellt er sich aber hin und verkündet, dass doch alles zum Besten sei und die 372 Millionen DM, die ihm in der Kasse fehlen, vergleichsweise "lächerlich" seien - womit er zweifellos Recht hat angesichts eines Etats von 48 Mrd. DM -, dann haben er und seine Generalität keinen Grund das Maul so weit aufzureißen und mehr Geld zu fordern.

Genau das aber haben sie getan, Anfang März - in einem Geheimpapier, das lediglich in Auszügen dpa vorgelegen zu haben scheint. Eine Lücke von rund zwei Mrd. DM habe danach der Generalinspekteur der Bundeswehr und Scharping-Intimus Harald Kujat für das Haushaltsjahr 2002 ausgemacht. Notwendige Großprojekte und damit die "Bündnisfähigkeit" seien in Frage gestellt. So seien ein neues Transportflugzeug, ein neuer Hubschrauber (der "Tiger"), das von Scharping favorisierte neue Satellitenaufklärungssystem und vieles andere extrem gefährdet, wenn nicht der Haushaltsansatz für die Rüstung deutlich erhöht werde. Das war schon eine eindrucksvolle Liste, die Scharping da von seinem obersten General zusammentragen ließ, um so Druck auf Eichel und den Kanzler und Eindruck auf den Verteidigungsausschuss und den Bundestag zu machen.

Das ist ihm zum Teil auch gelungen. Die CDU/CSU-Opposition, die ohnehin nie genug Waffen haben kann (getreu dem alten Kanzler-Kohl-Wort vom Frieden "mit immer weniger Waffen"!?), erbarmte sich des Verteidigungministers und machte die Mär von der 2-Mrd-Deckungslücke zu ihrer eigenen. Dass sie gleichzeitig Scharping angriff, er treibe es bis zum "Offenbarungseid" (so der Verteidigungsexperte der Union, Paul Breuer), gehört zum parlamentarischen Geschäft. Seine Fehde mit Scharping betrieb auch der Vorsitzende des Bundeswehrverbands Bernhard Gertz weiter. Gertz hatte schon in Sachen Uran-Munition scharfe Geschütze aufgefahren und den Chef der Hardthöhe unverblümt der Lüge (parlamentarisch: "Unwahrheit") bezichtigt. Nun legte er nach und nannte die diesjährige Finanzplanung den "windigsten Verteidigungshaushalt aller Zeiten". Scharping hätte schon bei der Verteilung der UMTS-Erlöse mehr Geld fordern sollen. Jetzt sei es zu spät und nach Meinung des obersten "Interessenvertreters" der Soldaten sei auch die Reform der Bundeswehr "jetzt bereits gescheitert". (Aus Friedenssicht wäre das wahrlich eine frohe Botschaft!)

Im Bundestag schiebt sich derweil eine Art große Koalition aus unverbesserlichen Militaristen zusammen. Neben Breuer äußerte sich aus der CDU auch der parlamentarische Geschäftsführer Hans-Peter Repnik und forderte kurzerhand einen Nachtragshaushalt. Und der SPD-Bundestagsabgeordnete Manfred Opel erinnerte an ein im vergangenen Jahr angeregtes Sondergesetz zur Modernisierung der Streitkräfte, das einen Zuschuss (Zuschuss!) von 50 Milliarden DM vorsah, die über mehrere Jahre verteilt werden sollten. Scharping wird sich bei nächster Gelegenheit, wenn etwa ein Statssekretärsposten frei werden sollte, dieses treuen Recken erinnern.

So viele Freunde hat er nämlich nicht, der Rudolf, von dem sein Kanzler noch vor Jahresfrist tönte: "Von Rudolf lernen, heißt Siegen lernen." Jedenfalls hört die Freundschaft meist dann auf, wenn es ums Geld geht. Es ist halt in der hohen Politik fast wie im richtigen Leben. Der Kanonen-Theaterdonner hat nur wenige Tage gedauert, dann musste Scharping klein beigeben und nach einem Gespräch mit dem Kanzler den Geldmangel der Armee wieder auf ein erträgliches Maß herunter reden. Am 10. März war jedenfalls alles wieder im Lot. Die fehlenden 372 Mio. DM werden ins rechte Licht gerückt und für "lächerlich" erklärt. Die Bündnisfähigkeit der Bundeswehr sei gegeben; sowohl die Landesverteidigung als auch die Kriseneinsatzfähigkeit (für zwei "kleinere Krisen") sei garantiert und aus dem Kosovo müsse kein Mann abgezogen werden. So hieß es jedenfalls beruhigend am 12. März in allen einschlägigen Medien.

Nur bei uns stellt sich keine Erleichterung ein. Einmal weil der Bundeswehretat mit 48 Mrd. DM (nur Einzelplan 14, in anderen Etatposten sind weitere Milliarden versteckt) ohnehin überdimensioniert ist. Zum anderen weil Scharping und seine Generäle über ausreichend Mittel verfügen (und künftig einen leicht steigenden Etat bekommen), um die Umwandlung der Bundeswehr in eine Interventionsarmee zu bewerkstelligen. Und zum Dritten ärgert es, wenn Scharping in den Gazetten von der FAZ bis zur Süddeutschen Zeitung als der arme Schlucker dargestellt wird, der - wieder einmal - erfolglos bei Eichel um Almosen für seine Hunger leidende Armee betteln muss. Die Süddeutsche Zeitung schoss diesmal sogar den Vogel ab, indem sie kommentierte: "Rot und Grün sollten ihrer Klientel besser schnell klar machen, dass die Bundeswehr mehr Geld braucht, und dass Sicherheit nicht dadurch entsteht, dass man weniger ausgibt." (SZ, 08.03.2001) So gesehen hat Scharpings Initiative doch Erfolg gehabt. Wieder einmal konnte der Eindruck in der - Zeitung lesenden - Öffentlichkeit erweckt werden, als leide die Bundeswehr am Hungertuch.

Peter Strutynski

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