Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Eine skandalöse Rede

Bundespräsident Gauck plädiert wieder für den "gerechten Krieg"

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag

Kassel, 13. Juni 2012 - Zur Rede des Bundespräsidenten bei der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg erklärte der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag in einer ersten Stellungnahme:

Es sollte eine Rede des hohen Tons und der großen Gefühle werden. Am Ende präsentierte Bundespräsident Joachim Gauck aber nur mächtige Worthülsen. Da war von "meiner Armee" und von "unseren Soldaten" als "Dienern" die Rede, von einer wahren "Armee des Volkes" als einem Teil des "Demokratiewunders", das die Deutschen 1989/90 geschafft hätten. Und da wurden die hehren Ideale und Ziele der Bundeswehr gepriesen, "Freiheit, Sicherheit, Menschenwürde und das Recht des Einzelnen auf Unversehrtheit" zu verteidigen - und zwar in der ganzen Welt.

Mit keinem Wort ging Gauck auf die Interessen der deutschen Wirtschaft ein, Märkte für den Export zu sichern, Handelswege notfalls "freizukämpfen" oder sich "freien Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen und Rohstoffen" in aller Welt zu schaffen. Das ist immerhin der unverblümte Auftrag der Bundeswehr in den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992, 2003 und 2011 und der Weißbücher 1994 und 2006. Horst Köhler hatte wegen eines etwas holprig daherkommenden Interviews vor drei Jahren auf diese Zusammenhänge aufmerksam machen wollen - und musste sein Präsidentenamt aufgeben. Offenbar hält sich Gauck an eine Grundregel der politischen Klasse: Über die ökonomischen Interessen der Politik spricht man nicht, man setzt sie nur durch.

Obwohl das Instrument Militär zum sensibelsten Bereich der Politik und des nationalen und internationalen Rechts gehört, existieren für Gauck weder das Grundgesetz der Bundesrepublik mit seinem den Krieg ächtenden Art. 26 und die Bundeswehr auf Landesverteidigung verpflichtenden Art. 87a, noch die UN-Charta mit dem strikten Gewaltverbot nach Art. 2,4, noch der Einigungsvertrag von 1990, der in Art. 2 definitiv verlangt, "dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird". Er stellt demnach auch nicht die Frage, ob Krieg völkerrechtlich oder ethisch sein darf, sondern ihn interessiert nur noch, ob militärische Einsätze "die gewünschten Ziele erreichen" oder "ob wir im Einzelfall die Mittel haben, die für ein sinnvolles Eingreifen nötig sind".

So ist der letzte Schritt nicht mehr weit: Für Gauck gibt es wieder den "gerechten Krieg". Originalton: "Sie (die Bundeswehr) hat unser Zutrauen verdient, nicht nur in Debatten um den 'gerechten Krieg' zu bestehen, sondern auch einem 'gerechten Frieden' einen Weg zu bahnen." Hätte der ehemalige Pastor und Kirchenfunktionär doch nur das Wort der deutschen Bischöfe aus dem Jahr 2000 zur Kenntnis genommen! Dort hatte sich die Kirche endgültig von Begriff und Konzeption des "gerechten Kriegs" verabschiedet.

In Kreisen der Bundeswehr wird die Rede Gaucks überschwänglich gefeiert und heute schon als "historisch" bewertet. In einem negativen Sinn soll sie es auch sein: Gauck soll mit seiner Lobrede die Köpfe und Herzen der Menschen für die Sorgen und Nöte der Soldaten öffnen, soll das einstmals beklagte "freundliche Desinteresse" an der Bundeswehr in eine begeisterte Zustimmung verwandeln. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr, der "Armee im Einsatz", werden - geht es nach den Plänen von Regierung und NATO - zunehmen. Dafür braucht sie zunehmend die Unterstützung der "Heimatfront". Gauck scheint der rechte Mann dafür zu sein.

Peinlich, dass er in seinem Eifer nicht merkt, dass die Bundeswehr dabei ist, das zu werden, was er zu Beginn seiner Rede so heftig kritisiert: Mit Blick auf die DDR geißelt er dort "Aufmärsche" und "die Militarisierung der Schulen". Hat er denn noch nicht von den öffentlichen Gelöbnissen, der Präsenz der Bundeswehr bei Volksfesten und Messen oder der Teilnahme von Presseoffizieren an Schulveranstaltungen gehört?

Eines können wir nicht nur für den Bundesausschuss Friedensratschlag, sondern für die Friedensbewegung insgesamt sagen: Von diesem Präsidenten werden wir nicht vertreten.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)

Die Rede des Bundespräsidenten ist hier dokumentiert:
www.ag-friedensforschung.de


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Gaucks Freiheitsbegriff ist nationalistisch und militaristisch

Pressemitteilung von Sevim Dagdelen, MdB Die Linke

„Jetzt zeigt sich, dass Gaucks Freiheitsbegriff lediglich nationalistische und militaristische Propaganda ist. Selbst ein System von striktem Befehl und Gehorsam, das den Befehl zum Töten und das eigene Leben zu opfern beinhaltet, bekommt Bundespräsident Gauck mit seinem Freiheitsbegriff vereinbart. Die Tatsache, dass v.a. Angehörige der unteren Schichten Kriege für eine kleine nationale Elite führen, bezeichnet er sogar als Stütze der Freiheit. Das ist einfach nur widerwärtig", so Sevim Dagdelen, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages und Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion DIE LINKE. Dagdelen weiter:

„Dass er die Notwendigkeit von Auslandseinsätzen gerade mit der spezifischen deutschen Geschichte begründet, abstrahiert und verallgemeinert die Zumutung des Auschwitz-Vergleichs, mit dem die Grünen einst die Bundeswehr in ihren ersten handfesten – und noch dazu völkerrechtswidrigen – Krieg geführt haben. Es dokumentiert zugleich die mangelnde Aufarbeitung und Auseinandersetzung Gaucks mit der Geschichte des Nationalsozialismus. Gauck schreibt sich mit seiner Propagierung des Krieges als Mittel der Politik in die dunkelsten Traditionen des deutschen Imperialismus und Militarismus ein.

Gaucks Freiheitsbegriff, der zugunsten nationaler Eliten und nationalen Kapitals Kriege und die Entrechtung weiter Teile der Bevölkerung propagiert, liegt bedrohlich nahe an der Ideologie alter und neuer rechter Bewegungen. In Gaucks skandalöser Kriegspropaganda klingt zudem ein wilhelminischer Unterton nach. Mit einem neuen Militarismus soll die Gesellschaft bereit gemacht werden für opferreiche imperiale Kriege. Gaucks Freiheit ist denn nichts als die Freiheit zum Krieg zugunsten von Machteliten und deutschem Kapital. Freiheit durch soziale Sicherheit, Freiheit durch Sozialismus, Demokratie und Sozialstaat sind die Alternativen zu Gaucks Freiheit zum Krieg. Es gilt dieser neuen wilhelminischen Propaganda Gaucks in den Arm zu fallen, bevor unter der Flagge der Freiheit neue Kriege vom Zaun gebrochen werden."

Berlin, 13. Juni 2012


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Gauck bleibt Gauck

Erklärung der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde nach der Gauck-Rede in Hamburg

Wieder einmal hat sich der Herr Bundespräsident geäußert. Dieses Mal waren es nicht vordergründig Freiheit und Demokratie, sondern die Bereitschaft, in den Krieg zu ziehen, im Krieg zu sterben für diese - ach so hehren Werte, mit denen die Bundeswehr andere Völker beglücken soll. Der grenzenlose Zynismus dieses Mannes wird deutlich, wenn er dazu erklärt: „ Dass es wieder deutsche Gefallene gibt, ist für unsere glücksüchtige Gesellschaft schwer zu ertragen“. Ja, das ist schwer zu ertragen – besonders für ihre Mütter, Frauen und Kinder.

Dieser pastoral verbrämte Zynismus ist ein Markenzeichen des Mannes, der dem deutschen Volk von den neoliberalen Eliten des Landes vorgesetzt wurde.

Damit hat er die unsägliche, antikommunistische Hexenjagd in den Nachwendezeiten betrieben und institutionalisiert, auf dass sie die Gesellschaft spaltet und noch nach zwanzig Jahren ihre sumpfigen Blüten treibt.

Damit hat er – nun in höheres Amt gelangt – die Antikapitalismusdebatte in der Gesellschaft denunziert und seine Psalmen über Freiheit und Demokratie erneut als pure Heuchelei entlarvt.

Damit hat er die soziale Kälte in dieser Gesellschaft, die mit den Hartz-IV- Gesetzen ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hat, gerechtfertigt.

Damit hat er nunmehr auch den Krieg für ein imaginäres Vaterland – nicht etwa für geopolitische und ökonomische Interessen - hoffähig gemacht.

Eine „stolze“ Bilanz, die der Gesundbeter im Präsidentenamt aufzuweisen hat.

Und er übertrifft alles, wenn er die DDR und ihre Nationale Volksarmee, die nie einen Krieg geführt hat, die gemeinsam mit den Armeen des Warschauer Vertrages über Jahrzehnte ein Garant für den Frieden in Europa war, wider besseres Wissen verunglimpft.

Es ist sein Zynismus, sein antikommunistischer Hass, der hier zum Ausdruck kommt, mit dem er ein den Herrschenden gemäßes Geschichtsbild zeichnet und die Geschichtsfälschung vor allem im Hinblick auf die Jugend befördert.

Die Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde stellt fest, dass mit dieser Rede an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 kodifizierten universalen Menschenrechte auf ein Leben in Frieden und Glück auf eklatante Art und Weise missachtet werden.

Mit dieser antihumanistischen und antichristlichen Haltung vertritt Herr Gauck weder die Interessen noch die Meinung der Mehrheit des deutschen Volkes.

Berlin, 15. Juni 2012


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